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Apothekentests und Beratungsstandards
OTC-Gipfel im Zeichen der evidenzbasierten Selbstmedikation
Immer wieder testen Verbrauchermagazine im Fernsehen die Beratungsleistung von Apotheken, aber auch die Sinnhaftigkeit von OTC-Arzneimitteln. Oft werden dann alle 21.000 Apotheken medial mit den getesteten zehn gleichgesetzt. „Gemäß dem bewährten Motto ‚only bad news are good news‘ werden gezielt Negativbeispiele herausgearbeitet – ein ganzer Berufsstand wird auf diese Weise in regelmäßigen Abständen verunglimpft“, heißt es in einem Video, das der Apothekerverband Nordrhein am 22. Oktober vor einer Podiumsdiskussion beim OTC-Gipfel in Düsseldorf zeigte.
Diese Sichtweise wollte Gerd Glaeske, Professor für Gesundheitsökonomie in Bremen und fast schon Stammgast bei Apotheken-Tests im Fernsehen, nicht gelten lassen. Ihm gehe es stets um eine Qualitätsüberprüfung und -verbesserung, erklärte er.
Der Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, Lutz Engelen, widersprach Glaeske heftig. Er betonte, dass die Kammer bisher 15.000 Testkäufe durchgeführt habe. Die Ergebnisse seien durchaus nicht ideal, gab Engelen zu, aber im Durchschnitt doch befriedigend. Zwei Drittel der getesteten Apotheken berieten sogar gut. Die Testkäufe seien im Übrigen nach einem ursprünglich in Zusammenarbeit mit Glaeske erstellten Konzept erfolgt – die wissenschaftliche Validität könne er deswegen kaum anzweifeln.
Glaeske: Evidenzbasierte Beratung als Chance
Glaeske brach eine Lanze für eine evidenzbasierte Beratung, gerade auch in der Selbstmedikation. Die Apotheker hätten hier eine große Chance, sich zu profilieren. Dafür müssten sie sich aber von den Beeinflussungen der Industrie freimachen und unabhängig und neutral aufgrund der Datenlage beraten. Manche Produkte sollten Apotheker gar nicht verkaufen, findet Glaeske. Es gebe Arzneimittel, die aus den Apotheken verschwinden sollten.
Dem widersprach nicht nur Professor Michael Habs, bis vor kurzem Vorstandsmitglied im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Auch dem Patientenbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen, Dirk Meyer, ginge das zu weit. Der Apotheker solle durchaus abraten, wenn er ein Arzneimittel nicht sinnvoll finde. Die Entscheidung, ein Arzneimittel zu nehmen (oder eben auch nicht zu nehmen, selbst bei ernsthaften Erkrankungen), liege aber alleine beim Patienten.
Preis: Präsenzapotheken raten oft genug ab
Der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis, betonte, dass eine Verbesserung der Beratung natürlich immer möglich sei. Aber immerhin berieten die Präsenzapotheken, vor allem rieten sie oft genug ab: Von bestimmten Arzneimitteln, von Großpackungen, vom Dauergebrauch. All das täten Internetapotheken nicht. Hier würden gerade problematische Arzneimittel und große Packungen überdurchschnittlich oft abgegeben. „Das ist geradezu das Geschäftsmodell der Internetapotheken“, so Preis.
Einig war sich die Runde am Ende, dass die Apotheker ihre Beratung stetig verbessern müssen, und dass Beratungsstandards ein probates Mittel für eine solche Qualitätssteigerung sein könnten.
(Beratungs-)Standards nötig
Solche Standards hatte in seinem Vortrag auch der Direktor des Instituts für Hausarztmedizin der Uni Bonn, Professor Klaus Weckbecker, gefordert. Vor allem müssten standardisierte Vorgaben erstellt werden, wann ein Patient zum Arzt geschickt werden muss. Bei allen Vorteilen, die die Selbstmedikation habe, so Weckbecker, bleibe ein entscheidender Nachteil: Der Patient wird in der Apotheke nicht untersucht. Deswegen müssten alle Apotheker die „Red Flags“ kennen, die die Notwendigkeit eines Arztbesuchs signalisieren. Das seien vor allem Kopfschmerzen, wie sie der Patient vorher noch nie hatte, ein schlechter Allgemeinzustand und Fieber, das länger als drei Tage anhält. In diesem Zusammenhang appellierte Weckbecker an die Apotheker, mehr Fieberthemometer zu verkaufen. Diese gehörten in jeden Haushalt, nicht nur wenn Kinder da sind. Außerdem sollten gemeinsam von Hausärzten und Apothekern Standards für häufige Beratungsanlässe, beispielsweise Erkältung, erarbeitet werden, um evidenzbasiert beraten zu können und um die Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Apotheke zu verbessern. Der Innovationsfonds beim G-BA, der in den kommenden vier Jahren immerhin 1,2 Milliarden Euro ausgeben kann, gebe den beiden Berufsgruppen die Gelegenheit, diese Standards gemeinsam zu erarbeiten.
Diagnosen auf das Rezept?
Weckbecker sprach sich auch dafür aus, die Diagnosen bzw. den Grund für eine Verschreibung auf den Verordnungen zu notieren. Dadurch ließe sich die Versorgungsqualität deutlich steigern. Er habe gelernt, dass in einem guten Arztbrief für jede Verordnung auch eine Indikation zu finden sein müsse – was in der Praxis leider oft nicht der Fall sei. Dieses Kriterium könne man natürlich auch auf Rezepte anwenden. Damit der Apotheker die Plausibilität der ärztlichen Verordnung überprüfen könne, brauche er das Wissen über den Grund für diese Verordnung.
Weckbecker sprach sich aber gegen die Verpflichtung aus, bei Verordnungen auf dem Rezept die Diagnose anzugeben. Gerade im hausärztlichen Bereich gebe es in vielen Fällen keine klare Diagnose, man behandle eher Symptomkomplexe. „Aber jede Verordnung muss begründet sein“, so Weckbecker, „und dieser Grund sollte aufs Rezept!“
Evidenzbasierte Beratung als Chance zur Profilierung
Zuvor hatte Professor Manfred Schubert-Zsilavecz in seinem Vortrag die Herausforderungen, Erwartungen und Chancen der Selbstmedikation an einigen ausgewählten Indikationsbereichen gezeigt.
Er betonte dabei die große Chance, die gerade eine evidenzbasierte Beratung in der Selbstmedikation biete. Hier könnten Apotheken die Streu vom Weizen trennen und den teilweise sehr unübersichtlichen Wissensstand für die Patienten ordnen. Auch Schubert-Zsilavecz sprach sich für eine Standardisierung der Beratung, zumindest in schwierigen Fällen, aus. Handlungsempfehlungen. wie der Beratungsleitfaden der Bundesapothekerkammer zur „Pille danach“ seien ein gutes und probates Instrument, insbesondere bei problembehafteten Themen.
Steffens bei Medikationsplan enttäuscht von Gröhe
Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens zeigte sich bei ihrem Grußwort enttäuscht von der „Engstirnigkeit“ des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Sie könne keinen inhaltlichen Grund erkennen, warum die Apotheker bei der Erstellung des Medikationsplans im E-Health-Gesetz außen vor bleiben. Auch BMG-Staatssekretär Stroppe habe beim Deutschen Apothekertag keine stichhaltigen Argumente genannt. Sie glaube deshalb, dass es andere als inhaltliche Gründe für diese Entscheidung gebe.
Steffens wiederholte ihre Aussage vom Apothekertag, dass es nicht um ein Entweder-Oder zwischen Arzt und Apotheker gehe, sondern um ein Sowohl-als-auch. Die Entscheidung müsse letztendlich beim Patient liegen.
Der OTC-Gipfel in Düsseldorf fand am 22. Oktober bereits zum dritten Mal statt. Mit der Veranstaltung will der Apothekerverband Nordrhein die Bedeutung der Selbstmedikation für die Apotheker, die Patienten und das ganze Gesundheitswesen bekräftigen. |
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