DAZ aktuell

Streit um Zusatznutzen

vfa wirft GKV-Spitzenverband Umdeutung des AMNOG vor

BERLIN (ks) | Das Bundesgesundheitsministerium will ein Konzept für ein Arztinformationssystem entwickeln, das die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung verständlich aufbereitet. Erklärtes Ziel ist, dafür zu sorgen, dass Innovationen bei den Patienten ankommen. Dies ist eine der Verabredungen des Pharmadialogs. Doch sie sorgt derzeit für dicke Luft zwischen dem Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) und dem GKV-Spitzenverband. Die DAZ sprach mit Dr. Markus Frick, vfa-Geschäftsführer Markt und Erstattung, über die Befürchtungen der Hersteller neuer Arzneimittel.

Der GKV-Spitzenverband und der vfa hatten immer wieder Unstimmigkeiten, wenn es um die mit dem AMNOG eingeführte frühe Nutzenbewertung ging. Vor allem bei der Auslegung der Worte „kein (belegter) Zusatznutzen“ gab und gibt es Differenzen. Aus Sicht des vfa hat die Kassenseite nun allerdings eine Grenze überschritten: Ende Mai hatte der GKV-Spitzenverband eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der es um die geplante Arztinformation geht. Ein solches System begrüßt der Verband prinzipiell – wenn es denn industrieneutral ist. Denn heute könnten Ärzte neue Arzneimittel „weder therapeutisch sinnvoll noch wirtschaftlich verordnen“. Und weiter heißt es in der Mitteilung „Leidtragende sind die Patienten. Sie erhalten schlimmstenfalls Arzneimittel ohne Zusatznutzen, aber ggf. mit schweren Nebenwirkungen“. Dazu unterbreitete der GKV-Spitzenverband Vorschläge für die Ausgestaltung der künftigen Arztinformation: „Ein Ampelsystem könnte hier eine einfache und sichere Orientierung bieten.“

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Umstritten Das vom Bundesgesundheitsministerium geplante Arztinformations­system lässt beim vfa die Alarmglocken läuten. Der Verband fürchtet, dass unter dem Label das Selektiv-Erstattungsmodell des GKV-Spitzenverbandes „aus Versehen“ eingeführt wird.

Das war für vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer zu viel. Sie reagierte Ende Mai auf die Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbandes mit einem Offenen Brief – adressiert an den Bundesgesundheitsminister. Ihr Vorwurf: Der GKV-Spitzenverband betreibe mit „falschen Tatsachen“ Öffentlichkeitsarbeit und verunsichere so Patienten.

Gegenüber der DAZ erläuterte nun Markus Frick, was den vfa so fuchst: Der GKV-Spitzenverband suggeriere, Arzneimittel, deren Zusatznutzen „nicht belegt“ sei, hätten keinen Nutzen oder könnten Patienten sogar schädigen. Dabei sorge das Zulassungssystem bereits dafür, dass ein Arzneimittel ohne positives Nutzen-Risiko-Verhältnis gar nicht erst auf dem Markt komme. Die Arzneimittelüberwachung ermögliche zudem eine Marktrücknahme, wenn es nötig ist.

Den Geist des AMNOG bewahren ...

Das sei auch der Ausgangspunkt für das AMNOG-Verfahren mit der frühen Nutzenbewertung und der anschließenden Verhandlung eines Erstattungsbetrages. Es gehe hier eben nicht mehr um den „Nutzen“, sondern nur noch um den „Zusatznutzen“ gegenüber etablierten Therapien. Entweder hat das neue Arzneimittel einen Zusatznutzen – oder es hat keinen, dann darf es nicht teurer sein als die wirtschaftlichste Alternative. Auf beide Arten werden die Erstattungsfähigkeit und zugleich die Wirtschaftlichkeit sichergestellt. Während der vfa sich in diesem Punkt als „Bewahrer des AMNOG“ sieht, wirft er dem GKV-Spitzenverband vor, seit rund eineinhalb Jahren, am AMNOG Umdeutungen vorzunehmen. Angefangen habe dies dezentral in den Regionen: In einzelnen KV-Bezirken gibt es beispielsweise Quoten für die neuen Arzneimittel oder es werden Ärzten Prämien gezahlt, wenn sie einen Patienten wieder auf ein älteres Präparat umstellen. Auf der anderen Seite werde Ärzten mit Regress gedroht, wenn sie Arzneimittel ohne Zusatznutzen verordnen.

... oder auf dem Weg zur Selektiv-Erstattung?

Der GKV-Spitzenverband, so Frick, habe dieses Thema adaptiert und um das der Subgruppen ergänzt. An diese habe bei der Entstehung des AMNOG noch niemand gedacht. Doch mittlerweile werde ein neuer Wirkstoff immer im Hinblick auf unterschiedliche Patientengruppen beurteilt – und betrachtet man nur diese Subgruppen, so haben die neuen Arzneimittel bei 70 bis 80 Prozent keinen nachgewiesenen Zusatznutzen. Mit diesem Argument stelle der GKV-Spitzenverband nun die Wirtschaftlichkeit der vereinbarten Mischpreise infrage – er verfolge nunmehr ein selektives Erstattungsmodell. Nur was einen nachgewiesenen Zusatznutzen hat, soll seiner Vorstellung nach erstattet werden. Damit rücke der GKV-Spitzenverband weit von der ursprünglichen AMNOG-Idee ab. Mit der Folge, dass der Erstattungsanspruch der Patienten und die Verordnungsfreiheit der Ärzte eingeschränkt wird – und das wolle eigentlich niemand.

Eine besondere politische Dimension bekomme die Diskussion nun durch das geplante Arztinformationssystem. Hier stelle sich jetzt die Frage, wie diese Information in der Praxissoftware umgesetzt werden soll. Wird sie künftig ein Präparat mit nicht nachgewiesenem Zusatznutzen automatisch als unwirtschaftlich ausweisen? Ploppt vielleicht eine rote Ampel oder eine sonstige Warnung auf? Auch wenn die Politik sich gegen eine Ampel ausgesprochen hat – der vfa fürchtet, dass unter dem Label der Einführung eines Arztinformationssystems das Selektiv-Erstattungsmodell des GKV-Spitzenverbandes „aus Versehen“ eingeführt wird. Wichtig sei, dass die Information nicht missverständlich dargestellt wird – ohne Text und nur mit Symbolen wird es laut Frick nicht gehen. Keinesfalls dürfe es darauf hinauslaufen, dass neue Arzneimittel ohne nachgewiesenen Zusatznutzen vom Patienten ferngehalten werden. Sie seien auf keinen Fall nutzlos, betont Frick. Für einige Patienten können sie sogar eine bessere Alternative sein, weil sie möglicherweise bei ihnen weniger Nebenwirkungen verursachen. Nicht zuletzt gibt Frick zu bedenken, dass Beschlüsse mit dem Ergebnis „Zusatznutzen nicht belegt“ in etwa drei Viertel der Fälle formal bedingt seien: ­Etwa weil die zweckmäßige Vergleichstherapie des Gemeinsamen Bundesausschusses eine andere ist als die vom Hersteller in den Studien verwendet wurde oder ein Endpunkt anders interpretiert wurde.

Man darf nun gespannt sein, wie das Bundesgesundheitsministerium seine Aufgabe lösen wird. Im Abschlussbericht zum Pharmadialog heißt es, dass es das Konzept für das Informationssystem „unter Hinzuziehung der Dialog-Partner“ entwickelt. Wie weit der Einfluss der Pharmaverbände geht, bleibt abzuwarten. Aber auch der GKV-Spitzenverband wird mit Sicherheit alles tun, mit seiner Position Gehör zu finden. |

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