Schwerpunkt Verhütung

10 Punkte für den Verhütungsnotfall

Was bei der Beratung zu einem Notfallkontrazeptivum angesprochen werden sollte

Von Julia Borsch | Die Inhalte der Handlungsempfehlung der Bundesapothekerkammer „Rezeptfreie Abgabe von oralen Notfallkontrazeptiva“ sollte jeder Apotheker im Hinterkopf haben. In der Praxis wird sie aber häufig als etwas sperrig und schlecht umsetzbar erachtet. Daher haben sich viele Apothekenteams einen eigenen Beratungsleit­faden erarbeitet. Die folgenden zehn Punkte, die bei der Abgabe der „Pille danach“ angesprochen werden sollten, basieren auf den Empfehlungen von Apotheker Dr. Christian Ude aus Darmstadt.

1. Wie lang liegt der ungeschützte Geschlechtsverkehr zurück?

Grundsätzlich gilt: Die „Pille danach“ sollte so zeitnah wie möglich eingenommen werden. Je schneller sie eingenommen wird, desto besser die Wirksamkeit. Am besten erfolgt die Einnahme innerhalb der ersten zwölf Stunden.

Zugelassen sind Levonorgestrel (LNG, Levonoraristo®, Pidana®, Unofem®, Postinor®) bis zu 72 Stunden nach der Verhütungspanne, Ulipristal (UPA, ellaOne®) bis zu 120 Stunden. Die WHO empfiehlt in ihrem im Februar 2016 veröffentlichten „Fact Sheet Emergency contraception“ beide Wirkstoffe für ein Zeitfenster von 120 Stunden. Danach bleibt nur der Gang zum Frauenarzt.

2. Wie wird aktuell verhütet?

Bei vergessener „Pillen“-Einnahme oder verspäteter Pflaster- oder Ringanwendung ist möglicherweise keine Notfallkontrazeption notwendig. Das hängt davon ab, um viel sich die Einnahme oder Anwendung verzögert hat. Ausführliche Informationen, welche hormonelle Verhütungsmethode wie viel Toleranz bei der Einnahme zulässt, finden sich in der Handlungsempfehlung der BAK oder in den jeweiligen Fachinformationen (Lesen Sie auch: „Pille vergessen, und jetzt? Wann eine Notfallkontrazeption nötig ist“ DAZ 2015, Nr. 17, S. 8).

Ein Fehler bei der Routineverhütung ist die einzige Situation, bei der in der Apotheke festgestellt werden kann, dass die „Pille danach“ eventuell nicht nötig ist. Zyklusrechenspiele hingegen sind am HV-Tisch tabu.

3. Besteht bereits eine ­Schwangerschaft?

Bei begründetem Verdacht, dass die Patientin bereits schwanger ist (z. B. Ausbleiben der letzten Regelblutung oder andere Auffälligkeiten bei der Periode), sollte keine „Pille danach“ eingenommen und ein Arzt aufgesucht werden. Eine absolute Kontraindikation besteht aber nicht, da Notfallkontrazeptiva nicht zum Schwangerschaftsabbruch führen. Ein teratogenes Potenzial konnte bislang bei keinem der beiden Wirkstoffe nachgewiesen werden.

4. Werden weitere Medikamente eingenommen?

Die klinische Relevanz von Wechselwirkungen ist in den meisten Fällen unklar. So wird diskutiert, ob hormonelle Gestagen-haltige Kontrazeptiva möglicherweise die Wirkung von Ulipristal beeinflussen. In den USA muss ellaOne®-Hersteller HRA-Pharma darauf hinweisen, dass eine hormonelle Kontrazeption erst fünf Tage nach der Einnahme des Notfallkontrazeptivums begonnen werden darf. Die europäische Behörde EMA bewertet die Datenlage anders. (Lesen Sie dazu auch: „‚Pille‘ nur mit Sicherheitsabstand? ellaOne®-Packungen müssen in den USA Warnhinweis tragen“, DAZ 2015, Nr. 48, S. 32) Eine Empfehlung, die Einnahme der „normalen“ Pille auszusetzen, gibt es derzeit in Deutschland nicht. Zumal dies das Risiko für weitere Einnahmefehler erhöht. Nach aktuellem Kenntnisstand soll die Routinekontrazeption normal weiter angewendet werden.

Auch bestimmte Antiepileptika, Johanniskraut oder HIV-Medikamente können für niedrigere Blutspiegel der Notfallkontrazeptiva sorgen. Inwiefern das die Wirksamkeit einschränkt, ist nicht sicher. Eine Kontraindikation besteht nicht. Der BAK-Leitfaden empfiehlt: die Patientinnen sollen sich gegebenenfalls beim Arzt beraten lassen. Ein britischer Leitfaden basierend auf Expertenmeinungen rät, bei Einnahme von CYP-Induktoren die LNG-Dosis zu verdoppeln. Für Deutschland existiert eine derartige Empfehlung nicht.

Chronische Krankheiten stellen in den meisten Fällen keine Kontraindikation dar. Laut der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) gibt es keine Grunderkrankung bei der das Risiko durch die „Pille danach“ größer als der Nutzen ist.

5. Die „Pille danach“ ist ein Notfallmedikament

Der „Notfallcharakter“ der „Pille danach“ sollte in der Beratung herausgestellt werden. Die Präparate sind nicht zur Routineverhütung gedacht. Medizinische Gründe, die gegen eine mehrmalige Einnahme innerhalb eines Zyklus sprechen, gibt es aber nicht.

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass im Rest des Zyklus eine Schwangerschaft möglich ist, da die „Pille danach“ den Eisprung in der Regel nur verschiebt. Deswegen muss weiter mit einer Barrieremethode verhütet werden. Auch Frauen, die routinemäßig hormonell verhüten, müssen bis zum Zyklusende (Einsetzen der nächsten Regelblutung) zusätzlich eine Barrieremethode anwenden.

6. Was tun bei Erbrechen?

Bei Erbrechen innerhalb von drei Stunden nach der Einnahme, muss eine zweite Tablette eingenommen werden.

7. Wird aktuell gestillt?

Stillenden Frauen wird zur Stillpause geraten: bei Ulipristal bis zu 72 Stunden nach der Verhütungspanne, bei Levonorgestrel acht Stunden. In der Stillzeit ist daher Levonorgestrel zu bevorzugen.

8. Verschiebung der Menstruations­blutung

Die nächste Periode kann früher oder später einsetzen. Bleibt sie mehr als sieben Tage aus, sollte ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden.

9. Kein Schutz vor HIV und Co.

Die „Pille danach“ schützt nicht vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Bestehen diesbezüglich Bedenken, zum Beispiel nach ungeschütztem Verkehr mit einem unbekannten Partner, sollte die Patientin auf jeden Fall zeitnah einen Arzt aufsuchen. Zumal nicht alle Geschlechtskrankheiten Symptome verursachen, aber trotzdem unbehandelt schwerwiegende Folgen haben können. Dazu kommt das Risiko mit einer nicht-diagnostizierten Krankheit, andere Partner anzustecken.

Levonorgestrel und Ulipristal haben eine Wirklücke, begründet durch den Wirkmechanismus: So wirkt Levonorgestrel nicht mehr, wenn der LH-Anstieg bereits begonnen hat, Ulipristal versagt nach erfolgtem Eisprung.

10. Kein absoluter Schutz

Keiner der verfügbaren Wirkstoffe schützt mit 100-prozentiger Sicherheit vor einer Schwangerschaft. Es gibt ein Versagensfenster, das im Wirkmechanismus begründet liegt. So wirkt Levonorgestrel nicht mehr wenn der LH-Anstieg bereits begonnen hat, Ulipristal versagt nach erfolgtem Eisprung (siehe Abbildung). Wird eine Frau trotz Einnahme der „Pille danach“ schwanger, kann dafür nicht einfach eine falsche Beratung verantwortlich gemacht werden. |

Literatur

Rezeptfreie Abgabe von oralen Notfallkontrazeptiva („Pille danach“); Handlungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer; Stand 7. Oktober 2015

„Pille“ nur mit Sicherheitsabstand? ellaOne®-Packungen müssen in den USA Warnhinweis tragen; DAZ 2015;48:32

WHO Fact Sheet: Emergency contraception; Februar 2016; http://who.int/mediacentre/factsheets/fs244/en/; letzter Zugriff am 15. April 2015

United States Medical Eligibility Criteria (US MEC) for Contraceptive Use, 2010; www.cdc.gov/reproductivehealth/unintendedpregnancy/usmec.htm; letzter Zugriff am 15. April 2015

Faculty of Sexual & reproductive Healthcare Clinical Guidance Emergency Contraception; Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG); August 2011, updated Januar 2012


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