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- DAZ 47/2015
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Krebsprävention
Mit ASS gegen Krebs
Eine Prävention scheint möglich, doch wer profitiert?
Die ersten Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von ASS und einem verringerten Krebsrisiko wurden bereits 1988 publiziert. Diese Veröffentlichung sah eine Korrelation zwischen dem verringerten Auftreten maligner Neoplasien und der Einnahme von ASS. In der sechsjährigen kontrollierten offenen Studie mit über 5000 britischen Ärzten sollte vornehmlich der Nutzen einer regelmäßigen Einnahme von 500 mg ASS zur Primärprävention kardiovaskulärer thrombotischer Ereignisse untersucht werden. Als Nebenergebnis wurde eine geringfügige Senkung krebsbedingter Todesfälle festgestellt, was die Autoren als Zufallsbefund einstuften. Diese Veröffentlichung zog zahlreiche weitere experimentelle Studien, Tierversuche, epidemiologische Studien sowie Nachauswertungen großer Studien und Metaanalysen nach sich. Dabei ging es um Fragen der Dosierung, der Einnahmedauer und des Wirkmechanismus, welche Tumorentitäten einer Chemoprävention zugänglich sind, ob Männer und Frauen in gleicher Weise ansprechen, wie das Nutzen-Risiko zu werten ist und ob weitere nicht-steroidale Antirheumatika dieselbe Wirkung aufweisen. In einer Vielzahl der Studien wurde gleichzeitig – oder vorrangig – die präventive Wirkung von ASS bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Einige Studien führten zu widersprüchlichen Ergebnissen, aber mit der Zeit verdichteten sich die Hinweise auf eine tumorprotektive Wirkung von ASS.
Wirkweise ungeklärt
Wie der tumorprotektive Effekt von ASS zustande kommt, ist derzeit nicht vollständig geklärt. Man vermutet COX-abhängige und COX-unabhängige Mechanismen. Der COX-abhängige Weg wird auf die antiinflammatorischen Eigenschaften von ASS und die Hemmung der Plättchenaktivierung zurückgeführt; ferner sind apoptotische Effekte bekannt. Diskutiert wird ebenfalls die Rolle von ASS bei der Metastasierung solider Tumoren. Einigen Publikationen zufolge kann ASS auch das Risiko für das Auftreten distanter Metastasen vermindern. Wahrscheinlich tragen mehrere Mechanismen zu den anti-onkogenen Effekten von ASS bei.
Benefit bei mehreren Krebsarten
Eine 2014 publizierte Übersichtsarbeit von Jack Kuzick, die auf systematische sowie randomisierte kontrollierte Studien zurückgriff, beschreibt die präventiven Wirkungen von ASS im Hinblick auf onkologische Erkrankungen folgendermaßen: Nimmt ein Individuum mit durchschnittlichem Erkrankungsrisiko zwischen dem 50. und 65. Lebensjahr über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg ASS ein, führt dies zu einer relativen Risikoreduktion zwischen 7% (bei Frauen) und 9% (bei Männern), während der nächsten 15 Jahre an einem Tumor, einem Myokardinfarkt oder an einem Schlaganfall zu erkranken. Die relative Abnahme der Gesamtmortalität während der nächsten 20 Jahre liegt bei 4%. Der krebspräventive Effekt zeigt sich allerdings erst nach einer mehrjährigen Einnahme (Einfluss auf die Inzidenz nach drei Jahren, auf die Mortalität nach fünf Jahren), dafür kann er noch Jahre nach dem Absetzen andauern. Zwischen einer niedrigen und höheren Dosis scheinen keine Unterschiede zu bestehen, allerdings bergen höhere Dosierungen ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko. Die Risikoreduktion bei einzelnen Tumorentitäten ist unterschiedlich ausgeprägt (s. Tab). So senkt obiger Arbeit zufolge ASS das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, um rund 40%, die Rate tödlicher Ösophaguskarzinome um 50%. Auch eine präventive Wirkung gegen Magenkrebs scheint gesichert. Etwas unsicherer ist die Datenlage zu Lungen-, Prostata- und Brustkrebs.
Tumorart |
Inzidenz |
Mortalität |
---|---|---|
kolorektales Karzinom |
30 – 35% |
35 – 40% |
Ösophaguskarzinom |
25 – 30% |
45 – 50% |
Magenkrebs |
25 – 30% |
30 – 35% |
Lungenkrebs |
0 – 5% |
10 – 15% |
Prostatakarzinom |
5 – 10% |
10 – 15% |
Brustkrebs |
5 – 10% |
0 – 5% |
* Die Angaben können je nach Studienlage variieren und geben die Angaben nach Cuzick wieder |
ASS zur Primärprävention von Darmkrebs
Die meisten Studien liegen zur Primärprävention kolorektaler Karzinome vor, Daten zur Sekundärprävention sind weniger häufig. Die Zahlen zur Senkung des Darmkrebsrisikos bei der Primärprävention variieren; in etwa scheint durch die mehrjährige ASS-Einnahme das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, um rund 25%, das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, um etwa 35% vermindert zu werden; es lassen sich aber auch Zahlen finden, die den Benefit höher oder geringer einstufen. Eine unlängst veröffentlichte dänische populationsbasierte Fall-Kontroll-Studie zeigte erneut den Nutzen einer langfristigen ASS-Einnahme bei der Senkung des Darmkrebsrisikos auf. Die untersuchte Kohorte umfasste 10.280 Patienten, die von 1994 bis 2011 in Norddänemark an Darmkrebs erkrankt waren. Ihnen wurde eine nach Alter, Geschlecht und Region angepasste Kontrollgruppe von 102.800 Probanden gegenübergestellt und das Darmkrebsrisiko in Abhängigkeit von einer ASS-Einnahme und anderer NSAIDs ermittelt. Studienteilnehmer, die über mehr als 5 Jahre kontinuierlich ASS in niedriger Dosierung (75 bis 150 mg) eingenommen hatten, wiesen ein um 27% geringeres Darmkrebsrisiko auf. Die Einnahme anderer NSAIDs war mit einer noch höheren Reduktion des Darmkrebsrisikos assoziiert.
Bekanntes und offene Fragen
Dem derzeitigen Wissensstand zufolge ist eine präventive Einnahme von niedrig dosierter ASS zur Primärprophylaxe von Darmkrebs nur sinnvoll, wenn diese langfristig (fünf bis zehn Jahre) und ohne Unterbrechung erfolgt. Der Nutzen zeigt sich erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Beginn der ASS-Einnahme.
Offen sind Fragen zur Dauer der Einnahme und der Dosis von ASS, ebenso wann mit der Einnahme begonnen und wann sie beendet werden soll. Auch ist nicht geklärt, wer von einer präventiven Einnahme profitiert oder wem sie schadet. Möglicherweise sind molekulargenetische Untersuchungen der Schlüssel zur Identifizierung derjenigen, die am stärksten von einer ASS-Einnahme profitieren. Diese Annahme unterstützen zwei aktuelle Studien, bei denen an einem großen Kollektiv der Genotyp berücksichtigt wurde. Unter anderem konnte gezeigt werden, dass es eine kleine Gruppe von Menschen zu geben scheint, die bei regelmäßiger ASS-Einnahme ein höheres Risiko für kolorektale Karzinome hat.
Schützender Effekt in Abhängigkeit vom Genotyp
Diesen Studien zufolge reduziert die regelmäßige Einnahme von ASS das Risiko für kolorektale Karzinome in der gesamten Population. Es gibt jedoch Untergruppen, für die diese Aussage nicht zutrifft. So konnten zwei Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) identifiziert werden, die die schützende Wirkung von NSAIDs beeinflussten: rs2965667 und rs10505806, die beide auf dem Chromosom 12p12.3 liegen. Lag der Genotyp rs2965667-TT vor, führte die Einnahme von ASS zu einer Risikoverminderung, lag jedoch der TA- oder AA-Genotyp vor, was bei einer kleinen Gruppe der Fall war, war das Risiko unter der Einnahme von ASS um 11% erhöht. Ähnlich sahen die Ergebnisse in Bezug auf den Polymorphismus rs10505806 aus: Bei Probanden mit rs10505806-AA-Genotyp sank das Risiko, bei Studienteilnehmern mit AT- oder TT-Genotyp – wiederum nur eine kleine Gruppe –stieg das Risiko, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken. Mithilfe dieser Studie wurde also gezeigt, dass die überwiegende Anzahl der Probanden protektive Genotypen aufwies, bei denen die Einnahme von ASS und NSAIDs das Darmkrebsrisiko senkt, bei einem kleinen Teil kam es hingegen zu einer Risikoerhöhung. Eine molekulargenetische Stratifizierung könnte demnach über Schaden und Nutzen einer Darmkrebsprävention mit ASS entscheiden.
Untersucht wird auch, ob der präventive Effekt von ASS von der Konzentration an 15-PGDH (15-Hydroxyprostaglandin-Dehydrogenase) im Darm abhängt.
Eine besondere Rolle könnte ASS beim Vorliegen bestimmter Erkrankungen wie dem Lynch-Syndrom spielen. Beim hereditären nicht polypösen Kolonkarzinom (Lynch-Syndrom) besteht eine erbliche Veranlagung für kolorektale Karzinome aufgrund eines veränderten DNA-Reparatur-Gens. Es konnte gezeigt werden, dass unter der täglichen ASS-Einnahme (600 mg über mindestens zwei Jahre) die Inzidenz kolorektaler Karzinome bei Patienten mit Lynch-Syndrom signifikant gesenkt werden kann. Die S3-Leitlinie rät derzeit von einer medikamentösen Prävention mit ASS bei Lynch-Syndrom ab, das gilt auch für weitere Risikogruppen.
„Es ist unzweifelhaft, dass der Gesamteffekt [eine Reduktion des Darmkrebsrisikos und der Darmkrebsmortalität] eine Summe sehr heterogener Einzeleffekte ist und dass es Patienten geben wird, die stark profitieren und andere, bei denen der Effekt sehr gering ist. [...] Wenn wir künftig auch die molekulargenetischen Konstellationen kennen, bei denen ASS einen besonders starken Effekt hat, wird sicherlich auch eine Primärprophylaxe sinnvoll sein.“
ASS bei weiteren Tumorentitäten
Zum Einfluss von ASS auf weitere Tumorarten liegen weniger Untersuchungen vor. Konsistente Daten bestätigen einen protektiven Effekt bei Karzinomen des Ösophagus mit einer deutlichen Reduktion der Mortalität. Ebenfalls positiv wirkt sich die Einnahme von ASS beim Magenkarzinom aus, auch hier ist eine Abnahme der Inzidenz und Mortalität zu verzeichnen. Bei anderen Tumorentitäten wie etwa Karzinomen der Lunge, der Brust und der Prostata ist der Effekt weniger ausgeprägt oder derzeit noch schlecht einzuschätzen. Einige Studien zeigen einen protektiven Effekt beim Ovarialkarzinom, ein Schutz vor Melanomen wird kontrovers diskutiert. Keinen protektiven Effekt zeigt die Einnahme von ASS bei der Verhinderung von Nierenkrebs, hier wird ein erhöhtes Risiko vermutet.
Was empfehlen die Leitlinien?
Die deutsche S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ (Stand 2014 und gültig bis 2016) befürwortet eine allgemeine Prävention mit ASS nicht: „Acetylsalicylsäure soll nicht zur Primärprävention des kolorektalen Karzinoms in der asymptomatischen Bevölkerung eingenommen werden“ (Empfehlungsgrad A). Die Leitlinie begründet diese Empfehlung mit der gehäuften Inzidenz gastrointestinaler Blutungen unter ASS und der fehlenden Bewertung der Nutzen-Risiko-Relation.
Im September 2015 stellte die U.S. Preventive Services Task Force den Entwurf einer Empfehlung zur präventiven Einnahme von ASS zur Diskussion. Dieser befasst sich vorrangig mit der Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen durch ASS, aber auch mit der Prävention kolorektaler Karzinome. Der Entwurf enthält eingeschränkte Empfehlungen zur langfristigen Einnahme von niedrig dosiertem ASS und unterscheidet sich demnach von der deutschen Leitlinie. Die Endfassung ist derzeit noch nicht veröffentlicht.
Nutzen und Risiken abwägen
Dem Benefit eines reduzierten Tumorrisikos durch die langfristige Einnahme von ASS steht eine Reihe unerwünschter Risiken, vor allem tödlicher gastrointestinaler Blutungen, tödlicher Schlaganfälle und tödlicher peptischer Ulzera, gegenüber. Liegen bereits Risikofaktoren vor, die das Blutungsrisiko erhöhen, wie etwa Rauchen, Alkoholkonsum oder eine Infektion mit Helicobacter pylori, könnte die Nutzen-Risiko-Bilanz negativ werden. Dasselbe gilt für Patienten, bei denen ein erhöhtes Blutungsrisiko vorliegt, darunter fallen etwa Diabetiker oder Hypertoniker.
Zur Veranschaulichung von Nutzen und Risiko hier einige Zahlen:
Wenn 1000 Männer und 1000 Frauen im Alter von 55 Jahren mit einer täglichen, zehn Jahre andauernden ASS-Einnahme beginnen, gilt für diese zehn und die folgenden zehn Jahre:
- Von 1000 Männern sterben 115 an Krebs, unter einer Einnahme von ASS sterben zwischen 11 und 15 Männer weniger an Krebs.
- Von 1000 Frauen sterben 88 an Krebs, unter der Einnahme von ASS sterben zwischen sechs und acht Frauen weniger an Krebs.
- Ohne ASS-Einnahme sterben 23 Männer an den Folgen eines Schlaganfalls, einer Blutung im Verdauungstrakt oder eines Magengeschwürs; unter der ASS-Einnahme sind es zwei Männer mehr.
- Ohne ASS-Einnahme sterben 18 Frauen an den Folgen eines Schlaganfalls, einer Blutung im Verdauungstrakt oder eines Magengeschwürs; unter der ASS-Einnahme ist es eine Frau mehr.
- Der tumorpräventive Nutzen einer ASS-Einnahme ist ungefähr vergleichbar mit demjenigen einer Vermeidung von Adipositas. |
Quellen
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