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Ein Blick in die Schneekugel

Wie sich Probleme bei der Anwendung von Suspensionsaugentropfen lösen lassen

Dass eine Patientin, die zwei Augentropfen-Präparate erhält, diese gleich anwendet, ist nicht verwunderlich. Wenn aber in einem Fall der Wirkstoff gelöst, im anderen aber nur suspendiert ist und auf ein Schütteln der Augentropfen vor der Anwendung verzichtet wird, sind Probleme vorprogrammiert. Apotheker Christian Schulz zeigt die Tücken und Lösungsmöglichkeiten eines solchen Falls auf.

Die Ausgangssituation

Es beginnt mit einer alltäglichen Situation: Eine Stammpatientin (73) wendet sich vertrauensvoll an ihre Hausapotheke. Seit circa zehn Tagen leidet sie unter juckenden, geröteten Augen. Auf Nachfrage teilt sie dem Apotheker mit, dass zudem ein leichtes Brennen auftritt, welches sie jedoch nur morgens spürt. Um die genauere Ursache eingrenzen zu können, stellen wir klärende Fragen zum Ausschluss ernsthafter Beschwerden:

Die Patientin leidet weder an verklebten Augenwinkeln, krustigen Auflagerungen oder farbigem Ausfluss als Hinweise auf eine mögliche Infektion noch an Fließschnupfen, Reizhusten oder Halskratzen als Hinweise auf eine mögliche Allergie. Zudem ist die Sehkraft nicht beeinträchtigt, Schmerzen fehlen ebenfalls. Die Beschwerden scheinen nach bisherigem Kenntnisstand für die Selbstmedikation geeignet zu sein, so dass wir uns auf die weitere Suche nach Gründen für die Beschwerden begeben können. Ein Blick in das Kundenkonto der Patientin zeigt, dass sie ausschließlich Simvastatin zur Behandlung einer bestehenden Hypercholesterolämie sowie Timolol-haltige und Brinzolamid-haltige Augentropfen für die Therapie des Glaukoms anwendet. Die Patientin bestätigt, dass alle Arzneimittel seit längerer Zeit in unveränderter Stärke verordnet und angewendet werden. Auffallend ist, dass die Augenbeschwerden einer Rhythmik unterliegen: Sie treten für circa zehn bis vierzehn Tage auf, gefolgt von einem etwa vierzehn Tage andauernden beschwerdefreien Intervall. Zur Linderung hat der Hausarzt Augentropfen mit dem Wirkstoff Hyaluronsäure empfohlen, welche auch die Trockenheit des Auges lindern sollen. Gelöst ist das Problem des regelmäßig auftretenden Brennens jedoch noch nicht.

Worin können die belastenden Beschwerden ihre Ursache haben? Auf welchem Weg kann die Präsenzapotheke vor Ort durch zielgerichtete Fragen und Beratung einen Beitrag zur Lösung der bestehenden arzneimittelbezogenen Probleme leisten?

Fakten-Check:

Geschlecht: weiblich

Alter: 73 Jahre

Symptome, Problembeschreibung: leichtes Augenbrennen am Morgen

Begleiterkrankungen, Allergien etc.: Hypercholesterolämie, Glaukom

eingenommene Medikamente und NEM: Simvastatin, Timolol-Augentropfen, Brinzolamid-Augentropfen

bisheriger Therapieversuch: Hyaluronsäure-haltige Augentropfen

Die Problematik

Wir versuchen zu klären, wann und wie die Augentropfen angewendet werden. Es stellt sich heraus, dass das Glaukom anfangs ausschließlich mit dem Betablocker Timolol therapiert wurde. Beginnend mit der Wirkstoffkonzentration von 0,1% wurde gesteigert über 0,25%-ige auf 0,5%-ige Augentropfen. Da diese hohe Konzentration zu einer belastenden Trockenheit am Auge führte, wurde die Stärke zurückgesetzt auf verträgliche 0,25%. Um das Therapieziel der konsequenten Senkung des Augeninnendrucks zu erreichen, setzte der Augenarzt zusätzlich Brinzolamid ein. Unsere Patientin wendet die Augentropfen regelmäßig gemäß der Dosierungsvorschriften an. Regelmäßige Kontrollen der Augen werden ebenfalls vom Augenarzt durchgeführt. Dennoch hat sich ein Fehler in der Anwendung eingeschlichen, der auf einem falschen Rückschluss unserer Patientin beruht. Timolol liegt in gelöster Form vor, ein Schütteln ist daher vor der Anwendung nicht nötig. Brinzolamid stellt dagegen eine Suspension dar, welche vor jeder Anwendung aufgeschüttelt werden muss, um die beabsichtigte Wirkstoffmenge verträglich zu applizieren. Doch die Patientin wendet auch diese Suspensionsaugentropfen wie die Augentropfenlösung ohne zu schütteln an.

Anwendungsfehler wie diese sind recht verbreitet, da Patienten leicht die Anwendung einer bereits bekannten Arzneiform auf die neue Arzneiform übertragen. In der für die Patientin zuständigen Arztpraxis wird erfahrungsgemäß auf die korrekte Anwendung hingewiesen. Es ist jedoch ebenfalls bekannt, dass sich Patienten nach einem (möglicherweise) aufregenden Arztbesuch mit der Neuansetzung eines Arzneimittels nur an etwa ein Drittel der mündlich mitgeteilten Informationen erinnern. Werden dann in der Apotheke Fragen wie „Sind Sie mit der Anwendung vertraut?“ oder „Hat der Arzt Ihnen das Medikament erklärt?“ gestellt, werden diese konsequent mit einem kurzen „Ja“ beantwortet. Das arzneimittelbezogene Problem bleibt somit unentdeckt und kann sich als fehlerhafte Routine etablieren. Im vorliegenden Fall applizierte die Patientin nach Anbruch der Flasche vor allem den klaren Überstand (wirkstoffarme Flüssigkeit). Mit der Abnahme des Flascheninhalts nahm folgerichtig die Wirkstoffkonzentration der Augentropfen kontinuierlich zu, so dass zunächst eine viel zu geringe und ab einem bestimmten Zeitpunkt eine viel zu hohe Dosis appliziert wurde. Beides kann zur Reizung der Augen einen Beitrag leisten. Denn sowohl zu hohe wie zu niedrige Konzentrationen entsprechen nicht der zugelassenen und auf Verträglichkeit geprüften Zusammensetzung.

Die Lösung

Wir lösen das Problem, indem wir der Patientin die richtige Anwendungsweise erläutern. Zudem kleben wir ein apothekenindividuelles Etikett mit dem gut lesbaren Hinweissatz „Vor JEDEM Gebrauch schütteln!“ auf die Verpackung, das die Patientin vor jedem Gebrauch an die richtige Anwendung erinnert, und ermöglichen ihr so das Erlernen einer zielführenden Routine.

Bewährt hat sich auch eine bildliche Darstellung. Denn unter dem Begriff „Suspension“ kann sich fast kein Patient etwas vorstellen; Schneekugeln kennt hingegen jeder Mensch, und jeder weiß, dass nur durch Schütteln eine gleichmäßige Verteilung möglich ist. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig der bewusste Verzicht auf Fachbegriffe ist (diese können wir uns für Gespräche mit der Ärzteschaft aufheben). Gute Beratung im Jargon unseres Klientels erlaubt eine leichtere Verständigung und sichert das schnelle Erinnern.

Nun sind die Augentropfen schon seit längerer Zeit falsch angewendet worden.Um die Patientin nicht zu beunruhigen, hat es sich bewährt, auf den Trick der großen Zahlen zurückzugreifen. Die Aussage lautet: „Sie sind nicht die einzige, dieser Irrtum ist bereits vielen Menschen passiert“. Auf diese Weise nehmen wir den Druck von den Schultern unserer Patientin und praktizieren die gesichtswahrende Auflösung eines ABP. Erleichterte Patienten können sich besser auf die Erläuterung der richtigen Applikationsweise konzentrieren. Um sicherzugehen, dass wir auch tatsächlich richtig verstanden wurden, bitten wir die Patientin um die selbständige Erklärung, wie sie künftig die Suspensionsaugentropfen anwenden wird. Zwei Vorteile werden deutlich. Erstens können wir gegebenenfalls letzte Korrekturen anbringen. Zweitens können wir das Gespräch mit einem bestätigenden Lob abschließen. Wir haben unser Ziel erreicht: Die Patientin verlässt die Apotheke mit mindestens einem Problem weniger, als sie die Apotheke kurz zuvor betreten hat.

Auf einen Blick:

Problem: Anwendung von Suspensionsaugentropfen ohne Schütteln

Lösung: Anwendungshinweise erklären und veranschaulichen (Schneekugel!), individuelles Etikett „Vor JEDEM Gebrauch schütteln!“

Zum Arzt wenn: die Beschwerden nicht binnen weniger Tage nachlassen.

Die Verschriftlichung AMTS-relevanter Informationen hat stets direkte Auswirkung auf die Patientensicherheit und die Therapietreue. Sie legt die Basis für das Erreichen des Therapieziels und in unserem Fall letztlich für die Augengesundheit der Patientin. Deshalb halten wir noch einmal alle relevanten Hinweise schriftlich fest. Zudem raten wir der Patientin, die bestehenden Beschwerden zu beobachten und zu dokumentieren. Sollten die Beschwerden abklingen und auch nicht wieder auftreten, ist das ABP nachhaltig gelöst. Abschließend sensibilisieren wir unsere Patientin für die weiteren eventuell nötigen Schritte: Persistieren die Beschwerden trotz richtiger Anwendung oder sollten sie sich intensivieren oder gar neue Symptome hinzukommen, ist ein umgehender Arztkontakt obligatorisch. In dem hier beschriebenen Fall teilte uns die Patientin beim Folgebesuch mit, dass die Beschwerden binnen weniger Tage nachgelassen haben und innerhalb einer Woche vollständig abgeklungen waren.

Was wäre wenn ...

… bei der Erstabgabe statt einer geschlossenen eine offene Frage gestellt werden würde?

Im Beratungsgespräch werden häufig Formulierungen wie „Sie kennen das Arzneimittel?“ oder „Ist Ihnen das Arzneimittel erklärt worden?“ verwendet. Beide Aussagen haben gemein, dass es sich um geschlossene Fragen bzw. eine kurze Feststellung handelt, welche vom Patienten häufig ebenfalls mit einer knappen Zustimmung quittiert werden. Geschlossene Fragen bieten wenig Anlass für einen vertieften Austausch und sind daher eher ungeeignet zur Detektion von arzneimittelbezogenen Problemen (ABP). Zudem kommt ein echter Gesprächsfluss nicht in Gang (– geschlossene Fragen sind jedoch überaus hilfreich, um anstrengende Patientenmonologe oder Endlosgespräche zu steuern und freundlich zu beenden). Offene Fragen wirken aktivierend und vermitteln dem Patienten, dass wir uns für ihn, seine Gesundheit und seine Arzneimittel interessieren. Der vorliegende Fall zeigt, wie hilfreich offene Fragen sind. So ebnete die einfache Frage „Wie wenden Sie die Augentropfen an?“ den Weg für die Problemlösung. Auf offene Fragen reagieren Patienten im Allgemeinen mit wertvollen Antworten. Aus den inhaltsreichen Darstellungen können wir bisherige Erfahrungen besser verstehen und mögliche ABP ableiten. Übrigens bieten genau diese Äußerungen auch die individuellen Argumente für die zielführende Dokumentation pharmazeutischer Bedenken. Im vorliegenden Fall berichtete die Patientin, dass sie beide Sorten auf gleiche Weise (ohne Umschütteln) anwendet. Es wird deutlich, dass hier eine leicht zu schließende Informationslücke bestand. Die Routineanwendung der Timolol-Augentropfen war ungeeignet für die Anwendung der Brinzolamid-Augentropfen. Sie ist jedoch unreflektiert übertragen worden. Gut ist, dass sich auch eingespielte Routinen ändern lassen, wenn sie an ein erstrebenswertes Ziel (hier: bessere Verträglichkeit) gekoppelt werden.

… relevante Informationen gut sichtbar wären?

Natürlich stehen alle Informationen zur richtigen Anwendung in der Packungsbeilage (welche manch ein Patient aus grundsätzlicher Sorge nicht liest). Sie sind teilweise auch auf der Umverpackung aufgedruckt. Aufgrund des eingeschränkten Visus unserer Patientin ist diese Information nicht erkennbar gewesen bzw. in der Flut an aufgedruckten Fakten untergegangen. Faktisch fehlt diese Information, da sie nicht bewusst wahrgenommen wurde! Fragen wir uns einmal selbst: Wer liest schon den Wust des Kleingedruckten, so sinnvoll er auch sein mag, da dessen Kenntnis uns schützen könnte oder von Nutzen wäre? Unsere Patienten verhalten sich da in ganz ähnlicher Weise. Um die wesentlichen Informationen im Patientenalltag direkt berücksichtigen zu können, hat sich die Nutzung von apothekenindividuellen Aufklebern zur Dosierung und Lagerung (bspw. Kühllagerung) bewährt. Ein weiterer Nutzen besteht darin, dass die Dosis in großen Lettern vermerkt wird, welche die Patienten auch ohne Lupe erkennen können. Dies ist eine weitere Seite des gelebten Patientenschutzes in der Präsenzapotheke vor Ort. |

Autor

Christian Schulz,
Fachapotheker für Allgemeinpharmazie
Naturheilkunde & Homöopathie
Geriatrische Pharmazie
Bad Apotheke (Bad Meinberg), Sankt Rochus Apotheke (Steinheim), Glocken­Apotheke (Bad Salzuflen)

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