Arzneimittel und Therapie

Vorteil für Pesco-Vegetarier

Kein Fleisch, aber Fisch senkt das Darmkrebs-Risiko

Erstmals wurden verschiedene Formen der fleischlosen bzw. fleischreduzierten Ernährung direkt bezüglich eines Zusammenhangs zwischen Fleischkonsum und Darmkrebs-Risiko verglichen: Verzichteten die Teilnehmer auf Fleisch und aßen regelmäßig Fisch, so war die Risikoreduktion am größten.

Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Darmkrebs-Risiko und Ernährungsgewohnheiten ist unstrittig und beruht auf guter Evidenz. Zwar können nur wenige, spezifische Ernährungsempfehlungen hinsichtlich konkreter Nahrungsbestandteile oder täglicher Zufuhrmengen gemacht werden, doch es gilt als gesichert, dass eine Ernährungsweise mit hohem Verzehr von Obst, Gemüse und Ballaststoffen sowie niedrigem Verzehr von rotem Fleisch (Schwein, Rind, Lamm) und Wurstwaren protektiv hinsichtlich der Darmkrebsentstehung wirkt. Umgekehrt führt eine ballaststoffarme Ernährungsweise mit wenig Obst und Gemüse sowie viel rotem Fleisch, Wurstwaren und raffinierter Stärke zu einer Risikoerhöhung [2 – 5]. Die aktuelle S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom empfiehlt zur Prävention kolorektaler Karzinome (KRK) eine Ballaststoffaufnahme von mindestens 30 g/d, täglich fünf Portionen Obst und Gemüse sowie einen möglichst geringen Verzehr von rotem Fleisch und Alkohol [6].

Verschiedene fleischreduzierte Ernährungsformen differenzieren

Vor diesem Hintergrund kann man davon ausgehen, dass sich bei Vegetariern ein reduziertes Darmkrebs-Risiko findet, da ihre Ernährungsweise nicht nur fleischfrei oder fleischreduziert ist, sondern auch einen überdurchschnittlichen Anteil an Ballaststoffen enthält. Dieser Zusammenhang ist daher bereits vielfach untersucht worden. Der neue und interessante Ansatz der jetzt von Orlich et al. publizierten Auswertung besteht jedoch im direkten Vergleich verschiedener Formen der fleischreduzierten bzw. fleischlosen Ernährung.

Dass sich hier eine Risikoreduktion durch eine fleischarme Ernährung zeigt, ist keine neue Erkenntnis, sondern bestätigt bereits bekannte epidemiologische Zusammenhänge. Neu ist jedoch die Beobachtung, dass die Pesco-Vegetarier mit dem Verzicht auf Fleisch bei beibehaltenem Fischverzehr mit der deutlichsten Risikoreduktion (43%!) für ein Kolorektalkarzinom profitieren. Ein entsprechender Zusammenhang ist ernährungsmedizinisch plausibel, auch wenn sich aus einer prospektiven Beobachtungsstudie keine direkte Kausalität ableiten lässt, da theoretisch auch andere als die erfassten Ernährungs- und Lifestyle-Faktoren einen Einfluss haben könnten. Um diese Unsicherheit zu minimieren, wurden in der Auswertung jedoch 18 kovariate Faktoren berücksichtigt, die sich erwiesenermaßen (körperliche Aktivität, BMI, Rauchen, Alkohol u. a.) oder auch nur mutmaßlich (Vitamin D, Acetylsalicylsäure, Hormonsubstitution u. a.) auf das Karzinom-Risiko auswirken.

Besonders bemerkenswert ist auch, dass sich an der signifikanten Risikoreduktion bei Pesco-Vegetariern selbst dann kaum etwas änderte, wenn die Unterschiede im BMI oder in der Ballaststoff-Aufnahme herausgerechnet wurden – und das, obwohl beides tatsächlich maßgebliche Risikofaktoren für kolorektale Karzinome sind. Dies deutet auf einen ausgeprägten protektiven Effekt des Fischkonsums hin, von dem selbst Menschen mit erhöhtem BMI und geringer Ballaststoff­aufnahme profitieren könnten.

Bedeutung des regelmäßigen Fischverzehrs

Daher legen die Ergebnisse tatsächlich den Schluss nahe, dass regelmäßiger Fischkonsum auch bei bereits fleischarmer Ernährung eine zusätzliche, präventive Wirkung haben könnte. Im Vergleich zu der nicht-vegetarischen Durchschnittsbevölkerung könnte dieser präventive Effekt noch deutlich stärker ausgeprägt sein als in der Studie gezeigt: Denn hier verzehrte die fleischessende Referenzgruppe durchschnittlich nur 56 Gramm Fleisch/Wurst pro Tag, während die mittlere Verzehrsmenge für Fleisch und Wurst bei deutschen Männern bei 103 g/d liegt [7]. In der Studie profitierten so selbst die Nicht-Vegetarier von ihrem im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung geringeren Fleischkonsum mit einer um 27% reduzierten Darmkrebs-Inzidenz.

Auch die bisherige Datenlage zum Einfluss regelmäßigen Fischverzehrs auf das Risiko für kolorektale Karzinome zeigt einen deutlichen protektiven Effekt, wenn auch nicht in der methodischen Differenzierung verschiedener fleischreduzierter Ernährungsformen [8]. Teilweise widersprüchliche Daten erklären sich dadurch, dass in den verschiedenen Studien unterschiedlich hohe Fischverzehrsmengen miteinander verglichen wurden [8 –11]. Auch die Art des Fischs dürfte einen maßgeblichen Einfluss haben, da sich die Zusammensetzung insbesondere hinsichtlich der langkettigen Omega-3-Fettsäuren zwischen den verschiedenen Arten erheblich unterscheidet. Zukünftige Studien werden daher stärker auf diese beiden Aspekte abzielen müssen.

Die Studie in Kürze

In der aktuell im Journal of the American Medical Association (JAMA) publizierten Beobachtungsstudie wurde der seit Langem diskutierte Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Darmkrebs-Risiko unter einem neuen Aspekt thematisiert [1]: Erstmals wurden verschiedene Formen der fleischlosen bzw. fleischreduzierten Ernährung im direkten Vergleich untersucht. Ausgewertet wurden dabei die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten von über 77.659 Mitgliedern einer protestantischen Freikirche (Siebente-Tags-Adventisten), bei denen verschiedene Formen der fleischreduzierten Ernährung aus religiösen Gründen weit verbreitet sind. Die Daten stammten aus der prospektiven Kohortenstudie Adventist Health Study 2 (AHS-2).

Im Studiendesign wurden fünf Ernährungsformen unterschieden:

  • Veganer (keine Lebensmittel tierischen Ursprungs),
  • Ovo-Lacto-Vegetarier (kein Fleisch, kein Fisch, aber Milch(produkte) und Eier),
  • Pesco-Vegetarier (kein Fleisch, aber Fisch, Milch(produkte) und Eier),
  • Semi-Vegetarier (Fleisch höchstens einmal pro Woche),
  • Nicht-Vegetarier (Fleisch oder Fisch mehr als einmal pro Woche).

Nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 7,3 Jahren waren 490 der Studienteilnehmer an einem Kolorektalkarzinom erkrankt. Die adjustierte Hazard Ratio für alle Vegetarier zusammen – unabhängig von der Art der vegetarischen Ernährung – betrug 0,78, was mit einem 95%-Konfidenzintervall von 0,64 bis 0,95 statistisch signifikant war. Das bedeutet, dass Vegetarier ein um 22% reduziertes Risiko besaßen, an einem Kolorektalkarzinom zu erkranken.

Im Subgruppen-Vergleich der verschiedenen vegetarischen Ernährungsformen zeigten sich dann deutliche Unterschiede: Die Risiko-Reduktion im Vergleich zu den Fleischessern betrug für die Pesco-Vegetarier 43%, bei den Ovo-Lacto-Vegetariern 18%, bei den Veganern 16% und bei den Semi-Vegetariern 8%. Die Risiko-Reduktion war dabei lediglich für die Pesco-Vegetarier statistisch signifikant.

Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ernährungsformen blieben auch dann noch signifikant, wenn die Ergebnisse um Einflussgrößen wie Alkoholkonsum, Rauchen, Fitness, BMI, Darmkrebs-Familien­anamnese, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder Arzneimitteleinnahme bereinigt wurden.

Fazit

Ein reduzierter Fleischkonsum geht mit einer Risikoreduktion für die Entstehung von Kolorektalkarzinomen einher; die Risikoreduktion ist umso stärker, je weniger Fleisch verzehrt wird. Die größte Risikoreduktion ergibt sich aus der Kombination von Fleischverzicht bei regelmäßigem Fischverzehr. Vermutlich nicht wirksam ist die Einnahme von Fischöl-­Präparaten bei einer unverändert fleischlastigen Ernährungsweise.

Die größte und wirksamste Risikoreduktion ist ohnehin nicht durch die Veränderung eines einzigen Ernährungsparameters zu erreichen, sondern durch die kombinierte Reduktion der unterschiedlichen Risikofaktoren im Sinne eines „gesunden Lebensstils“, wozu neben der Ernährungsform unter anderem auch der Verzicht auf Rauchen, ein normwertiger BMI und ausreichende körperliche Aktivität gehören. Eine derartige kombinierte Präventionsstrategie im Sinne eines „gesunden Lebensstils“ kann das Kolorektalkarzinom-Risiko um ca. 40% reduzieren [1, 12]. Die Bedeutung dieses Zusammenhangs wird vielleicht noch deutlicher, wenn man sich die absoluten Zahlen vor Augen führt: ­Allein in Deutschland erkranken jährlich ca. 65.000 Menschen an Darmkrebs, wovon nahezu die Hälfte durch eine Veränderung von Lebens- und ­Ernährungsgewohnheiten verhindert werden könnte. Das ist eine „Wirksamkeit“, von der man bei vielen onkologischen Präparaten nur träumen kann.

Unabhängig davon sinkt mit abnehmendem Fleischverzehr nicht nur das Karzinom-Risiko, sondern auch die Gesamtmortalität erheblich [13]. Es wäre daher schon viel gewonnen, wenn die jetzt publizierten Daten zum Zusammenhang zwischen fleischreduzierter, dafür aber fischreicher Ernährung diesen präventiven Ansatz wieder verstärkt in den Fokus rücken würden. |

Quelle

[1] Orlich MJ et al. Vegetarian Dietary Patterns and the Risk of Colorectal Cancers. JAMA Inter Med 2015 Mar 9. doi: 10.1001/jamainternmed.2015.59 (Epub ahead of print)

[2] Chan DSM et al. Red and processed meat and colorectal cancer incidence: meta-analysis of prospective studies. PLoS One 2011;6:e20456

[3] Cross AJ et al. A large prospective study of meat consumption and colorectal cancer risk: an investigation of potentialmechanisms underlying this association. Cancer Res 2010;70:2406-2414

[4] World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research. Continuous Update Project Report: Food, Nutrition, Physical Activity, and the Prevention of Colorectal Cancer. Washington, DC: American Institute for Cancer Research;2011

[5] Miller PE et al. Dietary patterns and colorectal adenoma and cancer risk: a review of the epidemiological evidence. Nutr Cancer, 2010;62:413-424

[6] Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, Langversion 1.1, 2014, AWMF Registrierungsnummer: 021-007OL, http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien.7.0.html [Stand: 29.03.2015]

[7] Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. Nationale Verzehrsstudie II. Ergebnisbericht Teil 2. Karlsruhe 2008

[8] Geelen A et al. Fish consumption, n-3 fatty acids, and colorectal cancer: a meta-analysis of prospective cohort studies. Am J Epidemiol 2007;166:1116-1125

[9] Norat T et al. Meat, fish, and colorectal cancer risk: the European Prospective Investigation into cancer and nutrition. J Natl Cancer Inst 2005;97:906-916

[10] Sugawara Y et al. Fish consumption and the risk of colorectal cancer: the Ohsaki Cohort Study. Br J Cancer 2009;101:849-854

[11] Pot GK et al. Fish consumption and markers of colorectal cancer risk: a multicenter randomized controlled trial. Am J Clin Nutr 2009;90:354-361

[12] Aleksandrova K et al. Combined impact of healthy lifestyle factors on colorectal cancer: a large European cohort study . BMC Medicine 2014;12:168

[13] Martínez-González MA, Sánchez-Tainta A, Corella D et al. A provegetarian food pattern and reduction in total mortality in the Prevención con Dieta Mediterránea (PREDIMED) study. Am J Clin Nutr 2014;100:320-328

Prof. Dr. Martin Smollich Studiengangsleiter des Studiengangs Clinical Nutrition/Ernährungsmanagement an der Mathias Hochschule Rheine Frankenburgstraße 31 48431 Rheinem.smollich@mhrheine.de

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