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Beratung

Kopfläuse im Anmarsch

Infektionsepidemiologie, Diagnose und Therapie der Pediculosis capitis

Die Pediculosis capitis ist die häufigste Parasitose im Kindesalter und nach den Erkältungskrankheiten die zweithäufigste ansteckende Erkrankung [25]. Die durch Kopflausbefall verursachten Kosten sind erheblich. So werden in Deutschland schätzungsweise jährlich etwa 28 Millionen Euro für Therapeutika ausgegeben. Wenn Eltern dem Arbeitsplatz fernbleiben, weil ihre Kinder vorübergehend aus einer Einrichtung ausgeschlossen sind oder weil sie sie aus Angst vor Ansteckung zu Hause behalten, entstehen ebenfalls Kosten [38, 39]. Dazu kommen noch Ausgaben für sinnlose Hygienemaßnahmen, die viele falsch informierte Mütter bis zum Exzess durchführen [39]. Schließlich entstehen dem öffentlichen Gesundheitswesen nicht unerhebliche Kosten durch Maßnahmen, die das Infektions­schutzgesetz vorschreibt. | Von Hermann Feldmeier

Verbreitung und Vermehrung

Kopfläuse (Pediculus humanus capitis) sind blutsaugende, flügellose Insekten (Abb. 1 und 2). Sie können weder fliegen noch springen und haben sich im Verlauf von mehreren Hunderttausend Jahren Koevolution zwischen Wirt und Parasit perfekt an die Kopfhaut und das Haar des Menschen angepasst. Es gibt kein Tierreservoir, der Mensch ist der einzige Wirt. Adulte Läuse leben circa drei Wochen. Jedes Weibchen produziert in dieser Zeit bis zu 300 Eier. Von der Anheftung eines Eies an ein Haar bis zur Präsenz einer fortpflanzungsfähigen Laus vergehen minimal 17 und maximal 21 Tage.

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Abb. 1: Junge Kopflaus (Nymphe, etwa 1,5 mm lang). Der Darm ist mit Blut gefüllt. Videodermatoskopisches Bild.
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Abb. 2: Adulte Kopflaus, etwa 3 mm lang. An der Längs­seite sind fünf runde Atemöffnungen (Stigmen) ersichtlich. Rasterelektronenmikroskopisches Bild.

Im Gegensatz zu anderen Insekten machen Läuse nur eine inkomplette Metamorphose durch, es gibt also kein Larven- und kein Puppenstadium. Die aus dem Ei schlüpfende ­Nymphe sieht wie eine erwachsene Laus aus, ist nur deutlich kleiner. 99 Prozent der Nymphen schlüpfen innerhalb von sieben bis neun Tagen nach Anheftung des Eies an ein Haar, weniger als 0,1 Prozent erst nach zehn Tagen. Pedikulozide, die nicht auf Eier wirken, müssen deshalb nach acht bis neun Tagen ein zweites Mal angewandt werden, um die nachfolgende Generation von Nymphen abzutöten.

Nach dem Schlüpfen der Nymphen bleiben die leeren, weißlich erscheinenden Eihüllen (Nissen) am Haar kleben (Abb. 3 und 4). Sie entfernen sich mit dem wachsenden Haar peu à peu vom Haaransatz. Nissen sind nicht infektiös und brauchen deshalb nicht beseitigt werden. Sie stören allerdings unter ästhetischen Gesichtspunkten und führen möglicherweise zu einer Stigmatisierung des betroffenen Kindes.

Kopfläuse benötigen alle zwei bis drei Stunden Blut [31]. Sie können außerhalb des menschlichen Kopfes nur kurze Zeit überleben. Fallen sie vom Kopf, sind sie bereits nach wenigen Stunden so dehydriert, dass sie keinen Speichel mehr produzieren können, den sie benötigen, um Blut zu saugen; sie sind dann nicht mehr infektiös [31, 43].

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Abb. 3: Kopflaus-Eier, etwa 0,8 mm lang. Die drei bräun­lichen Eier (Mitte oben bis rechts unten) enthalten Laus­embryonen. Unten links drei leere Eihüllen (Nissen). Videodermatoskopisches Bild.
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Abb. 4: Leere Eihülle (Nisse). Videodermatoskopisches Bild.

Läuse besitzen ein simpel aufgebautes Atemwegssystem: Sie haben an jeder Längsseite sieben Atemöffnungen (Durchmesser etwa 10 μm; Abb. 2), die in winzige Luftröhren (Tracheen) übergehen. Über die Tracheen werden die Organe der Laus mit Sauerstoff versorgt und überschüssige Flüssigkeit in Form von Wasserdampf abgegeben. Das Tracheensystem ist eine Achillesferse des Parasiten.

Übertragung von Erregern

Auch in Fachkreisen ist weitgehend unbekannt, dass Kopf­läuse potenzielle Überträger von hochpathogenen Bakterien sind (sie agieren also als Vektoren). Dazu gehören Rickettsia prowazekii (Erreger des klassischen Fleckfiebers), Borrelia recurrentis (Erreger des Läuserückfallfiebers) und Bartonella quintana (Erreger des Fünf-Tage-Fiebers) [13, 23]. Diese Bakterienspezies existieren in Mitteleuropa nicht bzw. sind sehr selten, kommen in Entwicklungsländern aber in unterschiedlicher Häufigkeit vor. B. quintana ist auch in den USA verbreitet. Zwischen Januar und November 2015 erkrankten 28 Flüchtlinge aus Somalia, Äthiopien und Eritrea nach ihrer Ankunft in Europa am Läuserückfallfieber. Davon wurden 15 Fälle bei in Bayern angekommenen Flüchtlingen registriert [3].

Staphylokokken und Streptokokken werden durch Kopfläuse passiv über die Kopfhaut verschleppt, z. B. nach Kontakt mit einer Eiterpustel, die infolge einer Kratzexkoria­tion entstanden ist [15].

Ansteckung

Die Übertragung erfolgt durch direkten Haar-zu-Haar-Kontakt. Liegen Haare von zwei Personen aneinander, können Kopfläuse rasch von dem einen Kopf auf den anderen wandern. Systematische Untersuchungen in Australien haben gezeigt, dass gemeinsam benutzte Kopfbedeckungen und Bettwäsche für die Übertragung von Kopfläusen keine Rolle spielen [42]. Selbst bei schwer infestierten Kindern mit mehr als hundert Kopfläusen ließ sich nach dem Verlassen des Bettes nur in Einzelfällen eine Kopflaus auf dem Kopfkissen nachweisen [43]. Unter infektionsepidemiologischen Gesichtspunkten sind Kopfbedeckungen und textile Oberflächen daher ohne Bedeutung [11]. Die von vielen Müttern bis zum Exzess betriebenen Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen sind also überflüssig. Sie verstärken nur die negativen Emotionen, die nach wie vor mit Kopflausbefall assoziiert sind.

Personen sind ansteckungsfähig, sobald sie mobile Läuse auf ihrem Kopf haben. Da bei einem Erstbefall das Leitsymptom Juckreiz erst mit einer Latenz von vier bis sechs Wochen auftritt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Patient die Parasiten bereits auf andere Personen übertragen hat, bevor er sie an sich selbst entdeckt hat [14].

Sofort nach der Behandlung mit einem wirksamen Medikament besteht keine Ansteckungsgefahr mehr, und die Kinder können die Gemeinschaftseinrichtung wieder besuchen. Ein ärztliches Attest ist nicht erforderlich.

Krankheitszeichen

Um Blut aus den Kapillaren der Haut zu saugen, injizieren Läuse Speichel mit Antikoagulanzien in die Kopfhaut. Bislang nicht identifizierte Komponenten des Speichels induzieren eine allergische Reaktion [15]. Klinisch manifestiert sich die Immunreaktion in Form von erythematösen Papeln und Quaddeln, die intensiv jucken, insbesondere in der Nacht. Das durch den Juckreiz bedingte Kratzen der Haut verursacht Kratzexkoriationen, auf denen sich Krusten bilden. Länger bestehende Kratzdefekte werden bakteriell besiedelt und führen zu regionalen Lymphadenopathien [14]. Starker Juckreiz in der Nacht stört den Schlaf: Die Kinder sind am nächsten Tag unkonzentriert und „schlecht drauf“.

Diagnose

Krankheitszeichen entwickeln sich nur bei 14 bis 36 Prozent aller Personen mit Kopflausbefall [25]. Eine symptombasierte Diagnose ist deshalb nicht sinnvoll.

In Mitteleuropa haben befallene Kinder meist weniger als zehn Kopfläuse [25]. Je weniger Kopfläuse auf einem Kopf sind, desto schwieriger ist der Nachweis [25]. Einzig die Methode des feuchten Auskämmens hat ein hohe Empfindlichkeit [26]. Haare und Kopfhaut zu betrachten – selbst unter Zuhilfenahme einer Lupe – reicht nicht aus, um mit Sicherheit eine Pediculosis capitis auszuschließen.

Eltern, Erzieher und Lehrer sind in der Regel überfordert, eine korrekte Diagnose zu stellen: Entweder erkennen sie Nymphen, adulte Läuse oder embryonierte Eier nicht als solche und übersehen eine aktive Infestation, oder sie verwechseln ausgekämmte Artefakte mit Läusen und stellen eine falsch-positive Diagnose [34, 36].

Infektionsepidemiologie

In allen Kulturkreisen sind Mädchen deutlich häufiger betroffen als Jungen. Das Verhältnis Mädchen zu Jungen schwankt von 20 : 1 (Kolumbien) bis 2 : 1 (Mitteleuropa) [14]. Die überproportionale Häufigkeit der Pediculosis capitis bei Mädchen wird durch längere Haare und geschlechtsspezifisches Verhalten mit häufigeren und längeren Haar-zu-Haar-Kontakten erklärt. Die besonders bei weiblichen Teenagern beliebte Praxis von Selfies wird zu einer Zunahme der Pediculosis capitis in dieser Altersgruppe führen.

In Europa tritt die Pediculosis capitis in sogenannten spatio-temporalen Clustern auf, also in räumlich und zeitlich begrenzte Epidemien [14, 40]. Typisch sind Kleinepidemien in einer Familie, im Kindergarten oder in einer Schulklasse. In einer Familie sind nahezu immer mehrere, manchmal alle Kinder und auch die Erwachsenen infestiert [6]. In Ländern des globalen Südens ist die Parasitose endemisch, dort können bis zu 40 Prozent aller Kinder betroffen sein.

Auch wenn die Prävalenz in der gesamten Bevölkerung niedrig ist, ist die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen pro 10.000 Kinder, die sogenannte Inzidenz, hoch. In Norwegen beispielsweise gab es in 36,4 Prozent der Haushalte innerhalb der letzten drei Jahre vor einer bevölkerungsbasierten Querschnittsuntersuchung einen Fall von Pediculosis capitis, während die – in der Querschnittsstudie bestimmte – Prävalenz nur 1,6 Prozent betrug [40]. In einer anderen Studie betrug die Häufigkeit in der Kinderpopulation 1,7 Prozent; gleichwohl hatten sechs Prozent der Kinder in den vorausgehenden drei bis sechs Monaten und 50 Prozent vor dem zwölften Lebensjahr bereits einmal Kopfläuse gehabt [6]. Diese Zahlen spiegeln die hohe Inzidenz von Kopflausbefall wider.

Beobachtungen in Großbritannien, Norwegen und Deutschland deuten darauf hin, dass Epidemien in Einrichtungen dann persistieren bzw. immer wieder aufflammen, wenn unerkannte symptomlose Träger von Kopfläusen in der Familie, im Freundeskreis oder in der Einrichtung vorhanden sind, die die bereits behandelten Kinder erneut anstecken [7, 31]. Diese Beobachtungen werden durch Computersimulationen untermauert [30]. Alternativ werden Kopfläuse durch Besucher oder Gäste mit einer unbehandelten Pediculosis capitis erneut in die Einrichtung bzw. Familie eingeschleppt [7].

Therapie

Bis auf wenige Ausnahmen ist die Datenlage zur Wirksamkeit von Pedikuloziden nicht ausreichend [16]. Häufig ist weder das postulierte Wirkprinzip durch adäquate In-vitro-Studien nachgewiesen, noch wurden randomisierte, kontrollierte und verblindete Studien durchgeführt – und falls doch, wurden die Ergebnisse nicht in internationalen begutachteten Fachzeitschriften publiziert [15, 18].

Vom Einsatz neurotoxisch wirksamer Pedikulozide auf der Basis von Pyrethroiden und Organophosphaten wird abgeraten [16]. Der massenhafte Einsatz dieser Substanzen hat weltweit zur Entwicklung resistenter Parasitenpopulationen geführt [5, 12, 24, 27, 28]. In Großbritannien beispielsweise sank die Wirksamkeit von Permethrin von 97 Prozent in den 1990er-Jahren auf 13 Prozent in 2013 [16]. Gegen den Einsatz von neurotoxisch wirkenden Pedikuloziden sprechen noch weitere Argumente:

  • Pyrethroide werden über die Haut resorbiert [45]. Dies wird unter toxikologischen Gesichtspunkten als bedenklich betrachtet [41].
  • Pyrethrum und Pyrethroide können eine Allergie aus­lösen bzw. eine existierende Allergie auf Chrysanthemen verstärken [2].
  • Werden die Produkte akzidentell über den Mund auf­genommen, sind neurologische Komplikationen wie ­Paralyse und Polyneuropathie möglich [2].
  • Sie erhöhen möglicherweise das Erkrankungsrisiko für Leukämie [33].

Pflanzliche Präparate

Für die meisten pflanzlichen Kopflausmittel gibt es keine adäquaten Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit. Von insgesamt acht in Australien und Brasilien zugelassenen pflanzlichen Pedikuloziden, die in In-vitro-Studien getestet wurden, zeigte nur eines eine akzeptable Wirkung gegen Kopfläuse [4, 19]. Vom deutschen Markt seien zwei Produkte genannt (Tab. 1):

  • Licener®, ein Shampoo auf der Basis eines Neemsamen­extrakts (Azadirachta indica), zeigte in In-vitro-Studien eine gute adultizide und ovizide Wirkung [1, 20, 32]. Bisher fehlt jedoch der Wirksamkeitsbeleg durch eine randomisierte, kontrollierte und verblindete Studie.
  • Paranix® ist ein Kombinationsprodukt aus Kokosöl, Anisöl und Ylang-Ylang-Öl. Die Wirksamkeit wurde in einer klinischen Studie belegt.

Tab. 1: Pedikulozide auf pflanzlicher Basis mit publizierten Daten zum Wirkprinzip bzw. zur Wirksamkeit (RCT = randomisierte kontrollierte verblindete Studie).
Produkt
Inhaltsstoffe
Wirkprinzip nachgewiesen?
Wirksamkeit nachgewiesen gegen
adulte Läuse?
Eier?
Licener®
Neem-Extrakt, Hilfsstoffe
ja: in vitro
ja: in vitro
ja: in vitro
Paranix®
Kokosnussöl, Anisöl, Ylang-Ylang-Öl, Isopropanol
nein
ja: in vitro und durch RCT
nein

Dimeticon-haltige Präparate

Eine neue Generation von Pedikuloziden enthält Dimeticone und wirkt rein physikalisch [17, 18]. Dimeticone mit adäquaten physiko-chemischen Eigenschaften überziehen in kurzer Zeit mikroskopisch feine Oberflächen. Sie breiten sich über den Chitinkörper der Laus aus, dringen in das Tracheensystem ein und verdrängen dort den Sauerstoff, den der Parasit zum Atmen benötigt (Abb. 5) [8, 37]. Der rasche Wirkungseintritt und das physikalische Wirkprinzip der Dimeticone machen die Entwicklung resistenter Parasitenpopulationen extrem unwahrscheinlich [17]. Dimeticone sind biochemisch inert und werden nach oraler Aufnahme oder Applikation auf der Haut nicht resorbiert. Sie gelten als sicher untoxisch [35].

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Abb. 5: Ein Zwei-Komponenten-Dimeticon (hier blau angefärbt) hat in weniger als einer Minute die Atemwege einer Kopflaus voll ausgefüllt [37].


Die derzeit in Deutschland auf dem Markt befindlichen Dimeticon-haltigen Pedikulozide sind in der Tabelle 2 zusammengefasst. Alle Produkte sind als Medizinprodukte zugelassen. Sie enthalten verschiedene Dimeticone einzeln oder in Kombination, die sich in der Kettenlänge und in den physiko-­chemischen Eigenschaften wie Viskosität und Benetzbarkeit unterscheiden. Weitere Unterschiede betreffen die Konzentration der Dimeticone, den Zusatz von Lösungsmitteln bzw. mineralischen Ölen sowie die Beimischung von z. B. Pflanzenölen, die ihrerseits eine pedikulozide Wirkung haben können.

Tab. 2: Pedikulozide auf Dimeticon- oder Mineralöl-Basis mit lege artis durchgeführten Studien und publizierten Daten zum Wirkprinzip bzw. zur Wirksamkeit (RCT = randomisierte kontrollierte verblindete Studie).
Produkt
Inhaltsstoffe
Wirkprinzip nachgewiesen?
Wirksamkeit nachgewiesen gegen
adulte Läuse?
Eier?
mosquito® med Läuse-Shampoo 10
Mineralöl, Aufschäumungs­bestandteil, Parfüm
ja: in vitro
ja: durch RCT
nein
mosquito® dimed Läuse Haar-Fluid
Dimeticon, Mineralöl
nein
nein
nein
Linicin®
Dimeticone, Vitamin E, Mandel- und Aprikosenkernöl
nein
nein
nein
Dimet 20®
Dimeticon, Dodecanol, Isopropanol
nein
nein
nein
Jacutin® Pedicul Fluid
Dimeticon
ja: in vitro
nein
ja: in vitro
EtoPril® / Hedrin®
Dimeticon, Cyclomethicon
ja: in vitro
ja: in vitro und durch RCT
unwirksam
Nyda®
zwei Dimeticone mit unterschiedlicher Viskosität
ja: in vitro
ja: in vitro und durch RCT
ja: in vitro

Nur für die Produkte Nyda® und EtoPril/Hedrin® liegen publizierte Daten von lege artis durchgeführten Studien (randomisiert, kontrolliert, verblindet) vor. Nyda® zeigte eine klinische Wirksamkeit von 97%, bei EtoPril® schwankte die Wirksamkeit zwischen 70% und 92% in Abhängigkeit vom Studienort [9, 10, 21, 29]. Für Nyda® ist in In-vitro-­Studien eine hohe ovizide Wirkung belegt: 98% auf reife Eier und 100% auf junge Eier [22, 44]. EtoPril®/Hedrin® hat da­gegen keine Wirkung auf Eier.

Die Studien belegen, dass Dimeticon-haltige Produkte nicht per se eine hohe Wirksamkeit auf Läuse und Eier haben, ­sondern dass es auf die physiko-chemischen Eigenschaften des jeweiligen Dimeticons bzw. der Dimeticonkombination ankommt.

Dimeticone, die sowohl eine hohe Wirkung gegen adulte Läuse als auch auf Eier haben, brauchen theoretisch nur einmal angewandt zu werden. Gleichwohl empfehlen die Hersteller (basierend auf den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts) eine zweite Anwendung nach acht bis zehn Tagen.

Unter infektionsepidemiologischen Gesichtspunkten ist es sinnvoll, Kontaktpersonen des Patienten – in der Familie, im Spielkreis, im Kindergarten usw. – ebenfalls mit einem adultizid und ovizid wirkenden Dimeticon zu behandeln. Die Behandlung muss synchron, also am gleichen Tag erfolgen. Wird dieses Prinzip konsequent durchgeführt, wird es langfristig zur Eliminierung der Parasiten aus der Kinder­population kommen.

GKV-Erstattung?

Laut Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses werden einige Dimeticon-haltige Medizinprodukte (Dimet® 20, EtoPril®,Nyda®) zur Behandlung einer Pediculosis capitis bei Kindern bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr (und bei Kindern mit Entwicklungsstörungen bis zum 18. Lebensjahr) durch die gesetzliche Krankenversicherung erstattet. Auch eine Kombination aus Anisöl, Kokosöl und Ylang-Ylang-Blütenöl (Paranix® ohne Nissenkamm) steht in der Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte (Anlage V der Arzneimittel-Richtlinie, Stand 26. Juli 2016) Das Apothekenteam kann also im Bedarfsfall einem Patienten empfehlen, ein Kassenrezept beizubringen, um die Behandlungskosten für die betroffene Familie zu senken. |

Literatur

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Autor

Prof. Dr. med. Hermann Feldmeier

Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Charité Universitätsmedizin Berlin

Zu diesem Beitrag wurde in DAZ 2016, Nr. 36, S. 80 der nachfolgende Leserbrief mit der Antwort des Autors veröffentlicht:


Kopfläuse: Dimet® 20 in klinischer Studie


Sehr geehrter Herr Prof. Feldmeier,
als ein führender Experte bei Pediculosis capitis veröffentlichen Sie regelmäßig Beiträge zur Diagnostik und Therapie bei Kopflausbefall. Als spezialisiertes Unternehmen der Kinderheilkunde verfolgen wir natürlich Ihre Veröffentlichungen mit Interesse und können Ihre Bewertung unseres Kopflausmittels Dimet® 20 in Ihrem neuesten Artikel „Kopfläuse im Anmarsch“ wissenschaftlich in keiner Weise nachvollziehen.
Laut Ihres Artikels liegen zu Dimet® 20 keine Daten von lege artis durchgeführten Studien vor. Lege ­artis definieren Sie mit randomisiert, kontrolliert und verblindet. Dieser Aussage müssen wir widersprechen. Wie Sie zu Recht erwähnen, ist Dimet® 20 erstattungsfähig bis zwölf Jahre. Dies setzt unabdingbar voraus, dass eine Studie nach den wissenschaftlichen Regeln und Grundsätzen der wissenschaftlichen Forschung durchgeführt und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgelegt wurde,  die nach „ihrer Methodik internationalen Standards entspricht“ und eine positive Nutzenbewertung nach Auswertung des „relevanten wissenschaftlichen Erkenntnismaterials“ erfolgte [1]. Nichtsdestotrotz sprechen Sie unserem Präparat eine nachgewiesene Wirksamkeit ab.
Die vom G-BA akzeptierte und über die G-BA-Homepage öffentlich zugängliche Studie [2] wird von Ihnen nicht berücksichtigt. Dabei handelt es sich um eine randomisierte, Untersucher-verblindete In-vivo-Studie zwischen einem von Ihnen als wirksam eingestuften Referenzprodukt und Dimet® 20. Die Anwendung beider Präparate erfolgte entsprechend dem empfohlenen Schema des Robert Koch-Instituts, wobei die vom jeweiligen Hersteller genannte Einwirkzeit beachtet wurde. Dimet® 20, das Produkt mit in Ihren Augen fehlendem Wirksamkeitsbeleg, konnte zum Studienende bei 100% der Patienten Lausfreiheit erreichen, während das Referenzprodukt, das von Ihnen als nachgewiesen wirksam eingestuft wird, nur bei 92,3% wirksam war. Das Ergebnis für Dimet® 20 konnte, anders als in allen anderen In-vivo-Untersuchungen mit Dimeticon-haltigen Produkten, bereits nach 20 Minuten Einwirkzeit erreicht werden. Die von Ihnen aufgeführten In-vivo-Untersuchungen für Nyda® und EtoPril® erfordern eine achtstündige Einwirkdauer [3, 4, 5]. Es ist für uns nicht ersichtlich, warum die vorliegenden öffentlich zugänglichen wissenschaftlichen Studiendaten zu Dimet® 20 nicht in Ihrer Publikation berücksichtigt wurden und so ein sachlich und wissenschaftlich falscher Eindruck vermittelt wird. Wir können nur vermuten, dass handwerkliche Fehler, insbesondere eine mangelnde Literaturrecherche, den Ausschlag ­gaben.
Die Tabelle fasst die korrekten Daten zu Dimet® 20 und der von Ihnen zitierten erstattungsfähigen Dimeticonpräparate und Daten zusammen.       

Produkt
Inhaltsstoffe
erstattungsfähig bis zwölf Jahre
Einwirkzeit
Wirksamkeit nachgewiesen gegen
adulte Läuse?
Eier?
Dimet® 20[2, 6]
Dimeticon, Dodecanol
ja
20 Minuten
ja: in vitro und RCT
ja: in vitro
Nyda® [3]
Dimeticone
ja
8 Stunden
ja: in vitro und RCT
ja: in vitro
EtoPril® / ­Hedrin® (4, 5)
Dimeticon, Cyclomethicon
ja
8 Stunden
ja: in vitro und RCT
unwirksam

RCT = randomisierte kontrollierte verblindete Studie


Dimeticon-Präparate unterscheiden sich in ihrer Einwirkdauer, einer oviziden Wirkung und in ihren physikalischen Parametern wie der Brennbarkeit, aber nicht – wie Sie richtigerweise im Abschnitt „Dimeticon-haltige Präparate“ ausführen – in ihrem Wirkmechanismus auf die Läuse. Die Studie zu Dimet® 20 erfüllte die strengen Maßstäbe des G-BA, erzielte in einem Vergleich zu einem von Ihnen als wirksam anerkannten Präparat sehr gute Ergebnisse und liefert bei einer objektiven Beurteilung eindeutige Wirksamkeitsbelege. Zusammenfassend möchten wir daher anmerken, dass mit Dimet® 20 ein geeignetes Präparat zur Behandlung des Kopflausbefalls zur Verfügung steht, dessen Wirksamkeit nachgewiesen ist und deshalb von den Krankenkassen erstattet wird.

Dr. Markus Rudolph, Geschaftsführer Pädia GmbH

Literatur
[1]    Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses, in der Fassung vom 18. Dez. 2008.
[2]    https://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1175/
[3]    Heukelbach J, et al. A highly efficacious
pediculicide based on dimeticone: Randomized observer blinded comparative trial. BMC lnfect Dis 2008;8:115
[4]    Burgess IF, et al. Randomised, Controlled, Assessor Blind Trial Comparing 4% Dimeticone Lotfon with 0,5% Malathion Liquid for Head Louse lnfestation. PLoS ONE 2007:e1127
[5]    Burgess IF, et al. Treatment of head louse infestation with 4% dimeticone Iotion: randomised controlled equivalence trial. Br Med J 2005;330: 1426-26; d) Kurt 0, et al. Treatment of head lice with dimeticone 4% Iotion: comparison oftwo formulations in a randomised controlled trial in rural Turkey. BMC Public Health 2009;9:441
[6]    http://www.ipqr.de/dimet20-2


Antwort des Autors


Herr Dr. Rudolph bemängelt, dass die Wirksamkeit des Dimeticon-haltigen Produkts Dimet® 20 nicht richtig beurteilt würde.

1. Nach international anerkannten Prinzipien gelten die Ergebnisse einer klinischen Studie erst dann als evidenzbasiert und zitierfähig, wenn die Studie in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Vor einer Veröffentlichung lässt der Herausgeber der Fachzeitschrift das eingereichte Manuskript durch Gutachter prüfen. Das Prinzip Begutachtung vor Veröffentlichung wird aus gutem Grund weltweit eingesetzt, denn nur so ist gewährleistet, dass nur Daten von lege artis durchgeführten Studien veröffentlicht werden, und die betreffende therapeutische Maßnahme als evidenzbasiert zitiert werden kann.
Der große Anteil von Gutachtern abgelehnter Manuskript-Einreichungen zeigt, dass die Autoren von klinischen Studien häufig falsche Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der von ihnen untersuchten Therapie ziehen, insbesondere wenn die Studie vom Hersteller selbst durchgeführt wurde, wie es bei der von Dr. Rudolph genannten Untersuchung über die Wirksamkeit von Dimet® 20 der Fall war.
Aus den o. g. Gründen ist in der Tabelle 2 (des Beitrags in DAZ Nr. 33) mit dem Titel „Pedikulozide auf Dimeticon- oder Mineralöl-Basis mit lege artis durchgeführten Studien und publizierten Daten zum Wirkprinzip bzw. zur Wirksamkeit“ die vorhandene Evidenz für jedes einzelne Produkt dokumentiert. Da die Studie zu Dimet® 20 nicht publiziert, sondern nur auf der Internetseite des Herstellers nachlesbar ist, steht deshalb in der Spalte vier mit Recht „Nein“. Aus dem gleichen Grund wird die Studie zu Dimet® 20 auch nicht in aktuellen systematischen Übersichtsartikeln in führenden Fachzeitschriften gelistet [1, 2].

2. Ein Charakteristikum von Therapiestudien bei der Pediculosis capitis ist, dass die Methode, die zur Bestimmung des Therapieerfolgs eingesetzt wird, nämlich das nasse Auskämmen des Haares mit einem Läusekamm, gleichzeitig eine therapeutische Wirkung hat [3]. Das bedeutet, je häufiger nach der Anwendung eines Pedikulozids das Haar ausgekämmt wird, desto wahrscheinlicher ist, dass am Ende einer Studie keine Laus mehr auf dem Kopf zu finden ist.
In dem Studienprotokoll zu Dimet® 20 heißt es auf Seite 17 – 18: „Die Patienten erhielten zusätzlich noch einen Nissenkamm, der nach Gebrauchsinformation von Dimet® 20 anzuwenden war“. In der Gebrauchsinformation wird die Anwendung wie folgt präzisiert: „Nasses Auskämmen am Tag 1, 5, 9 und 13. Am 17. Tag eventuell nochmals eine Kontrolle durch nasses Auskämmen durchführen.“ Daraus resultiert, dass bei den Patienten in der Dimet® 20-Gruppe mindestens vier Mal, möglicherweise sogar fünf Mal Läuse mit einem Nissenkamm entfernt wurden, in der Kontrollgruppe jedoch nicht ein einziges Mal. Es ist offensichtlich, dass die Wirksamkeit von Dimet® 20 bei einem derartigen Studiendesign nicht beurteilt werden kann, weil unbekannt ist, welchen Anteil das nasse Auskämmen und welchen Anteil das Dimeticon-Produkt an der „Heilungsrate von 100%“ hatte. Die Autoren der Studie waren sich der Problematik offensichtlich bewusst, denn sie schreiben auf Seite 17: „Gemäß Herstellerangaben ist EtoPril® ohne Anwendung eines Nissenkamms wirksam.“
Die von Dr. Rudolph genannte Studie ist somit ein Musterbeispiel dafür, wie durch gezielte Eingriffe in das Studiendesign zwangsweise eine hohe Wirksamkeit in der Verumgruppe „berechnet“ werden kann. Man kann nur vermuten, dass den Autoren der Studie der systematische Fehler im Studiendesign bekannt war und deshalb auf eine Publikation der Daten verzichtet wurde.

3. Die von Dr. Rudolph gemachte Aussage „Dimeticon-Produkte unterscheiden sich nicht in ihrem Wirkmechanismus“ ist falsch und steht auch nicht in meinem Artikel. Im Gegenteil, die bisher publizierten Daten zeigen unterschiedliche Wirkmechanismen. Während für Nyda® nachgewiesen wurde, dass ein akuter Sauerstoffmangel lebenswichtiger Organe innerhalb von Minuten zum Tod von adulten Läusen führt [4], ist für EtoPril® belegt, dass eine Störung des Wasserhaushalts mit nachfolgendem osmotischem Stress zeitverzögert um mehrere Stunden zum Tod der Parasiten führt [5]. Dementsprechend steht auch in Spalte drei der Tabelle 2 (des Beitrags in DAZ Nr. 33) für Dimet® 20 „Nein“. Richtig ist dagegen, dass das Wirkprinzip von Dimeticonen identisch ist. Dimeticone wirken rein physikalisch im Gegensatz zu klassischen Pedikuloziden, die pharmakologische Wirkprinzipien haben.

Hermann Feldmeier, M.D., Ph.D., Professor of Tropical Medicine, Charité University Medicine Berlin

Referenzen
[1]    Burgess IF. Head lice. Clinical Evidence (Online). 2015;01:1703.
[2]    Feldmeier H. Treatment of pediculosis capitis: a critical appraisal of the current literature. Am J Clin Dermatol. 2014;15:401-12.
[3]    Dawes M. Wet combing compared with pediculicides for head lice: single blind randomised study. Student BMJ. 2005;13:338-9.
[4]    Richling I, Böckeler W. Lethal effects of treatment with a special dimeticone formula on head lice and house crickets (Orthoptera, Ensifera: Acheta domestica and Anoplura, Phthiraptera: Pediculus humanus). Arzneim-Forsch/Drug Res. 2008;58:248-54.
[5]    Burgess IF. The mode of action of dimeticone 4% lotion against head lice, Pediculus capitis. BMC Pharmacol. 2009;9(3):doi:10.1186/471-2210-9-3.

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