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Arzneimittel und Therapie
Autismus gibt weiterhin Rätsel auf
Erhöhen Antidepressiva während der Schwangerschaft das Risiko für das Kind?
In einer groß angelegten Registerstudie wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen kindlichem Autismus und der Einnahme von Antidepressiva in der Schwangerschaft untersucht. Ein Forscherteam aus Montreal analysierte die Daten aller Schwangerschaften in Quebec zwischen 1998 und 2009. In dieser Zeit kam es zu über 145.000 Ein-Kind-Geburten. Frühgeborene wurden von der Auswertung ausgeschlossen, da diese vermutlich ein höheres Autismus-Risiko haben. Dieses Ausschlusskriterium bedingt wahrscheinlich die niedrigere Gesamtrate von 0,72% der Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung, die unter der sonst publizierten Rate von 1% liegt. Die Mütter von 4724 Kindern hatten während oder direkt vor der Schwangerschaft mindestens ein Rezept für Antidepressiva eingelöst, 4200 davon während des ersten Trimesters, 2532 während des zweiten oder dritten Trimesters. Bei 40 Kindern, die während des ersten Trimesters Antidepressiva exponiert waren, wurde später eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert (1,2%). Dies entspricht keiner signifikanten Erhöhung des Risikos. Dagegen war die Einnahme von Antidepressiva im zweiten oder dritten Trimester mit einer Risikosteigerung um 87% verbunden. Bei 31 Kindern dieser Gruppe wurde die Diagnose Autismus gestellt (1,0%).
Serotonin spielt eine Rolle
Auch die Art der eingenommenen Antidepressiva beeinflusste die Wahrscheinlichkeit einer Autismus-Spektrum-Störung. So erkrankten Kinder von Müttern, die während des zweiten oder dritten Trimesters selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) eingenommen hatten, mehr als doppelt so häufig wie nicht-exponierte Kinder (Hazard-Ratio [HR] 2,17). Wurden zwei oder mehr verschiedene Antidepressiva eingenommen, stieg das Risiko sogar auf mehr als das Vierfache (HR 4,39). Diese Ergebnisse passen zu den Erkenntnissen, dass SSRI plazentagängig sind und sich die Synthese von Serotonin bei autistischen Kindern anders entwickelt.
Keine voreiligen Schlüsse
Allerdings sollten die Ergebnisse dieser Studie vorsichtig bewertet werden. So wurden nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip nur Diagnosen von Autismus-Spektrum-Störungen betrachtet. Es ist auch möglich, dass die Einnahme von Antidepressiva nur Einfluss auf die Ausprägung der Störung hatte und das, was sich sonst z. B. als Lernstörung gezeigt hätte, über die diagnostische Schwelle zur Autismus-Spektrum-Störung gehoben wurde. Zudem ist auch mütterliche Depression selbst mit einem erhöhten Risiko einer Autismus-Spektrum-Störung beim Kind assoziiert. Zwar wurde bei Müttern, die nur im ersten Trimester Antidepressiva einnahmen, kein erhöhtes Risiko beobachtet, aber man könnte durchaus argumentieren, dass die Mütter, die auch im zweiten und dritten Trimester Antidepressiva nahmen, an einer schwereren Depression litten und somit kein Therapieabbruch möglich war. Ein solcher Therapieabbruch sollte gut überlegt sein: einerseits wegen der Auswirkungen auf die Gesundheit der Mutter und andererseits, weil auch pränataler Stress das Autismus-Risiko erhöhen kann.
Der nebenstehende Kommentar beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, welche in der Schwangerschaft eingenommenen Arzneimittel noch im Verdacht stehen, Autismus-Spektrum-Störungen beim Kind auszulösen. |
Quelle
Boukhris T et al. Antidepressant Use During Pregnancyand the Risk of Autism Spectrum Disorder in Children. JAMA Pediatr 2016;170(2):117-124
King BH. Assessing Risk of Autism Spectrum Disorder in Children After Antidepressant Use During Pregnancy. JAMA Pediatr 2016;170(2):111-112
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