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Rauschdrogen
Cannabis, Crystal und „Legal Highs“
Die Rauschgiftszene heute – ein Gespräch mit Experten des Bundeskriminalamts (BKA)
Die süßlich duftenden Rauchschwaden von Marihuana- und Haschisch-Joints beim Woodstock-Festival 1969, die bunten durch LSD-Trips induzierten delirischen Bilder zur Musik von The Doors, Steppenwolf oder Pink Floyd Anfang der 70er-Jahre, die Heroin-Abhängigkeit von Christiane F., dargestellt im Buch „Wir Kinder von Bahnhof Zoo“ von 1978 sind Symbole für den Drogenkonsum der damaligen Zeit. In den achtziger Jahren, in der aufkommenden Leistungsgesellschaft, rückt dann Kokain, die Droge der Schönen und Reichen, in den Vordergrund. Die Szene entdeckt mehr und mehr die Amphetamine. In den neunziger Jahren wollen die Partygänger nicht nur das Aufpeitschende des Amphetamins, sondern dazu noch visuelle Eindrücke: Die bunten Designerdrogen Ecstasy und Derivate wie MDMA oder Adam und Eve machen die Runde. Im neuen Jahrtausend sind all diese Drogen nicht verschwunden, Cannabis gehört immer noch zu den am meisten konsumierten Drogen, seine Legalisierung, zumindest für arzneiliche Zwecke wird diskutiert. Auf den Markt kommen neue psychoaktive Stoffe, vermarktet als sogenannte „Legal Highs“, die bis vor Kurzem vom Betäubungsmittelgesetz nicht erfasst wurden. Und Methamphetamin verbreitet sich unter der Bezeichnung Crystal in bestimmten Regionen Deutschlands.
Heroin und Kokain – noch immer große Probleme
Wie sieht die Rauschgiftszene aus dem Blickwinkel der Polizei aus? „Auch wenn heute Party- und Designerdrogen auf den Markt drängen, gibt es nach wie vor große Probleme mit den klassischen Drogen wie Heroin und Kokain“, berichtet Wolfgang Seiler, Kriminaldirektor und zuständig für die Bekämpfung Synthetischer Drogen und Rauschgifthandel beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Der aktuelle Lagebericht von 2015 weist relativ hohe Steigerungsraten beim Erstkonsum dieser Drogen auf. „Das ist für uns ein Indiz, dass Heroin und Kokain in der Öffentlichkeit immer noch großen Anklang finden“, so Seiler, „bei Heroin liegt die Steigerungsrate bei 15 Prozent, bei Kokain bei sieben Prozent.“ Bei der Bewertung dieser Entwicklung ist zu berücksichtigen, dass auch die Zahl der polizeilich erstmals registrierten Konsumenten (2015: Heroin 1888; für Kokain 3149 Erstkonsumenten) vom Kontrollverhalten der Strafverfolgungsbehörden abhängt. Seiler: „Auffallend ist, dass 2015 weniger als die Hälfte der Rauschgifttoten noch nicht als Konsumenten polizeilich erfasst waren. Dieser Umstand weist darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der Erstkonsumenten deutlich höher liegen dürfte. Auch die polizeilichen Statistiken zu den Sicherstellungsmengen von Heroin und Kokain lassen keinen Rückschluss auf das tatsächliche Ausmaß des Drogenkonsums zu. Geht man allein von der uns bekannten Zahl der Drogenkonsumenten aus und rechnet den Tagesbedarf hoch, dann wissen wir, dass das Dunkelfeld sehr groß sein muss“. Ein weiteres Problem ist die Tendenz, dass zunehmend das Internet, vor allem das Darknet beim Drogenhandel eine Rolle spielt: „Das stellt uns vor besondere Herausforderungen“, so der Kriminaldirektor, „mittlerweile wissen immer mehr Surfer, wie sie ins Darknet kommen. Sie stellen fest, dass dort jede Menge Drogen angeboten werden. Es entsteht der Eindruck, die Polizei sieht zu und reagiert nicht. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Unsere Cyberspezialisten befassen sich sehr intensiv damit, die Nutzer derartiger Verkaufsplattformen mit technischen Möglichkeiten zu identifizieren.“ Zudem müssen auch beim Handel übers Internet die Drogen „im realen Leben“ hergestellt, eingeführt und an die Konsumenten verteilt werden. Auch hier bieten sich für die Strafverfolgungsbehörden nach wie vor sehr gute Ermittlungsansätze, die in der letzten Zeit zu einigen beachtlichen Erfolgen bei der Bekämpfung des Onlinehandels im Darknet geführt haben.“
Cannabis mit steigendem THC-Gehalt
Die meisten Rauschgiftdelikte stellt die Polizei bei Cannabis fest. Cannabisprodukte haben nach wie vor den größten Marktanteil unter den Rauschdrogen: „In Deutschland wurden über fünf Tonnen im Jahr 2015 sichergestellt“, so Seiler unter Verweis auf die Statistik: „Allerdings steht Cannabis nicht mehr so im Fokus, da mehr und mehr darüber diskutiert wird, ob und inwieweit Cannabis überhaupt gefährlich ist. Wir nehmen allerdings wahr, dass der THC-Gehalt deutlich angestiegen ist. Beim Bundeskriminalamt spricht man daher nicht mehr von einer weichen Droge wie früher in den 60er- oder 70er-Jahren, als die Konsumenten einen Joint rauchten, um Spaß zu haben. Aufgrund der gestiegenen Wirkstoffgehalte ist heute eine deutliche Gefährdung der Gesundheit anzunehmen.“ Daher bleibt Cannabis im Blickfeld der Strafverfolgungsbehörden – trotz aller Legalisierungsdiskussionen. Und Seiler ergänzt dazu: „In den USA haben einzelne Staaten Cannabis freigegeben, beispielsweise der Bundesstaat Colorado. Dort sind nun Firmen in die Produktion eingestiegen. Colorado hat bereits Probleme, aus anderen Bundesstaaten kommen die Konsumenten und kaufen dort Cannabis ein – das kann auch keine Lösung sein.“
„Legal Highs” – Schluss mit „legal“
Sogenannte Legal Highs sind derzeit stark auf dem Markt und nach Einschätzung des BKA im Vormarsch. Als „Legal Highs“ werden Stoffe bezeichnet, die unter der verharmlosenden Bezeichnung Kräutermischung, Badesalze, Lufterfrischer oder Räuchermischungen in bunten und attraktiv aufgemachten Aluminiumdrogentüten über Online-Shops oder Geschäften, die Zubehör für die Cannabis-Szene und szenetypische Produkte anbieten, als vermeintlich legale Alternative zu illegalen Drogen angeboten und vertrieben werden. Sie tragen harmlos und exotisch klingende Namen wie Orange High, Freeze, Private Art, Bonzai Summer Boost oder Amazonas Vanilla. Doch die Namen täuschen. In vielen „Legal High“-Mischungen findet man Betäubungsmittel oder ähnlich wirkende Stoffe, die auf der Packung nicht deklariert sind, beispielsweise synthetische Cannabinoide, die an den gleichen Rezeptoren im Gehirn binden wie der Haschisch-Wirkstoff THC, oder sie enthalten Kathine, die eine ähnliche Wirkung wie Amphetamin haben. Die Wirkstoffkonzentration der chemisch hergestellten Stoffe liegt häufig ein Vielfaches über der von natürlichen Hanfprodukten. Auch neue psychoaktive Stoffe (NPS), Designerdrogen, die noch nicht dem BtM-Gesetz unterliegen, werden den Kräutermischungen beigegeben.
Das Neue-Psychoaktive-Stoffe-Gesetz
Am 26. November 2016 ist das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz steht den Strafverfolgungsbehörden neben dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) eine neue Rechtsgrundlage zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität zur Verfügung. Das NpSG sieht ein weitreichendes verwaltungsrechtliches Verbot für den Umgang mit neuen psychoaktiven Stoffen (NPS) und eine Strafbewehrung beim Handeltreiben, Inverkehrbringen, Herstellen, Verbringen in/aus/durch Deutschland und dem Verabreichen von NPS vor. Das neue Gesetz verbietet erstmals ganze Stoffgruppen, die eine Vielzahl von Einzelsubstanzen umfassen. Das betrifft derzeit vor allem synthetische Cannabimimetika und 2-Phenethylaminderivate.
Lutz Preisler von der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität, Fachbereich zur Bekämpfung Synthetischer Drogen beim Bundeskriminalamt: „Der Variantenreichtum ist hier enorm groß. Selbst mit den Stoffgruppen im jetzt in Kraft getretenen Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz werden wir nicht alle abdecken können. Der Konsument bleibt das Versuchskaninchen, er weiß nicht, was er zu sich nimmt. Die Mischungen werden relativ individuell hergestellt.“ Aus seiner Ermittlungsarbeit berichtet er: „Die Verpackung gaukelt saubere Qualität vor. Wenn man aber weiß, wie diese Produkte hergestellt werden, kann es einem übel werden. Die Hersteller können die Qualität, die sie suggerieren, überhaupt nicht halten. Die Produkte in den Tütchen sind unterschiedlich dosiert, mal unter- und mal überdosiert. Das ist ein enormes Risiko für den Konsumenten, was so in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird. Auf den Packungen steht zwar ‚Zum Konsum nicht geeignet‘. Aber damit versucht man sich formal freizukaufen, wobei die Konsumenten auf die Bewertungen im Internet vertrauen. Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, dass die Konsumenten dann so vertrauensselig sind.“
Da diese Produkte bisher noch keine Betäubungsmittel waren, d. h. noch nicht in den Anlagen des BtM-Gesetzes erfasst waren, haben die Internet-Shops die Drogenmischungen ganz offen angeboten. Preisler: „Das trägt zur raschen Verbreitung bei und zu dem Bewusstsein beim Konsumenten: Ich nehme doch gar kein Rauschgift, es ist doch gar nicht verboten, ich will doch nur ein bisschen ein schönes Gefühl haben.“
Die Wirkstoffe selbst kommen im Wesentlichen aus China, zum kleineren Teil aus Indien, und werden als Research Chemicals getarnt nach Europa verkauft. Teilweise sind es tatsächlich Forschungschemikalien, die irgendwann einmal solchen Zwecken dienten. „Die Chemikalien kommen meist per Luftfracht von China nach Europa“, weiß Preisler aus seiner Ermittlungsarbeit zu berichten, „einige Pakete werden durch den Zoll abgefangen, aber eben nicht alle – das hängt immer davon ab, wie das deklariert ist und ob der Zoll Verdacht schöpft. Es gibt da natürlich auch rechtliche Probleme: Wenn es Wirkstoffe sind, die nicht verboten sind, hat auch der Zoll seine Schwierigkeiten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das Problem dabei ist auch, dass es eine unterschiedliche Rechtslage gibt, in China und in anderen europäischen Staaten.“
Mit Kräutern gemischt und für den Verkauf abgepackt werden sie in europäischen Ländern, in den Niederlanden, in Belgien, zurzeit auch häufig in Spanien, und dann über Online-Shops verkauft. Eine spannende Frage, wie sich nun vor dem Hintergrund des neuen Gesetzes die Lage in Deutschland entwickelt, wenn die Stoffe in anderen Ländern zusammengemischt werden und dann über den Internethandel nach Deutschland gelangen: „Die Bekämpfung ist dadurch nicht einfacher geworden.“ Andererseits, auch China hat mittlerweile mehr Stoffe als Betäubungsmittel eingestuft.
„Wir hoffen, dass wir diese Stoffe aufgrund der neuen Gesetzeslage in Deutschland zurückdrängen können“, so Preisler, „wir haben dann zwar Stoffgruppen, die eine Vielzahl von Einzelstoffen abdecken, aber leider nicht das komplette Spektrum. Schon jetzt sind erneut Stoffe auf dem Markt, die weder Betäubungsmittel sind noch durch die beiden Stoffgruppen des NPS-Gesetzes erfasst werden. Es wird viel davon abhängen, wie rasch in Zukunft neue Stoffgruppen in das Gesetz aufgenommen werden können. Oder welche Möglichkeiten bestehen, neue Stoffgruppen zu beschreiben – das wird eine große Herausforderung sein.“
LSD- und Ecstasy-Nachfrage in Wellen
Bei der Nachfrage nach LSD auf dem Markt beobachtet man eher Wellenbewegungen: „Einen großen Markt für LSD gibt es nach unseren Erkenntnissen derzeit nicht“, berichtet Preisler weiter. „Was sich im Moment steigert, ist der Absatz von Ecstasy – nachdem es zuvor mehrere Jahre in der Partyszene in Verruf geraten war, da verwendete Wirkstoffe Übelkeit verursachten. Dies ist ein gutes Beispiel, wie die illegalen Produzenten auf solche Entwicklungen reagieren, indem sie nämlich dann eventuell Anti-Brechmittel beimischen. Auch die notwendigen Grundstoffe zur Herstellung von Ecstasy waren einige Jahre schwerer zu beschaffen. Seit drei, vier Jahren allerdings erlebt diese Droge durchaus ein Revival. Wir haben derzeit extrem steigende Fallzahlen, was u. a. damit zusammenhängt, dass die Grundstoffe wieder verfügbar sind.“
Das Aussehen der Ecstasy-Tabletten ist zudem heute ganz anders als früher: „Früher war es eine kleine runde Tablette mit einem eingeprägten Logo darauf, heute ist die Tablette selbst das Logo, d. h., es ist eine Tablette mit einer eigenen Form, wodurch sie wesentlich attraktiver daherkommt als früher, z. B. in der Form einer kleinen Handgranate, als kleine Erdbeere, als Pistole, wie auch immer. Schöne bunte Farben sind heute ebenfalls wichtig, womit die Händler die Hoffnung verbinden, dass mehr Leute darauf anspringen“, erklärt es Preisler. Begleitstoffe, Beimengungen kommen heute äußerst selten vor. Der durchschnittliche Wirkstoffgehalt bei Ecstasy ist extrem gestiegen. Früher lag er meist bei 80 bis 100 mg pro Tablette, heute sind schon 150 bis 180 mg Standard. Da besteht natürlich eine große Gefahr einer raschen Gesundheitsschädigung. „Hinzu kommt: Manche Wirkstoffe haben einen verzögerten Wirkungseintritt, der Konsument denkt, die Tabletten seien zu schwach, und er nimmt weitere Tabletten ein. Damit setzt er sich einer starken Vergiftung aus.“
Amphetamin und Crystal aus Küchenlaboren
„Amphetamin ist definitiv immer noch die Synthetische Droge Nr. 1, es ist das Betäubungsmittel, das uns in diesem Bereich am meisten zu schaffen macht“, resümiert Preisler. „Der Stoff kommt überwiegend aus niederländischen und belgischen Laboren, aber auch aus Polen und aus Tschechien. Methamphetamin, in der Drogenszene auch als Crystal oder Crystal Meth bezeichnet, wird für den deutschen Markt nahezu ausschließlich in Tschechien produziert und auf den Asiamärkten an der deutsch-tschechischen Grenze gehandelt. Aber letztlich unterliegt das alles einem raschen Wandel. Auch in Deutschland gibt es kleinere illegale Küchenlabore.“
Bei Crystal zeichnen sich in Deutschland Schwerpunkte bei den Verbreitungsgebieten ab, nämlich das östliche Bayern, dann Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin, was im Wesentlichen mit der Nähe zum Herkunftsland Tschechien zusammenhängt. Es ist relativ einfach, sich den Stoff zu beschaffen. Da dies auch die Polizei weiß, wird dort häufig kontrolliert. „Dass Crystal ganz Deutschland überflutet, wie man zuweilen in der Presse liest, ist so nicht richtig“, stellt Preisler klar, „äußerst selten hat man Fälle in Norddeutschland, Hamburg, Bremen. Es gibt allerdings erste Anzeichen, dass sich die Droge auch in Baden-Württemberg, in westlichen Städten wie Karlsruhe ausbreiten könnte.“
Wie Peter Gerz von der „Gemeinsamen Grundstoffüberwachungsstelle ZKA/BKA beim Bundeskriminalamt Wiesbaden“ ergänzt, ist das Angebot der Synthetischen Drogen auf dem Markt in erster Linie von zwei Faktoren abhängig: „Je nach den verfügbaren Ausgangsstoffen auf dem Markt wird mehr Amphetamin, Methamphetamin oder MDMA hergestellt. Außerdem spielt die Nachfrage der Konsumenten eine Rolle.“
Gerz kann berichten, dass jährlich zwischen zehn und zwanzig illegale Rauschgiftlabore entdeckt werden: „Oft sind dies Kleinlabore, die für den Eigenbedarf oder lokale Kunden produzieren. Schwerpunkt in den letzten Jahren waren Methamphetamin-Labore in Bayern. Die Ausnahme ist, dass die Polizei größere Labore entdeckt. Oft sind dort Täter aus dem Ausland aktiv, die ihre Produktion aus den Niederlanden, aus Tschechien outgesourct haben.“
„Ausgangsstoff“: Pseudoephedrin-haltige Arzneimittel
Welche Ausgangsstoffe werden in der Szene eingesetzt, um Methamphetamin in Laboren zu produzieren? Bei welchen Grundstoffen muss man als Apotheker hellhörig werden? Als „Grundstoffe“ werden Pseudoephedrin-Tabletten verwendet, die unter Beteiligung von Jodwasserstoffsäure und rotem Phosphor zu Methamphetamin umgesetzt werden. „Pseudoephedrin wird in Europa allerdings eng kontrolliert, da kommen die Täter nicht ohne Weiteres ran“, so Gerz, „deswegen wird dieser Stoff aus Pseudoephedrin-haltigen OTC-Arzneimitteln extrahiert, beispielsweise aus Reactine Duo oder Rhinopront Kombi. Aus einer normalen apothekenüblichen Packung gewinnen die Täter so etwa 600 bis 700 mg reines Methamphetamin. Hört sich zunächst gering an, das können aber bis zu zwanzig Konsumeinheiten sein.“
Auch in tschechischen Laboren, die wöchentlich 10 – 20 Kilogramm produzieren, wird der Grundstoff für die Crystal-Herstellung zu 90 Prozent aus Pseudoephedrin-haltigen Arzneimitteln gewonnen. Die Extraktion des Grundstoffes aus den Tabletten ist zwar viel Arbeit, aber es ist einfacher, als an die in Europa gesetzlich überwachten Stoffe zu kommen. In Asien setzen die illegalen Labore bereits Maschinen ein, um Tabletten aus den Blisterstreifen herauszudrücken.
Warum spielt hier Tschechien eine so große Rolle? „Das ist historisch gewachsen“, so Gerz, „dort gab es früher eine chemische Fabrik, die Ephedrin und Pseudoephedrin herstellte. Damals war es relativ einfach, diese Stoffe aus der Produktion abzuzweigen. In Polen, wo früher Amphetamin hergestellt wurde, hatte man Benzylmethylketon als Ausgangssubstanz gehabt.“
Apotheken, bitte aufpassen!
Gerz appelliert an die Apotheken: „Wir würden uns freuen, wenn Apotheken hier besonders aufpassen, falls Pseudoephedrin-haltige Arzneimittel in größerer Stückzahl oder häufig von einer Person verlangt werden, und uns einen Hinweis geben.“ Aus seiner Arbeit weiß er, wie Kriminelle hier vorgehen: „Wir hatten vor zwei Jahren einen Täter, der die Erkältungspräparate in kleinen Mengen, nur ein oder zwei Packungen, in verschiedenen Apotheken gekauft hat, so dass es nicht auffällig war. Ein Missbrauch lässt sich für den Apotheker hier nicht erkennen. Ein deutliches Problem haben wir allerdings beim Internetversandhandel. Da haben wir die Erfahrung gemacht, dass auch deutsche Versandapotheken nicht so sensibel sind. Im Juli 2014 hat ein Täter via Internet 5 bis 20 Packungen bestellt. Insgesamt hat er von den zehn kontaktierten Versendern 150 Packungen bekommen. Nur drei von ihnen hatten die gewünschte Menge reduziert. Im Juni 2015 hat ein Täter bei einer Versandapotheke über den Zeitraum von mehreren Monaten immer sieben Packungen bestellt. Dies hat sich innerhalb eines kurzen Zeitraums auf 200 Packungen addiert. Und im April 2016 hat ein anderer Täter für sein Methamphetamin-Labor in Bayern über zwei deutsche Apotheken mit Versandhandelserlaubnis 5300 Pseudoephedrin-Tabletten bezogen. Bei einer Apotheke in Norddeutschland hat er in Abständen 15, 30 und 45 Packungen bestellt – und bekommen. Bei einer sächsischen Apotheke sind diese großen Mengen aufgefallen, sie hat sich mit der Polizei in Verbindung gesetzt, es führte zur Aufdeckung dieses Labors. Die Apotheke aus dem norddeutschen Raum hatte dagegen weitergeliefert.“
Gerz kennt weitere Fälle, beispielsweise aus Österreich: „Dort hat ein Täter bei zehn Apotheken in Deutschland angefragt, von denen ihm sechs Apotheken jeweils eine Menge von 100 Packungen geliefert haben. Diese Apotheken hatten keine Rückfragen zu den Mengen. Nur vier der zehn Apotheken haben die Belieferung verweigert oder die Menge reduziert, zwei haben die Polizei informiert. Insgesamt hat dieser Täter 1100 Packungen von Apotheken bekommen, etwa 13.000 Tabletten, woraus er rund 700 Gramm reines Methamphetamin gewinnen konnte, schon eine ordentliche Menge“, so Gerz. „Wir wollen hier nicht Internet-Apotheken anschwärzen“, schränkt Gerz ein, „aber wenn ein Kunde in einer Vor-Ort-Apotheke zehn oder zwanzig Packungen verlangen würde, würde der Apotheker oder die PTA mit Sicherheit nachfragen“, ist er überzeugt. „Bei der Bestellung übers Internet kann er dagegen damit rechnen, dass er bei vielen der Apotheken seine gewünschte Menge bekommt.“ Gerz bittet daher Apotheker und PTA, die im HV tätig sind, besonders wachsam zu sein und beim Wunsch nach großen Mengen Pseudoephedrin-haltiger Arzneimittel stutzig zu werden und gegebenenfalls die Abgabe zu verweigern. Das gilt vor allem auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Internet-Apotheken, die die Sendungen kontrollieren und freigeben.
„Schon vor einigen Jahren wurde darüber diskutiert, diese Präparate der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Damals wurde die Menge Pseudoephedrin pro Packung auf 720 mg reduziert“, erinnert sich Gerz, „das bedeutet aber nicht, dass die Anzahl der Packungen, die abgegeben werden dürfen, limitiert ist“. Und er fügt hinzu: „Das größte Problem für die Apotheken sind also nicht die Chemikalien, sondern die dazu missbrauchten Fertigarzneimittel. Die benötigten Chemikalien werden in der Regel über den Chemikalienfachhandel, übers Internet, aus dem Ausland und nicht aus Apotheken bezogen.“ |
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