Arzneimittel und Therapie

Wenn der Kreislauf in den Keller geht

Hilfe bei Kreislaufschwäche und Hypotonie

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Von Sarah Katzemich | Niedriger Blutdruck erfordert meist keine Therapie, die Kreislaufprobleme machen den Betroffenen aber oft schwer zu schaffen. Den Patienten ist kalt und schwindelig, sie fühlen sich müde oder fallen sogar in Ohnmacht. Wenn Medikamenteneinwirkung und Grunderkrankungen ausgeschlossen sind, kann in erster Linie mit nicht-medikamentösen Maßnahmen geholfen werden, wie durch den Verzicht auf Tabak und Alkohol, durch höhere Trinkmengen, sportliche Betätigung und Kneipp-Anwendungen. Auch Homöopathie und Naturmedizin bieten viele Möglichkeiten. Auf synthetische Wirkstoffe, wie Dihydroergotamin oder Etilefrin, sollte erst nach ärztlicher Klärung zurückgegriffen werden.

Kreislaufschwäche tritt vor allem bei jungen, schlanken Frauen häufig auf. Die Betroffenen fühlen sich abgeschlagen, ihnen wird schnell kalt und sie leiden unter Schwindelgefühlen. Doch was steckt hinter den Symptomen und wie kann man den Patienten helfen?

Hypotonie

Kreislaufschwäche ist keine Erkrankung, sondern vor allem ein Symptom zu niedrigen Blutdrucks (Hypotonie). Von einer Hypotonie spricht man, wenn der systolische Blutdruck unter Ruhebedingungen unter 100 mmHg liegt. Dieser erniedrigte Blutdruck hat an sich keinen Krankheitswert. Die Lebenserwartung von Hypotonikern ist durchschnittlich sogar etwas höher als die von Normotonikern. Allerdings ist eine Therapie angezeigt, wenn der oder die Betroffene sich von den Symptomen stark eingeschränkt fühlt oder einer Risikogruppe angehört (z. B. Schwangere, geriatrische Patienten oder Neigung zu Synkopen). Diese Symptome umfassen Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit, Ohrensausen, „leerer Kopf“, Schwindelgefühle und Schwarzwerden vor Augen bis hin zur kurzen Ohnmacht, der Synkope.

Eine primäre Hypotonie beruht auf einer Störung in den Kreislaufregulationszentren. Eine sekundäre Hypotonie kann diverse Ursachen haben. Am häufigsten tritt eine sekundäre Hypotonie während und nach Infektionskrankheiten auf und führt zu der typischen Abgeschlagenheit. Der niedrige Blutdruck kann jedoch auch kardiovaskulärer Natur sein und im Zusammenhang mit Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen oder Hypovolämie stehen. Hormonell bedingte Hypotonien entstehen durch einen Mangel an Corticoiden (Nebennierenrinden-Insuffizienz), Schilddrüsenhormonen (Hypothyreose) oder den entsprechenden Releasing-Hormonen (Hypophysen-Insuffizienz). Auch neurologische Erkrankungen wie Parkinson können den Blutdruck sinken lassen. Bevor also eine antihypotonische Therapie in Erwägung gezogen wird, sollten diese möglichen Ursachen ärztlich abgeklärt werden.

Auch viele Arzneistoffe (wie PDE-5-Inhibitoren oder zentral dämpfende Wirkstoffe) können den Blutdruck unerwünscht weit senken. Sollte der Patient sich in Bluthochdrucktherapie befinden, muss die Dosierung eventuell angepasst werden. Hierbei ist auch zu beachten, dass viele Hypertoniker am Anfang der medikamentösen Therapie hypotonieartige Symptome zeigen, da sich der Organismus erst wieder an den niedrigeren Blutdruck gewöhnen muss. Als Apotheker kann man hier durch gute Beratung viel zur Compliance beitragen.

Arzneistoffe als Ursache einer Hypotonie

  • Antihypertensiva (auch Betablocker) und (arterielle) Vasodilatatoren
  • primär vorlastsenkende Pharmaka (Nitrovasodilatatoren)
  • Diuretika
  • Phosphodiesterase-Hemmer
  • trizyklische Antidepressiva (durch Blockade peripherer α1-Adrenozeptoren)
  • Neuroleptika (vor allem Phenothiazine und Clozapin, ebenfalls durch Blockade peripherer α1-Adrenozeptoren)
  • Tranquilizer, Levodopa und Dopamin-Rezeptoragonisten (Bromocriptin und Pergolid)

Orthostatische Dysregulation

Eine Form der Hypotonie stellt die orthostatische Dysregulation dar. Hier treten die Symptome hauptsächlich beim Übergang vom Liegen ins Stehen auf. Durch den Lagewechsel kommt es dabei zu einer vorübergehenden Minderperfusion des Gehirns, die sich durch Schwindel und Flimmern vor den Augen äußert. Diese kann durch den Wechsel ins Liegen sofort wieder behoben werden. Solche Beschwerden sind meist konstitutionell bedingt. Allerdings können mangelndes körperliches Training, längere Bettlägerigkeit, Hypovolämie und Exsikkose, sowie diverse Grunderkrankungen (s. oben) die Symptome verstärken. Auch hier sollte vor einer anti­hypotonen Therapie ein Arzt zu Rate gezogen werden, da auch hypertone Formen der orthostatischen Dysregulation existieren, die sich in den Symptomen nicht unterscheiden.

Kurz mal weggetreten: Synkopen

Bei einer Synkope kommt es zu einem kurzen Bewusstseinsverlust durch eine Minderdurchblutung des Gehirns. Sie setzt rasch ein, ist aber nur von kurzer Dauer und der Patient erholt sich in der Regel spontan wieder vollständig. Bei jungen Menschen wird eine Synkope meist durch einen vasovagalen Reflex ausgelöst, der oft eine emotionale oder orthostatische Belastung (Schmerzen, unerfreulicher Anblick, langes Stehen, überfüllte Räume) als Ursache hat. Manche Menschen verlieren auch das Bewusstsein aufgrund bestimmter Trigger, wie Niesen, Husten oder nach dem Essen. Hier spricht man von einer Situations-Synkope. Synkopen infolge orthostatischer Hypotonie sind vor dem 40. Lebensjahr selten, aber häufig bei sehr alten Patienten. Diese Arten von Bewusstseinsverlust lassen sich oft durch nicht-medikamentöse Maßnahmen in den Griff bekommen. Dennoch sollten Synkopen immer ärztlich abgeklärt werden, um eine kardiovaskuläre Grunderkrankung auszuschließen.

Nicht-medikamentöse Maßnahmen

Sind andere Erkrankungen als Ursache ausgeschlossen, sollten zuerst nicht-medikamentöse Maßnahmen ergriffen werden. Als erstes gilt es, den Patienten über die Harmlosigkeit des Zustandes aufzuklären und eventuelle unbegründete Sorgen zu beruhigen.

Falls die Symptome besonders in bestimmten Situationen auftreten, ist es häufig schon ausreichend, die Auslösefaktoren zu umgehen. Patienten sollten versuchen, Hitze und zu langes Stehen zu meiden. Bei Orthostase-Störungen kann geraten werden, nach längerem Liegen, Sitzen oder Hocken langsam ins Stehen überzugehen und bei Schwindelgefühlen noch einmal die Beine hochzulegen. Genussgifte wie Tabak und Alkohol reduzieren oder am besten ganz weglassen, da auch sie die Symptome verschlimmern können. Coffein-haltige Getränke dagegen können bei vielen Patienten die Beschwerden lindern.

Zudem sollte sichergestellt werden, dass der Patient ausreichend viel Flüssigkeit aufnimmt. Gerade ältere Menschen trinken aufgrund ihres veränderten Durstempfindens oft zu wenig. Dadurch kann es zu einer Hypovolämie und damit zum Blutdruckabfall und Durchblutungsstörungen kommen. Eine ausreichende Trinkmenge (je nach Aktivität 1,5 bis 2 Liter/Tag) stabilisiert den Kreislauf. Unterstützend kann auch die mit der Nahrung aufgenommene Salzmenge etwas erhöht werden (allerdings nicht in der Schwangerschaft!). Weitere Auslöser einer Hypovolämie sind z. B. Durchfall oder schlecht eingestellter Diabetes mellitus mit Polyurie.

Oft „versackt“ bei Menschen mit niedrigem Blutdruck das Blut in den Kapazitätsgefäßen der Beine. Um dem entgegenzuwirken, kann versucht werden, den Venentonus zu steigern. Dies gelingt oft mit einer Aktivierung der Venenpumpe durch isometrische Übungen (z. B. Überkreuzen und Aneinanderpressen der Beine im Stehen). Der körpereigene Tonus kann auch durch Stützstrümpfe unterstützt werden. Wechselduschen, Kneipp-Anwendungen und Trockenbürsten-Massagen können ebenso wie leichte Ausdauersportarten wie Radfahren oder Walking hilfreich dabei sein, die Gefäßregulation zu trainieren und den Kreislauf zu stabilisieren. Patienten mit orthostatischer Dysregulation profitieren oft von einer nächtlich erhöhten Oberkörperlage.

Chemisch definierte Wirkstoffe

Sollten nicht-medikamentöse Maßnahmen und pflanzliche Mittel nicht zum Erfolg geführt haben, kann eine medikamentöse Therapie erwogen werden. Heute kommen allerdings nur noch α-Sympathomimetika zum Einsatz. Das früher vorwiegend verwendete Dihydroergotamin darf seit Anfang 2014 nicht mehr verschrieben werden Die entsprechenden Präparate sind nicht mehr im Handel.

Das Noradrenalin-Derivat Etilefrin (z.B. Bioflutin® Tropfen, Effortil® Tropfen oder Tabletten, Thomasin® Tropfen) ist rezeptfrei erhältlich. Es wirkt als direktes Sympathomimetikum agonistisch an α- und β-Adrenorezeptoren und steigert so den peripheren Gefäßtonus und das Herz-Minuten-Volumen. α-Sympathomimetika sollten möglichst vor 16 Uhr angewendet werden, um Schlafstörungen am Abend zu vermeiden. Bei koronarer Herzkrankheit und Gefäßerkrankungen sind sie kontraindiziert. Vor der Rücknahme von Ergotamin wurde es vor allem bei asympathikotonen Orthostasestörungen (mit gleichbleibendem Puls und Blutdruck) eingesetzt.

Dihydroergotamin unterlag der Verschreibungspflicht und war Mittel der ersten Wahl bei der sympathikotonen orthostatischen Dysregulation (mit Erhöhung der Herzfrequenz und des diastolischen Blutdrucks). Es erhöht durch Konstriktion der venösen Kapazitätsgefäße die Blutzufuhr zum Herzen und damit auch das Schlagvolumen. Aufgrund von Sicherheitsbedenken hatte die EMA 2012 eine EU-weite Überprüfung von verschiedenen Mutterkornalkaloiden, darunter auch Dihydroergotamin veranlasst. Diese ergab ein – nach Auffassung der Aufsichtsbehörde – negatives Nutzen-Risikoverhältnis für bestimmte Indikationen, darunter Hypotonie. In einem Rote-Hand-Brief wurde dann im Januar 2014 über die Anwendungsbeschränkungen und somit das Aus für die Hypotonie-Therapie informiert.

Homöopathische und pflanzliche Mittel

Homöopathika können die oben beschriebenen Verhaltensregeln gut ergänzen. Bei einer akuten Kreislaufschwäche kann Veratrum album als D6-Potenz eingesetzt werden, alle zwei bis drei Minuten drei Tropfen oder Globuli bis zur Besserung. Werden die Beschwerden durch schlechte Luft hervorgerufen und durch Übelkeit begleitet, kann nach dem ­Simile-Prinzip Tabacum D6 angewendet werden (akut: dreimal alle 15 Minuten, dann drei- bis viermal fünf Tropfen/Globuli). Älteren, kreislauflabilen Menschen kann Carbo vegetabilis D6 helfen. Bei orthostatischen Beschwerden kann sich Haplopappus baylahuen D3 eingesetzt werden (dreimal täglich fünf Globuli). Als Alternative werden auch die mineralischen Zubereitungen Ferrum hydroxydatum, Skorodit, Halit sowie Ferrum metallicum bei hypotonen Kreislaufregulationsstörungen angewendet. Bei Stoffwechselschwäche und Erschöpfung sollen Kalium phosphoricum comp., Prunus spinosa und Levico comp. helfen.

Auch pflanzliche Präparate stehen zur Verfügung. So wirkt Rosmarin, äußerlich als Vollbad angewendet, hypotonen Kreislaufbeschwerden entgegen. Innerlich wird vor allem Weißdorn als Tee oder Extrakt zur Kreislaufstärkung eingesetzt. Korodin® Herz-Kreislauf-Tropfen (Kombination aus Weißdorn-Extrakt und Campher) stimulieren reflektorisch das Kreislaufzentrum und steigern die Herzleistung, so dass Patienten mit orthostatischer Dysregulation von der schnellen blutdrucksteigernden Wirkung profitieren können. Sie sind aber bei Asthmatikern kontraindiziert. Ebenso ist der hohe Alkoholgehalt (60%) ein Risiko für Abhängige.

Fazit

Da Kreislaufprobleme trotz ihres geringen Krankheitswertes sehr belastend für Betroffene sein können, ist gute Beratung hier entscheidend. Einerseits muss der Patient beruhigt, aber andererseits mit seinen Beschwerden ernst genommen werden. Durch die vielfältigen Möglichkeiten, nicht-medikamentös einzugreifen, eröffnet sich ein breites Spektrum an Tipps, die dem Patienten mitgegeben werden können. Oft helfen diese Maßnahmen gegen die subjektiven Beschwerden, auch wenn sich die Blutdruckwerte nicht maßgeblich ändern. Auch die Homöopathie ist hier eine gute, nebenwirkungsarme Unterstützung. So kann mit einfachen Mitteln die Lebensqualität der Betroffenen stark verbessert werden. |

Quelle

Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer HK, Menzel S, Ruth P. Arzneimittelwirkungen – Lehrbuch der Pharmakologie, der klinischen Pharmakologie und Toxikologie, 10. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2013

Aktories K. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 11. Auflage, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Diagnostik und Therapie von ­Synkopen, Leitlinie von 2009

Classen M. Innere Medizin, 6. Auflage, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München

Wiesenauer M, Berger R. Homöopathie-Beratung – Empfehlungen für die Patientenbetreuung, 3. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag, ­Stuttgart 2010

Wirkstoffdossiers der ABDA-Datenbank, Stand: 8. Juni 2015

Autorin

Apothekerin Sarah Katzemich

Pharmaziestudium an der Eberhard Karls Universität Tübingen

seit 2015 beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Bereich „Informationssystem Arzneimittel“ tätig

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