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Arzneimittel und Therapie
Die Compliance entscheidet
Treat to target könnte durch intensivere Arztbetreuung erfolgreicher sein
DAZ: Die Europäer meinen „Treat to target“, die US-Amerikaner „Fire and forget“. Was ist erfolgversprechender?
Auch-Schwelk: Die Amerikaner und die Europäer schlagen unterschiedliche Strategien vor, die bisher nicht direkt verglichen wurden. Ich persönlich erwarte von einem solchen Vergleich zumindest in der Sekundärprophylaxe keine großen Unterschiede, da beide Strategien dieselben Arzneistoffe einsetzen, häufig in derselben Dosierung. In meinen Augen besteht der größte Unterschied in der Bindung des Patienten an den Arzt durch die Kontrollen. Ich erwarte vom europäischen Ansatz eine bessere Compliance, die gerade beim beschwerdefreien stabilen Patienten bei uns ein Problem darstellt.
DAZ: Die Strategie „Fire and forget“ hat zur Folge, dass in den USA deutlich mehr Patienten einer Statin-Therapie unterzogen werden als hierzulande. Ist diese Strategie unterstützenswert?
Auch-Schwelk: Die Primärprophylaxe mit Statinen ist für mich eine sinnvolle Maßnahme, die von Fachgesellschaften empfohlen wird. Die Grenzwerte zur medikamentösen Intervention sind umstritten und hängen von der Einschätzung der Ereigniswahrscheinlichkeit ab, für die verschiedene Studien und Algorithmen vorliegen. In den neuen europäischen Leitlinien wird jetzt zudem auf das Lebenszeitrisiko für ein Ereignis verwiesen, d. h. bei einem jungen Menschen werden aufgrund der hohen Lebenserwartung strengere Kriterien angewandt als bei alten Menschen. Außerdem spielen volkswirtschaftliche Überlegungen eine Rolle, d. h. wer zahlt wie viel für ein Lebensjahr ohne Ereignis. Am Ende entscheidet jedoch der Patient, ob er seine Lebenserwartung durch eine tägliche Tablette verbessern möchte.
„Die Grenzwerte zur medikamentösen Intervention sind umstritten und hängen von der Einschätzung der Ereigniswahrscheinlichkeit ab...“
DAZ: Wie häufig begegnen Ihnen Nebenwirkungen von Statinen wie Myopathien im klinischen Alltag?
Auch-Schwelk: Muskelschmerzen werden sehr häufig von Patienten berichtet oder gefürchtet, meistens nachdem sie die Gebrauchsinformation gelesen, im Internet nachgeschaut oder mit Nachbarn geredet haben – bevor sie die erste Tablette eingenommen haben. Enzymatisch nachgewiesene Myopathien sind viel seltener. Wenn man sorgfältig testet bis hin zu Placebos und nicht bei jedem Patienten die zulässige Maximaldosis anwendet, vertragen die meisten Patienten ein Statin in einer Dosierung, die eine wirksame Prophylaxe erzielt – zumindest besser als alle bisher verfügbaren Alternativen, abgesehen von PCSK9-Inhibitoren.
DAZ: Und wie bewerten Sie die klinische Relevanz eines erhöhten Risikos für Diabetes und hämorrhagische Schlaganfälle unter Statin-Therapie?
Auch-Schwelk: Das leicht erhöhte Diabetes-Risiko bzw. die frühere Manifestation des Diabetes ist kein großes klinisches Problem. Der Diabetes erhöht zwar das kardiovaskuläre Risiko, aber die Schutzwirkung des Statins übersteigt bei Weitem dieses Risiko. Die Patienten haben viel weniger Ereignisse, auch wenn sie einen Diabetes entwickeln. Ähnliches gilt für die Schlaganfälle: Der Anteil der hämorrhagischen Schlaganfälle ist geringfügig erhöht, aber letztlich erleiden Patienten unter Statinen weniger Schlaganfälle und haben insgesamt weniger neurologische Schäden, weshalb wir die Substanzen zur Sekundärprophylaxe nach Schlaganfällen einsetzen.
„Am Ende entscheidet jedoch der Patient, ob er seine Lebenserwartung durch eine tägliche Tablette verbessern möchte.“
DAZ: Durch Negativpresse wird die Statin-Therapie regelmäßig infrage gestellt. Wie sollte man Statin-Skeptikern begegnen?
Die neuen Leitlinien der ESC zur Prävention stellen die überwältigende Evidenz für das Konzept noch einmal klar: Die Cholesterol-Senkung durch Statine ist eines der am besten untersuchten Therapiekonzepte. Es basiert auf umfangreichen tierexperimentellen, biochemischen, molekularbiologischen, epidemiologischen und therapeutischen Studien, letztere mit mehreren Substanzen an Hunderttausenden von Patienten über viele Jahre. Die Senkung der harten klinischen Endpunkte Herzinfarkt und Schlaganfall sind eindeutig in linearer Abhängigkeit von der LDL-Senkung und bisher durch keine andere Substanz erreicht. Eine bessere wissenschaftliche Absicherung kann man nicht erreichen. Zudem sind die Nebenwirkungen gering. Der Patient muss sich entscheiden, ob er den Schutz möchte oder nicht.
„Der Diabetes erhöht zwar das kardiovaskuläre Risiko, aber die Schutzwirkung des Statins übersteigt bei Weitem dieses Risiko.“
DAZ: Welche Maßnahmen empfehlen Sie im Falle einer ausbleibenden bzw. ungenügenden Statin-Wirkung?
Auch-Schwelk: Es gibt sicherlich viele Patienten, bei denen man mit den Statinen nicht die optimalen LDL-Zielwerte erreichen kann, entweder weil die Wirksamkeit nicht ausreicht oder weil die hohen Dosierungen zu Nebenwirkungen, meist Muskelschmerzen führen, die die Patienten nicht tolerieren. In diesem Fall wird als erstes die Kombination mit Ezetimib – häufig als Kombinationspräparat – eingesetzt. Allerdings ist die Wirksamkeit begrenzt. Große Hoffnungen machen die neuen PCSK9-Inhibitoren, zum Beispiel Alirocumab und Evolocumab, die den LDL-Spiegel um ca. 50% senken können, auch zusätzlich zu Statinen. Anscheinend sind sie sehr nebenwirkungsarm und zumindest bei Patienten mit Statin-Unverträglichkeit häufig anwendbar. Sie müssen allerdings parenteral angewandt werden, sind noch sehr teuer, und Langzeitbeobachtungen über Nebenwirkungen und klinische Endpunkte (Vermeidung von kardiovaskulären Ereignissen) sind noch nicht verfügbar.
DAZ: Herr Dr. Auch-Schwelk, vielen Dank für das Gespräch! |
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