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Luftrezepte sorgen für Aufregung
WamS-Artikel über betrügerische Apotheker – DAV: spektakuläre Einzelfälle
Im ganzseitigen WamS-Bericht war zu lesen, dass Staatsanwaltschaften in mehreren Bundesländern in millionenschweren Betrugsverfahren gegen Apotheker ermitteln. Diese hätten Tausende „Luftrezepte“ bei den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet, obwohl die verschriebenen Medikamente nie über ihre „Ladentheken“ gegangen seien. Dabei machten sie gemeinsame Sache mit Ärzten oder Patienten – allerdings bleiben diese im Artikel eher ein Randphänomen.
Näher dargestellt wurden zwei Fälle: In einem soll ein Trio aus einer niedergelassenen Ärztin, ihrem – laut WamS – Geliebten und einem Apotheker im Jahr 2009 Verordnungen möglichst hochpreisiger Arzneimittel abgerechnet haben. Der Apotheker habe jedoch günstigere Arzneimittel abgegeben, die der Freund der Ärztin seinerseits ins Ausland verkaufte. Der Apotheker soll seinen Mitstreitern jeweils ein Drittel des Rezeptpreises ausgehändigt haben. Insgesamt gehe es in diesem Fall um eine Schadenshöhe von 1,6 Millionen Euro. Gegen den Apotheker und den Lebensgefährten der Ärztin wurde nach jahrelangen Ermittlungen vor vier Wochen Anklage erhoben. Die Ärztin ist laut WamS flüchtig und wird per internationalem Haftbefehl gesucht. In einem anderen Fall soll es um rund zwei Millionen Euro gehen. Hier soll der Bruder des Apothekers zusammen mit Patienten teure Arzneimittel wie Exjade und Ferriprox von mutmaßlich unbeteiligten Ärzten mehrfach verschreiben lassen haben.
Zu Wort kommen in solchen Fällen gern bemühte Experten: etwa der Bremer Professor Gerd Glaeske. Er erklärte, dass derartige Betrügereien selten aufflögen – Mitwisser hielten eng zusammen. Dass dies immer wieder klappe, liege auch daran, dass Arzneirezepte „der letzte Bar-Scheck, den wir in unserer Gesellschaft nutzen“ sei.
Becker: Keine Sippenhaft
Die ABDA reagierte am Montag mit einer Stellungnahme. Darin stellte der DAV-Vorsitzende Fritz Becker klar: „Die überwältigende Mehrheit der Apotheker in Deutschland versorgt die Patienten nach bestem Wissen und Gewissen und rechnet auch die Rezepte ordnungsgemäß mit der jeweiligen Krankenkasse ab“. Kriminelle, die Urkundenfälschung oder Betrug begehen, müssten im Interesse der ehrlichen Mehrheit konsequent verfolgt werden. „Aber man darf nicht einzelne Betrugsfälle zu einem angeblich massenhaften Phänomen hochstilisieren und damit den Berufsstand in seiner Gesamtheit diffamieren“, sagte Becker. „Für einige spektakuläre Einzelfälle 20.000 Apotheken mit 150.000 Beschäftigten in ‚Sippenhaft‘ zu nehmen ist falsch – auch gegenüber den Patienten, die sich mit existenziellen Gesundheitsfragen vertrauensvoll an ihre Apotheke vor Ort wenden.“ Der DAV-Chef sieht allerdings keine Lücken, die man nun schließen müsste: „Das Apothekenwesen ist eines der am weitesten digitalisierten und am strengsten regulierten Bereiche der Gesundheitswirtschaft. Moderne Softwaresysteme sorgen für große Transparenz bei den Warenströmen. Für Regelverstöße hält neben dem Strafrecht auch das Berufsrecht Sanktionsmöglichkeiten bereit.“
GKV-Spitzenverband: Mehrheit arbeitet korrekt
Auch nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands ist der Abrechnungsbetrug durch Apotheker „kein Massenphänomen“. Laut Verbandssprecher Florian Lanz zeigen die Fälle, dass es auch im Arzneimittelbereich punktuell kriminelle Energie gebe. „Aber auch, dass es ganz wichtig ist zu trennen zwischen den wenigen schwarzen Schafen und denen, die ihren Job korrekt machen.“ Die meisten im Gesundheitswesen tätigen Personen würden hochkorrekt und sehr engagiert arbeiten – Lanz schließt ausdrücklich die Apotheker ein. Für ihn ist nicht nur der Betrug am Beitragszahler schlimm. Die aktuellen Fälle erschütterten zu Unrecht auch das Vertrauen in den Berufsstand der Apotheker und auch der Ärzte. „Das finden wir besonders bedenklich“, sagt Lanz. Da Betrugsdelikte sehr komplex und schwer zu ermitteln sind, fordert der GKV-Spitzenverband mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften.
Badle: Exponierte Fälle
Eine solche Schwerpunktstaatsanwaltschaft leitet der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle. Er ermittelt im Fall des betrügerischen Trios, das nun angeklagt ist. Er kommt im WamS-Artikel zu Wort, räumte aber gegenüber DAZ.online ein: „Das sind natürlich immer Einzelphänomene, die in der Außendarstellung zu dem Eindruck führen, dass ein ganzer Bereich – hier der Apothekenbereich – durchzogen ist.“ Die von der WamS aufgegriffenen Fälle seien „exponiert“. Badle betont weiter: „Aufklärung ist ganz wichtig, damit nicht der Eindruck entsteht, dass ein ganzer Berufsstand kriminell ist.“ Denn das könne dem Gesundheitswesen wie auch dem Berufsstand einen massiven Schaden zufügen. Bei den aktuellen Ermittlungen sei es wichtig gewesen, dass die Staatsanwälte den Betrug nicht über einzelne Rezepte nachvollziehen mussten. Im „Bermuda-Dreieck“, wie Badle es nennt, seien die Beweise schwierig: Beteiligte Patienten sagten aus, sie hätten das Arzneimittel erhalten, Ärzte und Apotheker deckten sich gegenseitig. Badle hat inzwischen eine neue computergestützte Ermittlungsmethode: Die Staatsanwaltschaft fordert nunmehr die Daten von Apotheken-Lieferanten an – und das können hunderte sein – und gleicht sich mit den Daten des Apotheken-Rechenzentrums ab.
Neues bringt der WamS-Bericht am Ende nicht zutage. Tatsächlich beklagen die Krankenkassen, die alljährlich Zahlen zu den Erfolgen ihrer Betrugsbekämpfungs-Abteilungen präsentieren, seit Jahren das Phänomen der Luftrezepte. Die „Apotheken“ sind bei ihnen stets der höchste Schadensposten – und das wohlbemerkt bei den aufgedeckten Fällen. Allerdings zählt in die Kategorie „Apotheke“ alles rund ums Arzneimittel – das betrügerisch erlangte Geld gelangt ebenso in die Taschen von Ärzten und Patienten. |
Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Luftnummer" in dieser Ausgabe
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