(Foto: Hensel)

Phytoforschung

Eibischwurzel

Inhaltsstoffe der Droge und ihre molekularen Targets

Zubereitungen aus Eibischwurzel werden seit der Antike als mildes Antitussivum verwendet, was schon durch die überlieferte Aussage von Plinius bestätigt wird, dass „die Wurzel den Husten in fünf Tagen heile“ [1]. In den letzten Jahren haben sich im Bereich der evidenzbasierten, rationalen Phytotherapie wässrige Eibischsaftzubereitungen bei Reizhusten sehr gut etabliert, und das wissenschaftliche und klinische Interesse an solchen Produkten steigt zusehends. | Von Andreas Hensel und Jandirk Sendker

Althaea officinalis L. ist eine Staude aus der Familie der Malvengewächse (Abb. 1), die im Englischen als „marshmallow“ bezeichnet wird. Die gleichnamigen Schaumsüßwaren wurden ursprünglich unter Verwendung von Eibischwurzel­extrakt produziert, während heute Gelatine hierzu als Konsistenzgeber dient. Der Eibisch stammt aus Zentralasien, hat sich von dort ostwärts bis nach China und westwärts bis nach Europa ausgebreitet und gelangte im Mittelalter nach Mitteleuropa. Hier wird er auf feuchten, salzhaltigen Böden ­(Eibisch ist halophil!) angebaut. Bedeutende Kulturen sind in Thüringen und auf dem Balkan zu finden.

Fotos: Hensel
Abb. 1: Habitus und Blüte der Eibischpflanze (Althaea officinalis L.).

Inhaltsstoffe und Indikationen

Die im Spätherbst des zweiten Jahres geernteten, geschälten oder ungeschälten Wurzeln liefern die offizinelle Droge. Phytochemisch ist diese als Polysacchariddroge charakterisiert, denn sie besteht zu fünf bis elf Prozent aus einem gut charakterisierten Schleimgemisch mit Pektin-ähnlichen Rhamnogalacturonanen (die eigentlichen Wirkstoffe), Arabinogalactanen und anderen Polysacchariden. Die Droge enthält zudem ca. 8% mit Wasser extrahierbare niedermolekulare Inhaltsstoffe, nämlich ca. 5% Mono- und Disaccharide (hauptsächlich Saccharose), etwa 1% Glycinbetain, ca. 1% freie Aminosäuren und geringe Mengen an meist sulfatierten Flavonglycosiden, Phenylpropenyl-L-aminosäureamiden und Cumarinen [2]. Somit können wässrige Drogenauszüge aus Eibischwurzel als phytochemisch sehr gut charakterisiert und standardisierbar bewertet werden.

Bezüglich der therapeutischen Anwendung nennt die HMPC-Monografie von Eibischwurzel die symptomatische Behandlung von Reizungen im Mund-, Rachen- und Kehlkopfbereich, assoziiert mit trockenem Reizhusten („traditional use“) [3]. Irritationen der Magenschleimhaut und damit einhergehendes Unwohlsein sind die zweite Indikation der Droge [3].

Studien zur Wirksamkeit gegen Husten

Ältere Tierversuche legen für wässrige Extrakte leichte lokale antiinflammatorische Effekte nahe. Untersuchungen an einem induzierten Husten­modell an Katzen belegten eine gleichwertige antitussive Wirkung von Eibischsirup im Vergleich zu ­synthetischen Antitussiva [4]. Eine neuere An­wendungsbeobachtung bei Kindern zeigte positive Wirkungen bei Reizhusten [5]. In einer 2007 publizierten Doppelblindstudie mit 60 Patienten, die ACE-Hemmer einnahmen und unter der Neben­wirkung eines trockenen Reizhustens litten, wurde ­unter Eibischsirup eine signifikante Abnahme des Hustenreizes gegenüber der Placebogruppe beschrieben [6]. Vielleicht können diese Studienergebnisse auch für die Beratung von Patienten mit ACE-Hemmer-induziertem Husten hilfreich sein.

Wirkungsweise in der Schleimhaut

Wie kann man sich nun diese reizlindernden Wirkungen von Eibischwurzelextrakt erklären? Im Vordergrund einer potenziell reizlindernden Wirkung steht die bioadhäsive Auflagerung der polymeren Rhamnogalacturonane auf der epithelialen Schleimhaut. Die Ausbildung solcher Schutzschichten konnte im Ex-vivo-Experiment unter Verwendung von Fluoreszenz-markiertem Rhamnogalacturonan auf isolierter Bukkalschleimhaut des Schweins gezeigt werden. Die massiven Schichten konnten auch durch mehrfaches Waschen nicht entfernt werden [7].

Eine weitere präklinische Studie an primären Keratinozyten (dominanter Zelltyp der humanen Epi­dermis) und Fibro­blasten (dominanter Zelltyp der humanen Dermis) zeigte, dass wässriger Eibisch­extrakt und auch das daraus isolierte Polysaccharidgemisch die Stoffwechselaktivität und Proliferation der Keratinozyten signifikant steigern können, allerdings keinen Einfluss auf diese Parameter in den Fibro­blasten haben [8]. Somit ist von einer zellspezifischen Be­einflussung der Zellphysiologie der (Schleim-)Hautzellen auszugehen.

Da es sich bei den in Eibischwurzel enthaltenen Rhamno­galacturonanen um Makromoleküle handelt, stellte sich die Frage, wie ein solcher Einfluss auf zelluläre Stoffwechselvorgänge erklärbar sein könnte. Binden diese Polysaccharide an extramembranäre Rezeptoren, die dann das Signalling in die Zelle weiterleiten? Oder gelangen sie in die Zelle hinein (was ungewöhnlich wäre für solche Makro­moleküle, die ja normalerweise zelluläre Barrieren nicht gut überwinden können)? In der Tat gelangen Eibisch-Polysaccharide durch Endozytose in das ­Zytoplasma der Keratinozyten; sie werden in Einstülpungen der Plasmamembran „verpackt“, die anschließend abgeschnürt werden und als Endosomen im Zellinneren weiter existieren. Dieser Prozess findet bei Keratino­zyten, nicht aber bei Fibroblasten statt.

Wie sich die internalisierten Polysaccharide auf die Zell­physiologie der Keratinozyten auswirken, wurde systematisch mittels Microarray-Technik untersucht; dabei wurde zugleich der quantitative Einfluss des Extraktes auf die ­Expression von mehreren tausend Genen im Vergleich zu unbehandelten Kontrollgruppen geprüft [8]. Hierbei zeigte sich, dass Gencluster, die in Zusammenhang mit der Zell-Zell-Adhäsion (also Gewebebildung) stehen, durch Eibischextrakt signifikant heraufreguliert wurden. Gleiches gilt auch für Gene, die für wachstumsspezifische Zellfunktionen codieren (z. B. Wachstumsfaktoren). Auf der anderen Seite wurden durch Eibischextrakt auch einige Gencluster deutlich herabreguliert, die für Proteine codieren, welche im Zusammenhang mit kontrolliertem Zelltod (Apoptose) und Proliferationshemmung stehen. Aus diesen Daten wird geschlussfolgert, dass Eibischextrakt die zelluläre Proliferation und die epitheliale Zell- und Geweberegeneration stimuliert [8].

Ergebnisse der In-vitro-Untersuchungen sind übertragbar

Man könnte nun einwenden, dass diese Daten aus In-vitro-Experimenten in artifiziellen Zellkultursystemen stammen und eventuell nicht sehr viel mit der klinischen Realität zu tun haben. Doch bei der Anwendung von Eibischsirup handelt es sich um eine topische, lokale Applikation direkt auf der irritierten und inflammierten Schleimhaut, sodass im Prinzip keine Barrieren die Penetration der Polysaccharide in die Zellen hemmen sollten. Zusätzlich ist zu vermerken, dass die in den vorliegenden Studien verwendeten Keratinozyten allesamt aus humanen, gesunden Operationsresektaten stammten, also direkt aus der Haut oder Schleimhaut des Menschen entnommen wurden und nur kurzzeitig für wenige Passagen in vitro kultiviert wurden. Aus diesen Gründen dürften die Ergebnisse der In-vitro-Untersuchungen durchaus auf die klinische Situation am Patienten mit Rachenschleimhautreizungen übertragbar sein.

Entzündungshemmung

In Kürze wird ein neuer Befund über eine weitere interessante Wirkung von niedermolekularen Eibischwurzel-­Sekundärstoffen publiziert [2]: Ein wässriger Eibischwurzel­extrakt, aus dem die Schleimstoffe entfernt worden waren, bewirkte eine signifikante Hemmung der humanen Hyaluronidase-1 (IC50 = 7,7 mg/ml). Was bedeutet dies?

Hyaluronsäure ist ein Polysaccharid, welches ein wichtiger Bestandteil der extrazellulären Matrix in vielen Geweben ist. Sie ist wasserbindend, hat aber auch zellspezifische ­Regulationsaufgaben für die Gewebebildung, indem sie die zelluläre Proliferation und Zelldifferenzierung beeinflusst; außerdem wurden antiinflammatorische Eigenschaften beschrieben. Gewebeständige Hyaluronidasen können langkettige Hyaluronsäuren zu kürzeren Ketten mit einer Molekularmasse unter 20.000 Dalton abbauen, die ganz andersartige Wirkun­gen auf die umgebenden Zellen ausüben können, so z. B. die Induktion inflammatorischer Effekte. Die Inhibition der degradierenden Hyaluronidasen vermindert die Akkumulation kurzkettiger Hyaluronsäuremoleküle und somit auch das Risiko von Entzündungen.

Zudem konnte gezeigt werden, dass niedermolekulare Inhaltsstoffe von Eibischextrakt (wahrscheinlich sulfatierte Flavonglycoside) in Keratinozyten die Bildung der mRNA, die für die Hyaluronidase-1 codiert, um etwa die Hälfte herabregulieren.

Fazit

Zusammenfassend kann man wässrigen Eibischextrakt als einen Wirkstoff mit spannendem Potenzial bewerten. Neben den schleimhautschützenden, mucilaginösen Effekten werden epitheliale Zellen hinsichtlich ihrer Proliferation, Stoffwechselaktivität und Geweberegeneration beeinflusst, während die Hemmung der Hyaluronidase-1 einen positiven Einfluss auf die extrazelluläre Matrix des bei Schleimhautreizungen inflammierten Gewebes haben könnte.

Aufgrund dieser vorliegenden Daten erscheint die klinische Anwendung wässriger Eibischwurzelextrakte bei Schleimhautreizungen durchaus nachvollziehbar und wissenschaftlich gerechtfertigt. |

Literatur

[1] Benedum J, Loew D, Schilcher H. Arzneipflanzen in der traditionellen Medizin. 4. Aufl. Kooperation Phytopharmaka 2006

[2] Sendker J, Böcker I, Lengers I, Brandt S, Jose J, Stark T, Hofmann T, Fink C, Abdel Aziz H, Hensel A. Phytochemical characterization of low molecular constituents from Marshmallow roots (Althaea officinalis) and inhibiting effects of aqueous extracts on human Hyaluronidase-1. 2016 eingereicht zur Publikation

[3] EMA, Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). Althaea ­officinalis L., radix. 2009; www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/herbal/medicines/herbal_med_000014.jsp&mid=WC0b01ac058001fa1d

[4] Nosál‘ová G, et al. Antitussive Wirkung des Extraktes und der Polysaccharide aus Eibisch (Althaea officinalis L. var. robusta). Pharmazie 1992;47:224-226

[5] Fasse M, Zieseniß E, Bässler D. Trockener Reizhusten bei Kindern – eine Anwendungsbeobachtung mit Eibisch-Sirup. Praktische ­Pädiatrie 2005;11:1-7

[6] Rouhi H, Ganji F. Effect of Althaea officinalis on cough associated with ACE inhibitors. Pakistan J Nutrition 2007;6:256-258

[7] Schmidgall J, Hensel A. Evidence for bioadhesive effects of poly­saccharides in an ex vivo bioadhesion assay on buccal membranes. Planta Med 2000;66:48-53

[8] Deters A, Zippel J, Hellenbrandt N, Possemeyer C, Hensel A. Aqueous extracts and polysaccharides from marshmallow roots (Althaea officinalis L.): cellular internalisation and stimulation of cell physiology of human epithelial cells in vitro. J Ethnopharmacol 2010;127:62-69

Autoren

Prof. Dr. Andreas Hensel studierte Pharmazie an der Universität Regensburg. Seit 2004 ist er Geschäftsführender Direktor des Institutes für Pharmazeu­tische Biologie und Phytochemie der Universität Münster. Hauptarbeitsgebiete: Phytochemie, Glycobiologie, anti­adhäsive Naturstoffe gegen Pathogene, Naturstoffe und Arzneipflanzen zur Wundheilung.

Dr. Jandirk Sendker studierte Pharmazie an der Universität Münster. Nach der Promotion im Fach Pharmazeutische Biologie arbeitete er zwei Jahre am Institut für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie der Universität Düsseldorf. Seit 2009 ist er als Akademischer Rat am Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie der Universität Münster tätig.

Das könnte Sie auch interessieren

Levodropropizin-Arzneimittel stehen jetzt ordnungsgemäß deklariert zur Verfügung

Mehr OTC-Optionen gegen Reizhusten

Helfen sie bei Erkältungskrankheiten?

Phytopharmaka fürs Immunsystem

Markenporträt zu Silomat®

Für Ruhe sorgen

Aktuelle ethnopharmakologische Forschung in Westafrika

Ein alternativer Weg zu neuen Wirkstoffen

Beeinflusst eine Helicobacter-pylori-Infektion die Parkinson-Therapie mit Levodopa?

Bakterium mag L-Dopa

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.