Wirtschaft

Medisana ruft Aldi-Blutzuckermessgeräte zurück

Schlussstrich unter Affäre über ungenaue Teststreifen

vobu | Ein verheerendes Testergebnis, ein zerschnittenes Poster auf einem Ärztekongress sowie eine (erfolgreich abgewehrte) einstweilige Verfügung – viel Wirbel um ein als Aktions­ware bei Aldi Süd vertriebenes Blutzuckermessgerät des Gesundheitsprodukte-Herstellers Medisana. Nun erfolgte der Rückruf über den Discounter.

Im Internetauftritt des Gesundheitsprodukte-Herstellers Medisana mit Sitz im nordrhein-westfälischen Neuss sucht man ihn vergeblich – den vorsorglichen Rückruf des Blutzuckermessgeräts Curamed CM inklusive der Teststreifen der Charge R151018406. Zuerst hatte man wohl per Insider-Mitteilung beim Wirtschaftsdienst DGAP die Aktionäre informiert, zumindest trägt die Mitteilung dort das früheste Datum – noch vor den Mitteilungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem Lebensmitteldiscounter Aldi Süd, bei dem die Geräte im Januar 2016 vertrieben worden waren. Dort ­liefen die Geräte unter dem Namen „Curamed Blutzucker-Messgerät, Starter-Set“ mit der EAN 23277137 und der Artikel-Nummer 43401 als Aktionsware für einige Zeit seit dem 2. Januar 2016.

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Die Sache mit dem Pieks Mit dem„Curamed Blutzucker-Messgerät, Starter Set“ ermittelte Messwerte, „waren geeignet, eine drohende Unterzuckerung zu verschleiern“.

Bis zu 21.500 Geräte betroffen

Damit wird nun wohl ein Schlusspunkt gesetzt unter eine Affäre, die zwei Gerichte beschäftigte und für Empörung bei der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und unter Wissenschaftlern gesorgt hatte. Bis zu 21.500 Geräte könnten deutschlandweit betroffen sein, schätzt Medisana. Vorsorglich rufe man die Geräte nun zurück, heißt es. Die Geräte könne man in die Aldi-Süd-Filialen zurückbringen, der Kaufpreis werde „selbstverständlich erstattet“. Zudem wird davor gewarnt, die erworbenen Teststreifen zu benutzen.

Man reagiere damit auf Vortest­ergebnisse eines unabhängigen Testinstituts, die die bereits publizierten Testergebnisse des Instituts für Diabetes-Technologie in Ulm (IDT) wohl zu bestätigen scheinen, so erklärt das Unternehmen. Diese Ergebnisse des IDT von Anfang des Jahres allerdings, die dem Gerät oder vielmehr den Teststreifen eine verheerend ungenaue Bestimmung des Blutzuckerwertes bescheinigt hatten, waren in Neuss noch vehement angezweifelt worden.

Seinen Anfang nahm das Drama mit einer Studie des IDT. „Das IDT ist ein international anerkanntes Forschungsinstitut mit dem Zweck der Förderung und Entwicklung auf dem Gebiet der Medizintechnologien, insbesondere der Diabetestechnologien“, erklärt der Mediziner Guido Freckmann, Geschäftsführer des Instituts. „Neben Testungen im Auftrag verschiedener Hersteller führt das IDT, im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten, auch Untersuchungen in ­eigener Initiative durch.“

Anfang des Jahres 2016 hatte das Institut eben eine solche selbst-initiierte Testung unter anderem mit einer Teststreifencharge für jenes Blutzuckermessgerät der Firma Medisana durchgeführt, das zu dem Zeitpunkt als Aktionsware beim Discounter Aldi Süd verkauft wurde. „Ziel der Studie war es, zu evaluieren, ob die im Handel erhältliche Teststreifencharge den Genauigkeitsansprüchen gerecht wird, die durch das CE-Zeichen suggeriert werden“, erklärt Freckmann.

Verschleiern einer drohenden Unterzuckerung

Das Ergebnis war dann allerdings verheerend: „Besonders im niedrigen Blutzuckerbereich lagen die Messwerte deutlich zu hoch und waren geeignet, eine drohende ­Unterzuckerung zu verschleiern“, sagte Professor Lutz Heinemann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Im Schnitt seien die Werte um 16 Prozent überhöht gewesen. Der Experte der DDG wertete das als eine Patientengefährdung. Die Ergeb­­nis­se der IDT-Studie sollten dann auf dem von der DDG veranstalteten Diabetes Kongress 2016 in Berlin, der Jahres­tagung der DDG, Anfang Mai veröffentlicht werden.

Medisana erwirkt einstweilige Verfügung ...

Doch das Poster, eine große bildhafte Darstellung der Forschungsergebnisse, die auf solchen Kongressen dem Fachpublikum präsentiert wird, durfte nur mit großen Lücken und ausgeschnittenen und geschwärzten Stellen aufgehangen werden. Denn Medisana hatte im Mai eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es dem IDT bei Strafandrohung unter­sagte, Hersteller, Gerät oder Vertriebsweg auf dem Poster zu nennen. „Hier geht es unserer Auf­fassung nach um Geld und Marktmacht versus Sicherheit der Patienten und Freiheit der Wissenschaft“, empörte sich damals der Präsident der DDG, Professor Baptist Gallwitz.

Begründet hatte der Hersteller ­seine einstweilige Verfügung ­unter anderem damit, dass die Untersuchungen des IDT unwissenschaftlich seien. In einer Stellungnahme hatte man erklärt, die Untersuchungen des IDT entsprächen nicht den wissenschaftlichen Anforderungen „der für die Messung der Systemgenauigkeit von Blut­zuckermessgeräten maßgeblichen ISO Norm 15197:2013“. Man habe nicht die erforderlichen 600 Messungen durchgeführt. Dieser Argumentation war das zuständige Landgericht Berlin im Mai gefolgt und hatte dem Antrag stattgegeben.

... IDT legt erfolgreich Widerspruch ein

„Als akkreditiertes Prüflabor führen wir alle Studien nach höchsten wissenschaftlichen Standards durch“, konterte Freckmann darauf. Denn bei der Untersuchung habe es sich ja auch nicht um eine Konformitätsprüfung, sondern um eine stichprobenartige Kontrolle nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten gehandelt. Dafür reiche im Wesentlichen die Testung einer Charge. „Unsere Studie ist somit aussagekräftig“, sagte Freckmann – weshalb das IDT auch schließlich erfolgreich Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung einlegte.

Auch gegen den Vorwurf von Medisana, es bestünden „erhebliche Zweifel an der Objektivität und Unabhängigkeit des IDT sowie seines Leiters, Herrn Dr. Freckmann“, verwahrte sich der Leiter des IDT. „Nach unserer Kenntnis bestehen enge Verbindungen des IDT und von Herrn Dr. Freckmann zu großen Herstellern von Blutzuckermessgeräten, insbesondere zur Firma Roche“, erklärte Medisana in der Stellungnahme. Freckmann konterte: „Wir sind ein unabhängiges Forschungsinstitut und pflegen Kontakte zu allen unseren Kunden, wir sehen darin aber keinen Einfluss auf unsere Unabhängigkeit. In den letzten Jahren haben wir Studien mit Blutzuckermessgeräten für über 20 verschiedene Firmen aus Europa, Asien und Amerika durchgeführt, darunter auch kleinere Firmen.“

Weiteres Labor bestätigt IDT-Ergebnisse

Im Juni schließlich hatte das Gericht dem Widerspruch stattgegeben, das IDT publizierte seine Ergebnisse daraufhin auch in einer Fachzeitschrift. DDG und IDT hatten bereits seit Mai einen Rückruf von Medisana und Aldi Süd gefordert und die Ergebnisse auch dem BfArM gemeldet. Jedoch wollte man die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Kontroll-Untersuchung bei einem anderen Testlabor abwarten – wo sich die IDT-Ergebnisse nun wohl bestätigt haben.

Fälle geschädigter Patienten und Anwender des Gerätes seien nicht bekannt, erklärt Medisana. Seinen Aktionären erklärte die AG, dass es „negative Sondereffekte aus der Rückrufaktion“ im laufenden Geschäftsjahr geben werde. Jedoch handele es sich bei dem Curamed CM Gerät mit Blick auf den Konzernumsatz um kein wesentliches Produkt. |

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