DAZ aktuell

Mit „deutscher Flexibilität“ helfen

Medizinische und pharmazeutische Flüchtlingsversorgung – ein Erfahrungsbericht aus Hamburg

Die medizinische und pharmazeutische Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland stellt für alle Beteiligten eine enorme Herausforderung dar. Es fehlt Personal, die ärztliche Sprechstunde findet in Zelten oder im Container statt, teilweise verteilt das Sicherheitspersonal Medikamente.

Seit mehr als sechs Wochen beliefern wir, die Privilegierte Adler Apotheke in Hamburg, mehrere Einrichtungen der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) und Notfallstellen. Daher wissen wir aus ­eigener Erfahrung, wie viel Flexibilität und Zeit die Versorgung erfordert.

Als wir Ende Juli den ersten Auftrag für eine ZEA-Versorgung erhielten, ging es zunächst ganz einfach darum, möglichst viele Packungen in kurzer Zeit in die Einrichtungen zu bringen, da dort nichts vorhanden und der Andrang groß war. Das Ärtzeteam benötigte nicht nur Medikamente, sondern auch Verbandsstoffe, Diagnostikgeräte (wie Blutdruck- oder Blutzuckermessgeräte) und Desinfektionsmittel. Schnell mussten wir feststellen, dass die Lagerungsbedingungen alles ­andere als optimal sind.

Foto: Adler Apotheke Hamburg

Abb. 1: Wildes Durcheinander: Arzneimittellager in einer Hamburger ZEA, bevor es von der Apotheke betreut wurde.

Die Apothekenbetriebsordnung gibt vor, dass „Arzneimittel […] übersichtlich und so zu lagern [sind], dass ihre Qualität nicht nachteilig beeinflusst wird und Verwechslungen vermieden werden“. Gar nicht so einfach, wenn die Behandlung bei 28°C Außentemperatur stattfindet und die Arzneimittelkisten wild durcheinander gestapelt werden. Und schnell war klar, dass die Ärzte und Rettungssanitäter neben ihren Patienten nicht auch noch ein Auge auf die Arzneimittelvorräte haben können (s. Abb. 1). Wir ordneten die Arzneimittel indikationsbezogen in einzelne Kisten, beschrifteten sie sorgfältig und nutzen nun Bierzeltgarnituren als Regalersatz (Abb. 2). Man kann über die improvisierte Lagerung schmunzeln; wir berufen uns inzwischen auf unsere Bundeskanzlerin, die zuletzt in Berlin „deutsche Flexibilität“ in der Flüchtlingsversorgung forderte, und die Bevölkerung ermutigte, „Ideen zu entwickeln“ und „kreativ“ zu sein.

Ohne die regelmäßige Betreuung vor Ort würden die Arzneimittellager in den Einrichtungen im Chaos versinken. Daher sind wir jeden Tag dort, kontrollieren Bestände, räumen auf und beantworten Fragen von Ärzten und Pflegepersonal. Wir sind davon überzeugt, dass der pharmazeutische Service unbedingt notwendig ist. Denn die bloße Anlieferung von Medikamenten reicht nicht aus und ist ­unter den Lagerbedingungen nicht zu verantworten.

Foto: Adler Apotheke Hamburg

Abb. 2: Das improvisierte Arzneimittel-Lager, das die Apotheke eingerichtet hat, erleichtert die Versorgung – und erhöht die Sicherheit.

Inzwischen haben wir eine Arznei­mittelliste und eine Nicht-Arzneimittelliste erstellt, basierend auf unseren Erfahrungen der letzten Wochen und dem Abgleich mit entsprechenden Listen von Bundeswehr und Apotheker ohne Grenzen. Mengen haben wir adaptiert, Wirkstoffe neu aufgenommen oder gestrichen und Firmen vereinheitlicht. Es ist essenziell, dass in allen Einrichtungen, die von den gleichen Ärzten betreut werden, dieselben Wirkstoffe derselben Hersteller vorhanden sind. Nur so können wir Verwechslung vermeiden und die Übersicht behalten. Aus diesem Grund denken wir, dass Arzneimittelspenden nicht zielführend sind. Die Gesamtlisten sind alphabetisch ­sortiert und hinter jedem Artikel kann die jeweilige Kistennummer abgelesen werden. Für jede Kiste gibt es eine weitere Inhaltsliste mit den zugehörigen Artikeln. Auch die Pharmazentralnummern (PZN) sind abgebildet, was für die Nachbestellung eine große Arbeits­erleichterung ist.

Die Listen für Einrichtungen der Zentralen Erstaufnahme können Sie auf www.adler-apotheke-hh.de im PDF-Format herunterladen.

Die Listen sind mit unserem Warenwirtschaftssystem (Awinta) verknüpft, sodass Änderungen nicht per Hand in einer separaten Tabelle gemacht werden müssen. Die Listen können daher mit wenig Aufwand aktualisiert und an neue Anforderungen angepasst werden. Beispielsweise rechnen wir in den nächsten Wochen mit einem höheren Verbrauch von Erkältungsmedikation und werden die Liste dahingehend verändern.

Bei der Zusammenstellung der Listen sind viele Aspekte zu beachten. Natürlich geht es auf der einen Seite um die Wirtschaftlichkeit. Dennoch geben wir teilweise Arzneimitteln mit größerem Bekanntheitsgrad den Vorrang, um dem medizinischen Personal vor Ort die Arbeit zu erleichtern. Neben der Teilbarkeit ist uns auch die Packungsgröße wichtig, damit sinnvoll ausgeeinzelt oder kleine Packungen vollständig mitgegeben werden können. Wir entscheiden uns für Antibiotika­säfte für Kinder mit beiliegender Dosierspritze, da die Anwendung dadurch erleichtert wird. Bei der Therapie von Kopfläusen setzen wir ein Produkt mit kurzer Einwirkzeit ein.

Wir überarbeiten und hinterfragen diese Liste kontinuierlich. Dabei sind wir für Anregungen und Ideen offen. Ziel ist es, die Listen in Zukunft auch nach Wirkstoffen sortiert für die behandelnden Ärzte zur Verfügung zu stellen sowie die Standarddosierungen (aktueller Platzhalter DDD) einzupflegen. |

Apothekerin Heike Gnekow

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