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Arzneimittel und Therapie

Was ist eigentlich eine Mikrozephalie?

Eine Hirnfehlbildung im aktuellen Fokus

Müsste man nur über das klinische Bild der akuten Zika-Virus-Infektion berichten, bestünde wohl kaum Anlass zur Sorge. Doch seit Mitte bis Ende 2015 werden vor allem in Brasilien gehäuft Kinder mit Mikrozephalie geboren – zumeist in ­Regionen, in denen in den Monaten zuvor Ausbrüche von Zika-Virus-­Infektionen nachgewiesen worden waren. Bei der Mikrozephalie handelt es sich um eine gestörte Entwicklung des Gehirns, die in den meisten Fällen mit einer geistigen Retardierung einhergeht. Eine spezifische Therapiemöglichkeit gibt es nicht.

Die akute Infektion mit dem Zika-­Virus macht sich oft durch „unklare“ Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen bemerkbar, die von einem knotig-fleckigen Hautausschlag sowie einer nichteitrigen Konjunktivitis begleitet sein können. Die Körpertemperatur liegt meist im subfebrilen Bereich. Nach einer Woche ist der Infekt in der Regel überstanden – vermutlich verläuft ein großer Teil der akuten ­Zika-Virus-Infektion klinisch ohnehin inapparent.

Postinfektiöses Guillain-Barré-Syndrom

Allerdings besteht seit mehreren Zika-Erkrankungsfällen im Jahr 2013 in Französisch-Polynesien der Verdacht, dass postinfektiös auch ein Guillain-Barré-Syndrom auftreten kann. Auch hierbei handelt es sich um eine neurologische Komplikation: An den Nervenwurzeln und den dazugehörigen peripheren Abschnitten kommt es auf dem Boden entzündlicher Veränderungen zu einer Entmarkung (Demyelinisierung), die motorische und sensorische Störungen zur Folge hat.

Mikrozephalie ist streng genommen Mikroenzephalie

Im Gegensatz zum Guillain-Barré-Syndrom betrifft die Mikrozephalie („kleiner Kopf“) das zentrale Nervensystem beziehungsweise das Gehirn, in Wirklichkeit handelt es sich also um eine „Mikroenzephalie“. Ihre normale Inzidenz beträgt etwa 1,6 Fälle auf 1000 Geburten. Pränatal wird von einer Mikrozephalie gesprochen, wenn sonografisch der Kopfumfang unterhalb der dreifachen Standardabweichung beziehungsweise unterhalb der dritten Perzentile liegt (in Bezug zu den Werten großer gleichaltriger Kollektive). Diagnostizierbar ist die Fehlbildung in der Regel erst um die 26. bis 28. Schwangerschaftswoche. Nach der Geburt lassen sich die neuroanatomischen Abnormitäten durch ein kraniales MRT nachweisen.

Gestörte Großhirnentwicklung

Ihre Entstehung beruht auf einem gestörten Ablauf verschiedener zeitlicher Abschnitte in der Entwicklung des zentralen Nervensystems, die vor allem für die Bildung des komplexen, mehrlagigen Aufbaus der Großhirnrinde (Cortex cerebri) notwendig sind:

  • Störung der neuronalen Proliferation (3. bis 4. Schwangerschaftsmonat): Im Bereich der Hirnventrikel bilden sich durch eingeschränkte Zellteilung zu wenig neue Neuronen aus (also Nervenzellen als strukturelle und funktionelle Grundeinheit des Nervensystems).
  • Störung der neuronalen Migration (3. bis 5. Monat): Eine zu geringe Anzahl Neuronen gelangt „von innen nach außen“, sodass kein normaler Aufbau der kortikalen Schichten möglich ist.

Die Migrationsstörung führt in der Regel auch zu einer abnormen Ausgestaltung der Hirnwindungen (Gyri). Ihre Bezeichnung „Lissenzephalie“ beruht auf dem pathologisch-anatomischen Erscheinungsbild einer glatten Hirn­oberfläche (griechisch lissos = glatt). Hierbei kann die Oberflächenstruktur durch Hirnwindungen völlig fehlen (Agyrie), oder es zeigt sich eine reduzierte Gyrierung mit verdickten und vergröberten Hirnwindungen (Pachygyrie). Mit einer Mikrozephalie können noch andere Anomalien vergesellschaftet sein, etwa eine Agenesie des Corpus callosum, bei der der Balken (die Verbindung zwischen der rechten und linken Hirnhälfte) fehlt oder stark ­unterentwickelt ist.

Geistig und motorisch behindert

Die klinische Manifestation der Mikrozephalie bietet ein breites Spektrum. Der Großteil der mikrozephalen Kinder ist geistig retardiert und generell lässt sich feststellen: je kleiner der Kopf, desto schlechter die Prognose. Allerdings werden vereinzelt auch Kinder geboren, die trotz eines sehr kleinen Kopfes eine normale Intelligenz aufweisen. Je nach Ausprägung des Krankheitsbildes sind folgende Funktionen in unterschiedlichem ­Ausmaß betroffen:

  • Es kann sich eine milde mentale Einschränkung mit erhaltener Lernfähigkeit und verzögerter Sprach­entwicklung zeigen, aber auch eine schwere geistige Behinderung, bei der das Kind im Extremfall dauerhaft auf dem Entwicklungsstand eines Babys verbleibt.
  • Motorisch können Koordination, Gleichgewicht und Feinmotorik geringfügig gestört sein. Möglich ist aber auch eine schwere motorische Beeinträchtigung, sodass die Kinder weder Laufen lernen noch ihren Kopf selbst halten können; sie strampeln kaum und wenn dann nur sehr plump. Aufgrund von Schluckstörungen haben sie Schwierigkeiten, Nahrung zu sich zu nehmen und sind daher oft untergewichtig.
  • Viele Mikrozephalie-Kinder sind hyperaktiv und entwickeln unwillkürliche Bewegungsmuster (Hyperkinesien). Andererseits kann sich auch ein schwer quasi-autistisches Verhalten zeigen.
  • Die Fehlbildungen im Gehirn können epileptogen wirken, das heißt das Risiko, dass sich eine Epilepsie entwickelt, ist deutlich höher als bei normal entwickelten Kindern. Auch Seh- und Hörbehinderungen sind möglich, ebenso Probleme im Bereich der Atemwege mit häufigen ­Infekten.

Nachweis von Virus-RNA

In Bezug auf die aktuelle Situation geht man davon aus, dass eine mütterliche Zika-Virus-Infektion vor allem im ersten und zweiten Trimenon zu der fetalen Mikrozephalie und anderen Hirnfehlbildungen führte.

Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass

  • nicht nur im Fruchtwasser von Müttern, deren Föten im Ultraschallbefund eine Mikrozephalie zeigten, Zika-Virus-RNA nachgewiesen wurde,
  • sondern auch in Blut- und Gewebeproben postnatal verstorbener Kinder die Virus-RNA gefunden wurde.

Derzeit werden rund 4000 Fälle mit Verdacht auf Schädel-Hirn-Fehlbildungen untersucht, offiziell bestätigt sind wohl etwas mehr als 400 Fälle.

Das Robert Koch Institut wertet die oben genannten Zusammenhänge bislang als Indiz und (noch) nicht als Beweis.

Laut Epidemiologischem Bulletin vom Januar 2016 sprechen folgende Befunde für eine akute Infektion mit dem Zika-Virus:

  • Nachweis von Virus-Genom in Serum oder Plasma bis zu drei Tage, im Urin bis zu zwei Wochen nach Symptombeginn,
  • Nachweis von IgM- und IgG Serumantikörpern gegen Zika-Virus, wobei wegen möglicher Kreuzreaktivitäten mit anderen Flaviviren nur ein Neutralisationstest spezifisch ist.

    Tab. 1: Mögliche Ursachen einer Mikrozephalie

    genetisch

    • Chromosomenstörungen wie z. B. Trisomie 13 (Pätau-Syndrom), 15, 18, 21 (Down-Syndrom), 22; auch bestimmte Deletionen und Translokationen
    • Defekt im TUBB5-Gen (gestörte Produktion von Tubulin, eines für das innere Zellskelett wichtigen Proteins)

    infektiös

    • kongenitale Infektionen wie Zytomegalie, Röteln, Toxoplasmose
    • vorangegangene Infektion der Mutter mit dem Zika-Virus

    toxisch

    • Fetal Alcohol Spectrum Disorder (FASD; früher Alkoholembryopathie)
    • mütterlicher Kokainabusus

    andere

    • mütterliche Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Phenylketonurie
    • Bestrahlung zwischen der 4. und 20. Schwangerschaftswoche
    • hypoxischer Hirnschaden, Meningoenzephalitis

Verschiedene Ursachen

Verständlicherweise steht die Zika-Virus-Infektion als Ursache einer erhöhten Inzidenz der Mikrozephalie im Brennpunkt des aktuellen Interesses. Nichtsdestotrotz bestehen auch andere Ursachen und Manifestationen (s. Tab. 1), darüber hinaus kann die Mikrozephalie auch im Rahmen anderer kraniofaszialer Fehlbildungen auftreten, beispielsweise beim Miller-Dieker-Syndrom (MDS). Neben einer primären, etwa genetisch bedingten Fehlbildung, ist auch eine sekundäre Schädigung des bislang normal angelegten Gehirns möglich, beispielsweise durch eine Meningoenzephalitis oder schwere Hypoxie. |

Literatur

Deutinger J, Reiter-Fink E. Die Mikrozephalie. Speculum - Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe 2009;27(4),18-22

Morris-Rosendahl D, Wolff G. Klinik, Genetik und Pathogenese der Lissenzephalien. Dtsch Arztebl 2003;100:A1269-A1282

Breuss M, Keays DA, Poirier K, et al. Mutations in the β-Tubulin Gene TUBB5 Cause Microcephaly with Structural Brain Abnormalities. Cell Rep. 2012;2(6):1554-1562

Robert Koch Institut. Zikavirus – Weitere Ausbreitung und fraglicher Zusammenhang mit Hirn-Fehlbildungen bei Neugeborenen. Epidemiologisches Bulletin 2016, Nr. 2

Hibbeler B. Risiko für Schwangere. Dtsch Ärztebl 2016; 113(4): A137

Oehler E, Watrin L, Larre P, et al. Zika virus infection complicated by Guillain-Barré syndrome – case report, French Polynesia, December 2013. Euro Surveill. 2014;19(9): pii=20720

Clemens Bilharz, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin

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