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Ausbildung
Studium im Umbruch
Neuausrichtung des Pharmaziestudiums in Kanada beflügelt beruflichen Wandel
Ähnlich wie derzeit in Deutschland, ging die Änderung des pharmazeutischen Berufsbildes zunächst vom Berufsstand aus. Auch in Kanada wurde von der Canadian Pharmacists Association (CPhA) ein Perspektivpapier erarbeitet, das inzwischen drei Teile umfasst: „Vision for Pharmacy“ (2008), „Implementation Plan“ (2009) und „Our Way Forward“ (2013). Die CPhA hatte in diesem Perspektivpapier verfügt, dass bis 2020 alle Universitäten das Studium von einem fünfjährigen Bachelor of Science in Pharmacy zu einem sechsjährigen PharmD-Studium mit klinischen Inhalten umstellen sollen. Der Schwerpunkt ist klar und deutlich formuliert: Im Mittelpunkt sollen die Pharmakotherapie, die pharmazeutische Betreuung und das Medikationsmanagement sowie die dauerhafte Evaluation und Anpassung des Studiums an die Erfordernisse des Gesundheitssystems stehen. Die Entwicklung der Pharmazie findet in Kanada somit nach offizieller Lesart zehn Jahre früher statt als in Deutschland. Damit kann Kanada als perfektes Vorbild für Deutschland dienen.
Reformen mit Begeisterung umgesetzt
In Kanada und Deutschland genießt die „Freiheit der Lehre“ einen hohen Stellenwert. Parallelen gibt es auch in der regionalen Zuständigkeit der Ausbildung (Bundesländer bzw. Provinzen und Territorien). Die zehn öffentlichen Universitäten in Kanada (acht englischsprachige und zwei französischsprachige in Quebec) können Ausmaß und Geschwindigkeit des Wandels der universitären Ausbildung zum klinischen Pharmazeuten in einem weiten Zeitfenster selbst bestimmen und auch den Inhalt des Studiums relativ frei festlegen. Derzeit hat über die Hälfte der Universitäten in Kanada diese Änderung im Curriculum vollzogen, bis 2019 werden alle anderen Universitäten folgen – und damit insgesamt deutlich schneller als gefordert. Hierzu trägt auch die Beliebtheit des neuen Studiums bei den Studenten und Dozenten bei. Die Universitäten in Kanada haben bereits in den letzten zehn Jahren auch ohne Änderung des Curriculums voller Begeisterung neue Fächer in das Studium integriert und die Inhalte drastisch reformiert, zwei Universitäten sogar schon in den frühen 1990er Jahren (Universitäten Toronto und British Columbia). Die neuen klinischen und patientenorientierten Inhalte sollen dabei als Update auch von den bereits approbierten Pharmazeuten erworben werden können. Es wird hierzu von den Universitäten ein berufsbegleitendes PharmD-Studium angeboten. So stellt die CPhA sicher, dass in relativ kurzer Zeit genügend therapeutisch ausgebildete Apotheker zur Verfügung stehen, um den Wandel des Berufsbildes zu unterstützen.
Der Apotheker, der Pharmakotherapie-Experte
Die Rolle des Apothekers ist hierbei schon jetzt die eines unverzichtbaren Experten der Pharmakotherapie. Von allen Heilberuflern hat der Apotheker sicherlich die beste naturwissenschaftliche Ausbildung und das größte Wissen über die pharmazeutische Chemie und die Herstellung der Medikamente. Dieses Wissen wird aber inzwischen nur noch als Grundlage dazu verstanden, das Patientenwohl zu verbessern. Erlernt werden diese Fähigkeiten vielmehr durch ein fundiertes Wissen über die Pharmakotherapie und die korrekte Anwendung von Medikamenten. Die ersten Jahre des Studiums behandeln auch in Kanada die Naturwissenschaften, Anatomie und Physiologie, aber auch schon die klinische Pharmazie. Bereits im ersten Semester wird die praktische Prüfung in klinischer Pharmazie mit einem Patientenfall durchgeführt. Hierbei wird beispielsweise von den Studenten eine Anamnese erhoben und einem Patienten die Anwendung und Gabe eines Arzneimittels anhand von Rezepten vermittelt. Obwohl der Student sich noch nicht mit der Therapie verschiedener Krankheiten auskennt, wird ihm von Anfang an vermittelt, wie er sich um seine Patienten bestmöglich kümmern und sein Wissen entsprechend einsetzen kann. Auch nach dem alten kanadischen Curriculum wurde in den letzten zwei Studienjahren bereits ausgiebig Wissen zur Pharmakotherapie und den Leitlinien von häufigen Krankheiten vermittelt. Im Laufe des bisherigen Studiums absolviert der Student nach jedem Jahr ein vierwöchiges Praktikum. Von diesen sind zwei in einer öffentlichen Apotheke und eins in einem Krankenhaus zu absolvieren. Das Abschlusssemester besteht komplett aus Praktika. In diesen soll der Student als klinischer Apotheker in einem interprofessionellen Team lernen. Diese letzten Praktika finden in vielen verschiedenen Bereichen statt, wie z. B. auf der Intensivstation, in der Notaufnahme, in einer primärärztlichen Praxis oder Klinik oder im Ausland. Das neue Studium wird mit zwei dieser Praxissemester beendet.
Steigende Beliebtheit
Pro Jahr stehen in Kanada etwa 1000 Studienplätze für Pharmazeuten zur Verfügung, die Anzahl der Studienplatzbewerber übertrifft diese Zahl aufgrund der Beliebtheit des klinischen Studiums inzwischen um das Zehnfache. Über 75% der Absolventen gehen nach dem Studium in eine öffentliche Apotheke. Das Einstiegsgehalt in Kanada für Pharmazeuten hat sich dramatisch entwickelt und liegt ähnlich wie in den USA bei mittlerweile >100.000 $, Offizinapotheker sind heiß begehrt. Derzeit arbeiten etwa 33.000 Pharmazeuten in Kanada in 9750 öffentlichen Apotheken und 285 Krankenhausapotheken. Weitere 7000 Pharmazeuten arbeiten in anderen Bereichen wie der Verwaltung, der Industrie, der Armee oder in der Lehre.
Steigende Therapieverantwortung
Das erlernte Wissen der Pharmakotherapie ermöglicht es den kanadischen Apothekern, immer mehr Verantwortung zu übernehmen. So können sie seit neuestem Rezepte für bestimmte Indikationen ausstellen, Laborwerte anfordern und interpretieren sowie Impfungen verschreiben und durchführen. Sie können weiterhin ein verordnetes Medikament gegen ein therapeutisch adäquates austauschen oder ein Rezept für eine Dauermedikation ausstellen, sofern sie das für notwendig erachten. Das Studium in Kanada stellt daher immer stärker die Pharmakotherapie in den Mittelpunkt. Selbstverständlich werden die Tätigkeiten (einschließlich Medikationsanalysen) entsprechend honoriert.
Auch die PTA-Tätigkeiten wurden in diesem Sinne erweitert. Einige der zuvor durch Apotheker wahrgenommenen Aufgaben des Dispensierens werden in Kanada jetzt von PTA übernommen, so dass sich die Pharmazeuten mehr und mehr der Anwendung der neu erworbenen kognitiven Fähigkeiten zur Verbesserung der Pharmakotherapie und Arzneimittelsicherheit widmen können. Die CPhA nennt hier insbesondere das Verschreiben von Medikamenten und das Monitoren der Therapie, aber auch das Medikationsmanagement und die interprofessionelle Zusammenarbeit von Pharmazeuten in einem therapeutischen Team als Schwerpunkte.
Was die CPhA fordert
Die CPhA hat die Anforderungen an das neue Studium folgendermaßen umschrieben:
- intensive interprofessionelle Tätigkeiten schon im Studium
- mehr klinische Praxis, vornehmlich in der primärärztlichen Versorgung und auf Krankenhausstationen
- effektives Vermitteln von Kommunikationsstrategien, Management- und Führungsqualitäten
- weitergehende Fähigkeiten in der Medikationsdokumentation mit elektronischen Patientenakten
- Aufbau von Fähigkeiten zum Verschreiben und Monitoren von Arzneimitteln
- Training von Disease-Management-Tätigkeiten in der Bekämpfung chronischer Krankheiten
- vollumfängliches Einbringen und Ausschöpfen sämtlicher pharmazeutischer Möglichkeiten zur optimalen Patientenversorgung
- Vorbereitung auf dauerhafte pharmakotherapeutische Fortbildung und kontinuierliches lebenslanges Lernen
- fortwährendes Evaluieren und Anpassen der Ausbildung an die neuen pharmazeutischen Tätigkeiten und an die Bedürfnisse der Gesellschaft.
Kanada ist damit im Vergleich zu den benachbarten USA ähnlich schnell in die Entwicklung des pharmazeutischen Berufes eingestiegen, hat sich aber länger Zeit mit der Veränderung des Studiums gelassen. Eine Entwicklung, die in Deutschland ähnlich verläuft. Allerdings haben sich die kanadischen Universitäten auch zuvor schon als äußerst flexibel erwiesen und die Anforderungen bereitwillig integriert. Die Probleme der Demografie in Verbindung mit schwer erreichbaren Regionen und langen Wartezeiten in der medizinischen Versorgung zwingen die Kanadier inzwischen, die verfügbaren Kompetenzen der Pharmazeuten vollumfänglich zu nutzen. |
Die klinische Bildung entscheidet
Eine Betrachtung von Kara O’Keefe
Meine deutschen Kolleginnen waren immer erstaunt, wenn ich erzählt habe, welche Therapie-Verantwortung man als Apothekerin in Kanada hat. Dazu muss man aber sagen, dass das kanadische Studium die Pharmazeuten von Anfang an genau auf diese Aufgaben vorbereitet. Ich war überrascht zu hören, dass viele deutsche Pharmaziestudenten erst im praktischen Jahr ein Beratungsgespräch durchführen.
Die kanadischen Studenten werden darin geschult, eine effektive Medikationsanalyse durchzuführen und kennen die pharmakotherapeutischen Entscheidungsgrundlagen für eine patientenorientierte Therapie und Verordnung. Auch werden kommunikative Ansätze schon im ersten Semester trainiert und Patientenberatungen durchgeführt, so dass der kanadische Apotheker im Patientenkontakt in Offizin und Krankenhaus vom ersten Tag an sicher auftreten kann.
Eine deutsche Mitpraktikantin erzählte mir, dass sie die chemische Struktur von Metoprolol seit ein paar Jahren auswendig zeichnen kann, aber dass sie sich noch nicht trauen würde, einen Patienten zu dem Arzneimittel zu beraten. Ich musste zugeben, dass ich umgekehrt mit der Struktur nicht mehr viel anfangen konnte. Ihr Studium hat ihr andere Stärken vermittelt als mir das meine, Stärken die man in einem Labor gut gebrauchen kann, die aber selten in der öffentlichen Apotheke oder im Krankenhaus erforderlich sind.
Das Pharmaziestudium in Deutschland ist stark naturwissenschaftlich geprägt. Auch zu pflanzlichen Mitteln und Homöopathika kann der deutsche Apotheker oft sehr gut beraten. Die Frage ist, ob diese Schwerpunktsetzung den Patienten insgesamt weiterhilft. Wenn eine 80-jährige Dame mit einer Herzinsuffizienz in der Apotheke steht und zum ersten Mal Metoprolol einnehmen muss, interessiert sie sich nicht für die chemische Struktur. Sie möchte wissen, wie sie das Arzneimittel einzunehmen hat, wie sie damit umgehen muss, was für Nebenwirkungen auftreten, was sie noch machen kann, um mit ihrer Krankheit besser leben zu können und wann sie ihren Apotheker bei Problemen oder Fragen kontaktieren muss.
Insgesamt gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Kanada. Wir haben die gleichen gesundheitlichen Probleme in der Bevölkerung. Wir arbeiten in Ländern mit einer Überalterung der Bevölkerung. Wir wollen unser Wissen für das Wohl der Patienten anwenden und dieses Wissen ständig erweitern. Wir wollen unseren Beruf weiterentwickeln. Dafür muss der Inhalt des Studiums an unsere Herausforderungen als Pharmakotherapieexperten und Patientenbetreuer angepasst werden. Die Zukunft unseres Berufs dreht sich um den Patienten. Wenn wir während des Studiums nichts über die Grundlagen der täglichen Arbeit des Apothekers (wie pharmazeutische Betreuung) lernen, werden uns die nötigen Fertigkeiten zur Weiterentwicklung unseres Berufs in der Praxis fehlen. Die klinische Bildung der zukünftigen Apotheker ist entscheidend dafür, dass dem Patienten eine optimale und sichere Arzneimitteltherapie zuteil wird.
Einen Bedarf für die Fort- und Weiterbildung von Apothekern wird es immer geben, da sich die Therapien und Techniken ständig weiterentwickeln werden. Was bleiben wird, sind Patienten, die nach Hilfe in ihrem Gesundheitssystem suchen. Es ist unsere Aufgabe zu beweisen, dass der Apotheker bereit ist, seine Fachkompetenzen für das Wohl der Patienten einzusetzen und dass diese Kompetenzen einen hohen Wert im Gesundheitssystem haben. In vielen Ländern trägt man diesen Anforderungen im Pharmaziestudium Rechnung. Ob allerdings das Pharmaziestudium in Deutschland effizient genug ist, um den Patienten eine ausreichend hochwertige pharmazeutische Betreuung zu bieten, erscheint fraglich.
In der kommerziellen Falle
Ein Gastkommentar von Olaf Rose
Das EuGH-Urteil hat der Apothekerschaft erneut vor Augen geführt, dass wir höchst unbequem in der kommerziellen Falle sitzen. Der Wunsch der Gesellschaft nach einer preisgünstigen Versorgung mit Medikamenten ist ebenso nachvollziehbar, wie der Bedarf für eine hochwertige und sichere Therapie. Für uns Pharmazeuten kann es daher langfristig nur den einen Ausweg aus der Falle geben: schneller hin zu mehr pharmakotherapeutischer Kompetenz, patientenorientierter Pharmazie und AMTS. In diesen Kernkompetenzen können wir der Gesellschaft einen unverzichtbaren Nutzen bieten und uns als
Apotheker vor Ort unersetzlich machen, während die Distribution bereits bis an die Grenze der Versorgungsengpässe ausgequetscht wurde (und mit dem EuGH endgültig auch darüber hinaus). Zwar hat sich die Apotheke sowohl in dieser Funktion, als auch in den zahlreichen anderen Tätigkeiten als täglicher „Troubleshooter in der Offizin“ in der Versorgung der Patienten mehr als verdient gemacht. Die Bemühungen der letzten Jahre, sich mehr und mehr als AMTS-ler zu positionieren, haben meiner Meinung nach aber bereits zusätzliche Früchte getragen. Politiker sämtlicher Fraktionen nehmen die Apotheker jetzt erstmals nicht mehr ausschließlich als Kostenfaktor, sondern als unverzichtbaren Heilberuf in einer hochwertigen Patientenversorgung wahr, wie auf dem diesjährigen Apothekertag zu sehen war. Die ABDA-Spitze hat, gestärkt durch das Perspektivpapier und die darauf ausgerichteten Aktivitäten, deutlich an Glaubwürdigkeit gewonnen und wird offenbar als ehrlicher und engagierter Spieler aufgefasst. Selbst das Medienecho war – jedenfalls auf regionaler Ebene – durchaus differenziert, während die überregionalen Medien den Apotheker offensichtlich noch als Feindbild sehen. Die unzähligen Aktivitäten an der Basis untermauern diesen Eindruck, in Westfalen-Lippe und Sachsen-Anhalt konnte durch gemeinsame interprofessionelle Kammeraktivitäten (erstmals) Verständnis und Unterstützung seitens der Ärzteschaft vermeldet werden. Ein klares Zeichen, dass man auf dem richtigen Weg ist und dass sich die Aktivitäten der letzten fünf Jahre ausgezahlt haben. Die DAZ-Leser haben mit der begeisterten Aufnahme der Serien POP, Pharmakotherapie und Pharmako-logisch! ihren Teil dazu beigetragen, den Wandel zu mehr AMTS zu vollziehen. Bedauerlich bleibt somit nur noch der Stand der universitären Ausbildung an vielen Standorten. Im Vergleich zu Kanada und vielen anderen Ländern hinkt damit bei uns die Entwicklung der Pharmazie ausgerechnet an der wichtigsten Stelle um ein Vielfaches hinterher. Durch eine Aufwertung der Tätigkeiten der Pharmazeuten in allen Bereichen und eine Betonung der klinischen Aspekte im Studium, können alle Beteiligten und besonders Patient und Gesellschaft nur gewinnen. Langfristig sichert auch die universitäre Pharmazie damit ihre Position und gewinnt massiv an Ansehen und Bedeutung! Es ist dringend erforderlich, dass die Pharmazeuten eine solide universitäre wissenschaftliche pharmakotherapeutische Grundausbildung für die neuen Tätigkeiten erhalten. Die klinische Ausbildung engt dabei den Pharmazeuten nicht ein, sondern betont seinen Mehrwert – auch in der pharmazeutischen Industrie. „All pharmacists are clinicians“ ist dazu der Leitspruch der Kanadier. Insofern sollten wir aus den positiven und negativen Erfahrungen derjenigen Länder lernen, die ihre Pharmazie bereits zukunftsträchtig aufgestellt haben. Kanada eignet sich aufgrund der relativ späten, aber konsequenten Umstellung des Studiums als hervorragender Lehrmeister.
1 Kommentar
Studium im Umbruch
von Dr. Gert Schorn am 13.11.2016 um 19:36 Uhr
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