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Stille Post

Mündliche Informationen führen zu missverständlicher Oxycodon-Retard-Verordnung

Mündlich weitergegebene Informationen bergen immer die Gefahr von Missverständnissen. In Hochrisiko-Bereichen wie der Arzneimittelversorgung kann das fatale Folgen haben. Da es derzeit keine Form der Patientenakte gibt, auf die alle Beteiligten im Gesundheitswesen zugreifen können, kommt es insbesondere an den Schnittstellen zu Problemen und Fehlinterpretationen, so wie im folgenden Fall.

Eine Frau kommt in die Apotheke, um für ihren Vater ein Rezept über Oxycodon-Retardtabletten 30 mg einzulösen. Sie berichtet, dass er bereits seit mehreren Monaten mit dem Arzneimittel therapiert wird. Die Anwendung ist ihm bereits gut vertraut. Üblicherweise geht er selbst zur Apotheke, nach einem Krankenhausaufenthalt ist er jedoch geschwächt und hat daher seine Tochter gebeten, das Rezept einzulösen. Erste Irritationen wirft die Dosierungsangabe von 30 mg morgens, 20 mg mittags und 30 mg abends auf. Ein Blick in die aktuelle Apotheken-EDV verdeutlicht, dass das verordnete Präparat nicht drittelbar ist. Die Mittagsdosis zu 20 mg kann also mit dem verordneten Präparat nicht realisiert werden. Alle weiteren im Handel befindlichen Präparate sind, wenn überhaupt, halbierbar. Zu den genaueren Hintergründen dieser Verordnung ist der Abholerin nichts weiter bekannt. In dieser unklaren Situation kann weder eine sichere noch eine effektiv wirksame Versorgung des Patienten mit dem verordneten Präparat gewährleistet werden. Aus gutem Grund wird von der Abgabe zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen, um weitere benötigte Informationen einzuholen.

Fakten-Check:

Geschlecht: männlich

Alter: 68 Jahre

Problembeschreibung:
abholende Person besitzt keine Detailkenntnisse zur bisherigen Therapie
Sektorwechsel stationär / ambulant durch Rückkehr aus dem Krankenhaus

Verordnung:
Oxycodon 30 mg RET N3 
in nicht teilbarer Darreichungsform

Dosierungsangabe auf dem Rezept: 30 mg – 20 mg – 30 mg

Gesagt, gehört, getan … geirrt!

Zum Selbstverständnis der versorgenden Apotheke vor Ort gehört auch der gelebte Verbraucherschutz. Eine Abgabe des hoch wirksamen Arzneimittels ist erst nach Klärung aller erkannten Fragen zulässig. Neben dem Fachwissen bestimmen in Gesundheitsfragen die wahrgenommenen und die erfragten Aspekte sowie die nachfolgende Bewertung, welche Schlüsse wir ziehen können. Jeder Aspekt und jede Handlung, scheinen sie noch so klein oder unbedeutend, können manchmal weitreichende Folgen haben. Gleiches gilt für unterlassene Maßnahmen und unbekannte oder fehlinterpretierte Details. Vor diesem Hintergrund lässt sich ein arzneimittelbezogenes Problem als Konsequenz eines suboptimal ablaufenden Prozesses verstehen (Schiefe-Turm-von-Pisa-Effekt). Im Sinne eines klassischen Folgefehlers hat sich im vorliegenden Fall eine inhaltlich korrekte Information an der falschen Stelle wiedergefunden – und beinahe ihre eigene, unerwünschte Wirkung entfaltet:

Gehört heißt nicht immer auch verstanden

Ein Anruf in der Praxis führte zu interessanten Erkenntnissen. Vor dem Klinikaufenthalt wurde der Patient mit zweimal täglich 30 mg Oxycodon in retardierter Form therapiert. Als sich die Schmerzsymptomatik akut verstärkte, wurde zusätzlich 5 mg Oxycodon in schnellfreisetzender Form verordnet, das auf der Station bei Bedarf verabreicht wurde. Die Dosis der Bedarfsmedikation bei Entlassung betrug viermal täglich 5 mg. Das führte zu einer „Gesamt­tagesbedarfsdosis von 20 mg“ (sic!). Genau diese Gesamtdosis teilte der Patient seiner Ärztin auf Nachfrage mit. So fand sich der Wert auf der Verordnung wieder. Dies ist ein faszinierendes Beispiel, wie aus einer inhaltlich richtig formulierten, mündlich weitergegebenen Information eine schriftlich festgehaltene, falsche Information entsteht. Die Wirkstoffmenge von 20 mg ist isoliert betrachtet korrekt, allerdings spiegelt erst die Konkretisierung „in Form von Kapseln zu je 5 mg, gegeben im Abstand von 6 Stunden als Bedarfsmedikation“ die tatsächliche Situation wider.

Oxycodon 5 mg, retardiert oder schnellfreisetzend verkapselt, das wäre hier die passende Nachfrage gewesen.

Ähnliche Probleme sind auch denkbar bei den vielen „Sound-alikes“, also ähnlich klingenden Namen von Wirkstoffen oder Präparaten, die sich ausgesprochen leicht verwechseln lassen und somit zu Problemen führen können.

Bedenkenswerte Probleme

Informationsverlust, Fehlinterpretationen und uneindeutige Formulierungen zählen zu den Risiken des Schnittstellenübertritts (ambulant/ stationär, in beiden Richtungen)

Fehlende Teilbarkeit. Die angegebene Dosierung ist mit dem verordneten Präparat nicht umsetzbar, da dieses nicht drittelbar ist. Der Patient besitzt auch kein Präparat in der 20-mg-Stärke. Allein die Kenntnis der ungewöhnlich erscheinenden Dosierung hat die klärende Nachfrage angestoßen.

Missverständliche Darstellung. Die Gesamtdosis der Bedarfstherapie wurde irrtümlich zur Dauertherapie-Dosis hinzuaddiert. Die 20 mg stellen die Tagesmaximaldosis des schnellfreisetzenden Akutmedikaments Oxycodon 5 mg Kapseln dar.

Riskante Fehlanwendung. Zerstörerische Teilungsversuche unter Aufhebung der Retardierung würden zum gefährlichen Dose Dumping führen.

Übersehen, oder besser überblicken?

Diese Fehleranfälligkeit im therapeutischen Setting erfordert Zusammenarbeit der Beteiligten: Im ersten Schritt findet die Verordnung durch die Arztpraxis statt, gefolgt von der reflektierten Abgabe in der Apotheke unter Erfüllung ihrer Korrektivfunktion. Aus dieser alltäglichen, komplexen Turbulenz führt der dreiteilige Weg zur Vorbeugung künftiger arzneimittelbezogener Probleme zum Wohle des Patienten:

  • Angebot eines Kundenkontos in seiner Hausapotheke vor Ort,
  • einer zeitnahen Medikationsanalyse und
  • einem aktuellen, vollständigen Medikationsplan als Initiationskeim eines interprofessionellen Medikationsmanagements.

Was wäre, wenn ...

... Abkürzungen zu einem riskanten Informationsdefizit bei der BtM-Versorgung führen?

Aus gutem Grund ist die unkonkrete Angabe „bei Bedarf“ auf einem BtM-Rezept unzulässig. Wie oft besteht der Bedarf, welche Obergrenze gilt es einzuhalten? Welche Einzeldosis ist angemessen? Wann sollte sich der Patient bei der Arztpraxis melden, um eine Dauer-Bedarfsmedikation bewerten zu lassen und eine Anpassung der Dauermedikation vorzunehmen? Relevante Hintergründe wie diese lassen sich nur durch konkrete Angaben sicher umsetzen und im Patientengespräch – auch in der Apotheke – reflektieren. Zulässig ist die Angabe „gemäß schriftlicher Anweisung“. Sie ist ebenso ungünstig, da sich aus dieser Angabe in der Apotheke keine sicherheitsrelevanten Informationen ablesen lassen. Der vorliegende Fall wäre bei dieser Formulierung nicht aufgefallen und hätte somit zu einer Fehlanwendung, Untertherapie oder schlechterer Verträglichkeit durch inadäquate Teilung (Cave: Dose Dumping) bis hin zu denkbaren Verordnungskaskaden geführt. Mit all den bekannten leidvollen und kostenintensiven Auswirkungen für Patienten bzw. Krankenkassen. Begrüßenswert sind hingegen Angaben zur konkreten Dosierung. Sie ermöglichen, Probleme in der Apotheke im Moment der Abgabe zu detektieren.

Gute schriftliche Kommunikation steigert die Arzneimitteltherapiesicherheit und ist daher stets willkommen. Sie ist ein leicht gangbarer Weg, Anwendungsfehlern vorzubeugen, etwa indem unvermeidliche Tablettenteilungen bei der Substitution aufgrund von Rabattverträgen berücksichtigt werden. Wir denken auch in diesen Situationen an bewährte lösungsorientierte Ansätze, beispielsweise die Anwendung der Sonderziffer Nummer 6. Positiv auf die Versorgungsqualität kann eine Feedbackschleife Apotheke /Arzt wirken, um in einem ruhigen Moment auf die Folgen der unpräzisen Verordnungsweise hinzuweisen. Vermittelt wird nicht der Aufwand für die Apotheke (dieser Sachverhalt interessiert tatsächlich niemanden, da alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen jeweils genug eigene Probleme haben), sondern der Nutzen der konkreten Dosierungsangaben für den einzelnen Patienten, die Auswirkung auf die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) oder die Folge für das anvisierte therapeutische Ziel.

... die EDV der Arztpraxis nur plausible Dosierungsangaben zulassen würde?

Die Vorgaben zur Ausstellung eines BtM-Rezeptes scheinen komplex zu sein, da in diesem Bereich wiederholt dieselben Verordnungsfehler und Ungenauigkeiten auftreten. Computergestützte Systeme zur Ausstellung von BtM-Verordnungen könnten wesentlich mehr autokorrektive Unterstützung bieten, als es bisher der Fall ist. EDV-Systeme sollten primär der Erleichterung des Arbeitslebens dienen, nicht seiner Verkomplizierung. In der Praxis sind sie jedoch des Öfteren der Grund für zeitraubende Telefonate wegen aufgetretener Formfehler, wie dem fehlenden „A“ oder der vergessenen Dosierungsangabe, welche in der Apotheke zu hochrelevanten Problemen (Zeit, Geld, Nerven, juristische Probleme, Gefährdung der AMTS) führen können. Beachtlich ist die Tatsache, dass bei BtM-Rezepten eine manuelle Eingabe teils unsinniger, realitätsferner Dosierungen überhaupt möglich ist. Arztpraxen sind eher selten erfreut, von Apotheken wegen bestehender Formfehler kontaktiert zu werden. Auch Apotheken verstehen unter konstruktiver interdisziplinärer Kommunikation etwas anderes. Eine einfache Lösung bestünde darin, dass die EDV der Arztpraxis nur Angaben ermöglicht, die auch in der Realität anwendbar und umsetzbar sind. Um beim Beispiel zu bleiben, ist die Angabe einer Dosierung von 20 mg mit dem gewählten Retardpräparat zu 30 mg einfach unmöglich und daher unsinnig und außerdem potenziell gefährlich. Erstaunlich ist auch, dass es technisch überhaupt möglich ist, ein BtM-Rezept ganz ohne Dosierungsangabe auszudrucken. Eine simple Fehlermeldung würde das Problem lösen.

Hochtechnologische, effiziente Computersysteme finden sich heutzutage in allen Bereichen der Gesellschaft, da sollte der AMTS-kritische Arbeitsschritt der Rezeptausstellung in den Praxen bzw. Ambulanzen nicht ausgenommen bleiben. Außerdem ist es notwendig, die Praxis-EDV regelmäßig zu aktualisieren (ergo: zweimal monatlich in Analogie zu den Apotheken). Ein Datensatz mit dem Stand vom Februar 2012 liefert garantiert früher oder später Verordnungsfehler oder Rezepte von musealem Inhalt. Viele unerfreuliche Telefonate ließen sich auf diesem Wege einfach vermeiden, Gleiches gilt für die Unterbrechung wesentlich wichtigerer Tätigkeiten.

... die vermerkte Dosis 30 mg – 15 mg – 30 mg betragen hätte?

Wenn in der Akutphase dreimal 5 mg eingenommen worden wären, entspräche somit die angegebene Mittagsdosis exakt einer halben Retardtablette. In diesem Fall könnte sich durch einen Folgefehler die Dosis von 1 - 0,5 - 1 Retardtabletten einschleichen, also eine unbeabsichtigte Höherdosierung (unter möglicher Beibehaltung der Bedarfsgaben) mit dem möglichen erhöhten Risiko von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. |

Autor

Christian Schulz, Apotheker aus Hiddenhausen; Medicum-Apotheke Lemgo, Glocken-Apotheke, Bad Salzuflen

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