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- DAZ 42/2015
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Aus den Ländern
Gut betreut älter werden
Europäisches Pharmazeutinnen Treffen in Den Haag
Apothekenalltag und Visionen in den Niederlanden
Als praxisnahen Einstieg in das Thema „Gut betreut älter werden“ ermöglichten die holländischen Kolleginnen den Teilnehmerinnen Besuche in zwei Krankenhausapotheken und einer öffentlichen Apotheke. Die deutsche Gruppe besuchte die Waldeck Apotheek in Den Haag. Sie übernimmt für ihre – zunehmend – älteren Kunden, auch wenn sie nicht in Heimen leben, teilweise die Lieferung der regelmäßig einzunehmenden Medikamente – oft in verblisterten Wochenportionen – und die Medikationsanalyse in festen Intervallen. Sie erhält für diese Leistungen eine fixe Gebühr pro Medikament gezahlt, die der leitende Apotheker M. H. Oosterveld allerdings für zu gering hält.
Die früher vorgeschriebene Einschreibung der Kunden für eine Apotheke ist zwar seit Jahren passé, doch ist noch immer ein Großteil der Kunden apothekentreu. Für den Medikationscheck, zu dem die Apotheken in den Niederlanden verpflichtet sind, besteht die Möglichkeit des Datenabgleichs mit anderen versorgenden Apotheken und Ärzten in einer gemeinsam genutzten Datenbank.
Rezepturen werden häufig zentral hergestellt; die Waldeck Apotheek stellt jedoch spezielle Infusionslösungen unter Reinraumbedingungen selbst und ortsnah her. Im Kundengeschäft sind hauptsächlich pharmazeutische Assistenten zu erleben. Die Apotheker sind für Kontrolle, Analyse und Beratung zuständig.
Freiwahl und Sichtwahl sind in holländischen Apotheken meist sehr beschränkt, zumal viele in Deutschland apothekenpflichtige Arzneimittel in Drogerien erhältlich sind. So wundern sich die Angestellten zu Saisonbeginn, wenn deutsche Touristen Kopfschmerzmittel oder Sonnnenbrandmittel in der Apotheke verlangen.
Der Präsident des Apothekerverbands KNMP, Gerben Klein-Nulent, informierte die Teilnehmerinnen über Ist und Zukunft der holländischen Pharmazie. Zurzeit versorgt eine Apotheke zwischen 8000 und 12000 Patienten. Etwa 2000 Apotheken gibt es in den Niederlanden, davon ist ein Drittel als Kette geführt. Der OTC-Anteil liegt bei vier Prozent. Hauptaugenmerk liegt demnach auf der Patientenfürsorge, „Pharmaceutical patient care“. Dazu hat die KNMP ein informatives Video erstellt: www.knmp.nl/patientenzorg/toekomstvisie-farmaceutische-patientenzorg/animation-your-pharmacist-in-2020.
Medikationsanalysen und Medikationsmanagement
Über die Umsetzung in Australien berichtete Dr. Karen Lütsch von der University of Queensland. Bereits seit 1997 gehören in Kliniken und Pflegeheimen Medikationsanalysen zum Standard (RMMR = Residental Medication Management Review). Die positiven Erfahrungen führten 2001 zur Erweiterung auf den ambulanten Bereich (HMR = Home Medication Review). Im Jahre 2012 wurden diese Angebote durch Medizinische Checks speziell für Diabetiker in den öffentlichen Apotheken ergänzt. Allerdings können die Apotheken nur auf die in der Apotheke gelisteten Medikamente und die persönlichen Angaben der Patienten zurückgreifen. Bei der Compliance und der Handhabung der Applikationssysteme konnte zwar eine leichte Verbesserung nachgewiesen werden, nicht aber beim Gesundheitszustand.
Mit den Medikationsanalysen RMMR und HMR beauftragt der Arzt im Einverständnis mit dem Patienten speziell ausgebildete Apotheker oder eine Apotheke mit entsprechend geschultem Personal. Es gibt zwei Organisationen, die zur Akkreditierung und regelmäßigen Überprüfung des Kenntnisstandes dieser Apotheker befugt sind. Sinnvoll ist eine Medikationsanalyse bei den folgenden Voraussetzungen:
- fünf oder mehr verschreibungspflichtige Arzneimittel,
- mehr als drei unterschiedliche Diagnosen,
- mehr als zwölf Einnahmen pro Tag,
- signifikante Änderungen im Arzneimittelregime,
- Arzneimittel mit einem engen therapeutischen Fenster und
- beim Übergang vom Krankenhaus in den ambulanten Bereich.
Der Arzt liefert dem Apotheker mit dem Auftrag die Medikamentenliste, die Diagnosen und Laborwerte. Verpflichtend ist ein Hausbesuch des Patienten, bei dem der Apotheker die Arzneimittelliste überprüft und ergänzt, Hinweise zur Einnahme gibt und den Umgang mit speziellen Arzneiformen übt. Anschließend erhält der Arzt einen ausführlichen Bericht mit Änderungsvorschlägen, die zusätzlich in einem persönlichen Gespräch diskutiert werden. Sowohl der Arzt als auch der Apotheker erhalten ein Honorar durch das nationale Gesundheitssystem. Nachdem es in den ersten Jahren zu einer inflationären Entwicklung von Medikationsanalysen kam, wurde ihre Zahl pro Anbieter auf 20 pro Monat beschränkt. Der Zeitaufwand schwankt je nach Fall zwischen zwei und vier Stunden und wird pauschal mit 210 $ (ca. 140 €) honoriert.
Studien konnten nachweisen, dass aufgrund dieser Medikationsanalysen die Hospitalisierungsrate bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen statistisch relevant gesunken ist, der Gebrauch ungeeigneter Medikamente reduziert wurde (Kostenersparnis) und die Compliance der Patienten gestiegen ist.
In den Niederlanden erstellen öffentliche Apotheken gemeinsam mit dem behandelnden Arzt Medikationsanalysen. Außerdem gibt es eine Leitlinie „Polypharmazie im Alter“. Doch erste Ergebnisse der POINT-Studie, über die Vivianne Sloserwij von der Universität Utrecht berichtete, lassen vermuten, dass die Zahl der Krankenhausaufenthalte aufgrund fehlerhafter Medikation noch weiter gesenkt werden kann. In der POINT-Studie werden drei Gruppen miteinander verglichen:
- Apotheken (Vergleichsgruppe),
- Apotheken mit speziell geschultem Personal,
- ärztliche Praxisteams, in die speziell geschulte Apotheker integriert sind.
Die Apotheker in den ärztlichen Praxisteams machten Hausbesuche, die mit der Vorbereitung der Analysen den größten Teil der Arbeitszeit in Anspruch nahmen. In einem Jahr machten sie insgesamt 455 Änderungsvorschläge (ca. 5 pro Patient). Diese wurden bis zu 85 Prozent von den Ärzten umgesetzt; dabei kam es am häufigsten
- zum Absetzen von Arzneimitteln (33%),
- zur Verordnung neuer Arzneimittel (18%) und
- zur Änderung der Dosierung (15%).
Alle Ärzte bewerteten die Apotheker in den Praxisteams positiv und würden diese Form der Zusammenarbeit gern fortsetzen. Fünf Apotheker arbeiten weiter im Praxisteam, teils bezahlt von den Ärzten, teils von der beliefernden Apotheke oder auch von beiden Arbeitgebern gemeinsam.
Umgang mit älteren Patienten
Prof. Dr. Marion Schäfer, Berlin, referierte über das Medikationsmanagement aus der Perspektive von älteren Patienten. So zeigte eine Studie mit 200 älteren Patienten, dass
- 25 Prozent die Dosierung der verordneten Arzneimittel nicht kannten,
- 26 Prozent nicht wussten, welche Krankheit sie hatten,
- 85 Prozent derjenigen, die spezielle Arzneiformen anwendeten, nicht über deren korrekte Anwendung informiert waren und
- 35 Prozent sich unsicher bezüglich Medikation und Therapie fühlten.
Wichtig für das Medikationsmanagement ist es auch, die Prioritäten des Patienten zu erfragen, um beiderseitigen Frustrationen vorzubeugen. Als Beispiel nannte Schäfer COPD bei starken Rauchern, die trotz Aufklärung das Rauchen nicht aufgeben (können).
Prof. Dr. Katja Taxis, Groningen, und Dr. Dorothee Dartsch, Hamburg, leiteten einen Workshop zur Medikationsanalyse. Darin wurde deutlich, wie notwendig die Laborwerte und die Diagnose einschließlich des Zeitpunkts ihrer Erstellung sind. Ein Rückschluss von der Arzneimittelliste auf eine Diagnose kann dagegen leicht zu einem Trugschluss führen.
Was meinen wir, wenn wir sagen: „Wir betreuen ältere Patienten als Apotheker?“ Wilma Göttgens-Jansen sprach über ethische Herausforderungen der pharmazeutischen Betreuung von Menschen am Ende ihres Lebens. Was tun, wenn z. B. Medikamente gefordert werden, um das Leben zu beenden anstatt Krankheiten zu heilen und das Leben zu verlängern? Philosophinnen, wie Rosalind Hursthouse, Nel Noddings, Christine Korsgaard und Martha Nussbaum, haben neue ethische Grundsätze, insbesondere der Betreuungsethik, entwickelt, die unter Umständen ein Umdenken der Apotheker erfordern.
Dr. Eline Rodenburg, Rotterdam, referierte über geschlechtsspezifische Unterschiede bei Arzneimittelwirkungen und -nebenwirkungen. So haben Diuretika für Frauen ein erheblich höheres Risiko als für Männer, weil Hyponatriämien und Hypokaliämien häufiger auftreten. Für Risikopatienten mit Thiaziddiuretika-Therapie empfiehlt die niederländische „HARM-Wrestling Task Force“ die Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen, doch handeln bisher nur wenige Ärzte danach.
Carina Vetye-Maler berichtete über ihre Arbeit für „Apotheker ohne Grenzen“ AoG) in den Slums von Buenos Aires. Schlechte hygienische Verhältnisse, Platzmangel sowie mangelhafte medizinische und medikamentöse Versorgung fördern die Verbreitung von Infektionskrankheiten. Armutsbedingte Fehlernährung führt zu Adipositas, Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck. AoG stellt die in den Slums am dringendsten benötigten Arzneimittel seit vielen Jahren zur Verfügung. |
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