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Arzneimittel und Therapie
Ginkgo biloba aufgewertet
Neue S3-Leitlinie „Demenzen“ spricht eine „Kann-erwogen-werden“-Empfehlung aus
In Deutschland gibt es geschätzt etwa 1,5 Millionen Menschen, die unter einer der bekannten Demenzformen leiden, wobei Alzheimer-Patienten den größten Anteil ausmachen. Die Erkrankung stellt sowohl für die Patienten selbst als auch für pflegende Angehörige bzw. Pflegepersonal eine große Belastung dar. Umso wichtiger ist eine adäquate und evidenzbasierte therapeutische Versorgung sowohl medikamentös als auch mithilfe psychosozialer Interventionen. Als Basis der medikamentösen antidementiven Therapie nennt die Leitlinie weiterhin die Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sowie den nicht-kompetitiven NMDA-Rezeptorantagonisten Memantin, der insbesondere bei schwereren Formen indiziert ist (s. S. 28).
Evidenz für Spezialextrakt EGb 761
Neu ist nun, dass auch dem Spezialextrakt EGb 761 aus Ginkgo biloba (Trockenextrakt aus den Blättern von Ginkgo biloba (35 – 67:1), Extraktionsmittel: Aceton 60%, eingestellt auf 22,0% – 27,0% Favonoide, 5,0% – 7,0% Terpenlaktone bestehend aus 2,8% – 3,4% Ginkgoliden A, B, und C und 2,6% – 3,2% Bilobalid, und weniger als 5 ppm Ginkgolsäure, eingetragenes Warenzeichen der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG, Karlsruhe) eine Evidenz zugesprochen wird und somit ein Behandlungsversuch erwogen werden kann. Die bisherige negative Bewertung stützte sich insbesondere auf einen Cochrane-Review von 2007, der dem Ginkgo-Extrakt zwar eine ausreichende Sicherheit und gute Verträglichkeit attestierte, aufgrund der inkonsistenten Studienlage aber zu dem Schluss kam, dass die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt sei. Etwas positiver äußerte sich bereits 2008 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das nach sorgfältiger Analyse verschiedener Studien zumindest für das Therapieziel „Aktivitäten des täglichen Lebens“ durchaus einen Beleg für einen Nutzen von EGb 761 bei Verwendung einer Dosis von 240 mg pro Tag erkennen konnte. Zur Größe eines möglichen Effektes konnte allerdings aufgrund der Heterogenität der Studien keine Aussage gemacht werden.
240 mg/d zeigt Wirkung ...
In der Zwischenzeit sind verschiedene weitere Studien durchgeführt worden, die offensichtlich nun auch die Leitlinienautoren zu einer positiveren Bewertung veranlasst haben. In der Leitlinie angeführt sind insbesondere drei Studien, die in den Jahren 2008 bzw. 2011 und 2012 publiziert wurden. Während McCarney et al. nach einer 6-monatigen Behandlung von 176 Probanden mit der wohl zu niedrig gewählten Tagesdosis von 120 mg des Extraktes keinen über den Placeboeffekt hinausgehenden Effekt von Ginkgo beobachten konnten, erbrachten die beiden anderen Studien positivere Ergebnisse. Ihl und Mitarbeiter führten über 24 Wochen bei 410 Patienten mit leichter bis mittelschwerer Symptomatik, die unter verschiedenen Demenzformen litten und gleichzeitig verschiedene Verhaltenssymptome aufwiesen, eine Behandlung mit 240 mg EGb 761 bzw. Placebo durch. Es konnte eine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo beim Syndrom-Kurztest (SK), der den Schweregrad von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen erfasst, gezeigt werden. Außerdem nahm der NPI (Neuropsychiatrisches Inventar)-Gesamtwert, mit dem man Häufigkeit sowie Schweregrad von Verhaltensstörungen erfasst, signifikant ab. Die zweite, sehr ähnliche Studie stammt von Herrschaft und Mitarbeitern. Hier wurden 410 Patienten mit verschiedenen Demenzformen und zusätzlichen neuropsychiatrischen Symptomen ebenfalls über 24 Wochen mit 240 mg EGb 761 oder Placebo behandelt. Es wurde wiederum eine signifikante Verbesserung bei den primären Endpunkten (Syndrom-Kurztest, NPI-Score) gefunden, außerdem besserten sich verschiedene sekundäre Endpunkte, unter anderem die Fähigkeit zur Bewältigung der Aufgaben des täglichen Lebens und die Lebensqualität, die mittels ADCS-CGIC-Score erfasst wurden.
... mit Einschränkungen
Neben diesen unbestreitbar positiven Ergebnissen weisen beide Studien allerdings auch gewisse Einschränkungen auf, die nicht außer Acht gelassen werden sollten. So sind sie nur bedingt mit bisher durchgeführten Studien vergleichbar, da ein gemischtes Patientenkollektiv mit zusätzlichen Verhaltenssymptomen untersucht wurde und der primäre Endpunkt (SKT) nicht mit dem sonst häufig verwendeten kognitiven Endpunkt (ADAScog) übereinstimmt. Beide Studien fanden dennoch Einlass in eine kürzlich publizierte Metaanalyse von Gauthier und Schlaefke. Insgesamt wurden in den sieben dort analysierten Studien 2.625 Patienten (1.396 in der EGb 761-Gruppe und 1.229 in der Placebo-Gruppe) behandelt. Anschließend wurde der Einfluss der Medikation auf die kognitiven Fähigkeiten, auf die Aktivitäten des täglichen Lebens und auf den klinischen Gesamteindruck bewertet. Zur Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten wurde in der Mehrzahl der Studien der Syndrom-Kurztest (SKT) verwendet. In fünf der sieben untersuchten Studien schnitt EGb 761 signifikant besser ab als Placebo, wobei sich der Effekt als dosisabhängig erwies.
Evidenzebene Ia, Empfehlungsgrad 0
Vor dem Hintergrund dieser Daten gehen nun also auch die Leitlinienautoren davon aus, dass eine Therapie mit dem Ginkgo-Spezialextrakt zumindest einen Versuch lohnt. In der Leitlinie findet sich folgender Wortlaut: „Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit von Ginkgo Biloba EGb 761 auf Kognition bei Patienten mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz und nicht-psychotischen Verhaltenssymptomen. Eine Behandlung kann erwogen werden.“ (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ia s. Kasten Evidenzebene im Beitrag "Evidenz bei Demenz" in dieser Ausgabe). Stärkere Empfehlungen sind angesichts der Heterogenität der derzeit verfügbaren Studien sicher nicht möglich, so dass hier weiterhin Forschungsbedarf besteht. Wichtig wäre es zum Beispiel, die Frage zu klären, welche Patientenkollektive eventuell besonders von einer Therapie mit EGb 761 profitieren könnten und wie der klinische Effekt im Vergleich zur aktuellen Standardmedikation, also einem Acetylcholinesterase-Hemmstoff oder Memantin, zu bewerten ist.
Übrigens äußert sich die Leitlinie auch zu möglichen Maßnahmen, mit denen einer Demenz vorgebeugt werden könnte. So scheinen die bekannten vaskulären Risikofaktoren und Erkrankungen (z. B. Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Adipositas, Nikotinabusus) auch einen Risikofaktor für eine spätere Demenz darzustellen. Somit trägt deren leitliniengerechte Diagnostik und frühzeitige Behandlung eventuell zur Primärprävention einer späteren Demenz bei. Eine ausgewogene Ernährung (z. B. mediterrane Diät), die auf die Vermeidung von Übergewicht abzielt, wird zur allgemeinen Risikoreduktion empfohlen. Nicht empfohlen wird dagegen die Einnahme von Ginkgo zur Prävention, da zwei aktuelle prospektiv angelegte Studien von DeKosky und Mitarbeitern bzw. Vellas et al. keinen positiven Effekt des Spezialextraktes bezüglich der Vorbeugung von Demenzerkrankungen nachweisen konnten. In diesem Zusammenhang sollte allerdings bedacht werden, dass Präventionsstudien methodisch aufgrund der Komplexität der beeinflussenden Faktoren sehr problematisch sind und es häufig schwierig ist, einen signifikanten Effekt einer durchgeführten Intervention nachzuweisen.
Präparate sind erstattungsfähig
Abschließend lässt sich für die Praxis festhalten, dass eine leichte bis mittelschwere Demenzerkrankung insbesondere bei Vorliegen zusätzlicher Verhaltenssymptome mit der täglichen Gabe von 240 mg des Ginkgo-Spezialextraktes EGb 761 behandelt werden kann. Niedrigere Tagesdosen sind nicht sinnvoll, da eine Wirksamkeit nicht belegt ist. Entsprechende Präparate zur Demenztherapie sind erstattungsfähig und können zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Zur Vorbeugung einer Demenzerkrankung sind Ginkgo-Präparate dagegen zumindest nach derzeitigem Wissensstand nicht geeignet, in diesem Zusammenhang sollte eher auf eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Sport und einer ausgewogenen Ernährung hingewiesen werden. |
Quelle
S3-Leitline „Demenz“, z. B. unter www.dgn.org › Leitlinien › Leitlinien der DGN
McCarney R et al.: Ginkgo biloba for mild to moderate dementia in a community setting: a pragmatic, randomised, parallel-group, double-blind, placebo-controlled trial. Internationa Journal of Geriatric Psychiatry 2008;23:1222-1230
Ihl Ret al. Efficacy and safety of a once-daily formulation of Ginkgo biloba extract EGb 761 in dementia with neuropsychiatric features: a randomized controlled trial. International Journal of Geriatric Psychiatry 2011;26:1186-1194
Herrschaft et al. Ginkgo biloba extract EGb 761® in dementia with neuropsychiatric features: a randomised, placebo-controlled trial to confirm the efficacy and safety of a daily dose of 240 mg. Journal of Psychiatric Research 2012;46:716-723.
Gauthier, S. and Schlaefke, S. Efficacy and tolerability of Ginkgo biloba extract EGb 761® in dementia: a systematic review and meta-analysis of randomized placebo-controlled trials. Clinical Interventions in Aging 2014;9:2065-2077.
DeKosky, S.T., Williamson, J.D., Fitzpatrick, A.L. et al. Ginkgo biloba for prevention of dementia: a randomized controlled trial. JAMA 2008;300:2253-2262.
Vellas, B., Coley, N., Ousset, P.J. et al. Long-term use of standardised Ginkgo biloba extract for the prevention of Alzheimer‘s disease (GuidAge): a randomised placebo-controlled trial. The Lancet Neurology 2012;12:851-859.
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