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- DAZ 25/2015
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Aus den Ländern
„Alle lieben ARMIN“
Bericht vom Thüringer Apothekertag in Gotha
Der Präsident der Thüringer Apothekerkammer, Ronald Schreiber, freute sich über den hohen Zuspruch der Kolleginnen und Kollegen zum Apothekertag. Die rasanten Veränderungen in der Gesellschaft erforderten es, dass der Apotheker mehr Verantwortung übernehme.
Als Vertreterin des Thüringer Gesundheitsministeriums dankte die Parlamentarische Staatssekretärin Ines Feierabend allen beteiligten Akteuren von ARMIN für ihre Anstrengungen. Zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP äußerte sie Bedenken: TTIP dürfe das deutsche Gesundheitssystem nicht gefährden und sich nicht negativ auf die Heilberufe auswirken, so Feierabend.
Qualität vor Schnelligkeit – das wünschte sich Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzender der AOK Plus, bei ARMIN. Man müsse sich Zeit für dieses Projekt nehmen, um es zum Erfolg zu führen, d. h. die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Die Krankenkasse verschenke hier im Übrigen kein Geld an die Leistungserbringer, sondern honoriere deren Leistungen. Da im künftigen E-Health-Gesetz der Medikationsplan enthalten ist, sei man mit ARMIN „der Zeit voraus“ – man warte nicht auf die Politik, sondern setze gemeinsam mit Ärzten und Apothekern eigene Impulse. Ein „Ritterschlag für ARMIN“ wäre es, wenn das Projekt durch den kommenden Innovationsfonds gefördert würde, „wir sollten uns eine kluge Antragstellung überlegen“.
Dr. Mathias Wesser, Präsident der Thüringer Landesärztekammer, sprach sich dafür aus, die Zusammenarbeit bei ARMIN weiterzuentwickeln, beklagte aber, dass es Bestrebungen gebe, die ärztliche Heilkunst zu substituieren. Vor diesem Hintergrund müsse man auch die Entwicklungen in der Telemedizin kritisch beobachten.
Sven Auerswald, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringens, nannte den demografischen Wandel eine Herausforderung für Ärzte und Apotheker. Thüringen habe eine über dem Bundesdurchschnitt liegende Morbidität. Man müsse heute die Weichen dafür stellen, wie man damit in Zukunft umgehen will. Ein weiteres Problem: die Überalterung bei den Hausärzten und fehlende Nachfolger. Ärzte und Apotheker sollten sich hier stärker in die Diskussion einbringen, um eine wohnortnahe Versorgung weiterhin anbieten zu können. Auch Auerswald freute sich, dass ARMIN so gut angelaufen sei. In Thüringen seien bereits über 300 Ärzte und rund 465 Apotheken beteiligt, „mehr als in Sachsen“.
Fink: ARMIN besser als E-Health-Gesetz
In seiner berufspolitischen Ansprache gab sich Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbands, überzeugt, dass die Menschen auch weiterhin den Apotheker und seine Arbeit brauchen werden – in Zukunft sogar noch mehr als heute. Dabei müsse sich der Apotheker noch stärker mit Patienten sowie anderen Leistungserbringern und Akteuren im Gesundheitswesen vernetzen und mit ihnen kommunizieren. Eine bessere Verknüpfung der Berufe Arzt und Apotheker zum Wohl des Patienten – „das ist die hohe Kunst! Wir haben das in Thüringen geschafft“, sagte Fink im Hinblick auf ARMIN. Man habe in diesem Projekt die Aufgabenfelder klar definiert, ohne das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren. Das E-Health-Gesetz sei hier nicht so mutig gewesen. Man wolle auch auf Bundesebene dafür kämpfen, dass Apotheker in die intensivierte Betreuung von Multimedikationspatienten eingebunden werden.
Ein aktuelles Thema ist die Versorgung von Flüchtlingen. Es dürfe nicht sein, dass die Apotheke durch unscharfe Regelungen seitens der Sozialämter in den Verruf gerät, rassistisch zu handeln, weil vertraglich-bürokratisch nicht klar geregelt ist, wie die Zuzahlung oder Versorgungsansprüche der Neuankömmlinge aussehen. Fink bat die Landespolitik hier um Mithilfe.
In Thüringen gibt es derzeit 563 Apotheken, 25 Apotheken pro 100.000 Einwohner. Angesichts der anstehenden Herausforderungen darf Thüringen keine Apotheke verlieren, so Fink. Die Apotheke brauche verlässliche ökonomische Rahmenbedingungen, um auch die Mitarbeiter fair bezahlen zu können. Daher sei es notwendig, den Fixzuschlag endlich zu erhöhen. Überfällig sei auch die Erhöhung der Rezepturvergütung und der BtM-Dokumentationsgebühr. Um das Niveau der heutigen Arzneimittelversorgung aufrechterhalten zu können, „müssen“, so Fink, „die Apothekerinnen und Apotheker denselben Anspruch auf Teilhabe an der allgemein guten wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes haben“.
Unverständnis zeigte Fink über den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung: Mit irrlichternden Forderungen nach Ketten, Höchstpreisen und Liberalisierungen mache er ein konstruktives Miteinander unmöglich. Fink: „Diese Institution genießt ein viel zu hohes Maß an politisch gewährter Freiheit, um nicht zu sagen Narrenfreiheit!“
Um die bestehende Versorgungsstruktur nicht zu gefährden, mahnte Fink, das Pharmazeutische Institut in Jena zu erweitern, zumal CDU und Die Linke sich bereits für eine Erweiterung ausgesprochen haben.
TTIP: Mehr Fluch als Segen
Mit Blick auf den Mittelstand analysierte Mechthild Schrooten, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen, das geplante TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen der EU und den USA, das auf drei Säulen steht: Freihandel, Anerkennung von Standards und Investitionsschutz. Die Abschaffung von Zöllen kann durchaus zu Wirtschaftswachstum führen, allerdings sind die Zölle heute schon auf niedrigem Niveau. Die wechselseitige Anerkennung von Standards dürfte vor allem für große Exporteure die Transaktionskosten senken. Aber 88 Prozent der EU-Unternehmen, die in die USA exportieren, sind kleine und mittlere Unternehmen. Sie dürften sich, so Schrooten, einer wachsenden Konkurrenz aus dem Ausland gegenübergestellt sehen. Andererseits könnten mittelständische Unternehmen aus den Bereichen Chemie und Pharmazie von der Abschaffung technischer Handelshemmnisse profitieren.
Da mit dem Handel auch der Wettbewerb intensiviert wird, könnten historische Strukturen und gesellschaftliche Gefüge infrage gestellt werden. Noch stärker, so Schrooten, dürfte sich allerdings der geplante Investitionsschutz auf die Wettbewerbssituation des Mittelstands auswirken. Denn in diesem Bereich wird „Ausland“ gegen „Inland“ gestellt. Die Möglichkeit, private Schiedsgerichte anzurufen, dürfte ein Freifahrtschein für alle multinationalen Konzerne sein und damit Wettbewerbsnachteile für lokale Unternehmen bringen.
Schrooten resümierte: „TTIP braucht man nicht.“ Das Abkommen werde keinen massiven gesamtwirtschaftlichen Wachstumsschub in der EU bringen, und es sei auch nicht darauf ausgerichtet, den Mittelstand zu stärken.
Umbruch im Apothekenmarkt
Als Einstieg in das berufspolitische Forum beschrieb Dr. Frank Diener, Treuhand Hannover, den Umbruch im Apothekenmarkt. Er konstatierte eine zunehmende Spreizung der Apotheken nach Größenklassen und Lagen. Von den etwa 500 Apotheken, die jährlich zum Verkauf stehen, finde nur die Hälfte einen Käufer. Für die andere Hälfte empfahl Diener eine „liebevolle“ Schließung, bei der Vereinbarungen mit benachbarten Apotheken getroffen werden könnten. Für das erste Quartal 2015 gab es Umsatzsteigerungen, insbesondere im OTC-Markt. Der Wareneinsatz werde jedoch 2015 wieder überproportional steigen, sodass Diener für 2015 ein geringfügig geringeres Betriebsergebnis der Apotheken im Vergleich zu 2014 erwartet.
Thema Honorierung
Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel, erläuterte, dass Rezepturarzneimittel im Durchschnitt nicht einmal ihre Teilkosten decken. Ähnlich wie beim Notdienst stelle sich die Frage, wie die Rezeptur als Gemeinwohlpflicht so honoriert werden kann, dass sie nicht ruinös wirkt. Müller-Bohn schlug eine Teilkostendeckung vor. Dazu sollte der Herstellungspreis für eine typische Salbe von fünf auf neun Euro steigen, was die GKV mit etwa 31 Mio. Euro jährlich belasten würde. Um auch das sonstige Handling und die Beratung zu honorieren, müsse zusätzlich der Festzuschlag wie bei verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln erhoben werden. Dies betreffe auch nicht-klassische Rezepturen und belaste die GKV dann mit 120 Mio. Euro jährlich. Für neue Leistungen wie das Medikationsmanagement müssten dagegen Honorare mit Vollkostendeckung und Gewinnzuschlag gefordert werden.
Dr. Uta Müller, ABDA, bestätigte, dass die Honorierung des Modellprojekts ARMIN so konzipiert ist. Apotheken sollten mit der Arzneimittelabgabe und der Betreuung im Rahmen von ARMIN das gleiche Betriebsergebnis erwirtschaften können. Es bleibe allerdings eine Mischkalkulation zwischen den Patienten. Mit der Honorierung, der Identifikation der Patienten und dem Datenmanagement seien im Fall von ARMIN viele typische Probleme neuer Angebote schon abgearbeitet. Müller hob den schwierigen, aber vertrauenswürdigen Weg hervor, die Daten nicht zentral zu speichern. Dies habe sonst niemand geschafft. Wichtig sei nun die Motivation der Apothekenleiter und -teams. |
(Weitere Beiträge zum Thüringer Apothekertag finden Sie unter der Rubrik DAZ aktuell „Ideen für 2030“ und „Arzneimittelembargo als Waffe? “, sowie unter der Rubrik Personen „Trommsdorff-Medaille verliehen“)
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