DAZ aktuell

Aufregung um Zyto-Verträge

Vorwürfe in der „WamS“, Kliniken wollen selber herstellen, AOK verteidigt Ausschreibungen

BERLIN/STUTTGART (bro/wes) | Für einigen medialen Wirbel sorgten in dieser Woche die Zytostatika-Ausschreibungen der AOK. Nachdem die „Welt am Sonntag“ über Vor­würfe von Onkologen und MVZs berichtet hatte, die Versorgung Krebskranker funktioniere nicht mehr, verteidigte die AOK-Bundesverbands-Versorgungsexpertin Dr. Sabine Richard die Exklusivverträge auf DAZ.online. Die Krankenhäuser spielen derweil mit dem Gedanken, die Zytostatika-Zubereitungen selbst herzustellen.

Die Kritik an den Ausschreibungen der Zytostatikaversorgung durch die AOK reißt nicht ab. Am vergangenen Wochenende fuhr die „Welt am Sonntag“ (WamS) schweres Geschütz auf: „Sparprogramm bringt Krebspatienten in Lebensgefahr“ fasst die Springer-Zeitung die Auswirkungen der neuen Exklusivverträge zusammen. Kaum seien die Änderungen in Kraft, stelle sich nun heraus, dass einige „Anbieter“ gar nicht in der Lage sind, die Versorgung zu gewährleisten. Der Grund: „Künftig sollen nur noch die billigsten Apotheker Krebsmittel mischen.“

Doch die Kritik richtet sich nicht nur an die ausschreibende AOK, auch mit den liefernden Apotheken geht der Artikel hart ins Gericht. Einige von ihnen seien „komplett überfordert“, wird der Betreiber eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) mit neun Standorten und insgesamt 21 Onkologen zitiert. Die oft nur wenige Stunden haltbaren Zubereitungen kämen regelmäßig zu spät, einmal sei das Zytostatikum „in einem zweckentfremdeten Kochsalzbeutel“ geliefert worden. In den ersten zwei Wochen sei es bei fast 100 Prozent der Patienten des MVZ zu „irgendwelchen Unregelmäßigkeiten“ gekommen.

Auch der Bundesverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO) berichtete der Zeitung von wiederholten ernsthaften Problemen, die wie eine Welle über die Praxen hereinbreche. In einer Studie habe der Onkologen-Verband die Auswirkungen der jüngsten Losvergabe untersucht – mit vernichtendem Urteil: In nur 15 Tagen sei es in den untersuchten 60 Arztpraxen „zu mehr als 60 als gravierend oder sehr gravierend eingestuften Vorfällen“ gekommen. Dabei habe es sich um „fehlende Chemotherapien, nicht lieferbare Begleitmedikationen, unbefüllte Infusionsbestecke, unbeschriftete Spritzen, falsche Packungsgrößen, Lieferverzögerungen, Kommunikationsprobleme und vieles mehr“ gehandelt, so die WamS.

AOK will an Verträgen festhalten

Die Sicht der AOK auf die Exklusivverträge ist naturgemäß eine andere. Dass der Anfang einer Ausschreibungsrunde „etwas problembehaftet“ sei und „ein paar Irritationen am Markt“ auftreten, das kenne man bereits aus Berlin, wo die Zyto-Versorgung zuerst ausgeschrieben wurde. „Die Aufregung wird sich aber wieder legen. Daran machen wir jedenfalls nicht die Bewertung unserer Zyto-Ausschreibungen fest“, sagte die Versorgungschefin des AOK-Bundesverbands Sabine Richard am Montag im Interview mit DAZ.online. Es gebe gute Argumente für die Verträge, die letztlich die Versorgung verbessern könnten und mehr Transparenz und Nähe in die Zytostatika-Versorgung brächten. Immerhin sei es eine Vorgabe, dass die bezuschlagte Apotheke innerhalb von 45 Minuten liefern könne. In der Kollektivversorgung außerhalb der Ausschreibungen sei es doch mitnichten immer die nächstgelegene Apotheke, die eine ­Praxis beliefere, so Richard. Das aber werde seltsamerweise nie hinterfragt. „Durch unsere Ausschreibungen ­haben wir die Distanz überwiegend verringert“, ist Richard überzeugt.

Dazu komme, dass die neue Apothekenbetriebsordnung – „an der die Apotheker ja selbst mitgewirkt haben“ – den Markt erheblich verändert habe. Die höheren Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen hätten dazu geführt, dass viele Apotheken ihre Zyto-Herstellung aufgegeben haben. Auch ohne Ausschreibungen habe es deswegen schon Konzentrationstendenzen im Bereich der Zyto-Apotheken gegeben.

Krankenhäuser wollen nicht beliefert werden

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fordert eine Abkehr von den Zyto-Verträgen. „Schluss mit Rabatt und billig bei den Krebsarzneimitteln“ fordert die DKG in einer Pressemitteilung. Die Krankenhäuser machen sich insbesondere über die Versorgung ambulanter Patienten in Kliniken Sorgen. Diese dürfe nicht „ausgehebelt“ werden. Die DKG fordert deshalb, dass die Zytostatika weiterhin von den Kliniken selbst hergestellt werden können.

Die Krankenhäuser stören sich insbesondere an der Versorgung durch größere Herstellerbetriebe. Diese führe vielfach zu Qualitätseinbußen, „da aufgrund langer Transportzeiten und -wege die patientenindividuell zubereiteten Zytostatika nicht mehr kurzfristig und in der gewohnten Qualität zur Verfügung stehen könnten“.

Stattdessen sollen die Krankenhäuser die von ihnen verwendeten Zytostatika-Zubereitungen weiterhin in ihren Apotheken herstellen dürfen. „Da wo Krankenhausapotheken ihren Beitrag zur Versorgung leisten können, müssen sie dies auch tun können“, fordert DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Ein erster notwendiger Schritt sei es, die Zyto-Ausschreibungen zu streichen. Zusätzlich müsse die Krankenhausapotheke zu einem festen, regelhaften Vertragspartner für die Krankenkassen werden – „und das zu wirtschaftlich akzeptablen Rahmenbedingungen“, so Baum.

Zyto-Apotheker: Selektiv­verträge streichen

Der Verband der Zytostatika-herstellenden Apotheker VZA hat am Dienstag erneut die Abschaffung der Zyto­statika-Selektivverträge auf Apo­theken­ebene gefordert. „Die Zytostatikaversorgung ist eindeutig nicht dafür geeignet, sie dem Ausschreibungsregime der Krankenkassen zu unterstellen“, nimmt der VZA zum Referentenentwurf des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes (AM-VSG) Stellung.

Die Ausschreibungsmodelle zerstörten die wohnortnahe Versorgung der Patienten, die zur Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung aus Qualitätsgesichtspunkten und zur Vorbeugung einer Ressourcenverschwendung gerade gestärkt werden sollten, so der VZA in einer Pressemitteilung. Hinzu komme, „dass Ausschreibungen die Patientenautonomie verkennen. Auch krebskranke Patienten dürfen nach der Gesetzeslage entscheiden, wer sie behandelt und mit Arzneimitteln versorgt“, so der Verband.

Statt Exklusivverträgen sollten die kollektivvertraglichen Regelungen in der Hilfstaxe gestärkt werden, schlägt der VZA vor. Diese hätten in den vergangenen Jahren schon zu erheblichen Einsparungen für alle Krankenkassen geführt. Andererseits blieben dabei aber die bewährten Strukturen der Versorgung erhalten.

Um weiter und kontinuierlich Ein­sparungen für die Versicherten aller Krankenkassen zu erzielen, fordert der VZA eine regelmäßige Überprüfung der in der Hilfstaxe vereinbarten Preise. Außerdem sollen die Auskunftsansprüche in § 129 Abs. 5c SGB V gestärkt werden, damit gewichtete Durchschnittspreise ermittelt werden können. Konkret fordert der VZA, die Preise in der Hilfstaxe künftig als feste Preise (beispielsweise in mg) zu vereinbaren sowie diese mindestens einmal jährlich zu überprüfen und an die geänderte Markt­lage anzupassen. |

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