Zytostatika-Ausschreibungen

Rechtlich verbindlich?

Was gilt bei unterschiedlichen Angaben zur Haltbarkeit von Zytostatika-Zubereitungen?

Die Frage, ob ein Apotheker, der in seiner Apotheke aus einem Zytostatikum eine gebrauchsfertige Zubereitung herstellt, an die in der Gebrauchs- oder Fachinformation genannten Haltbarkeitsdaten ­gebunden ist, sorgt derzeit für Diskussionen. Sind diese Herstellerangaben verbindlich? Oder hat der Apotheker einen Beurteilungsspielraum? Eine rechtliche Ein­schätzung. | Von Dr. Sabine Wesser
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Haltbarkeit von Zytostatika-Zubereitungen - der Apothekenleiter hat einen pharmazeutischen Beurteilungsspielraum.

In der Gebrauchsinformation eines Fertigarzneimittels sind die „Haltbarkeit nach Öffnung des Behältnisses oder nach Herstellung der gebrauchsfertigen Zubereitung durch den Anwender“ anzugeben (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6b AMG). Entsprechendes gilt für die Fachinformation (vgl. § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6c AMG). Die Fachinformationen zum Beispiel zu Zytostatika mit dem Wirkstoff Gemcitabin, Cyclophosphamid, Docetaxel oder Oxaliplatin vermelden für die zubereitete Lösung eine ganz kurze „nachgewiesene“ Stabilität. Deshalb geben sie dem Anwender auf, sie nicht länger als einen stundenweise bemessenen Zeitraum aufzubewahren.

Die für Fertigarzneimittel vorgeschriebene Packungsbeilage ist dazu bestimmt, zu gewährleisten, dass die Arzneimittel auf der Grundlage vollständiger und verständlicher Informationen ordnungsgemäß angewandt werden können (vgl. 40. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83/EG).

Die Gebrauchsinformation und die Fachinformation richten sich mithin primär an die Anwender des Fertigarzneimittels: Das sind insbesondere die Patienten sowie die verschreibenden Ärzte. Die Fachinformation richtet sich ferner an Apotheker, obwohl diese nicht zur Ausübung von Heilkunde befugt sind und daher nicht zu den berufsmäßigen Anwendern von Arzneimitteln zählen. Dies rührt daher, dass die Apotheker die Patienten und Kunden sowie die zur Ausübung der Heilkunde, Zahnheilkunde oder Tierheilkunde berechtigten Personen hinreichend über Arzneimittel informieren und beraten müssen (vgl. § 20 ApBetrO). Dabei hilft ihnen die Fachinformation.

Apotheker als Hersteller

Ein Apotheker aber, der in der von ihm geführten Apotheke aus einem noch nicht zur parenteralen Anwendung fertigen Fertigarzneimittel durch Verdünnung eine applikationsfertige Infusionslösung herstellt, wird insoweit nicht als Informations- und Beratungsstelle im Hinblick auf die sachgerechte Anwendung des Fertigarzneimittels tätig, sondern als berufs- und gewerbsmäßiger Hersteller eines Arzneimittels. Und als solcher unterliegt er besonderen Vorgaben. Schließlich handelt es sich bei Apotheken um diejenigen Institutionen, die das Gesetz mit der im öffentlichen Interesse gebotenen Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung beauftragt und die damit kraft Gesetzes zur Arzneimittelherstellung berufen sind. Daher sind Apothekeninhaber – anders als andere berufs- oder gewerbsmäßig Arzneimittel herstellende Personen – zur Arzneimittelherstellung befugt, ohne dass sie dafür der Herstellungserlaubnis bedürfen (vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG).

Das Apothekengesetz wiederum schreibt vor, dass die Arzneimittelherstellung in Apotheken durch die Apothekenbetriebsordnung geregelt wird. Diese verlangt unter anderem, dass in der Apotheke wissenschaftliche Hilfsmittel vorhanden sind, die zur Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln und Ausgangsstoffen nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln im Rahmen des Apothekenbetriebs ­notwendig sind, insbesondere das Arzneibuch (vgl. § 5 ­ApBetrO). Sie verlangt des Weiteren, dass Arzneimittel, die in der Apotheke hergestellt werden, die nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität aufweisen und nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln hergestellt und geprüft werden; enthält das Arzneibuch entsprechende Regeln, sind die Arzneimittel nach diesen Regeln herzustellen und zu prüfen (vgl. § 6 ApBetrO). Zu der erforderlichen Qualität zählen auch die Stabilität und Haltbarkeit des hergestellten Arzneimittels. Ferner verlangt die Apothekenbetriebsordnung, dass ein Apotheker die ärztliche Anforderung nach pharmazeutischen Gesichtspunkten prüft (sog. Plausibilitätsprüfung), wobei insbesondere auch die Haltbarkeit des herzustellenden Arzneimittels zu berücksichtigen ist (§ 7 Abs. 1b Satz 2 Nr. 4 ApBetrO). Auch bei der nach § 7 Abs. 1a ApBetrO zu erstellenden Herstellungs­anweisung sind Angaben zur Haltbarkeit der applikationsfertigen Lösung zu machen, wobei deren physikalisch-chemische und mikrobiologische Stabilität zu berücksichtigen und ggf. anzugeben ist, aus welcher Quelle diese abgeleitet wird (vgl. Kommentar zur Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) zur Qualitätssicherung, Aseptische Herstellung und Prüfung applikationsfertiger Parenteralia mit CMR-Eigenschaften der Kategorie 1A oder 1B, S. 8.).

Für die Herstellung von zur parenteralen Anwendung bestimmten Arzneimitteln trifft § 35 ApBetrO außerdem eine ganze Reihe von Sonderregelungen (z. B. zu den Anforderungen an das Personal und den Herstellungsraum). Gebrauchsfertige Zytostatikalösungen, die in Apotheken hergestellt werden, unterliegen somit bei der Herstellung besonderen „qualifizierten“ Anforderungen. Sie müssen die nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität aufweisen und nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln hergestellt und geprüft werden; enthält das Arzneibuch entsprechende Regeln, sind die Arzneimittel nach diesen Regeln herzustellen und zu prüfen, andernfalls kann auf andere wissenschaftliche Hilfsmittel zurückgegriffen werden.

Dabei ist eine Übertragbarkeit von in wissenschaftlichen Hilfsmitteln genannten Daten zur Haltbarkeit einer gebrauchsfertigen Lösung umso eher möglich, je ähnlicher die wissenschaftlich untersuchten Zubereitungen (z. B. hinsichtlich Primärbehältnis, Trägerlösung, Konzentration) den in der Apotheke hergestellten sind (vgl. ADKA-Leitlinie: Aseptische Herstellung und Prüfung applikationsfertiger Parenteralia, Krankenhauspharmazie 2013,34:106).

Zum Beispiel: Die Krämer-Liste

Eine solche „Quelle“, die von Apotheken, welche zur parenteralen Anwendung fertige Zytostatikalösungen herstellen, in der Regel zum Nachweis der physikalisch-chemischen Stabilität verwendet wird, ist die sogenannte „Krämer-Liste“. Dabei handelt es sich um die Ergebnisse wissenschaftlicher pharmazeutischer Untersuchungen zur Stabilität von aus pulverförmigen Fertigarzneimitteln durch Hinzugabe von Lösungsmitteln hergestellten Stammlösungen und den wiederum aus solchen Stammlösungen patientenindividuell hergestellten und damit anwendungsfertigen Infusionslösungen. Zusammengestellt und veröffentlicht wurden die entsprechenden Daten unter der Federführung von Prof. Dr. Irene Krämer, seit 1991 Leiterin der Krankenhausapotheke des Universitätsklinikums Mainz unter Mitwirkung von A. Sattler, J. Thiesen und J. Heni (vgl. Stabil-Liste, Ringbuch, 7. Auflage, Stand: März 2015). Sie sind enthalten in der Datenbank zur physikalisch-chemischen Stabilität und In-/Kompatibilität von rekonstituierten und applikationsfertigen Zytostatikalösungen. Eine weitere Quelle ist der Beitrag von Krämer „Stabilität applikationsfertiger Zytostatikazubereitungen“ (PZ Prisma. Themenband 1 „Zyto­statika“ (2000) 39 – 46). Beide Werke werden im Kommentar der oben zitierten BAK-Leitlinie zur Qualitätssicherung als anerkannte Hilfsmittel/Literatur für die Qualitätssicherung genannt.

In dieser „Krämer-Liste“ wird für die physikalisch-chemische Stabilität parenteral applizierbarer Zytostatika unter Verwendung bestimmter Lösungsmittel und Behältnismaterialien ein Zeitraum angegeben:

  • für den Wirkstoff Cyclophosphamid: 28 Tage für die Stammlösung bei einer Aufbewahrungstemperatur zwischen 2 bis 8 °C (bei Raumtemperatur dagegen nur 95 h) und 7 bzw. 28 Tage für die anwendungsfertige Infusionslösung (je nachdem, ob diese bei Raumtemperatur oder bei einer Temperatur zwischen 2 bis 8 °C aufbewahrt wird),
  • für die Wirkstoffe Docetaxel, Gemcitabin, Oxaliplatin und Carboplatin: 28 Tage sowohl für die Stammlösung als auch für die anwendungsfertige Infusionslösung (gleich, ob die Aufbewahrung bei Raumtemperatur oder bei einer Temperatur zwischen 2 und 8 °C erfolgt).

Pharmazeutischer Beurteilungsspielraum ...

Die in den wissenschaftlichen Hilfsmitteln angegebenen Daten zur Haltbarkeit einer anwendungsfertigen Zubereitung können somit abweichen von den in der Fachinformation – aus welchen Gründen auch immer – angegebenen Daten. Es ist Aufgabe des Apothekenleiters zu beurteilen, ob die in den wissenschaftlichen Hilfsmitteln genannten Daten zur physikalisch-chemischen Stabilität übertragbar sind auf die in seiner Apotheke hergestellten Zubereitungen. Ihm steht insoweit ein pharmazeutischer Beurteilungsspielraum zu.

Festzuhalten ist: Die in der Packungsbeilage zu einem Zytostatikum angegebene Dauer der Haltbarkeit nach Herstellung der gebrauchsfertigen Zubereitung ist nicht zwingend im Falle der Herstellung der gebrauchsfertigen Zubereitung durch eine Apotheke. Dem entspricht es, dass in vielen Fachinformationen zu Zytostatika mit den oben genannten Wirkstoffen die auf Stunden beschränkte Dauer der Haltbarkeit der gebrauchsfertigen Zubereitungen mit dem Zusatz versehen ist, „es sei denn, die Verdünnung wurde unter kontrollierten und validierten aseptischen Bedingungen durchgeführt“.

... aber keine Pflicht zur Angabe einer längeren Haltbarkeit

Dass die in der Fachinformation angegebene Dauer der Haltbarkeit der gebrauchsfertigen Zubereitung nicht zwingend ist, wenn diese Zubereitung in Apotheken erfolgt, bedeutet allerdings nicht, dass Apotheken verpflichtet sind, für die von ihnen hergestellten gebrauchsfertigen Zubereitungen eine längere Haltbarkeit anzugeben als in der Fachinformation vorgesehen. Denn ob die Haltbarkeit möglicherweise länger ist, ist der pharmazeutischen Beurteilung des Apothekenleiters anheimgestellt. Er entscheidet, ob die vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen die anerkannten pharmazeutischen Regeln widerspiegeln und er beurteilt, ob der in seiner Apotheke durchgeführte Herstellungsprozess jenem Herstellungsprozess entspricht, welcher den wissenschaftlichen Untersuchungen zugrunde liegt. Außerdem kommt es für die Dauer der Haltbarkeit einer gebrauchsfertigen Zubereitung nicht nur auf die Dauer von deren physikalisch-chemischer Stabilität an, sondern auf die Dauer ihrer mikrobiologischen Stabilität.

Vor diesem Hintergrund ist die vom Sozialgericht Würzburg in seinem Urteil vom 14. April 2016 (Az.: S 17 KR 260/14) vertretene Auffassung zu sehen, dass es sich bei der Fachinformation um den „einzig maßgeblichen Erkenntnisstand“ handle. Denn in dieser Entscheidung ging es um Taxbeanstandungen, die eine Krankenkasse geltend gemacht hatte, weil sie der Auffassung war, der Apotheker sei verpflichtet gewesen, ein angebrochenes Zytostatikum zur Herstellung einer weiteren gebrauchsfertigen Lösung zu verwenden, so dass der von ihm abgerechnete Verwurf nicht unvermeidbar gewesen wäre. Laut Fachinformation des fraglichen Zytostatikums (Velcade/Janssen-Cilag) ist die gebrauchsfertige Lösung unverzüglich nach der Zubereitung zu verwenden. Die chemische und physikalische Stabilität der gebrauchsfertigen Lösung sei für acht Stunden bei 25 °C in der Originaldurchstechflasche und/oder einer Spritze belegt und die gesamte Aufbewahrungsdauer für das gebrauchsfertige Arzneimittel vor der Anwendung dürfe acht Stunden nicht überschreiten. Das Sozialgericht entschied, dass es sich bei dem Anbruch des Fertigarzneimittels um eine nicht mehr weiterverarbeitungsfähige Teilmenge und damit um einen unvermeidbaren Verwurf handle. Die von der beklagten Krankenkasse genannten Studien oder Untersuchungen von Krankenhausapotheken zur Haltbarkeit bzw. Stabilität von Velcade seien nicht ausreichend, um eine von der Fachinformation abweichende Weiterverarbeitungsfähigkeit der gebrauchsfertigen Lösung zu begründen. So gehe etwa die Universitätsapotheke Tübingen von einer Haltbarkeit der Lösung von 28 Tagen bei 2 bis 8 °C aus (Krankenhauspharmazie 2013, 34:323). Scott/Charbonneau/Law nähmen dagegen in einem Artikel im Canadian Journal of Hospital Pharmacy aus dem Jahr 2014 eine Haltbarkeit von bis zu 21 Tagen bei 4 °C an. Dies verdeutliche schon, dass es keinen Konsens gebe, wie lange Velcade über die vom Hersteller angegebenen acht Stunden hinaus stabil und haltbar sei. Selbst wenn die Lösung länger haltbar sein sollte, wäre eine Anwendung nicht mehr von der Zulassung des Arzneimittels umfasst und der Hersteller übernehme hierfür keine Haftung. Die daraus resultierende Verantwortung für das Inverkehrbringen eines solchen Arzneimittels in Zeiträumen jenseits der vom Hersteller angegebenen acht Stunden könne und dürfe dem Kläger nicht übertragen werden. 

Aufbrauchfrist kein Bestandteil der Zulassung

Dass eine gebrauchsfertige Lösung, für deren Haltbarkeit die herstellende Apotheke einen längeren Zeitraum als den in der Fachinformation vermeldeten angibt, nicht mehr von der Zulassung des Arzneimittels umfasst sei, wie das Sozialgericht Würzburg befand, dürfte allerdings nicht zutreffen. Zwar muss der pharmazeutische Unternehmer Unterlagen über die Dauer der Haltbarkeit, die Art der Aufbewahrung und die Ergebnisse von Haltbarkeitsversuchen zusammen mit dem Zulassungsantrag vorlegen (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 14 AMG). Bindende Angaben kann er aber nur in Bezug auf das Verfalldatum machen. Für die sogenannten Aufbrauchfristen, die dann eingreifen, wenn das Behältnis eines (meist aseptisch oder steril zubereiteten) Arzneimittels nach Anbruch (wiederholt) geöffnet oder für den Gebrauch noch zubereitet werden muss, kann er keine Verantwortung übernehmen, weil er keinen Einfluss darauf hat, wie die Bedingungen sind, unter denen das Fertigarzneimittel nach Öffnung seines Behältnisses aufbewahrt oder die gebrauchsfertige Zubereitung hergestellt wird (vgl. Kloesel/Cyran, Kommentar zum AMG, § 11 Rdnr. 66 und § 22 Rdnr. 59).

Werden Fertigarzneimittel für die (gewerbliche) Herstellung von parenteralen Zubereitungen verwendet, obliegt es daher dem Hersteller, für Stabilitätsdaten zu sorgen und auf deren Grundlage die Aufbrauchfrist zu bestimmen. Dafür mögen die Angaben in der Fachinformation eine Hilfe sein, sie sind jedoch angesichts des Umstandes, dass dem Pharmunternehmen gerade keine Informationen zu den konkreten Herstellungsbedingungen vorliegen, nicht bindend. Sie unterscheiden noch nicht einmal danach, ob eine Herstellung des Arzneimittels durch den Arzt in seinen Praxisräumen oder ob sie in Reinräumen einer bestimmten Klasse erfolgt. |

Autorin

Dr. habil. Sabine Wesser, Rechtsanwältin, Köln, Expertin für Arzneimittel- und Apothekenrecht, Co-Autorin der im Deutschen Apotheker Verlag erschienenen Kommentare zum Apothekengesetz (Kieser/Wesser/Saalfrank) und der Apothekenbetriebsordnung (Cyran/Rotta)

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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