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Diabetes mellitus
So tut Spritzen gar nicht weh
Der richtige Umgang mit Insulin-Spritzen und -Pens
Für Diabetiker unter Insulin-Therapie gehört das mehrmals tägliche Spritzen zum Alltag. Trotzdem können bei der Anwendung von Insulin-Pens und -Spritzen viele Fehler gemacht werden, die zum Teil schwere Nebenwirkungen auslösen können. So können durch eine versehentliche intramuskuläre Applikation Hypoglykämien entstehen und ein zu seltener Wechsel der Injektionsstelle zu Lipodystrophien führen. Dabei entstehen Lipohyperthrophien durch vermehrtes Insulin-induziertes Wachstum des Unterfettgewebes an der Einstichstelle und bilden fühlbare oder sogar sichtbare Knoten. Diese sind zwar nicht besonders schmerzhaft, aber für manche Patienten ein kosmetisches Problem. Und in dem Gewebe ist die Resorption verlangsamt, so dass bei fortgeführter Injektion an dieser Stelle mehr Insulin benötigt wird, um den Blutzuckerspiegel adäquat zu kontrollieren. Seltener sind Lipoatrophien, der Schwund des Unterhautfettgewebes durch Entzündungen an der Injektionsstelle, der sich durch sichtbare Einziehungen der Haut bemerkbar macht. Um solche Nebenwirkungen zu verhindern, ist eine ausführliche Beratung bei der Insulin-Therapie besonders wichtig.
Die richtige Aufbewahrung
Insulin sollte vor Anbruch im Kühlschrank bei 2 bis 8°C gelagert werden. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass das Insulin nicht zu kalt wird und gefriert. Durch Einfrieren und Auftauen ändern sich die physikalischen Eigenschaften der Präparate und damit auch deren Freisetzungsverhalten.
Nach Anbruch sollten Insulin-Pens lichtgeschützt bei Raumtemperatur (bis 25 oder 30 °C, je nach Herstellerangabe) aufbewahrt werden und sind dann vier bis sechs Wochen haltbar. Bei einer Lagerung im Kühlschrank kann sich die Flüssigkeit zusammenziehen und Luft einsaugen (insbesondere wenn die Nadel nicht vorschriftsgemäß nach dem Spritzen entfernt wurde), was zu Dosierungsungenauigkeiten führen kann.
Bei Reisen in wärmere Regionen stehen wärmeisolierte Taschen für Insulin-Pens zur Verfügung. Wenn der Patient in kalte Gebiete reist, sollte das Insulin nah am Körper, z. B. in einer Innentasche getragen werden.
Die richtige Spritze bzw. der richtige Pen
Die meisten Diabetiker benutzen mittlerweile Insulin-Pens. Manche bevorzugen jedoch die Handhabung einer Spritze oder sind auf die flexiblere Dosierung angewiesen (halbe Einheiten, z. B. für Kinder). Dabei ist es wichtig darauf zu achten, dass die passende Spritze für das jeweilige Insulin ausgewählt wird. Die meisten Insulin-Spritzen fassen 1 ml oder 2 ml und haben eine Skalierung in IE und ml. In der Regel entspricht dabei 1 ml 40 IE Insulin. Es gibt jedoch auch Spritzen für höher dosierte Insuline mit 100 IE/ml. Hier können Verwechslungen schwere Folgen haben und sind unbedingt auszuschließen. Für sehschwache Patienten sind aufsteckbare Skalenlupen erhältlich.
Insulin-Pens sind als Fertigpens oder als nachfüllbare Modelle erhältlich. Bei den nachfüllbaren Pens müssen immer die entsprechenden Patronen des Herstellers verwendet werden, selbst wenn sie sich optisch nicht von anderen unterscheiden, da durchaus Unterschiede im Innenvolumen oder der Mechanik bestehen können. Bei Fertigpens bilden die Insulin-Ampulle und die Dosiermechanik eine Einheit. Sie sind nicht wiederbefüllbar, aber entsprechen ansonsten in ihrer Handhabung den nachfüllbaren Pens. Der Patient stellt zuerst die gewünschte Insulin-Dosis ein und löst nach Einstechen in die Haut die Injektion durch sanftes und gleichmäßiges Herunterdrücken des Injektionsknopfes aus. Wurde versehentlich eine zu hohe Dosis eingestellt, kann diese bei manchen Modellen nach unten korrigiert werden. Bei anderen muss die Dosis verworfen werden. Die bisher übliche Füllmenge ist 3 ml mit 100 IE Insulin pro ml Lösung. Seit Kurzem stehen auch höher dosierte Pens zur Verfügung: Toujeo® 300 Einheiten/ml Lösung im Fertigpen, Liprolog® 200 Einheiten/ml Lösung im Fertigpen sowie Humalog® 200 Einheiten/ml Lösung im Fertigpen. Beim Toujeo® enthält 1 ml Lösung 300 Einheiten Insulin glargin®. Liprolog® und Humalog® im KwikPenTM enthalten jeweils 600 Einheiten Insulin lispro® in 3 ml Lösung. Es muss sehr genau auf die Dosierung geachtet werden, da sonst schnell eine schwere Überdosierung möglich ist. Bedacht werden muss auch, dass zum Beispiel Insulin glargin® 100 Einheiten/ml und Toujeo® 300 Einheiten/ml nicht bioäquivalent und nicht austauschbar sind. Die länger anhaltende Freisetzung von Insulin glargin® aus dem Toujeo®-Präzipitat ist nach Herstellerangaben auf das reduzierte Injektionsvolumen zurückzuführen, das wiederum zu einer kleineren Präzipitatoberfläche führt.
Wenn durch Sehschwäche oder beeinträchtigte Feinmotorik Probleme bei der Dosiseinstellung bestehen, kann z. B. ein Innolet® Pen verwendet werden. Dieser wurde speziell für ältere Menschen entwickelt und hat eine große „Eieruhr“, auf der sich die entsprechende Dosis leicht einstellen lässt. Viele Pens zeigen die Dosiseinstellung auch akustisch durch Klicken an (1 Klick pro 1 bzw. 2 IE je nach Hersteller).
Die richtige Nadel
Früher wurden – besonders bei korpulenten Patienten – oft längere Nadeln (> 8 mm) für die Insulin-Therapie eingesetzt. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass die Hautdicke unabhängig vom Habitus etwa 2,5 mm beträgt. Deshalb sind kurze Nadeln mit 4 mm durchaus ausreichend, um ins Unterhautfettgewebe vorzudringen, und verringern sowohl den Einstichschmerz als auch das Risiko intramuskulärer Injektionen. Eine aktuelle Studie aus Italien zeigte zudem, dass 4-mm-Nadeln die Zufriedenheit von Patienten steigern können, die zuvor längere Nadeln benutzten (89% vs. 74% sehr zufrieden). Nadeln für Insulin-Pens und -Spritzen sollten grundsätzlich nur einmal verwendet und gleich nach der Injektion entfernt werden. Zum sicheren Abschrauben der Nadel sind verschiedene Hilfsmittel beim Großhandel verfügbar. Bei mehrmaligem Gebrauch der Nadeln drohen nicht nur ein Abstumpfen der Spitze und ein Verlust des Silikonölfilms, was die Injektion schmerzhafter macht, sondern auch ein komplettes oder teilweises Verstopfen der Kanüle, besonders bei langwirksamen Insulinen oder Suspensionen. Zudem übernimmt der Hersteller keine Haftung für Schäden durch nicht anweisungsgemäßen Mehrfachgebrauch von Injektionsnadeln.
Die richtige Injektionsstelle
Insuline sollten in der Regel in das Unterfettgewebe und nicht intramuskulär oder gar intravenös appliziert werden. Geeignete Injektionsstellen sind daher der Unterbauch (unterhalb oder auf Höhe des Bauchnabels, aber in mindestens 2 cm Abstand davon), die Außenseiten der Oberschenkel (bis eine Handbreit über dem Knie), die seitlichen und rückwärtigen Areale der Oberarme sowie die oberen und äußeren Partien des Gesäßes. In der oben erwähnten Studie nutzten die meisten Diabetiker diese Stellen zur Injektion mit einer Präferenz für Bauch und Oberschenkel. Einige Teilnehmer injizierten ihr Insulin jedoch an untypischen und ungeeigneten Stellen wie in der Armbeuge oder in den Unterarm. Dies kann zu einer schnelleren Resorption und damit zur Hypoglykämie führen.
Um Lipodystrophien zu vermeiden, sollte die Injektionsstelle regelmäßig gewechselt werden. Dies sollte jedoch nicht wahllos getan werden, da unterschiedliche Körperstellen verschiedene Resorptionsgeschwindigkeiten aufweisen können. Empfohlen wird deshalb nach Plan vorzugehen und jedes Mal mindestens 1 bis 2 cm Abstand zur letzten Einstichstelle zu halten.
Die richtige Technik
Trübe Insuline müssen vor der Anwendung homogenisiert werden. Hierzu sollte das Behältnis zehn- bis 20-mal gekippt oder zwischen den Handflächen gerollt werden, bis die Flüssigkeit gleichmäßig milchig durchmischt ist. Durch Schütteln würde sich Schaum bilden, der zu Dosisschwankungen und Stabilitätsproblemen führen kann.
Nach Aufsetzen der Nadel wird die Schutzkappe abgezogen und zur späteren Entfernung der Nadel aufbewahrt. Falls sich Luftblasen in der Patrone gebildet haben, sollte der Pen durch Einstellung von 1 bis 2 IE und mehrmaligem Auslösen in die Luft (bis Flüssigkeit herauskommt) entlüftet werden, um Auswirkungen auf die applizierte Menge zu vermeiden. Dann wird mit zwei bis drei Fingern eine Hautfalte gebildet. Dabei sollten nie fünf Finger verwendet werden, da sonst die Gefahr groß ist, den Muskel mit anzuheben und in diesen zu injizieren. Anschließend wird abhängig von der Nadellänge senkrecht (8 bis 10 mm Länge) oder im 45°-Winkel (10 bis 13 mm Länge) in die Haut gestochen. Bei sehr kurzen Nadeln (4 bis 6 mm Länge) ist in der Regel keine Hautfalte nötig. Durch sanften und gleichmäßigen Druck auf den Injektionsknopf wird die Dosis langsam injiziert. Danach sollte fünf bis zehn Sekunden abgewartet werden, bevor die Nadel wieder herausgezogen wird. Dadurch wird sichergestellt, dass die gesamte Dosis injiziert wurde.
Die richtige Beratung
In der bereits angesprochenen italienischen Studie wurden 346 Typ-1- und Typ-2-Diabetiker im Alter von über zwölf Jahren zu ihrer Spritztechnik und Therapiezufriedenheit befragt. Die Studienteilnehmer wurden bei Routine-Untersuchungen in 18 verschiedenen Ambulanzen in ganz Italien rekrutiert, auf Lipodystrophien untersucht und mussten einen Fragebogen ausfüllen. Alle Patienten spritzten sich seit mindestens vier Jahren selbstständig Insulin. Dieser Zeitraum wurde ausgewählt, da man vermutete, dass diese Gruppe eventuell noch veraltete Techniken gelernt oder sich in der Zwischenzeit an Applikationsfehler gewöhnt haben könnte. Im Anschluss an die Befragung wurden alle Teilnehmer auf einen Pen mit 4-mm-Nadeln umgestellt und 15 Minuten lang zusammen geschult. Anhand eines Modells lernten sSie Lipodystrophien zu erkennen und wurden nochmals über die richtige Spritztechnik aufgeklärt. Danach bekam jeder Patient nochmals eine individuelle Schulung auf Basis des ausgefüllten Fragebogens und erhielt schriftliche Informationen zum richtigen Gebrauch von Insulin-Pens. Nach drei Monaten wurden die Untersuchung der Injektionsstellen und die Befragung wiederholt sowie die Laborparameter verglichen. Der durchschnittliche HbA1c-Wert war um 0,58% gesunken (7,91 vs. 8,49), der durchschnittliche Nüchternblutzucker-Spiegel um 14,2 mg/dl (172,5 vs. 186,7 mg/dl). Auch der tägliche Insulin-Verbrauch war mit 48,5 IE niedriger als vor der Schulung (50,5 IE). Die Spritztechnik hatte sich verbessert. Während bei Beginn 38% der Patienten die Nadel nach weniger als fünf Sekunden wieder herausgezogen hatten, lag dieser Anteil nun nur noch bei 6%. Zudem sah nun ein viel größerer Anteil der Patienten die Spritztechnik als wichtig oder sehr wichtig an.
Diese Studie zeigt, dass die richtige Schulung von Diabetikern und besonders das individuelle Eingehen auf die Patienten einen wichtigen Beitrag zum Erfolg einer Insulin-Therapie leisten kann. Apotheker sollten deshalb, wenn Kunden von Problemen mit der Insulin-Therapie berichten, genau nachfragen und analysieren, ob Anwendungsfehler eine Rolle spielen könnten. |
Quelle
Grasel G. Optimizing insulin injection technique and ist effect on blood glucose control, J Clinic & Translational Endocrinology, Juli 2014
Gebler H. Pharmazie für die Praxis, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart, 6. Auflage 2013
Kohm B. Verbandmittel, Krankenpflegeartikel, Medizinprodukte, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart, 10. Auflage 2014
Haefeli W. Arzneimittel richtig anwenden, Thieme Verlag Stuttgart, 2013
Fachinformation Toujeo®, Stand April 2015
Autorin
Apothekerin Sarah Katzemich
Pharmaziestudium an der Eberhard Karls Universität Tübingen
seit 2015 beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Bereich „Informationssystem Arzneimittel“ tätig
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