Kongresse

Arzneimittel für Kinder sind Mangelware

Von der Suche nach pädiatrischen Arzneistoffdosierungen und Darreichungsformen

MERAN (ck) | Die Arzneimitteltherapie bei Kindern war ein Schwerpunkt auf dem 54. Internationalen Fortbildungskurs für praktische und wissenschaftliche Pharmazie der Bundesapothekerkammer in Meran.
Fotos: DAZ/ck

In jeder Entwicklungsphase des Menschen weist die Arzneimitteltherapie Besonderheiten auf. In den ersten zwei Lebensjahren reift die Physiologie und beeinflusst Dosierung und Metabolisierung von Arzneistoffen, wie Prof. Dr. Stephanie Läer von der Universität Düsseldorf zeigte. Beim Neugeborenen ist der extrazelluläre Wassergehalt etwa doppelt so hoch wie bei Erwachsenen. Hautbarriere und Blut-Hirn-Schranke sind noch nicht ausgereift: Cortison-haltige Salben zeigen bei kleinen Kindern eine systemische Wirkung. Wirkstoffe wie Loperamid, Antihistaminika, Codein können stark zentral wirken. Der Magen-Darm-Trakt ist bei Säuglingen noch nicht voll funktionsfähig, es fehlt der Magensäure an Aktivität. Es können daher Penicilline eingesetzt werden, die bei Erwachsenen unwirksam sind. Nierenfunktion und metabolisierende Enzyme reifen erst im ersten Lebensjahr, so dass eine erhöhte Toxizität (z. B. Chloramphenicol) möglich ist, aber auch eine erniedrigte: Die Lebertoxizität von Paracetamol bei kleinen Kindern ist gering. Ihre Enzyme produzieren noch keine toxischen Zwischenprodukte. Paracetamol ist für Säuglinge ab einem Körpergewicht von 3 kg zugelassen. Der Säugling muss nicht nur ausreichend schwer sein, sondern mindestens auch 28 Tage alt.

Erfolgreiche Betreuung jugendlicher Typ-1-Diabetiker

Bei Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen ist besonders die Compliance ein großes Problem. Dass Apotheker hier eine wichtige Rolle spielen, zeigte Läer am Beispiel der DIADEMA-Studie (DIabetes in ADolescence Engagement and Monitoring in phArmacies). In ihr wurden jugendliche Typ-1-Diabetiker entweder gemeinsam von einem Diabetes­team und Apothekern betreut oder sie erhielten nur eine Standardversorgung. Bei den Jugend­lichen, die zusätzlich vom Apotheker strukturiert pharmazeutisch betreut wurden, verbesserte sich die Qualität der Therapie bedeutsam. Und zwar nachhaltig: sogar zwölf Monate nach Studienende war der HbA1c-Wert in der Interventions-Gruppe niedriger als bei der Kontrolle. Die Jugendlichen lernten den Apotheker als kompetenten Ansprechpartner schätzen.

Gegen den Juckreiz

Dass Neurodermitis mehr als „nur“ eine Hautkrankheit ist, zeigte Prof. Dr. Petra Högger, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der Universität Würzburg. Juckreiz bei Neurodermitikern beruht auf einem Wechselspiel zwischen der epidermalen Dysfunktion der Hautbarriere, heraufregulierten Immunkaskaden und Aktivierung von ZNS-Strukturen. Viele Mediatoren sind involviert, die dazu führen, dass man nicht mehr aufhören kann, zu kratzen. Schwerpunkte in der Apotheke sieht Höggar in der Unterstützung bei der individuellen Basistherapie und der Adhärenzförderung bei therapeutischen Maßnahmen. Eine geeignete Basistherapie zu finden, ist entscheidend, denn der Patient muss sie dauerhaft und konsequent anwenden, er muss die Grundlage mögen! Die Therapie der Neurodermitis ist vielfältig und variiert individuell. Topische Glucocorticoide sind die am stärksten ­antientzündlichen Wirkstoffe. Aber 70% der Patienten fürchten sich vor einer Hautatrophie. Diese Cortison-Angst sollte den Patienten – und den Eltern – genommen werden, denn es gibt keine Evidenz aus kontrollierten Studien, dass die Hautverdünnung bei korrekter Anwendung ein Problem ist.

Gegen die Cortison-Angst

Bei der Anwendung Cortison-haltiger Dermatika sind Eltern oft unsicher, was Anweisungen wie „dünn Auftragen“ bedeuten. Zur richtigen Dosierung hat sich als Einheit die Finger-Tip-Unit etabliert. Eine Finger-Tip-Unit ist die Menge an Salbe, die ein Erwachsener auf seinem Finger von der Fingerkuppenspitze bis zur ersten Fingerbeuge aus einer Tube mit einer 5 mm breiten Öffnung auftragen kann: das entspricht in etwa 0,5 g des Arzneimittels. Mit einer Finger-Tip-Unit kann die Fläche eingecremt werden, die zwei Erwachsenenhände bedecken können. Dabei bezieht sich die Einheit auf den Finger eines Erwachsenen, da Kinder meist auch von den Eltern oder anderen Erwachsenen eingecremt werden.

Zählen statt zubereiten – das ist die Zukunft!

Kindgerechte Darreichungsformen von wichtigen Arzneistoffen stehen noch viel zu wenig zur Verfügung, so Prof. Dr. Jörg Breitkreutz vom Institut für Pharmazeutische Technologie der Universität Düsseldorf. Die 2007 in Kraft getretene EU-Verordnung über Kinderarzneimittel sollte Abhilfe schaffen, greift aber nicht. Nach wie vor werden auf pädiatrischen Stationen Rezepturen angefertigt, weil so gut wie keine Handelspräparate zur Verfügung stehen. Befilmte oder unbefilmte Minitabletten mit einem Durchmesser unter 2 mm, die eine hohe Flexibilität und Sicherheit in der Dosierung über einen weiten Dosisbereich ermöglichen, wurden bisher als nicht geeignet für Neugeborene angesehen. Versuche haben aber gezeigt, dass diese Darreichungsformen von kleinen Kindern sehr gut akzeptiert werden. Selbst Neugeborene können Minitabletten einnehmen. Orodispersible Minitabletten sind aus Sicht von Breitkreutz ideale kindgerechte Arzneiformen: sie sind fest und stabil in der Verpackung, während Lagerung und Transport, und setzen den Wirkstoff schon in der Mundhöhle schnell frei. Zur Dosierung befilmter oder unbefilmter Minitabletten sind allerdings Zählgeräte notwendig, um Fehldosierungen durch Verzählen oder falsches Abmessen zu vermeiden. Breitkreutz ist sich sicher, dass die Minitablette die ­bisher häufig eingesetzten Lyophilisate ablösen werden. |

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