Arzneimittel und Therapie

Evidenz-befreite Versprechen 

Ein Kommentar von Doris Uhl

Dr. Doris Uhl, Chef­redakteurin der DAZ

Gegen fast jedes Übel scheint ein nebenwirkungsfreies Kraut gewachsen zu sein: gegen depressive Verstimmungen, gegen die Unlust bei Mann und Frau, gegen Hitzewallungen, gegen Infektionen, gegen Prostatabeschwerden etc. Und irgendein In-vitro-Versuch wird schon die passende Hypothese zum Wirkungsmechanismus liefern.

Ein aktuelles Beispiel: Turnera diffusa wird als Aphrodisiakum gepriesen für Mann und Frau (s. „Damiana für die Dame“, S. 58). Beim Mann soll es wie Viagra® die PDE-5 hemmen, bei der Frau passenderweise über eine Aromatasehemmung den Testosteronspiegel erhöhen. Das klingt doch richtig vielversprechend. Wie groß der Lustgewinn jedoch tatsächlich ist, bleibt mangels aussagekräftiger Studien offen. Nur wenige Hersteller bemühen sich, in kontrollierten klinischen Studien die Wirksamkeit ihrer pflanzlichen Produkte nachzuweisen. Denn das ist nicht nur mit hohen Kosten, sondern auch mit einem hohen Risiko verbunden. So lässt sich ein Produkt sicher besser vermarkten, wenn Studien zur Evidenz ausstehen. Studien, die untermauern, dass keine oder nur eine schwache Wirkung vorhanden ist, kommen einem Begräbnis erster Klasse gleich.

Pflanzliche Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel gegen Wechseljahresbeschwerden sind ein gutes Beispiel für das Dilemma. So gibt es zwar klinische Studien, aber ihre Qualität erlaubt keine gesicherten Aussagen (s. „Mit Pflanzen gegen Hitzewallungen“, S. 30). Metaanalysen enden dann gerne mit dem schönen Satz, dass qualitativ hochwertigere größere Studien notwendig sind, die die Wirksamkeit untermauern müssen.

Doch wer soll sie durchführen? Kaum ein Hersteller wird das Risiko eingehen, mit viel Geld und evidenzbasiert seinen Produkten den Todesstoß zu versetzen. Bleibt nur die unabhängige Forschung, beispielsweise an den Universitäten. Doch auch diese werden kaum mehr in die Bresche springen können. Zu sehr hängt die ehemals unabhängige universitäre Forschung inzwischen von Drittmitteln ab. Staatliche Fördermittel fließen oft genug nur spärlich und in Abhängigkeit von den eingeworbenen industriellen Drittmitteln. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ein idealer Nährboden für passende Hypothesen generierende In-vitro-Versuche – und wunderbare, von jeglicher Evidenz befreite Versprechen!

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