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Ausbildung
Ein „Weiter so“ ist keine Lösung!
Ein Gastkommentar von Prof. Dr. Hartmut Derendorf zur Lage der Pharmazie in Deutschland
EuGH-Urteil: dünnes Eis
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die deutsche Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente gekippt. Dem Arzneimittel-Versandhandel öffnet das einen riesigen Markt, während die Apotheken vor Ort Einbußen fürchten. Ein (deutsches) gesetzliches Versandshandelsgebot soll nun dieses Urteil neutralisieren. Insgesamt hat aber dieser Vorgang deutlich gemacht, auf welch dünnem Eis sich die Dispensierfunktion des Apothekers befindet. Ab Oktober haben nun Patienten in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf die Erstellung sowie Aktualisierung eines Medikationsplans. In der Regel soll der Plan vom Hausarzt ausgestellt und aktualisiert werden. Hat der Patient keinen Hausarzt, kann es auch der behandelnde Facharzt sein. Dieser wird für diese Tätigkeit vergütet. Apotheker können assistieren, sind aber nicht primär für diese Aufgabe verantwortlich und werden daher auch nicht vergütet. Diese Aufgabenverteilung zeigt, wie die Politiker die Apothekerrolle in der Gesellschaft sehen.
Es wird nicht wahrgenommen, dass der Apotheker sich viel kompetenter um die Arzneimitteltherapie eines Patienten kümmern kann als sein Arzt. Viele Ärzte stimmen dem zu und fordern eine stärkere Einbindung der Pharmazeuten. Lars Lindemann, Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbands der Fachärzte, bemängelt, dass Apotheker nicht stärker in den Medikationsplan einbezogen werden. Ein effektives Medikationsmanagement sieht er nur mit Unterstützung der Arzneimittelkompetenz von Apothekern umsetzbar. Gerade Patienten mit Multimedikation, die in die Gruppe für den Medikationsplan fallen, holen ihre Arzneimittel häufig in der gleichen Apotheke – und ergänzen ihre verschreibungspflichtigen Arzneimittel gern um Medikamente aus dem Bereich der Selbstmedikation. Die Stammapotheke könne gerade bei diesen Patienten die apothekenpflichtigen Arzneimittel auf die verordneten Präparate abstimmen.
Ärzte suchen Zusammenarbeit
Überhaupt scheint vielleicht diese neue Aufgabe des Medikationsmanagements dazu geführt zu haben, dass von den Ärzten die Zusammenarbeit mit Apothekern verstärkt gesucht wird. Das Deutsche Ärzteblatt widmet sich in der aktuellen Ausgabe 44 mit dem Titelbeitrag und weiteren Beiträgen den hier erstmals offiziell vorgestellten Hauptergebnissen der WestGem-Studie. Die WestGem-Studie wurde von 2012 bis 2015 durchgeführt und ist die erste große kontrollierte und krankheitsübergreifende deutsche Studie zum umfassenden interprofessionellen Medikationsmanagement in der ambulanten Primärversorgung. Als Ergebnis der von der EU und dem Land NRW geförderten Studie kann wissenschaftlich und statistisch sauber festgehalten werden, dass Medikationsmanagement auch im deutschen Versorgungsalltag wirkt. Die Qualität der Therapie konnte signifikant und eindrucksvoll gesteigert werden, die arzneimittelbezogenen Probleme nahmen ab.
Gleichzeitig bestehen aber nach wie vor riesige Probleme, die durch den falschen Einsatz von Arzneimitteln bedingt sind. Patienten bekommen ungeeignete Präparate, falsche Dosierungen, inkompatible Kombinationen und sind mit diesen Problemen oft hoffnungslos überfordert. Dies gilt in erster Linie für unsere älteren Patienten, von denen es in Zukunft immer mehr geben wird. Diese Probleme sind oft vermeidbar. Hier besteht eine Aufgabe, nein, eine Pflicht, für Apotheker, zu handeln und dafür zu sorgen, dass diese arzneimittelbezogenen Probleme weniger werden. Dass dies am besten in enger Zusammenarbeit mit unseren ärztlichen Kollegen erfolgen kann, liegt auf der Hand.
Rolle ändert sich – weltweit!
All dies ist nicht neu und nicht auf Deutschland beschränkt. Die Rolle des Apothekers ändert sich derzeit weltweit, von einem produktorientierten Arzneimittelversorger hin zu einem patientenorientierten Medikationsmanager. Um diese Rolle kompetent ausfüllen zu können, braucht es eine entsprechende Ausbildung, und hier unterscheiden sich die Wege in den verschiedenen Ländern dramatisch. So berichtete die DAZ kürzlich über die Neuordnung des Pharmaziestudiums in Kanada (DAZ Nr. 45/2016, S. 22). Auch in unseren Nachbarländern tut sich viel. In den Niederlanden wurde ein neuer Studiengang eingeführt (siehe www.knmp.nl/nieuws/meer-aandacht-voor-patientenzorg-in-universitaire-opleiding-tot-apotheker), und in der Schweiz wurde letzten Monat vom Bundesrat ein Bericht zur Positionierung der Apotheken in der Grundversorgung vorgelegt, der großen Einfluss auf die Ausbildung haben wird (s. S. 30). Die Internationale Pharmazeutische Gesellschaft FIP hat sich auf die Fahnen geschrieben, einen internationalen Studiengang für die Pharmazie zu erarbeiten, die ersten Sitzungen dieser ‚Global Conference on Pharmacy and Pharmaceutical Sciences Education‘ fanden diesen Sommer in Buenos Aires und letzte Woche in Nanjing statt. In Buenos Aires war die ABDA durch Prof. Schulz vertreten.
„Es ist zu hoffen, dass das Beispiel Leipzig Schule macht und Deutschland den internationalen Anschluss in der Pharmazie nicht verpasst.“
Leider hält sich die Deutsche Hochschulpharmazie bei diesen Aktivitäten noch stark zurück, man will eher an ,Bewährtem‘ festhalten. Aber anscheinend haben auch viele Kollegen noch nicht erkannt, wie wichtig es ist, langfristig die Existenz unseres Berufes (und damit auch der Hochschulpharmazie) durch eine optimale Ausbildung des Nachwuchses sicherzustellen. So wurde auf dem letzten Apothekertag in München von den Pharmaziestudenten ein Antrag gestellt, die Studieninhalte kontinuierlich von Vertretern der Hochschullehrer, des Berufsstandes und der Studenten zu evaluieren. Dieser Antrag wurde nicht angenommen bzw. in die Ausschüsse verwiesen. Dabei sind Veränderungen der Ausbildung doch eine ganz normale und sinnvolle Angelegenheit, um den sich ändernden Umständen gerecht zu werden. Dass sich die Ausbildung in Pharmazie in Deutschland inzwischen dramatisch von der in anderen Ländern unterscheidet, zeigt die Abbildung, die den prozentualen Anteil der verschiedenen Fächer am Studium vergleicht.
Falscher Schwerpunkt
Deutsche Pharmaziestudenten verbringen den größten Teil ihres Studiums in der Chemie und den geringsten in der Klinischen Pharmazie, während diese in anderen Ländern die Ausbildung bestimmt. An vielen internationalen Universitäten ist die strenge Aufteilung der Fächer in ‚Schubladen‘ gänzlich aufgehoben und ersetzt durch integrierte Studiengänge, in denen die Arzneimittel nach Indikationsgebieten gegliedert besprochen werden und chemische, biotechnologische, pharmakologische, therapeutische und andere Aspekte integriert gelehrt werden. Der Schwerpunkt liegt in diesen integrierten Veranstaltungen dann immer auf der Pharmakotherapie, also der konkreten Anwendung der jeweiligen Arzneistoffe am Patienten. Die Studenten werden zu Arzneimittelfachleuten ausgebildet, die dann in der Lage sind, kompetent die Arzneimitteltherapie ihrer Patienten zu betreuen. Wie in jedem anderen Beruf kann man das aber nur, wenn man es vorher gescheit gelernt hat.
Vielversprechende Ansätze
An einigen Universitäten in Deutschland gibt es bereits vielversprechende Ansätze. So wurde letzten Monat an der FU Berlin ein neues Medikations-Management-Center eröffnet. Die Pharmaziestudierenden werden in Berlin bereits im Grundstudium an die späteren Aufgabengebiete wie Medikationsplan, Medikationsanalyse und Medikationsmanagement herangeführt. Mit verschiedenen Modulen der Ausbildung in Klinischer Pharmazie können die Studierenden Erfahrungen sammeln und lernen, was Medikationsmanagement bedeutet. Diese patientenorientierte Ausbildung beginnt bereits im Grundstudium, sodass sich die Studierenden auf die Famulatur in der Apotheke vorbereiten können, und zieht sich durch das gesamte Hauptstudium. Prof. Charlotte Kloft, die Leiterin dieses Centers, hofft, dass dieses Center als Brücke zwischen Theorie und Praxis einen besseren Einstieg ins Berufsleben ermöglicht. Mit Blick auf das EuGH-Urteil merkte sie an: „Rabatte kann jeder, das Medikationsmanagement aber nur der Apotheker.“
Lichtblick Leipzig
Ein weiterer Lichtblick kam in der letzten Woche von der Universität Leipzig, wo eine bereits totgesagte Pharmazie neuen Wind bekommen hat. Es soll einen Modellstudiengang für Pharmazie innerhalb der Medizinischen Fakultät geben. Der Schwerpunkt dieser Ausbildung soll sein, Arzneimitteltherapie gemeinsam mit den Ärzten und anderen Heilberufen zu managen. Prof. Beate Schücking, Rektorin der Uni Leipzig, hat erklärt: „Wir planen ein innovatives Studienmodell, das absoluten Modellcharakter haben kann und eine noch engere Verschränkung zwischen unseren lebenswissenschaftlichen Bereichen und der Medizinischen Fakultät ermöglicht“.
In dieser Symbiose zwischen Naturwissenschaften und Medizin kann die Pharmazie zur Hochform auflaufen, sowohl in der Patientenbetreuung, aber auch in der Forschung, wo viele große Herausforderungen auf Arzneimittelwissenschaftler warten. Es ist zu hoffen, dass das Beispiel Leipzig Schule macht und Deutschland den internationalen Anschluss in der Pharmazie nicht verpasst. Hierzu müssen Hochschulpharmazie und Berufsstand im Schulterschluss rational und mit Visionen gemeinsam neue Ausbildungspläne erstellen. Die Hochschulpharmazie hat die Verantwortung, im Pharmaziestudium die für die Studenten bestmögliche Ausbildung anzubieten. Dies schließt natürlich auch eine Vorbereitung auf eine wissenschaftliche Tätigkeit ein, die aber in der Regel eine Promotion oder weiterführende Ausbildung voraussetzt. Hier gibt es international eine Reihe von Ausbildungsmodellen, von deren Erfahrung man lernen und den für die deutschen Verhältnisse besten Weg wählen kann. Nur eins ist sicher: Ein „Weiter so“ ist keine Lösung. |
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