Apotheke und Markt

Vom Produkt zum Patienten

Jubiläums-Symposium 150 Jahre Dr. Willmar Schwabe

KARLSRUHE (wes) | Vor 150 Jahren gründete der junge Apotheker Dr. Willmar Schwabe in Leipzig seine „Homöopathische Centralofficin“ und eine „Fabrikationsstätte für die Zubereitung von Arzneimitteln“ – die Geburtsstunde des Arzneimittelherstellers Dr. Willmar Schwabe. Grund genug, nicht nur alle rund 3200 Mitarbeiter aus aller Welt an den Hauptsitz Karlsruhe einzuladen, sondern auch für Geschäftspartner und Freunde des Hauses ein wissenschaftliches Jubiläums-Symposium zu veranstalten.

Bei der Eröffnung des Symposiums mit dem Titel „Patientenzentriert, wissenschaftlich, chancenreich – Navigieren in komplementären Paradigmen“ fasste Olaf Schwabe, seit 1. Mai Vorstandsvorsitzender der Schwabe Unternehmensgruppe und Urururenkel des Firmengründers, das Selbstverständnis des Phytopharmaka-Herstellers so zusammen: „Die Natur ist – und wird es immer bleiben – die Essenz unserer Produkte und unseres Unternehmens.“ Er sieht den Geist des Firmengründers Willmar Schwabe immer noch im Unternehmen wirken: Als Pionier, der alle Paradigmen immer infrage stellte und wenn nötig auch überwand. Das mache Schwabe bis heute so innovativ.

Die Themen des ganztägigen Symposiums waren nicht pharmazeutisch oder medizinisch, sondern es ging um die sich ändernde Rolle des Patienten, das Verständnis von Gesundheit und Krankheit und die Bedeutung der Selbstmedikation.

Foto: Dr. Willmar Schwabe

Diskutierten die zukünftige Strategie der Schwabe-Gruppe: Olaf Schwabe, Dr. Anke Balzer und Moderator Gero von Boehme (v. r.)

So erzählte der in London und Hongkong tätige Soziologe Scott Lash, dass in der südchinesischen Provinz Guangdong jedes Lebensmittel immer auch medizinisch betrachtet wird. Nahrung wird zwar nicht als Arzneimittel eingesetzt, aber jedem Lebensmittel werden bestimmte medizinische Wirkungen zugeschrieben.

Was der Megatrend Selbstoptimierung mit einem veränderten Verständnis von Gesundheit in westlichen Ländern zu tun hat, beleuchtete die Trendforscherin Corinna Mühlhausen. Dass zum „Gesundsein“ heute für viele Menschen nicht nur körperliche Unversehrtheit, die Abwesenheit von Krankheit oder Wohlbefinden, sondern auch „Schönheit“ gehört, sei insofern bemerkenswert, dass gleichzeitig die Zahl der Menschen, die sich selber als „nicht schön“ einschätzen, in den letzten vierzig Jahren massiv gestiegen sei – bei Frauen auf über 90 Prozent.

Für die Gesundheitsbranche haben die Selbstoptimierer großes Potenzial, meint Mühlhausen – wenn es gelingt, ihnen auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Angehörige der Heilberufe müssten akzeptieren, dass diese Kunden sich mit ihrem eigenen Körper und einem bestimmten Ausschnitt der Medizin sehr gut auskennen und sich sozusagen ihren eigenen „Werkzeugkasten“ aus den Angeboten zusammenstellen.

Den großen Wert der Selbstbestimmung in medizinischen und therapeutischen Fragen betonte der Theologe und Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Hemel. Zu dieser Freiheit gehören für Hemel auch die sogenannten alternativen Therapien – auch wenn sie nicht evidenzbasiert sind. Der Patient habe das Recht, sich für diese Behandlungsmethoden zu entscheiden. Die Therapietreue sei übrigens ebenfalls freiwillig und müsse es auch bleiben – sonst komme man unweigerlich zu einer „Gesundheitspolizei“.

Vom Produkt- zum Patienten-zentrierten Unternehmen

Für den Geschäftsführer der Dr. Willmar Schwabe GmbH, Dr. Traugott Ullrich, ist in der Therapie der Patient genauso wichtig wie das Arzneimittel. Trotzdem sei Schwabe bisher ein ganz und gar Produkt-zentriertes Unternehmen gewesen. „Wir wissen alles über pflanzliche Arzneimittel“, so Ullrich.

Foto: Dr. Willmar Schwabe

Die Fokussierung auf das Produkt sei notwendig, um Arzneimittel mit gleichbleibend hoher Qualität herstellen zu können, deswegen sei auch die vertikale Integrierung gerade für einen Phytopharmaka-Hersteller so wichtig. Nur so könne man diese Qualität in jedem Produktionsschritt – vom Saatgut der Arzneipflanze bis zum fertigen Arzneimittel – sicherstellen. Auch für den neuen CEO der Schwabe-Gruppe, Olaf Schwabe, hat Qualität auf jedem Produktionsschritt höchste Priorität. Immerhin sei Schwabe ein Familienunternehmen, da stehe man immer mit seinem Namen für alles ein, was die Firma tue.

Doch zukünftig werde das Arzneimittel vom Ende der Wertschöpfungskette an ihren Anfang rutschen, meint Ullrich. An die Produktion bzw. Abgabe des Arzneimittels werden sich Dienstleistungen anschließen, ist Ullrich überzeugt. Als Beispiel nannte er Personalisierung und ­Unterstützung der Adhärenz. „Zu den Produkten müssen Services und Informationen kommen“, sagt auch Olaf Schwabe, „hier müssen wir innovativ sein.“

Diese stärkere Konzentration auf den Patienten ist für Ullrich eine Folge aus sich grundlegend ändernden Rahmenbedingungen. In den entwickelten Ländern wachse die Kaufkraft nicht mehr, tendenziell sinke sie sogar. Gleichzeitig entstehe in den aufstrebenden Ländern wie China durch das stärkere Bevölkerungswachstum ein hoher Spardruck in den Gesundheitssystemen, so dass auch hier die Margen für die Produkte unter Druck geraten. Dazu komme der immer besser informierte Patient, der vom Gesundheits-„Empfänger“ zum Selbst­optimierer werde.

Auch für Dr. Anke Balzer, Chief Commercial Officer der Schwabe-Unternehmensgruppe, ist klar, dass sich Schwabe zu einem Patienten-zentrierten Unternehmen entwickeln muss: „Es nützt nichts, wenn wir wissen, dass Tebonin® ein tolles Produkt ist – der Patient muss das erleben.“

Die Heilberufe werden für den Mediziner Ullrich durch diesen Trend übrigens nicht unnötig. Aber ihre Rolle ändert sich, zukünftig helfen sie den Patienten nicht mehr bei ihrem Informationsdefizit, sondern beim Entscheidungsdefizit.

Gesundheitskultur und Placebo

Die britische Professorin für Gesundheitsrecht und Bioethik Hazel Biggs betonte dagegen den Wert staatlicher Regulierung im Gesundheitswesen. In Europa gebe es eine lange Tradition des Verbraucherschutzprinzips. Gerade in Fragen der Gesundheit sollte dabei von staatlicher Seite das höchstmögliche Schutzniveau angestrebt werden. Denn hier seien die Menschen besonders „verwundbar“ und bräuchten deswegen besonderen Schutz.

Für den Soziologen Prof. Gerhard Schulze ist der aktuelle Boom der alternativen Therapierichtungen ein Zeichen, dass die Patienten den Experten der „orthodoxen Medizin“ nicht mehr vertrauen. „Es ist eine Abstimmung mit den Füßen“, so Schulze, weil die Patienten die blinden Flecken der Schulmedizin spürten. Schulze regte an, eine „Gesundheitskultur“ zu entwickeln, um vernünftige Entscheidungen treffen zu können.

Welchen Einfluss das Selbstbild auf die Gesundheit, den Umgang mit Krankheiten und die Selbstmedikation hat, beleuchtete die Psychologin Prof. Astrid Schütz. Menschen mit einem dynamischen Mindset, also dem Selbstbild, dass man sein Schicksal selber in der Hand hat und z. B. Erfolg stark von der eigenen Anstrengung abhängt, tendieren eher zur Selbstbehandlung von Krankheiten als Menschen mit einem sogenannten statischen Mindset. Menschen mit dynamischem Selbstbild möchten Krankheiten aktiv bekämpfen, während „statische Typen“ eher etwas zur Erhaltung ihrer Gesundheit tun möchten.

Einblicke in den aktuellen Stand der Placebo-Forschung gab der Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie Essen, Prof. Manfred Schedlowski. Heute sei klar, dass der Placebo-Effekt mehr als ein psychologisches Phänomen sei, er habe klare physiologische Grundlagen. Das sehe man unter anderem daran, dass er selbst dann auftritt, wenn der Patient vorher weiß, dass er ein Placebo bekommt. In jeder gelungenen Arzt-Patienten-Kommunikation komme es zum Placebo-Effekt. Wenn sie jedoch inadäquat ablaufe, trete der „böse Bruder“ des Placebo-, der Noceboeffekt auf den Plan. Schedlowski plädierte dafür, in der klinischen Praxis den Placebo-Effekt zu maximieren und zu personalisieren. In der Forschung, insbeson­dere bei klinischen Studien, müsse er dagegen so weit wie irgend möglich minimiert werden. |

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