Geriatrie

„Schmelztabletten nicht verblistern“

Schwierigkeiten bei der Einnahme stellen immer noch ein Randthema der Arzneimittelversorgung dar. Unter allen Professionen, die am Medikationsprozess beteiligt sind, sind Apotheker prädestiniert, sich dieser Problematik anzunehmen. Sie haben das notwendige Fachwissen und häufig einen engen Patientenkontakt. Ein Apotheker, der dies schon lange erkannt hat und sich mit verschiedensten Aspekten der Anwendung von Arzneiformen befasst, ist Dr. Wolfgang Kircher aus Peißenberg. Wir haben ihm dazu einige Fragen gestellt.
Foto: Privat

Dr. Wolfgang Kircher, Inhaber der St. Ulrich-Apotheke in Peißenberg

DAZ: Nicht nur alte Menschen haben Probleme damit, manche Arzneimittel einzunehmen. Auch Kinder, aber ebenso „normale“ Erwachsene tun sich oft schwer. Warum findet das Thema „Einnahmefreundlichkeit“ in der Öffentlichkeit so wenig Beachtung?

Kircher: Hier sind wahrscheinlich vielfältige Ursachen zu nennen. Beispielsweise scheuen sich manche erwachsene Patienten, derartige Probleme spontan in der Apotheke oder beim Arzt zu artikulieren. Eine Beobachtung, die wir ja auch bei anderen funktionalen Einschränkungen sehen, so etwa bei feinmotorischen Problemen mit der Handhabung von Arzneimitteln. Dann spielen wohl auch Kostenaspekte eine ­Rolle. Verschiedene pharmazeutisch-technologische Prinzipien, die eine leichtere perorale oder intraorale Verabreichung ermöglichen, werden aus finanziellen Erwägungen nicht in den Handel gebracht. Anwendungstechnisch vorteilhafte Charakteristika von Arzneiformen werden ja bei der Zuordnung zu Festbetragsgruppen vielfach nicht berücksichtigt. Und schließlich scheuen sich manchmal auch Ärzte, leichter zu verabreichende Formen wie etwa Schmelztabletten in größerem Umfang zu verordnen. Ein Aspekt missfällt mir in diesem Zusammenhang besonders: Orodispersible, also im Mund sehr rasch zerfallende Arzneiformen, sind ja in vielen Fällen eine gute Problemlösung für Dysphagiepatienten. Sie sind jedoch meist feuchteempfindlich, lassen sich also nicht stellen oder zweitverblistern. Deshalb können Heiminsassen, die mit Dossets oder Blistern versorgt werden, davon nicht profitieren.

DAZ: Was müsste geschehen, dass sich das ändert? Die Zahl der älteren und multimorbiden Patienten wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wachsen, daher ist es doch eigentlich nicht möglich, das Problem auszublenden.

Kircher: Ich glaube, auf diesem Gebiet gibt es derzeit einige recht beachtenswerte Initiativen. So wurde etwa im Frühjahr in Nordrhein-Westfalen ein Modellprojekt zur verbesserten Versorgung von Senioren mit Schluckstörungen gestartet. Experten aus Medizin, Pharmazie, Pflege und Logopädie sind hier beteiligt. Speziell in Hinblick auf Dysphagiepatienten kamen in letzter Zeit flüssige Fertigarzneimittel mit den Wirkstoffen Donepezil, Gabapentin und Metformin in den Handel. Ein Simvastatin-halter Saft ist in Vorbereitung. Neuere orodispersible Formen für Kinder und Erwachsene befinden sich in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien. Lieferanten von Ausgangstoffen für die Apothekenrezeptur haben neue Liquidagrundlagen in ihr Lieferprogramm aufgenommen, die in vielen Fällen ein Umformulieren fester Peroralia in flüssige Rezepturarzneimittel mit geringem Aufwand ermöglichen. Viele Kollegen und Kolleginnen arbeiten sich im Rahmen der Weiterbildung im Bereich Geriatrische Pharmazie in dieses Gebiet der Apothekenrezeptur ein. Die Problemlösung in der Offizinapotheke kann zudem nicht nur im Ändern der betreffenden Arzneiform und Anleiten zur Schlucktechnik bestehen, sondern auch in der Abgabe eines Überzugsmaterials, das der Patient unmittelbar vor dem Schlucken auf die Tablette oder Kapsel aufbringt. Es macht die Formlinge gleitfähiger und kaschiert ggf. einen unangenehmen Geschmack. In angelsächsischen Ländern sind solche „ad hoc-Überzüge“ seit Jahren in unterschiedlichen Formen im Handel. Sie beeinflussen die Zerfallseigenschaften der festen Peroralia nicht.

DAZ: Was sind in Ihren Augen Indikatoren dafür, dass es Probleme mit der Einnahme geben könnte? Welche Patienten lohnt es anzusprechen?

Kircher: Zu den Krankheitsbildern, die mit Schluckstörungen einhergehen können, gehören primäre neurologische Erkrankungen wie etwa Schlaganfallfolgen, multiple Sklerose, Parkinson-Erkrankung und Demenzen. Auch entzündliche Prozesse im HNO-Bereich sind oftmals für Schluckprobleme verantwortlich. Daneben können eine Vielzahl weiterer zentralnervöser, mus­kuloskelettaler, metabolischer und onkologischer Erkrankungen Schluck­störungen auslösen. Hinweise auf Schluckstörungen beim Essen können neben Verschlucken besonders Husten, Erstickungsanfälle oder eine belegte Stimme unmittelbar nach der Mahlzeit sein. Im Beratungsgespräch werden Schluckbeschwerden mit Arzneimitteln aber immer nur aus der unmittelbaren Schilderung ersichtlich.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. |

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