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Geriatrie
So flutscht es wieder
Wie die Einnahme von Arzneimitteln bei Schluckbeschwerden erleichtert werden kann
Schluckstörungen treten beispielsweise als Folge von Schlaganfällen, Erkrankungen des Kauapparates und neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz auf. Häufig trägt auch Mundtrockenheit dazu bei, dass das Schlucken von Arzneimitteln Schwierigkeiten bereitet.
Mundtrockenheit als Ursache
Bei Schluckstörungen ist daher im Rahmen einer Medikationsanalyse zunächst zu überprüfen, welche Arzneimittel notwendig und sinnvoll sind. Wirkstoffe mit anticholinergen Nebenwirkungen können zur Mundtrockenheit führen oder diese verstärken und damit das Schlucken erschweren. Mithilfe der Priscus-Liste kann dem verschreibenden Arzt ein Austausch von Wirkstoffen mit anticholinergen Nebenwirkungen auf besser verträgliche Alternativen empfohlen werden. Beispielsweise ist bei Dranginkontinenz Trospium bei älteren Personen aufgrund des Nebenwirkungsprofils besser geeignet als Oxybutynin oder Tolterodin [1].
Auswahl der passenden Arzneiform
Da diese Maßnahmen häufig noch nicht ausreichen, kommt der Auswahl der passenden Arzneiformen eine besondere Bedeutung zu. Patienten mit Schluckbeschwerden können oftmals nur noch flüssige, angedickte oder pürierte Speisen zu sich nehmen. Für sie gestaltet sich entsprechend auch das Schlucken von festen Arzneiformen als schwierig oder gar unmöglich. Daher gilt es zunächst zu überprüfen, ob eine besser geeignete Arzneiform zur Verfügung steht. Flüssige Arzneiformen wie Tropfen, Sirupe oder Lösungen können meist leichter eingenommen werden als Tabletten oder Kapseln. Sie haben außerdem den Vorteil, dass sie hinsichtlich ihrer sensorischen Eigenschaften optimiert sind und der Geschmack von den Patienten daher besser akzeptiert wird, als beispielsweise eine gemörsterte Tablette. Brausetabletten oder Pulver zur Herstellung einer großvolumigen Lösung (z. B. Macrogol Beutel) sind dagegen nicht immer geeignet. Älteren Patienten fällt es oft schwer, größere dünnflüssige Volumina zu trinken, sodass die Brausetablette oder das Pulver in zu wenig Wasser aufgelöst wird. Bei Brausetabletten kann dann das nicht vollständig entwichene Kohlendioxid Schluckbeschwerden noch verstärken. In der Tabelle ist eine Liste mit Arzneistoffen und Beispielen seniorengerechter Arzneiformen zu finden.
Arzneistoff |
geeignete Arzneimittel bei Schluckbeschwerden |
---|---|
Ibuprofen |
Imbun ® Zäpfchen, Nurofen ® Schmelztabletten
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L-Thyroxin |
L-Thyroxin Henning ® Tropfen
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Losartan |
Lorzaar ® Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen
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Donepezil |
DoneLiquid GeriaSan ® , Donepezil-HCl 1A Pharma ® Schmelztbl.
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Gabapentin |
GabaLiquid GeriaSan ®
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Melperon |
Melperon 25 mg/5 ml Lösung zum Einnehmen |
Für zahlreiche Wirkstoffe stehen jedoch keine Arzneiformen zur Verfügung, die für Patienten mit Schluckbeschwerden geeignet wären. Häufig werden Arzneimittel dann gemörsert und unter die Nahrung gemischt. Das beeinflusst den Geschmack der Nahrung negativ – manche Patienten verweigern deshalb nicht nur die Arzneimittel, sondern auch die Nahrungsaufnahme. Bisher gibt es jedoch kaum Untersuchungen, welche Arzneimittel ohne relevante Geschmacksbeeinträchtigung gemörsert und unter die Nahrung gemischt werden können. Eine französische Studie zeigte dennoch einen wichtigen Punkt auf, der leicht beachtet werden kann: Der Mix von sechs gemörserten Arzneimitteln unter Apfelmus gemischt, schnitt geschmacklich schlechter ab, als jedes einzelne dieser Arzneimittel.
Wenn Arzneimittel gemörsert werden, ist es daher am besten, jedes Arzneimittel einzeln zu zerkleinern. Auch das Mischen unter ein sehr süßes Lebensmittel wie Marmelade kann den meist bitteren Geschmack besser überdecken als beispielsweise Apfelmus [4]. Auch Schluckhilfen, die Tabletten mit einem besser schluckbaren Überzug versehen und den Geschmack maskieren, können bei weniger starken Schluckproblemen eingesetzt werden (z. B. Medcoat® Schluckhilfe). Zusätzlich kommt es auf die richtige Schlucktechnik an. Wenn der Kopf in den Nacken gelegt wird, ist es fast unmöglich, eine Tablette herunterzuschlucken. Besser ist es, den Kopf leicht nach vorne zu neigen, die Tablette hinter die untere Zahnreihe zu legen und dann die Tablette mit einen Mund voll Wasser zu schlucken. Für eine gute Wirkstofffreisetzung sollte noch nachgetrunken werden.
Muss ein Arzneimittel jedoch gemörsert oder eine Kapsel geöffnet werden, ist zu überprüfen, ob dies bei der verordneten Arzneiform möglich ist, ohne die Freisetzungskinetik oder Wirksamkeit zu zerstören. Eine Befragung von Pflegekräften während einer Schulung zeigte beispielsweise, dass für die Patienten bevorzugt Omeprazol- und Pantoprazoltabletten gemörsert werden, statt Omeprazol-Kapseln zu öffnen und die Pellets zu verabreichen. Die Pflegekräfte nahmen außerdem an, dass der durch das Mörsern entstandene Wirkungsverlust mit der Gabe einer höheren Dosis kompensiert werden kann. Dies zeigt, dass bei der Umstellung der Medikation für den Patienten mit Schluckbeschwerden auch immer der Patient und die Person, welche die Arzneimitteltherapie verabreicht, einzubeziehen sind. Statt die Pantoprazoltabletten zu mörsern, wird den meisten Patienten ein Deprescribing mehr nützen. So führt auch die hausärztliche Leitlinie „Multimedikation“ Protonenpumpenhemmer als Beispielarzneimittel auf, die häufig aufgrund von akuten Beschwerden angesetzt werden und dann ohne Überprüfung der therapeutischen Notwendigkeit weiter verordnet werden [5]. Ist dagegen eine Arzneimitteltherapie weiterhin notwendig und keine leicht schluckbare Arzneiform verfügbar, muss gegebenenfalls eine Umstellung auf ein anderes Präparat erfolgen. So können beispielsweise Metohexal-Succ Tabletten in Wasser suspendiert und die Lösung anschließend eingenommen werden. Kann jedoch nicht sichergestellt werden, dass die Tabletten vorschriftsmäßig suspendiert (und stattdessen gemörsert) werden, sollte die Behandlung der Hypertonie mit einem unretardierten Präparat erfolgen, welches in kürzeren Zeitabständen appliziert wird. Bei Zermörserung geht die Retardierung verloren.
Deprescribing
Auch ein Deprescribing sollte angesprochen werden. Denn rund die Hälfte der über 70-Jährigen nimmt fünf oder mehr Arzneimittel regelmäßig ein [2]. Das Deprescribing dient der Reduktion von Arzneimittelinteraktionen, die bei Polypharmakotherapie häufig auftreten. So werden beim Deprescribing unnötige Verordnungen weggestrichen, um die Polypharmakotherapie zu vermindern und den Patientennutzen zu erhöhen [3].
Das Deprescribing kann somit als ein Medikationsmanagement verstanden werden, das das Ziel hat, Verordnungskaskaden aufzudecken und die Arzneimitteltherapie auf das notwendige Maß zu reduzieren.
Zum Weiterlesen
Mehr zum Thema Deprescribing lesen Sie auch in DAZ 2015, Nr. 26 in dem Beitrag „Weniger ist mehr: Die Kunst des Deprescribing“
Fazit
Die Arzneimitteltherapie ist bei Patienten mit Schluckbeschwerden eine besondere Herausforderung. Oftmals ist eine Modifikation unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der Arzneimitteltherapie und der Wünsche des Patienten notwendig. Damit diese dennoch gelingt, sind alle Beteiligten bei der Anpassung der Arzneimitteltherapie an die Möglichkeiten und Wünsche des Patienten einzubeziehen. Ein Medikationsmanagement durch den Apotheker im Austausch mit den Patienten, der Pflegekraft bzw. den pflegenden Angehörigen und dem Arzt ist dabei unumgänglich. Neben dem Deprescribing kommt der Auswahl der passenden Arzneiform eine besondere Bedeutung zu. |
Literatur
[1] Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA. PRISCUS-Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen. Stand 2011. http://www.priscus.net/
[2] Knopf H. Grams D. Arzneimittelanwendung von Erwachsenen in Deutschland. Bundesgesundheitsbl 2013. 56:868-877.
[3] Scott IA, Hilmer SN, Reeve E et al. Reducing inappropriate polypharmacy: the process of deprescribing. JAMA Intern Med 2015. 175(5):827-834.
[4] Blasius H. Schlechter Geschmack von Arzneimitteln – Dämpfer für die Compliance. http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/spektrum/news/2015/07/06/daempfer-fuer-die-compliance/16189.html
[5] PMV Forschungsgruppe. Hausärztliche Leitlinie „Multimedikation“, Version 1.06, Stand April 2014. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-043.html
Autoren
Apotheker Dr. Philipp Hohnstein
und
Apothekerin Karin Schmiedel,
Kur-Apotheke, Bad Winsheim
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