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Arzneimittel und Therapie
Einfach wieder ausschneiden!
Durchbruch für die Heilung einer HIV-Infektion?
Eigentlich hatten die beteiligten Arbeitsgruppen in Hamburg und Dresden bereits 2007 für Furore gesorgt, als sie ihre Vorarbeiten im renommierten Wissenschaftsjournal Science publizieren konnten. Sie hatten sich eine Genschere aus der Natur als Vorbild genommen, das sogenannte Cre/loxP-Rekombinase-System des Bakteriophagen P1. Das Enzym Cre (cyclization recombination) erkennt zwei bestimmte Erkennungssequenzen, die als loxP (locus of X-over of P1) bezeichnet werden, schneidet das dazwischenliegende DNA-Segment aus und bildet daraus ein kleines zirkuläres Fragment, das in der Zelle abgebaut wird (Abb. 1). Zurück bleibt auf dem Chromosom eine einzelne loxP-Erkennungssequenz. Dieses System wird in der unveränderten Form bereits seit vielen Jahren benutzt, um zielgerichtet transgene Organismen, z. B. transgene Mäuse, herzustellen, bei denen ein bestimmtes Gen entfernt wurde (knockout-Mäuse).
Die natürliche Erkennungssequenz loxP für die Cre-Rekombinase besteht aus einem 26 Basenpaar langen Palindrom, dessen Hälften über einen acht Nukleotid langen Spacer getrennt sind (Abb. 1, 2). Interessanterweise verfügt das HIV-Genom ebenfalls über lange terminale Wiederholungssequenzen (long terminal repeats, LTR), in denen sich wiederum eine Sequenzabfolge befindet, die relativ ähnlich zur loxP-Sequenz ist. Zudem ist dieser Bereich zwischen verschiedenen HIV-1-Subtypen sehr konserviert – somit also eigentlich die ideale Zielstruktur für eine Rekombinase. Allerdings unterscheidet sich diese HIV-Sequenz, die von den deutschen Wissenschaftlern loxBTR genannt wurde, so stark von der loxP-Erkennungssequenz, dass sie von der natürlichen Cre-Rekombinase nicht erkannt wird.
Der Trick
Mit einem cleveren Trick, den man als eine Art „beschleunigte Evolution der Rekombinase am Zielsubstrat“ bezeichnen kann, modifizierten die Wissenschaftler die Spezifität der Bakteriophagen-Rekombinase: Auf der einen Seite wurde die Sequenz der Rekombinase willkürlich variiert, in der Hoffnung, dass Enzym-Varianten mit etwas geänderter Substratspezifität entstehen. Auf der anderen Seite wurde die natürliche loxP-Sequenz schrittweise so verändert, dass sie der HIV-Sequenz loxBTR allmählich immer ähnlicher wird. Durch In-vitro-Selektion der Rekombinase an den veränderten lox-Sequenzen konnte auf diese Weise tatsächlich eine Enzym-Optimierung erreicht werden. 2007 wurden bereits entsprechende Ergebnisse über eine loxLTR-Sequenz und eine Tre-Rekombinase mit großem Medienecho in Science veröffentlicht.
Was ist jetzt neu?
Zwischenzeitlich wurde eine andere HIV-Sequenz ausgesucht und auch die passende Rekombinase weiter verbessert, so dass das neu-adaptierte Enzym mittlerweile gegen verschiedene HIV-1-Subtypen einsetzbar wäre. Diese in insgesamt 145 Evolutionsschritten entwickelte Rekombinase Brec1 wurde dann nicht nur in Bakterien gegen das entsprechende Substrat getestet, sondern auch in eukaryontischen HeLa-Zellen sowie in PM1-T-Lymphozyten, die mit HIV infiziert waren. Es zeigte sich, dass die Rekombinase in allen Fällen aktiv war und die HIV-DNA sehr spezifisch entfernen konnte. Auch aus T-Lymphozyten, die aus HIV-positiven Patienten isoliert wurden, ließ sich das HIV-Genom entfernen, nachdem die Zellen mit einem geeigneten Brec1-Expressionsvektor transfiziert worden waren. Und dies gelang nicht nur in vitro sondern auch in speziellen Mäusen, denen die T-Zellen implantiert worden waren.
Als richtig spannend erwiesen sich allerdings die Versuche, bei denen die Wissenschaftler die hämatopoetischen Stammzellen der Mäuse durch Bestrahlung abtöteten und durch menschliche Stammzellen, die man zuvor mit der Rekombinase ausgestattet hatte, ersetzten. Ungefähr 20% der Stammzellen für diese Experimente waren erfolgreich transfiziert. Nachdem die humanen Zellen das murine Blutsystem wiederhergestellt hatten, wurden die Mäuse mit HI-Viren infiziert. In Rekombinase-positiven Mäusen nahm die Viruslast sehr schnell ab, während sich die HI-Viren in den Kontrollmäusen ungehindert vermehren konnten.
Angedacht wird nun eine erste kleine Phase-1-Studie, bei der HIV-positiven Patienten hämatopoetische Stammzellen entnommen und mit einem selbst-inaktivierenden Lentivirus transfiziert werden, das das Gen für Brec1 einbringt. Das Brec1-Rekombinase-Gen steht dabei unter der Expressionskontrolle eines Promotors, der durch das HIV-Tat-Protein aktiviert wird. Das heißt, die Zellen müssen zunächst selbst mit HIV infiziert sein, um die Rekombinase zu exprimieren, die dann ihrerseits die Zelle wieder vom HIV-Genom befreien kann. Nicht-infizierte Zellen exprimieren hingegen keine Rekombinase. Nach Reinfusion in den Patienten bilden die Stammzellen einen Pool an Blutzellen, die sich selbst von einer HIV-Infektion heilen können. Somit kann sich das Immunsystem des Patienten wieder selbst aufbauen.
Um versteckte HIV-positive zentrale Gedächtniszellen ebenfalls zu erreichen, könnte das Rekombinase-Gen alternativ auch über Adeno-assoziierte Vektoren (AAV) mit spezifischen Oberflächenstrukturen direkt in den Körper eines HIV-Infizierten appliziert werden. Über die Oberflächenstrukturen würden gezielt T-Gedächtniszellen adressiert, in die anschließend das Gen für die Rekombinase eingeschleust wird.
Neue Hoffnung auf Heilung?
Der Begriff „Heilung“ ist im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion sehr hoch gegriffen, würde Heilung doch bedeuten, dass wirklich ALLE infizierten Zellen eines HIV-positiven Patienten erreicht werden müssten und dass ALLE Kopien des HIV-Genoms aus dem Körper eliminiert sein müssten. Um es deutlich zu formulieren: Das gelingt mit den bisher angedachten Konzepten unter Nutzung der neuen Rekombinase nicht. Diese Rekombinase ist eben keine molekulare Schere, die sich im Körper auf den Weg macht, um gezielt HIV-Genome aufzustöbern und auszuschneiden. Die bisherigen Versuche der deutschen Wissenschaftler zielen stattdessen darauf ab, einem Teil der hämatopoetischen Stammzellen mit der Brec1-Rekombinase einen Schutzfaktor zu geben, damit die Nachkommen dieser Stammzellen nicht infiziert werden können. In älteren, bereits infizierten Zellen lassen sich keine Korrekturen am Genom erreichen, und es werden bei einer derartigen Therapie sicherlich auch Stammzellen übrig bleiben, die nicht mit der Brec1-Rekombinase ausgestattet wurden und deshalb weiterhin als Wirtszellpool für eine Virusvermehrung zur Verfügung stehen.
Selbst mit der Alternative über die Transfektion mit Adeno-assoziierten Viren als Genfähren werden sicherlich nicht alle infizierten Zellen zu erreichen sein, so dass eine Heilung einer HIV-Infektion auch mit dieser intelligenten Methode sicherlich nicht möglich ist. Zudem bedeutet eine Expressionskontrolle der Brec1 über einen Tat-abhängigen Promotor auch, dass die Zelle zunächst mit HIV infiziert und das Genom in die DNA integriert werden muss. Erst dann kann das Kontrollprotein Tat entstehen, das nicht nur zur Transkription des Rekombinase-Gens, sondern auch zur Transkription der viralen Gene verwendet wird.
Zweifellos ist der Ansatz mit der adaptierten Cre-Rekombinase wissenschaftlich interessant. Aber inwieweit sich diese Methode als mögliche Therapie einer HIV-Infektion durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Um das experimentelle Prinzip dieses therapeutischen Konzepts auf Machbarkeit bei Patienten zu prüfen, müssen nicht nur Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit der Methode an sich beantwortet werden. Zusätzlich begibt man sich mit diesem Ansatz auch in den Bereich der Gentherapie ganz allgemein, der seinerseits noch tief in den experimentellen Kinderschuhen steckt. |
Literatur
Karpinski J, Hauber I, Chemnitz J, Schäfer C, Paszkowski-Rogacz M et al. Directed evolution of a recombinase that excises the provirus of most HIV-1 primary isolates with high specificity. Nat Biotechnol 2016 Feb 22. doi: 10.1038/nbt.3467
Sarkar I, Hauber I, Hauber J, Buchholz F: HIV-1 proviral DNA excision using an evolved recombinase. Science 2007 Jun 29;316(5833):1912-1915
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