Aus den Ländern

Der ältere Patient – ein besonderer Fall

Fortbildungskongress der Apothekerkammer Berlin

BERLIN | Unter dem Leitsatz „Man ist so alt, wie man sich fühlt“ veranstaltete die Berliner Apothekerkammer am 6. März eine Fortbildung im Kaiserin-Friedrich-Haus bei der Charité. Die Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, sich in Vorträgen und Workshops mit der Thematik der Geriatrie in der Apotheke auseinanderzusetzen.

Zu Beginn der Veranstaltung verwies Dr. Christian Belgardt, Präsident der Apothekerkammer Berlin, auf die Besonderheiten des älteren Patienten und seine wachsende Bedeutung für die Apotheke. Das Gesundheitssystem in Deutschland stehe vor großen Herausforderungen, da sich die Patientenstruktur verändert und die Zahl der Pflegebedürftigen stetig steigt. Das Perspektivpapier „Apotheke 2030“ beschreibe im Grundsatz, wie die Apotheken ihre Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Fachberufen stärken sollen, um ein systematisches Medikationsmanagement zu ermöglichen. Das betreffe insbesondere multimorbide Patienten mit dauerhafter Polymedikation, die eine evidenzbasierte Beratung zu Arzneimitteln benötigen.

Den Alterungsprozess aktiv ­beeinflussen

Prof. Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Leiterin der Forschungsgruppe Geria­trie am Evangelischen Geriatriezen­trum Berlin (EGZB) der Charité, nahm in ihrem Vortrag Bezug auf die Ergebnisse der Berliner Altersstudien BASE I und II, die alte Menschen hinsichtlich ihrer geistigen und körperlichen Gesundheit, ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit sowie psychischen Befindlichkeit multidisziplinär untersucht haben. Dabei erörterte sie auch die körperlichen, geistigen und sozialen Bedingungen, die zu einem möglichst gesunden Altern beitragen.

Die Multimorbidität älterer Personen geht nicht immer mit einer Einschränkung der Lebensqualität einher. So sind 80 Prozent der über 80-Jährigen multimorbide, aber nur jeder Dritte leidet an einer lebensbedrohlichen Krankheit.

Neben den genetischen oder intrinsischen Faktoren spielen die Lebensbedingungen (extrinsische Faktoren) eine entscheidende Rolle im Alterungsprozess. So können eine ausgewogene, salzreduzierte Ernährung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr die Risiken für kognitive Störungen und die Entwicklung einer Demenz verringern.

Weiterhin sagte Steinhagen-Thiessen, dass eine suffiziente Schmerzbehandlung notwendig sei, um Patienten mit chronifizierten Schmerzen wieder mobil zu machen. Als Ärztin habe sie die Erfahrung gemacht, dass stationär behandelte ältere Personen viel zu selten aus dem Bett geholt und zur Bewegung ermutigt werden. Es sei ein weit verbreiteter Irrglaube, dass schmerzgeplagte Patienten sich möglichst wenig bewegen sollten.

Auch die Apotheker sollten im Beratungsgespräch auf den Nutzen von körperlicher Aktivität und Muskel­training hinweisen. Denn die Muskelmasse nimmt ab dem 50. Lebensjahr ab, und damit steigt die Sturzgefahr.

Polypharmazie – Risiken und Alternativen

Apotheker Dr. Christian Ude, Darmstadt, referierte über die Problematik der Polypharmazie und die Möglichkeit der Apotheker, die Medikation – ganz im Einklang mit dem Perspektivpapier „Apotheke 2030“ – zu optimieren. Zu Beginn fragte er, weshalb die Verordnungszahlen beim einzelnen Patienten stetig steigen. Das Auditorium vermutete die vielfältigen Therapiemöglichkeiten oder mehrere behandelnde Ärzte als Ursache. Tatsächlich dürfte jedoch die Neigung zur leit­linienkonformen Behandlung jeder ­Erkrankung schuld sein, denn daraus resultieren bei geriatrischen, multimorbiden Patienten häufig Arznei­mittelinteraktionen und unerwünschte Nebenwirkungen (UAW). Wichtig ist es hier, eine UAW als solche zu erkennen und nicht als Symptom einer Krankheit zu interpretieren. Allerdings ist auf die Aussage eines Patienten zu seiner Medikation nicht immer Verlass, weshalb man mit fachlicher Kompetenz und kommunikativen Fähigkeiten versuchen sollte, die Ri­sikopatienten für eine Medikationsanalyse zu begeistern, so Ude.

In einem persönlichen Gespräch im Beratungszimmer kann der Apotheker alle Informationen zur aktuellen Pharmakotherapie aufnehmen und nachher analysieren. So kann er gegebenenfalls therapierelevante Probleme aufdecken, alternative Lösungen unterbreiten und die Compliance des Patienten fördern. Eine leitlinienkonforme Medikation muss eventuell durch ­Geriatrie-konforme Alternativen mo­difiziert werden. Hierbei kann die Priscus-Liste als Entscheidungshilfe dienen, denn sie listet potenziell in­adäquate Medikamente für ältere Personen auf und nennt geeignete therapeutische Alternativen. Letztlich ist aber vor einer Änderung der Medika­tion eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich.

Workshops

In drei Workshops konnten sich ­Interessierte über diverse Themen des älteren Patienten informieren. Die ­Internistin Dr. Rahel Eckardt, Berlin, ermöglichte es, im Alterssimulationsanzug AgeMan® körperliche Einschränkungen wie Schwerhörigkeit oder begrenztes Sichtfeld selbst zu ­erfahren. Prof. Dr. Sven Stegemann, Graz, verdeutlichte die subjektive Sichtweise des geriatrischen Patienten auf seine Medikation. Dr. Nina Griese-Mammen, Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA, referierte über Arzneimittelinteraktionen und UAW bei geriatrischen Patienten mit Polymedikation und betonte, dass der Apotheker im Beratungsgespräch gezielt danach fragen sollte.

Selbstmedikation bei Senioren

Apothekerin Grit Spading, Eckernförde, gab eine kurze praktische Einführung in das „Senioren-Zumba“ mit musikalischer Untermalung, bei der das Auditorium die Gelegenheit bekam, die in der Mittagspause zugeführten Kalorien in rhythmische Bewegungen umzusetzen. Nachdem sich hierdurch die Mittagsmüdigkeit gelegt hatte, legte Spading anhand verschiedener Fallbeispiele dar, wie Senioren mit typischen Eigenheiten in der Apotheke nach bewährten Mitteln der Selbstmedikation verlangen. Für jedes Beispiel wurde ein Rollenspiel auf der Bühne vorgeführt.

Spading zielte darauf ab, die Apotheker für mögliche Probleme bei der Selbstmedikation zu sensibilisieren. Wenn z. B. ein Patient ein Analgetikum wegen plötzlicher, starker Kopfschmerzen verlangt, können diese darauf zurückzuführen sein, dass er mehrmals vergessen hat, seine Betablocker einzunehmen. Kritisch sah Spading die Einnahme rezeptfreier Schlaftabletten mit dem Wirkstoff Doxylamin (Hoggar® Night), weil dieser in der Priscus-Liste steht. Der Apotheker sollte den Patienten dann auf eine gute Schlafhygiene oder alternativ auf Phytotherapeutika hinweisen. Viele Teilnehmer konnten in diesen sehr praxisnahen Vorführungen ihre eigenen Erfahrungen mit geriatrischen ­Patienten wiedererkennen.

In einer Abschlussdiskussion stellten sich alle Referenten nochmals den Fragen des Auditoriums, wobei Aspekte des multimorbiden, älteren Patienten vertieft wurden. |

Dr. André Said

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