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Es gibt noch zu wenig für kleine Patienten

BfArM-Symposium zu Kinderarzneimitteln: Wie lässt sich die Forschung ankurbeln?

BONN (hb) | Seit dem Jahr 2007 ist die europäische Kinderarzneimittelverordnung in Kraft. Zwar wurden seitdem bei neu entwickelten Arzneimitteln Fortschritte erzielt, aber für bekannte Wirkstoffe sieht es noch lange nicht gut aus. Bei einem Symposium des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 8. Juni 2015 berieten 150 Fachleute aus Behörden, vom Gemeinsamen Bundesausschuss, der Industrie, der pädiatrischen Ärzteschaft und von Patientenvertretern, woran das liegen und wie man hier Abhilfe schaffen könnte.

Die europäische Verordnung über Kinderarzneimittel (Verordnung (EG) Nr. 1901/2006) machte die Prüfung neuer Arzneimittel bei Kindern mit wenigen Ausnahmen verbindlich. Pharmaunternehmen müssen zusammen mit dem Zulassungsantrag einen pädiatrischen Prüfplan vorlegen (Pediatric Investigation Plan, PIP), der behördlich genehmigt und dann abgearbeitet werden muss. Freistellungen von dieser Verpflichtung sind nur möglich, wenn das Produkt oder die Arzneimittelgruppe für Kinder unwirksam oder bedenklich ist, die Indikation lediglich bei Erwachsenen auftritt oder es gegenüber bestehenden pädiatrischen Behandlungen keinen signifikanten therapeutischen Nutzen bietet. Für bereits zugelassene und nicht mehr patentgeschützte Arzneimittel kann eine Genehmigung für die pädiatrische Verwendung (Paediatric use marketing authorisation – PUMA) beantragt werden. Für solche Zulassungen erhalten die Pharmaunternehmen als Anreiz einen zehnjährigen Unterlagen- und Vermarktungsschutz. Dadurch sollte, so die Idee, auch der Arzneischatz der bekannten Arzneimittel sukzessive für Kinder zugänglich gemacht bzw. die bislang gängige „Off-label“-Anwendung besser mit validen Daten untermauert werden.

Status quo für neue Stoffe

Erst unlängst hatte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) einen Bericht zum Status quo der Inanspruchnahme der Anreize und Vergünstigungen der Kinderarzneimittelverordnung durch die Firmen veröffentlicht (EMA/133100/2015). Hiernach wurden nach Darlegung von Dr. Birka Lehmann, BfArM, zwischen 2011 und 2014 insgesamt 381 pädiatrische Prüfpläne positiv beschieden und 188 Freistellungen erteilt – für Lehmann ein Zeichen, dass die Gesetzgebung hier offenbar langsam in der Praxis angekommen ist. Der Anteil der Studien an Kindern in Relation zu allen klinischen Prüfungen ist im selben Zeitraum von 9,4 auf 12,4 Prozent angestiegen. Noch stärker ist die Zunahme im Hinblick auf die Anzahl der Kinder, die in die Studien einbezogen werden sollten (2011: ca. 60.000, 2014: 151.000), wobei die Zahl der frühgeborenen Studienteilnehmer sich ebenfalls fast verdoppelt hat. Laut Auskunft der EMA wurden im Jahr 2012 zehn und im Jahr 2013 zwanzig Zulassungen mit einer pädiatrischen Indikation erteilt. Hinzu kommen laut Lehmann weitere vierzehn bzw. zwölf neue Kinder-Indikationen über Änderungsanzeigen oder Erweiterungen von Zulassungen. Die Zahlen für neue Wirkstoffe sind demnach durchaus vorzeigbar.

Tab.: Status quo bezüglich Kinderzulassungen für bekannte Arzneimittel (PUMAs) in Europa
Status Arzneimittel
Zugelassen Buccolam (Midazolam, bukkal) zur Behandlung prolongierter Krampfanfälle bei KindernHemangiol (Propranolol, oral) zur Behandlung proliferierender infantiler Hämangiome
Rücknahme im Zulassungsverfahren Fluad (Influenza Vakzine) zur Behandlung der Influenza
Im Zulassungsverfahren Sialanar (Glycopyrroniumbromid, oral) zur Behandlung des überstarken Speichelflusses

Quelle: B. Lehmann

Traurige Bilanz bei PUMAs

Obwohl das größere Potenzial für die pädiatrische Arzneimitteltherapie nach Einschätzung der Experten bei den bekannten Stoffen liegt, sieht die Bilanz eher trübe aus. Seit Inkrafttreten der Verordnung sind nur zwei „PUMA-Zulassungen“ erteilt worden. Wie Lehmann berichtete, hatte die Europäische Kommission bereits in ihrem Fünf-Jahres-Bericht zur Umsetzung der Kinderarzneimittelverordnung aus dem Jahr 2013 (EMA/250577/2013) Zweifel angemeldet, ob die PUMA das geeignete Instrument für die Förderung der pädiatrischen Forschung mit bekannten Arzneistoffen sei. Auch hier wurde die PUMA schon als „Enttäuschung“ bezeichnet. Das PUMA-Konzept habe die Erwartungen nicht erfüllt, so die lapidare Feststellung. Immerhin wurde in der Annahme, dass die Anforderungen an solche Kinder-Zulassungen zu hoch sein könnten, danach eine Erleichterung für die Antragsteller eingeführt. Studien für PUMAs müssen nun nicht mehr wie bisher alle Altersgruppen abdecken. Außerdem wird laut Lehmann mehr Geld aus europäischen Förderprogrammen in die Forschung gesteckt.

Therapeutischer Bedarf

Was den therapeutischen Bedarf anbelangt, so befinden sich nach Angaben des Vorsitzenden der Kommission für Arzneimittel für Kinder und Jugendliche (KAKJ) am BfArM, Prof. Dr. Wolfgang Rascher, derzeit rund 360 Substanzen auf der europäischen Bedarfsliste. 152 wurden in die Prioritätsliste der bekannten Wirkstoffe (ohne Patentschutz) aufgenommen. 110 davon finden sich in beiden Listen. Näheren Aufschluss in der Frage, ob die pädiatrische Forschung sich am tatsächlichen Bedarf orientiert, gibt laut Rascher eine Analyse aus dem Jahr 2014. Hiernach beinhalteten nur 51 (9,9%) von 511 pädiatrischen Prüfplänen Wirkstoffe, die im Therapiebedarfsinventar erwähnt werden. Und wie ist der Status quo hinsichtlich pädiatrischer Prüfpläne mit Bezug auf eine PUMA? Lehmann zufolge gibt es bis dato 22 positive Entscheidungen, sechs sind in der Bewertung, und dreizehn Anträge wurden von den Antragstellern zurückgenommen.

Die Kommission für Arzneimittel für Kinder und Jugendliche, die im Jahr 2004 eingerichtet wurde, befasst sich unter anderem auch mit der Off-label-Problematik. Rascher ist überzeugt: „Es wird immer eine Off-label-Anwendung geben. Wir sollten danach streben, dann wenigstens validierte Dosen einzusetzen.“ Er hofft, aus dem vorhandenen Datenbestand einiges ableiten zu können und hat vor, hieraus ein Dosishandbuch für Deutschland zu erstellen. Rein rechnerischen Dosistabellen für Kinder erteilte der Pädiater eine klare Absage: „Das darf es nicht mehr geben.“

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Nachteil Kind! Wenn Kinder krank werden, sind sie in vielen Fällen auf Arzneimittel angewiesen, die nie an Kindern geprüft wurden. Das ist nicht nur hinsichtlich der Dosierung problematisch.

„Der Anreiz verpufft“

Aus der Sicht der Pharmaindustrie, die durch die Verbände BAH, BPI und vfa vertreten war, scheitert das Instrument bislang zu einem großen Teil an der mangelnden „Rentabilität“ für die Unternehmen. Die Vermarktungschancen seien gemessen an den erforderlichen Investitionen gering. „Der Anreiz verpufft, weil er einfach nicht groß genug ist“, sagte BAH-Geschäftsführer Dr. Elmar Kroth. Außerdem hätten die Firmen die Befürchtung, dass die Ärzte im Fall einer vorhandenen Kinderzulassung unter ökonomischen Zwängen trotzdem weiter preisgünstigere Alternativen desselben Wirkstoffs off label einsetzen würden. Als weiteren Hemmschuh führte er erstattungsrechtliche Aspekte wie die frühe Nutzenbewertung an, die für PUMA-Zulassungen leider ebenfalls zwingend sei.

Fehlende Ressourcen

Dr. Gesine Bejeuhr vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) beklagte zudem die mangelnden wissenschaftlichen Ressourcen: „Es fehlt an geeigneten Studienzentren und erfahrenen Prüfärzten mit der geforderten Expertise. Außerdem gibt es Probleme, die notwendige Anzahl an Patienten zusammenzubekommen“. B­ejeuhr äußerte außerdem ihr Bedauern darüber, dass Deutschland mit dem öffentlich geförderten Pädiatrie-Forschungs-Netzwerk (Paed-Net) zwar seinerzeit eine Vorreiter-Rolle in Europa innegehabt hatte, dann aber quasi stehen geblieben sei. Das Netzwerk wurde von 2001 bis 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziell gefördert. Unterstützung bekam sie diesbezüglich von Prof. Dr. Fred Zepp von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Er meint, dass die EU-Richtlinie bisher nicht zu einer relevanten Zunahme von klinischen Studien und Zulassungen für Kinder und Jugendliche geführt hat. In allen Teilbereichen der Pädiatrie bestehe nach wie vor ein Mangel an sicheren, geprüften Arzneimitteln. Zepp fordert aber auch einen gesellschaftlichen Konsens: „Die Gesellschaft muss sich darüber im Klaren sein, dass wir hierfür eine Infrastruktur brauchen.“

Nach einhelliger Expertenmeinung muss überdies mehr Aufklärungsarbeit bei den Eltern geleistet werden. Darauf deuten auch die Ergebnisse einer neueren Bevölkerungsumfrage an 1000 Personen aus ganz Deutschland ab 18 Jahren hin, die der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) durchgeführt hat. Wie Dr. Pablo Serrano, BPI, erläuterte, weiß nur jeder Fünfte, dass Arzneimittel für Kinder und Neugeborene nicht für die Kinderheilkunde geprüft wurden, und vier von zehn Befragten (39%) meinen, dass es bei Arzneimitteln keine Wirkungsunterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen gibt. Besonders selten seien Personen mittleren Alters (30 – 49 Jahre) dazu bereit, ihre Kinder an einer klinischen Studie teilnehmen zu lassen. Gegen eine Teilnahme spricht für die Mehrheit der Befragten das Risiko für ihr Kind (89%).

Wie geht es weiter?

In seiner Begrüßung hatte der Präsident des BfArM, Prof. Karl Broich, die Erwartung geäußert, dass man aus den Diskussionen wichtige Ansätze für ein „Konsenspapier“ ableiten könne. Nun soll daraus zunächst ein „Positionspapier“ werden, das mit den anderen Beteiligten diskutiert werden soll. Das BfArM sehe die Tagung als Startpunkt, bekräftigte Broich und kündigte eine Folgeveranstaltung zur Thematik an. Auch der Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, Lutz Stroppe, signalisierte Gesprächsbereitschaft. Wenn es für die PUMA weiterer finanzieller Anreize bedürfe, sei man bereit, das näher zu diskutieren. |

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