Arzneimittel und Therapie

Infektionen verursachen jede sechste Krebserkrankung

Menschen in Entwicklungsländern sind besonders betroffen

Seit Jahren ist bekannt, dass einige Bakterien, Viren oder Parasiten als Krankheitserreger das Tumorwachstum begünstigen können. Daher sollte die effektive Behandlung dieser Infektion in gleichem Maße die Mortalitätsrate reduzieren wie eine Chemotherapie. Dies gilt insbesondere für Länder mit geringem Entwicklungsstand, wie eine neue Studie nun zeigt.

Eine Infektion mit bestimmten pathogenen Mikroorganismen kann das persönliche Risiko für Krebserkrankungen steigern. Die Ursachen dafür können vielfältig sein. So sind einige Viren dazu befähigt, das Wachstum befallener Zellen durch Veränderung des Genoms zu beeinflussen und eine unkontrollierte Proliferation zu induzieren. Letztlich kann auch das Immunsystem supprimiert werden, wodurch der Schutz vor unkontrolliertem Zellwachstum durch Apoptose entfällt.

Andere Infektionen verursachen hingegen eine chronische Entzündungsreaktion, die das betroffene und umliegende Gewebe schädigt und nachhaltig verändert, wodurch ebenfalls das Tumorwachstum begünstigt werden kann. Eine chronische Infektion mit dem Bakterium Helicobacter pylori (H. pylori) gilt als Ursache für Ulzerationen des Magens. Fachleute sehen eine Infektion mit Helicobacter pylori inzwischen als wichtigsten Risikofaktor für Magenkrebs an, denn bei 40 bis 80% der Patienten mit Magenkarzinom ist histologisch oder serologisch eine Infektion mit H. pylori festzustellen. Doch entwickelt längst nicht jeder ein Magenkarzinom, der auch eine Schleimhautentzündung bzw. ein Magengeschwür hat. In Deutschland ist etwa ein Viertel der Erwachsenen mit Helicobacter pylori infiziert, und trotzdem ist die Inzidenz von Magenkrebs vergleichsweise selten. In jedem Falle muss daher für die Entstehung des Magenkarzinoms eine ganze Reihe von anderen Risikofaktoren, insbesondere Ernährungsgewohnheiten, berücksichtigt werden.

Foto: eye of science/Agentur Focus
Hier zwei Adenokarzinom-Zellen, die die Zellteilung abgeschlossen haben und mit wenigen Plasmafäden miteinander verbunden sind. Raster-Elektronenmikroskop, Vergrößerung 3500 : 1.

Viren als Auslöser

Als Virusarten, die das Tumorwachstum begünstigen, gilt beispielsweise die Gruppe der humanen Papillomaviren (HPV). Doch obwohl HPV-­Infektionen sehr häufig auftreten, sind assoziierte Krebserkrankungen (Gebärmutterhalskrebs, auch Tumore im Mund- und Rachenbereich) eher selten. Eine effektive Immunabwehr kontrolliert normalerweise die Infektion, und neuere Testsysteme ermöglichen eine frühzeitige Erkennung präkanzerogener Veränderungen der Zellen sowie eine chirurgische Entfernung der betroffenen Areale. Darüber hinaus sind entsprechende Vakzine verfügbar, die präventiv vor einer Infektion mit karzinogenen HPV-Typen schützen. Weiterhin verursachen Hepatitis-B- und -C-Viren (HBV, HCV) eine chronische Infektion der Leber, wodurch das Risiko für Leberkrebs steigt. Einige Studien diskutieren zudem einen Zusammenhang von HCV-Infektionen und dem Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen. Dabei zeigen sich HCV-Infektionen oft symptomlos, weshalb ein entsprechender Bluttest für Risikopatienten empfohlen wird. Eine diagnostizierte HCV-Infektion kann mittels antiviraler Kombinationstherapien behandelt werden, für Hepatitis-B-Viren ist es das Ziel, medikamentös den Verlauf zu verlangsamen. Dafür existieren präventive Möglichkeiten mittels HBV-Vakzinen. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) gehört zu der Gruppe der Herpes-Viren. Eine Infektion mit diesem Virus führt zum Pfeifferschen Drüsenfieber (infektiöse Mononukleose) mit Anschwellen der Lymphknoten und Halsschmerzen. Dabei kann eine EBV-Infektion die Entstehung von B-Zell-Lymphomen begünstigen sowie von Tumoren des Nasen- und Rachenraums. Doch obwohl Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus häufig vorkommen, erkranken nur sehr wenige Menschen tatsächlich an Krebs. Dies betrifft vorwiegend Personen mit geschwächtem Immunsystem, wie AIDS-Patienten oder Transplantatempfänger sowie Menschen aus Regionen Afrikas, die an Malaria erkrankt sind.

Welche Infektion ist wirklich karzinogen?

Seit den 1990er-Jahren wird daher versucht, mittels epidemiologischer Untersuchungen den Einfluss karzinogener Infektionen bei Krebserkrankungen weltweit zu beziffern. 2008 wurde geschätzt, dass etwa 16% aller Tumore aus Infektionen resultieren, wobei aber bedeutende Unterschiede bezüglich der geografischen Lage existieren. Während in westlichen Industrienationen dieser Anteil bei ca. 3% lag, wurde das Auftreten infektionsbedingter Tumore in Ländern südlich der Sahara auf über 30% geschätzt. Nun wurden diese Angaben durch Forscher der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) für das Jahr 2012 aktualisiert [1]. Von 14 Millionen neuen Krebsfällen im Jahr 2012 entfielen 2,2 Millionen (15,4%) auf karzinogene Infektionen, wobei dies erneut weniger als 5% der Bevölkerung westlicher Industrienationen betraf und sich vornehmlich in ärmeren Ländern mit geringem Entwicklungsstatus zeigte (teilweise ≥ 40%). Dabei waren H. pylori (770.000 Fälle), humane Papillomaviren (640.000 Fälle), Hepatitis-C-Viren (170.000 Fälle) und Epstein-Barr-Viren (120.000 Fälle) die wichtigsten Erreger, die allein mit 2 der 2,2 Millionen Krebserkrankungen assoziiert waren. Es fiel auf, dass 89% der Magenkrebs-Erkrankungen außerhalb des Mageneingangs H. pylori zuzuschreiben waren, 73,4% der Fälle von Lebertumoren mit Hepatis-B- und -C-Infektionen einhergingen und 100% der Zervixkarzinome durch humane Papillomaviren verursacht wurden. Zudem könnten 5 bis 10% aller Non-Hodgkin-Lymphome durch EBV-Infektionen erklärt werden, so die Autoren der Studie.

Als weitere kanzerogene Krankheitserreger gelten das humane Herpes-­Virus Typ 8 (HHV-8), das humane T-lymphotrope Virus Typ 1 (HTLV-1) sowie Parasiten wie Opisthorchis viverrini, Clonorchis sinensis und Schistosoma haematobium. Diese sind nach den Ergebnissen der Analyse aber von nur geringer Bedeutung. Das humane Herpes-Virus Typ 8 gilt als Auslöser des Kaposi-Sarkoms, einer vaskulären Neoplasie, die überwiegend bei HIV-Patienten im fortgeschrittenen Stadium auftritt. Eine Infektion mit dem humanen T-lymphotropen Virus Typ 1 kann vermutlich ein T-Zell-Lymphom auslösen, ist jedoch auf bestimmte Endemiegebiete (Japan, Karibik, Afrika) beschränkt und kommt in Europa fast nicht vor. Auch Infektionen mit Parasiten, wie dem chinesischen Leberegel (Clonorchis sinensis) sowie dem Saugwurm Opisthorchis viverrini, gelten nur in endemischen Regionen als Risikofaktor für Cholangiokarzinome, einem Tumor der Gallengänge. Gleiches gilt für Schistosoma haematobium, dem Erreger der Bilharziose, welcher Blasenkrebs verursachen kann.

Die beobachteten Unterschiede zum Einfluss karzinogener Infektionen bei Krebserkrankungen in der Bevölkerung, abhängig vom Entwicklungsstand des jeweiligen Landes, sind zum einen dem Verbreitungsgebiet der jeweiligen Erreger geschuldet, aber auch den verfügbaren Optionen zur Prävention bzw. Therapie, welche derzeit noch nicht in allen Staaten der Erde verfügbar sind. Wie bereits erwähnt, gelten HBV- oder HPV-Vakzinierungen sowie Screening-Programme als erfolgreiche präventive Maßnahmen gegen Infektionen und somit auch gegen Tumorwachstum. Medikamentöse Behandlungen von HCV- oder auch HIV-Infektionen könnten ebenso die Zahl der Krebserkrankungen senken. Insgesamt sind diese Maßnahmen jedoch mit hohen Kosten verbunden und bedürfen einer funktionierenden Infrastruktur im Gesundheitssystem. Die Forderung nach einer Ausweitung der therapeutischen Möglichkeiten, auch in weniger entwickelten Ländern, wie von den Autoren der Studie gestellt, bleibt also nach wie vor bestehen. |

Quelle

Plummer M et al. Global burden of cancers attributable to infections in 2012: a synthetic analysis. Lancet Glob Health 2016, published online 25. Juli; doi: 10.1016/S2214-109X(16)30143-7

Apotheker Dr. André Said

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