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Immer noch nötig!?

Plädoyer für einen weiblichen Berufsfachverband in der Pharmazie

Foto: Luis Louro – Fotolia.com
Von Elisabeth Thesing-Bleck | Der Deutsche Pharmazeutinnen Verband (dpv) hat sich selbst aufgelöst (s. „Pharmazeutinnen-Verband löst sich auf“, DAZ 2015, Nr. 29, S. 20). Trotz intensiver Suche ist es nicht gelungen, Nachfolgerinnen für die ausscheidende Verbandsspitze zu finden. Dieser Grund lässt aufhorchen! Er wirft zudem die grundsätzliche Frage auf: Sind berufsbezogene Frauenverbände überhaupt noch zeitgemäß?


Eine erste Antwort auf diese Frage kann ein Blick auf die öffentlichen Apotheken liefern. Hier übernehmen heute immer noch mehr Männer als Frauen unternehmerische Verantwortung, indem sie eine Apotheke leiten – und das obwohl der Pharmaziestudiengang überwiegend von Frauen belegt wird. Die größtenteils mit fachlicher Verantwortung ausgestatteten Stellen für abhängig beschäftigte Apothekerinnen und Apotheker haben mehrheitlich Frauen inne. Geht man im Gehaltsgefüge der Apotheke weiter nach unten, dann fällt auf, dass männliche PTA eine große Ausnahmeerscheinung sind. Bei den PKA kann man die Herren wie die berühmte Stecknadel in einem Heuhaufen suchen.

Dieses Beispiel zeigt bereits, dass die öffentlichen Apotheken von einer Geschlechter-balancierten Verteilung von Verantwortung und Verdienst noch weit entfernt sind. Die Nachteile dieses Ungleichgewichtes tragen nach wie vor Frauen. Zur tatsächlichen Gleichstellung beider Geschlechter sind in den Tätigkeitsbereichen der öffentlichen Apotheken grundsätzliche Veränderungen nötig, die aber nur von den Benachteiligten selber erstritten werden können. Erfolge lassen sich nur dann erzielen, wenn sich die betroffenen Frauen zusammenschließen. Ein schlagkräftiger Frauenverband in der Pharmazie ist ein notwendiges Sprachrohr für organisierte Pharmazeutinnen.

Zugleich zeigt das zuvor beschriebene Beispiel aber auch, dass berufliche Frauenverbände heute deutlich breiter aufgestellt werden müssen, als es bisher der Fall war. Themen müssen oft ressortübergreifend bearbeitet werden. Berufsverbände, die einseitig auf Akademikerinnen ausgelegt sind, dürften auf Dauer wohl kaum noch ausreichend tragfähig sein, um ihre Existenz langfristig zu sichern.

Viele Frauenverbände sind über ihre regionalen Gruppen gut aufgestellt. Diese schließen sich ihrerseits überregional zusammen. Eine regionale Präsenz ist zumindest in den Landeshauptstädten und in Berlin vorteilhaft, um als Verband langfristig überleben zu können. Der Deutsche Pharmazeutinnen Verband hat sich nie ernsthaft bemüht, regionale Strukturen selbst aufzubauen oder vorhandene Strukturen anderer Frauenverbände mitzunutzen. Er hat zum Beispiel auch nie mit einer eigenen Wählergemeinschaft oder Liste für die Mitgliedschaft in einer der Kammerversammlungen kandidiert und konnte damit nur über andere Zugangswege entscheidungsrelevante Schlüsselpositionen besetzen. Der dpv war als Verband nicht eigenständig in berufsinterne Strukturen wie die ABDA eingebunden. Andererseits war er aber auch kein Mitglied in den Dachorganisationen der organisierten Frauen. Hierzu gehören der Deutsche Frauenrat auf Bundesebene sowie die Landesfrauenräte. Der dpv agierte somit von jeher als „Insellösung“. Der Vernetzungsgrad eines Verbandes auf allen Ebenen ist aber ein wichtiges Kriterium, wenn es um die Beurteilung der Fragestellung geht, ob eine Frauenorganisation langfristig überlebensfähig ist.

Welche Vorteile hat eine Mitgliedschaft in einem Frauenverband?

Die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Pharmazeutinnen Verbands Karin Wahl äußerte in DAZ.online: „Es ist ein allgemeines Phänomen unserer Zeit, dass gerade Frauenverbände Schwierigkeiten haben, Mitglieder zu finden, die sich engagieren“. Diese Äußerung lässt vermuten, dass es Frauenverbände zu geben scheint, denen es nicht mehr gelingt, ihre weiblichen Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten und deutlich sichtbar darzustellen. Um herauszufinden, ob das eine relevante gesellschaftliche Strömung ist, führten Helke Dreier und Regina Löneke für das Archiv der Deutschen Frauenbewegung eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durch. Ziel des Projektes war es zu erfahren, welcher Zusammenhang zwischen Beruf und Karriere einerseits und einer Mitgliedschaft in einem Frauenverband andererseits besteht und wie Frauen von einer Verbandszugehörigkeit profitieren können [1]. Die Forscherinnen konnten in dieser Analyse zeigen, dass sich ein aktives Engagement in einem Frauenverband beruflich fördernd auf die Karriere auswirkt.

Berufliche Frauenverbände fördern aber nicht nur die berufsspezifischen Fachkompetenzen. Sie entwickeln insbesondere die sogenannten „Soft Skills“ weiter [1]. Hier gewonnene soziale und kommunikative Fähigkeiten sind Lebenslauf-relevant. Frauen können sie anschließend in ihren Berufsfeldern einsetzen oder als einen Baustein zur Ver­besserung ihre Gehaltsperspektiven benutzen. Derzeit reicht die Forderung nach der Beseitigung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten als alleiniges Verbandsziel aber nicht mehr aus um neue junge Mitgliedsfrauen zu gewinnen.

Frauenverbände bereiten junge Frauen gezielt auf Leitungsaufgaben vor. Sie bieten Frauen ein leicht zu bedienendes Übungsfeld zur praktischen Übernahme fachlicher, organisatorischer und sozialer Führungsverantwortung. An dieser Stelle ist die im Beruf oft dominierende männliche Konkurrenz ausgeschaltet. Erfahrungsgemäß bewerben sich Frauen eher auf Führungspositionen, wenn sie bereits über Vorerfahrungen verfügen. In diesem Punkt unterscheidet sich oftmals weibliches und männliches Verhalten.

Einige beruflich ausgerichtete Frauenverbänden protegieren stark ihre Präsenz an regionalen Standorten, weil eine gute Vernetzung vor Ort ihnen einen regelmäßigen Mitgliederzuwachs insbesondere von jungen Frauen einbringt. Ein gutes Beispiel dafür sind die Business and Professional Women – Germany (BPW). Dieser Dachverband von 40 regionalen BPW-Clubs hat nach eigenen Aussagen rund 1800 Mitgliedsfrauen in ganz Deutschland. Tendenz steigend! Er setzt sich für die Chancengleichheit in Beruf, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ein. BPW-Netzwerke findet man international in rund 100 Ländern. Sie ermöglichen Kontakte zu Frauen in aller Welt [2]. Der dpv hatte ursprünglich vergleichbare Zielvorstellungen. Er konnte diese leider nur bedingt umsetzen.

Zur Auflösung des dpv wurde in DAZ.online folgender Kommentar geschrieben: „Vielleicht ist es ja wirklich das Konzept eines ‚Frauenvereins‘ was engagierte Jungapprobierte ein wenig skeptisch macht. Oder es ist vielleicht in einer Zeit, wo man im Beruf nicht mehr zwischen Geschlechtern unterscheidet bzw. unterscheiden sollte so, dass ein Verein einer solchen Ausrichtung nicht mehr zeitgemäß erscheint.“ Die wissenschaftliche Untersuchung von Dreier und Löneke kann Hinweise geben, ob die von einer jungen, engagierten Apothekerin geäußerte Meinung mehrheitlich so vertreten wird. Beide Wissenschaftlerinnen untersuchten die Frage, ob „Frauen unter sich“ ein zwar bewährtes, aber heute nicht mehr zeitgemäßes Konzept darstellt. Dazu führten sie 48 Unterredungen mit Führungsfrauen. Durch eine Interviewanalyse konnte gezeigt werden, dass insbesondere in von Männern dominierten Arbeitsfeldern ein Frauenverband Möglichkeiten für einen konstruktiven fachlichen Dialog bieten kann [1]. Viele Frauen brauchen für einen gelingenden Umgang mit den geschlechtsspezifischen Herausforderungen des Arbeitsmarkts einen gleichgeschlechtlichen Austausch. Sie nutzen die Erfahrung von anderen Frauen für sich.

Für viele Frauen ist es immer noch schwierig sich in Männer-dominierten Arbeitssituationen durchzusetzen. Im Austausch mit anderen Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, können dafür Lösungsstrategien entwickelt werden. [1] Für viele Frauen ist die konstruktive und zugewandte Atmosphäre in Frauenverbänden wichtig. Allerdings können in diesen Zusammenschlüssen auch konfliktgeladene Diskussionen entstehen [1]. Kluge Verbands-Managerinnen nutzen diese Plattform, um gemeinsam mit den Mitgliedsfrauen praxisrelevante Strategien zur Lösung ­arbeitsbezogener Konflikte zu entwickeln.

Es ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal eines weiblichen Fachverbandes, für seine Mitgliedsfrauen und darüber hinaus für die politische Gesellschaft einen „Weiblichen Blick“ auf die ganze Bandbreite der Fachthemen und auf die spezifischen Herausforderungen anbieten zu können, die mit ihrem Tätigkeitsfeld verbunden sind. Berufliche Frauenverbände werden zum Spiegel für die Wünsche und Belange ihrer Mitgliedsfrauen.

Pharmazeutische Frauenthemen warten auf Lösungen

Ein Kollege kommentierte die Auflösung des dpv in DAZ.online so: „Gottlob hat sich dieser Verein nun aufgelöst, sage ich da nur ... weder persönlich noch akademisch ist es schade drum“. Dieser Aussage ist energisch zu widersprechen, denn es gibt noch weitere Gründe für die Notwendigkeit eines weiblichen Berufsverbandes in der Pharmazie: Aufgabe der Politik ist es, die Gesellschaft auszubalancieren. Der „Weibliche Blick“ auf die ganze Bandbreite des politischen Handels gilt als Querschnittsaufgabe. Nicht nur in der fachspezifischen Gesetzgebung werden Stellungnahmen zu Pharmazie bezogenen Fragestellungen benötigt. Die beschleunigte Entwicklung der Bundespolitik erfordert heute eine zügige, fortlaufende Kontrolle der politischen Vorgänge. Die Beobachtung der Auswirkungen der arzneimittelbezogenen Gesetzgebung auf Frauen wird durch einen schlagkräftigen weiblichen Fachverband erleichtert. Mit der Auflösung des Deutschen Pharmazeutinnen Verbands droht ein deutlicher Kompetenzeinbruch für die weibliche Sicht auf die Arzneimittelversorgung. Dieser Verlust ist derzeit nur schwer aus dem pharmazeutischen Berufsstand heraus zu kompensieren.

Der vom DPV geplante „Gender Medizin Kongress“, der in Heidelberg veranstaltet werden sollte, musste leider wegen zu weniger Anmeldungen abgesagt werden. Diese Tatsache könnte zu dem Trugschluss führen, dass im Arzneimittelbereich alle geschlechtsspezifischen Fragestellungen von Frauen als bekannt bzw. gelöst angesehen würden. Diesem Irrtum entgegenzutreten ist eine Aufgabe für einen pharmazeutischen Frauenfachverband. Es gibt mehr als genug frauenbezogene Themenfelder, die angegangen werden müssten. Eine anstehende Aufgabe wäre zum Beispiel eine Lobby­arbeit für die Forderung, das geschlechtsspezifische Erkenntnisse über Arzneimittel konsequent vermittelt werden müssen. Das Wissen über Arzneimittel mit geschlechtsspezifischen Risiken muss in allen einschlägigen Lehrwerken vorhanden sein und in die Arzneimittel-Datenbanken verbindlich eingepflegt werden. Bekanntes und neues Wissen über unterschiedliche Arzneimittelreaktionen bei Frauen und Männern sollte sich in allen Leitlinien für Diagnostik und Therapie verschiedener Krankheitsbilder niederschlagen. Dies gilt ganz besonders auch für die Empfehlungen von Leitlinien zur medikamentösen Therapie von Frauen [3]. Für Frauen und Männer müssen darüber hinaus die Dosierungen getrennt ermittelt und konsequent geschlechtsspezifisch in die Fachinformationen und in die Packungsbeilagen aufgenommen werden.

Solche und ähnliche pharmazeutischen Themen auf zu greifen und in die Öffentlichkeit zu bringen sind Beispiele für die fachlichen Herausforderungen an einen pharmazeu­tischen Frauenverband. Er setzt zudem neue Fachthemen und ist als Interessenvertretung Gesprächspartner für Fach­kreise und Politik.

Wie geht es weiter?

Da die Apothekerschaft nunmehr über keinen eigenen Fachverband mehr verfügt, der die Pharmazie aus der weiblichen Perspektive heraus beurteilt, steht zu befürchten, dass andere Organisationen in dieses Vakuum stoßen und solche und ähnliche Themen besetzen und Lösungen in ihrem Sinne forcieren. Bekannte kommerzielle Lobbyisten haben bereits ihren Fuß auf dieses Feld gesetzt. Die Lösungen, die dann vorangetrieben werden, müssen nicht immer die Lösungen sein, die sich Apothekerinnen und Apotheker wünschen.

Es bleibt zu hoffen dass es gelingt, pharmazeutische Sachkompetenz zügig in größere Verbände, die in der Frauengesundheit tätig sind, einzubringen! Dazu lag der Mitgliederversammlung des dpv ein entsprechender Antrag vor. Wie er abschließend beschieden worden ist, geht leider aus der Pressemitteilung zur Auflösung des Verbandes nicht hervor. Aber genau ein solcher Schritt bietet eine realistische Zukunftsperspektive zum Erhalt der weiblichen pharmazeutischen Sachkompetenz für die Apothekerschaft und für das Gesundheitswesen. |

Quellen

[1] Dreier H, Löneke R. Karrieren von Frauen sind Drahtseilakte – Frauenverbände als Netzwerke der Karriereförderung. Verlag Barbara Budrich 2014

[2] www.bpw-germany.de

[3] Ravens U. Clin Res Cardiol Suppl (2013) 8:32–37 DOI 10.1007/s11789-013-0055-0

Online publiziert: 20. März 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg

Autorin

Elisabeth Thesing-Bleck, Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, Geriatrische Pharmazie, Gesundheitsberatung und Prävention, gehörte zu den ersten Mitgliedsfrauen des Deutschen Pharmazeutinnen Verbands. Als Delegierte im Deutschen Frauenrat, als Vorstandsfrau im FrauenRat NRW und Mitglied des Frauennetzwerks Aachen engagiert sich auf allen Ebenen für eine balancierte Gesellschaft.

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