Arzneimittel und Therapie

Rivaroxaban zeigt sich alltagstauglich

Phase-IV-Studie belegt Sicherheit und Wirksamkeit bei Patienten nach tiefer Venenthrombose

Da die pharmakologischen Daten zu den neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) zumeist aus klinisch-kontrollierten Studien stammen, fehlen bislang weitreichende Analysen zur Anwendung im Praxis-alltag. Nun verglich eine nicht-interventionelle Phase-IV-Studie die Wirksamkeit von Rivaroxaban gegenüber einer antikoagulatorischen Standardtherapie bei tiefen Venenthrombosen unter Alltags­bedingungen.

Zur Substanzgruppe der NOAK zählen die Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban (Xarelto®, Bayer Pharma AG), Edoxaban (Lixiana®, Daiichi Sanyo) und Apixaban (Eliquis®, Bristol Myers Squibb) sowie der Thrombininhibitor Dabigatran (Pradaxa®, Boehringer Ingelheim). Sie sind zugelassen zur Prävention von Schlaganfällen, systemischen Embolien und tiefen Venenthrombosen und werden in den letzten Jahren immer häufiger als Alternative zu den jahrzehntelang bewährten Vitamin-K-Antagonisten eingesetzt. Wirkstoffe dieser Substanzklasse haben gegenüber Warfarin oder Phenprocoumon den Vorteil, dass bei ihrer Anwendung auf eine regelmäßige Messung der INR-Werte zur Überprüfung der antikoagulatorischen Wirksamkeit verzichtet werden kann. Doch ihr vergleichsweise hoher Preis und noch nicht vorhandene Erfahrungswerte lassen Kritik und Vorbehalte gegenüber den neuartigen Vertretern nicht verstummen.

Foto: Springer Medizin/SPL/Agentur Focus

Bei der Verhinderung von Blutgerinnseln machen die neuen oralen Antikoagulanzien den altbewährten Vitamin-K-Antagonisten Konkurrenz.

Real World Data für Rivaroxaban

Wirksamkeit und Sicherheit wurden für Rivaroxaban in der indikationsrelevanten Zulassungsstudie (EINSTEIN-DVT) unter kontrollierten Bedingungen gezeigt. Die nun veröffentlichte Phase-IV-Studie belegt, dass diese Ergebnisse auch auf den Einsatz im Klinikalltag bei Patienten nach tiefer Venenthrombose übertragbar sind [1].

Im Rahmen der multizentrischen, prospektiven und nicht-interventionellen XALIA (XA inhibition with rivaroxaban for Long-term and Initial Anticoagulation in venous thromboembo-lism)-Studie erhielten 4768 Patienten mit tiefer Venenthrombose oder zusätzlich begleitender Lungenembolie zwischen Juni 2012 und März 2014 für mindestens drei Monate entweder Rivaroxaban oder eine antikoagulatorische Standardtherapie, wie zuerst Heparin und anschließende Vitamin-K-Antagonisten.

Die Beobachtungszeit betrug zwölf Monate. Als primäre Endpunkte dienten schwere Blutungen, wiederkehrende venöse Thromboembolien sowie die Gesamtmortalität. Da die Patienten, die Rivaroxaban erhielten, im Vergleich jünger waren und seltener Krebs oder zusätzlich eine Lungenembolie hatten, wurde bei der Auswertung eine Propensity Score-Anpassung vorgenommen (s. Kasten). So konnte einer Verzerrung entgegen­gewirkt werden.

Propensity Score

Propensity bedeutet Hang oder Neigung. Der Propensity Score beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Behandlungsoption aufgrund bestimmter Patientencharakteristika ausgewählt wird. Diese Wahrscheinlichkeit besteht bei Beobachtungsstudien und hat zur Konsequenz, dass sich die Gruppen, die verglichen werden sollen, systematisch unterscheiden. Eine Verzerrung der Ergebnisse ist somit vorprogrammiert.

Diesem Problem kann durch Berücksichtigung des Propensity Scores begegnet werden. Hierfür steht bei Konzipierung und Auswertung der Studie eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung.

Quelle: Austin PC. An Introduction to Propensity Score Methods for Reducing the Effects of Confounding in Observational Studies. Multivariate Behav Res 2011;46:399–424

Die Ereignisraten lagen für alle drei primären Endpunkte in beiden Gruppen unter 3%. Signifikante Unterschiede waren nicht feststellbar. Gleiches galt für Subgruppenanalysen nach Alter, Gewicht, Krebserkrankung oder Nierenfunktion.

Ähnliche Sicherheit

Auch bezüglich der Sicherheit zeigten sich beide Therapieoptionen ähnlich: Die Inzidenz unerwünschter Ereignisse betrug unter Rivaroxaban 36% gegenüber 37,5% unter Standardtherapie. Wurden Patienten aufgrund einer venösen Thromboembolie ins Krankenhaus eingeliefert, betrug die Aufenthaltsdauer bei Standardtherapie im Schnitt 7,7 Tage und war unter Rivaroxaban auf im Mittel 5 Tage verkürzt, was auch mit einer Reduktion der Kosten einhergeht.

Vor allem methodische Differenzen stehen einem direkten Vergleich der zulassungsrelevanten EINSTEIN-DVT mit der neuen XALIA-Studie entgegen. Jedoch stimmen die Ergebnisse zu schweren Blutungen oder wiederkehrenden Venenthrombosen in beiden Studien weitestgehend überein, was eine Übertragbarkeit der Ergebnisse der Zulassungsstudie auf Patienten im Klinikalltag bestätigt.

Die Anwendung von Rivaroxaban bei Patienten mit tiefen Venenthrombosen kann somit auch unter nicht-kontrollierten Bedingungen als Alternative zur konventionellen Antikoagulationstherapie gelten.

Die XALIA-Studie wurde in Abstimmung mit der europäischen Arzneimittelbehörde EMA als Teil des Post-Approval-Plans konzipiert und von einem unabhängigen Komitee ausgewertet.

XANTUS-Studie

Eine weitere nicht-interventionelle Phase-IV-Studie zu Wirksamkeit und Sicherheit von Rivaroxaban ist XANTUS. Hier wurden jedoch Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern eingeschlossen [2]. Auch diese Studie untersuchte die Anwendung von Rivaroxaban unter realen Bedingungen, wobei sich eine niedrige Schlaganfallrate und eine geringe Anzahl an schweren Blutungen zeigte. Beide Studien liefern somit wichtige Daten über die Erfahrungen mit Xarelto® unter Alltagsbedingungen und vertiefen das Verständnis für Therapie und Prophylaxe von Thrombosen in Klinik und Praxis.

Untersuchung anderer NOAK

Auch die anderen Vertreter der NOAK stehen derzeit im Fokus der Evaluation ihrer Wirksamkeit und Sicherheit unter Alltagsbedingungen. Boehringer Ingelheim verwies zusammen mit dem Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA, im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie auf die Überlegenheit von Dabigatran gegenüber Warfarin in der Prävention von Hirninfarkt und Embolien bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und bestätigte somit die alltagsrelevante Wirksamkeit und Sicherheit von Pradaxa® in Übereinstimmung mit der zulassungsrelevanten RE-LY-Studie [3]. Auch Bristol Myers Squibb hat den Start zweier Phase-IV-Studien bekannt gegeben. Hierbei wird Apixaban im Klinikalltag an Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und akutem Koronarsyndrom (AUGUSTUS-Studie) bzw. an Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und Kardioversion (EMANATE-Studie) gegenüber Warfarin und anderen Vitamin-K-Antagonisten evaluiert.

Negative Schlagzeilen

Dennoch reißen die negativen Schlagzeilen zu den NOAK trotz dieser positiven Ergebnisse nicht ab. So werden derzeit Unregelmäßigkeiten wegen defekter Testgeräte zur Bestimmung der Blutgerinnung bei der zulassungsrelevanten ROCKET-AF Studie zu Xarelto® diskutiert. Kürzlich ist auch eine Strafanzeige gegen Boehringer Ingelheim eingegangen, da eventuell interne Erkenntnisse zur möglichen Notwendigkeit einer regelmäßigen Messung der Plasmaspiegel bei Anwendung von Pradaxa® verschwiegen wurden [4].

Fazit

Antikoagulation zur Prävention von Thrombosen bei Risikopatienten bleibt eine komplexe Problematik und erfordert eine enge Überwachung von Seiten des Arztes sowie eine hohe Compliance des Patienten. Jede Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer solchen Therapie wird daher sehnlichst erwartet. Ob die NOAK zukünftig weiterhin eine essenzielle Rolle spielen, werden die nächsten Jahre zeigen. Es bleibt zu hoffen, dass die durchaus positiven Studienergebnisse nicht durch potenziell rechtswidriges Verhalten der Hersteller konterkariert werden. |

Quelle

[1] Ageno W et al. Safety and effectiveness of oral rivaroxaban versus standard anticoagulation for the treatment of symptomatic deep-vein thrombosis (XALIA): an international, prospective, non-interventional study. The Lancet Haematology, online veröffentlicht 7. Dezember 2015

[2] Camm AJ et al. XANTUS: a real-world, prospective, observational study of patients treated with rivaroxaban for stroke prevention in atrial fibrillation. European Heart Journal, online veröffentlicht 1. September 2015

[3] Lauffenburger JC et al. Effectiveness and safety of dabigatran and warfarin in real-world US patients with non-valvular atrial fibrillation: a retrospective cohort study. J Am Heart Assoc 2015;4:e001798

[4] Cohen D. Dabigatran: how the drug company withheld important analyses. BMJ 2014;349:g4670

Apotheker Dr. André Said


Das könnte Sie auch interessieren

Ein Update zu den neuen oralen Antikoagulanzien

Neue Daten zu Dabigatran

Review untersucht Adhärenz bei den neuen oralen Antikoagulanzien

Einmalgabe ist nicht immer besser

... die mit einem guten Medikationsmanagement verhindert werden können

Vermehrt Komplikationen unter oralen Antikoagulanzien ...

Breite Anwendung für den Faktor-Xa-Inhibitor

Rivaroxaban vereinfacht die Antikoagulation:

Neue orale Antikoagulanzien beeinträchtigen die Funktion nicht so sehr wie Warfarin

NOAKs schonen die Nieren

Schlechte Adhärenz unter neuen oralen Antikoagulanzien

Prädikat unzureichend

... mit der richtigen Dosis und dem richtigen Dosierungsschema für den richtigen Patienten

Orale Antikoagulanzien sicherer machen ...

Ein weiteres Argument für die neuen oralen Antikoagulanzien

Weniger Knochenbrüche unter Dabigatran

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.