Arzneimittel und Therapie

„Expertisen bündeln, Handlungsfeld bereichern“

Prof. Dr. Juliane ­Köberlein-Neu

Apotheker Olaf Rose, PharmD

Die Autoren der WestGem-Studie vermelden erste Erfolge. Wir haben darüber mit zwei Vertretern der Konzeptgruppe, Prof. Dr. Juliane Köberlein-Neu und Apotheker Olaf Rose, PharmD, gesprochen.

DAZ: In der WestGem-Studie scheint die interprofessionelle Zusammenarbeit gelungen zu sein. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Köberlein-Neu: Die wechselseitige Akzeptanz der beteiligten Gesundheitsberufe und eine Kommunikation auf Augenhöhe sind in der Regelversorgung in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Vorbehalte und Eigeninteressen der Professionen traten zu Beginn der Studie deutlich zu Tage, z. B. bei der Formulierung der Interventionsvorschläge an die Hausärzte. Das Gelingen des Vorhabens ist ein großes Verdienst der Verbundpartner. Das Projekt zeigt sehr gut, wie wichtig es ist, nicht Teilkompetenzen einer Profession auf die andere zu übertragen, sondern durch Bündelung der Expertisen das Handlungsfeld des jeweils anderen zu bereichern.

DAZ: Die Rekrutierung ist oft eine Hürde. Wie wurde sie genommen, welche weiteren Probleme gab es?

Rose: Bei den Rekrutierungsproblemen half das Stepped-Wedge-Design sehr. Es gab aber auch Kapazitätsprobleme, da im Studienverlauf durch Schwangerschaften oder berufliche Neuorientierungen einige Mitarbeiterinnen ganz oder teilweise ihre Arbeit einstellen mussten und eine qualifizierte Nachfolge nicht nahtlos gefunden werden konnte. Dies betraf besonders die Pharmazie. Zudem war der bürokratische Aufwand zur Erfüllung der EU-Auflagen sehr hoch.

DAZ: An die WestGem-Studie „angedockt“ wurde ein von der Roland-Ernst-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt der Technischen Universität Dresden. Warum wurde die Kooperation gesucht?

Köberlein-Neu: Das Dresdner Vorhaben erhebt den Status quo der medizinischen Versorgung multimorbider Patienten mit Multimedikation in der hausärztlichen Praxis und adressiert die hiermit verbundenen Versorgungsprobleme in Sachsen. Hierfür wurden über 1.800 Patientenakten analysiert. Ergänzend werden in qualitativen Interviews Prinzipien, Überlegungen und Motive für die Verordnung von potenziell inadäquaten Medikamenten im Alter erfragt. Da es sich bei der WestGem-Studie um einen regionalen Ansatz handelt, dient die im Dresdener Projekt erhobene Patientenkohorte als überregionale Vergleichskohorte bzgl. der Patientencharakteristika wie Alter, Geschlecht, Morbidität und verordnete Arzneimittel. Es soll untersucht werden, ob die im Rahmen der WestGem-Studie beobachteten Regionen vergleichbar mit anderen Regionen in Deutschland sind, wir sind nach ersten Ergebnissen da sehr zuversichtlich.

DAZ: Der operative Teil der WestGem-Studie ist beendet. Was hoffen Sie, über die ersten Ergebnisse (s. Bericht S. 26, Rubrik „Arzneimittel und Therapie“: „Medikationsanalyse hilft, Medikationsmanagement ist besser“) hinaus zeigen zu können?

Köberlein-Neu: Der Großteil der Analysen steht noch aus, sodass weitere positive Ergebnisse zu erwarten sind. Beispiele sind die Verbesserung patientenrelevanter Ergebnisse, wie z. B. soziale Einbindung und Erreichung von Therapiezielen sowie eine Verringerung der Gesundheitsausgaben. Auch die Krankenhausaufenthalte müssen noch sauber ausgewertet und um geplante Eingriffe bereinigt werden. Wir erwarten, dass sich nur bestimmte Änderungen der Medikation in einer verbesserten Lebensqualität widerspiegeln werden. Hier sind Subgruppenanalysen nötig.

Rose: Interessant wird auch noch die Auswertung von nierenassoziierten Laborwerten. Wir versuchen zudem, Patientencharakteristika zu identifizieren, die darauf hinweisen, dass ein Patient in besonderem Maße von einem Medikationsmanagement profitiert. Mit diesen Patienten könnte man in der Regelversorgung dann idealerweise beginnen.

DAZ: Welche Impulse werden von der Studie ausgehen?

Köberlein-Neu: Wir erwarten, dass die Ergebnisse der WestGem-Studie interprofessionelle Ansätze unterstützen, sie lohnen sich, nicht zuletzt im Sinne des Patienten. WestGem kann zudem viel weitere Forschung induzieren. Ich denke da an das Selbstverständnis der Professionen, deren Zusammenarbeit, aber auch die Umsetzung in der Breite.

Rose: Für die Pharmazie können die Ergebnisse den eingeschlagenen Weg zu einem patientenorientierten Wandel unterstützen. Die Daten können argumentativ von Standesvertretern für Verhandlungen mit der Politik und Kostenträgern genutzt werden.

DAZ: Frau Professor Köberlein-Neu, Herr Rose, vielen Dank für das Gespräch! |

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