Die Seite 3

Geld regiert die Welt ...

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Die gesetzlichen Krankenkassen sollen mit den ihnen anvertrauten Geldern wirtschaftlich umgehen und sie nicht „zum Fenster hinauswerfen“. Oder um es mit dem 5. Sozialgesetzbuch zu sagen: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen“ (§ 12 SGB 5).

Gegen dieses „Wirtschaftlichkeitsgebot“ ist wenig einzuwenden, denn die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Solidargemeinschaft, die Beiträge richten sich nach der Wirtschaftskraft der Versicherten (inklusive kostenlos mitversicherten Kindern und Ehegatten) und nicht wie bei anderen Versicherungen nach dem Schadensrisiko. Also darf man als Beitragszahler erwarten, dass mit den Beiträgen nur wirklich notwendige Maßnahmen bezahlt werden.

In letzter Zeit jedoch muss man den Eindruck gewinnen, dass in vielen Bereichen wirtschaftliche Betrachtungen noch über gesundheitlichen stehen. Der ehemalige Geschäftsführer des Apothekerverbands Nordrhein, Uwe Hüsgen, hat im ersten Teil des DAZ-Artikels „Partner der Apotheken?“ (DAZ 2015, Nr. 43, S. 18) deutliche Worte über „Defizite und Fehlverhalten gesetzlicher Krankenkassen“ gefunden. Er führt in seiner – auf eine Studie der Noweda zurückgehenden – Analyse in eindringlicher Weise aus, wozu das Wirtschaftlichkeitsgebot in Kombination mit der Vorstandshaftung geführt hat: „Die Krankenkassen [bekamen] Funktionen, auf die sie nach Meinung vieler Experten nicht vorbereitet waren.“ Retaxationen bei Apothekern, (angedrohte) Regresse bei Ärzten und Versorgungseinschränkungen bei Versicherten (z. B. bei Hilfsmitteln, aber auch Lieferengpässe usw.) sind für Hüsgen die Folgen dieser Entwicklung.

Offensichtlich gewichten zunehmend auch (höchste) Gerichte die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkassen stärker als die gesundheitlichen bzw. Versorgungsinteressen des einzelnen Versicherten. Das Bundessozialgericht hat nun entschieden, dass Krankenkassen das Grundrecht auf die freie Wahl der versorgenden Apotheken zumindest in der Zytostatikaversorgung aufheben dürfen. Da solche Versorgungsverträge nur dann zu nennenswerten Einsparungen führen können, wenn die teilnehmenden Apotheken Exklusivität zugesichert bekommen, sei dies ein essenzieller Punkt, führten die Richter in der mündlichen Urteilsbegründung aus (s. „Hauptsache billig“, S. 22 dieser DAZ). Und hat damit die Wirtschaftlichkeit eindeutig über den erklärten Willen der Versicherten gestellt.

Das Sozialgesetzbuch schreibt den Krankenkassen aber nicht nur vor, wirtschaftlich zu handeln. Es beginnt mit den Worten: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“ (§ 1 SGB 5). Vielleicht sollten die Krankenkassen – und manche Gerichte – sich hin und wieder daran erinnern, dass dieser Satz für den Gesetzgeber offensichtlich die höchste Priorität hatte.


Dr. Benjamin Wessinger


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