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Kongresse
Erkenntnisgewinn und Kunstgenuss
Ein außergewöhnliches Symposium zum 85. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. Ernst Mutschler
Unter der Moderation von Dr. Eric Martin, Markheidenfeld, und umrahmt von kammermusikalischen Darbietungen begeisterten Prof. Dr. Dr. Gerd Geisslinger, Frankfurt, Prof. Dr. Peter Vaupel, München/Mainz, Prof. Dr. Dr. h.c. Johannes Fried, Frankfurt, und Dr. Karl Wurm, Duderstadt, mit natur-, geistes- und musikwissenschaftlichen Festvorträgen.
Auch wenn Professor Mutschler die Redner gebeten hatte, seine Person nicht in den Mittelpunkt zu stellen, schwang doch in dem Vortrag von Prof. Dr. Dr. Geisslinger zum Paradigmenwandel in der modernen Pharmakotherapie eine ganz besondere Würdigung der Leistung von Professor Mutschler als Lehrbuchautor mit. Geisslinger zeigte anhand der 1. Auflage des inzwischen in 10. Auflage vorliegenden Lehrbuchs „Arzneimittelwirkungen“ von Ernst Mutschler, wie sich die Pharmakotherapie als lernendes System immer evidenzbasiert weiter entwickelt hat. Er veranschaulichte diesen Paradigmenwandel anhand von drei Beispielen.
HIV: kein Todesurteil mehr
Wer in der 1970 erschienenen 1. Auflage des „Mutschler“ etwas zur HIV-Therapie sucht, wird dort nichts finden, denn damals war diese Infektionskrankheit unbekannt. In den 1980er Jahren kam dann die Diagnose „HIV positiv“ noch einem Todesurteil gleich. Mit Zidovudin wurde zwar 1987 erstmals ein reverser Transkriptase-Inhibitor zur HIV-Therapie zugelassen, der jedoch als Monotherapie den Patienten keinen Überlebensvorteil brachte. Es folgten Schritt für Schritt weitere antiretrovirale Medikamente, die in Kombination verabreicht inzwischen die Prognose der Betroffenen deutlich verbessert und eine zunächst tödliche in eine chronische Infektionskrankheit überführt haben. Die Bedeutung dieser Arzneistoffe spiegelt sich in der 10. Auflage des „Mutschler“ wider. Dort nimmt ihre Vorstellung 15 Seiten ein.
Rofecoxib: Aufstieg und Fall
Und dann warf Geisslinger einen weiteren Blick in die 1. Auflage des „Mutschler“, und zwar auf die Gruppe der Analgetika. Mit den Arzneistoffen Acetylsalicylsäure, Indometacin, Flufenaminsäure und Phenylbutazon fiel diese sehr überschaubar aus, auch zum Wirkungsmechanimus war wenig bekannt. Erst Anfang der 1970er Jahre begann man, die Bedeutung der Cyclooxygenasen für die Schmerzentstehung und unerwünschte Wirkungen zu verstehen. Dieses Verständnis führte zur Entwicklung von selektiven COX-2-Inhibitoren. Der erste Vertreter, Rofecoxib (Vioxx®) kam 1992 in den Markt. Er versprach eine bessere gastrointestinale Verträglichkeit und entwickelte sich schnell zu einem Blockbuster mit einem Jahresumsatz über 2,5 Milliarden Dollar. Doch am 30. September 2004 nahm der steile Aufstieg dieser Innovation ein jähes Ende. Rofecoxib musste vom Markt genommen werden, weil sich in der APPROVe-Studie (Adenomatous Polyp Prevention on VIOXX-Studie), einer Langzeitstudie zur Prävention von Colon-Polypen, die Zahl der thromboembolischen Ereignisse unter Rofecoxib im Vergleich zu Placebo nahezu verdoppelt hatte.
(Kontra-)Indizierte Betablocker
Ein weiterer Blick in die erste Ausgabe des „Mutschler“ offenbart: Zur Therapie der Herzinsuffizienz wurden im Jahre 1970 Herzglykoside und Diuretika eingesetzt. Betablocker waren wegen ihrer negativ inotropen Wirkung kontraindiziert.
Doch trotz dieser absoluten Kontraindikation behandelte der schwedische Kardiologe Prof. Dr. Finn Waagstein 1975 sieben Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz mit Betablockern und stellte eine deutliche Besserung fest. 1996 konnte dann gezeigt werden, dass Carvedilol bei Herzinsuffizienz lebensverlängernd wirkt und es sich lohnt, die anfangs negativ inotropen Wirkungen einer Betablocker-Therapie in Kauf zu nehmen.
Auch wenn es 21 Jahre von der ersten Erkenntnis bis hin zu einer neuen gesicherten Therapiemöglichkeit gedauert hat, so war doch für Geisslinger jeder Schritt auf diesem Weg ein Meilenstein. Er beendete seinen Vortrag mit einem nachdenklich stimmenden Zitat des Geigers Yehudin Menuhin: „Es ist letzten Endes unser Nichtwissen, was unser Handeln bestimmt, und nicht unser Wissen!“ |
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