Die Seite 3

Gurtpflicht, Helmpflicht, Impfpflicht

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Die Masernepidemie in Berlin ebbt nicht ab. Bereits über 1000 Neuinfektionen wurden seit Oktober aus der Hauptstadt gemeldet. Das ist ein Skandal für ein hochentwickeltes Land wie Deutschland, das sich zu Recht eines der besten Gesundheitssysteme der Welt rühmt. Am mangelnden Zugang zu erschwinglichen Impfungen kann die hohe Zahl nicht gegen Masern geimpfter Kinder jedenfalls nicht liegen. Und so wird nun – erneut – über eine Impfpflicht diskutiert.

Die Gründe für das Nicht-Impfen-Lassen der eigenen Kinder sind vielfältig, und sie liegen oft in allerpersönlichsten Überzeugungen der Eltern. Bei Anhängern der Anthroposophie könnte man wohl schon von religiösen Motiven sprechen. Und die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut!

In vielen Fällen – vielleicht sogar in der Mehrzahl – dürften die Gründe aber eher aus einer diffusen Mischung aus Unkenntnis der naturwissenschaftlichen Grundlagen und Zusammenhänge, weit verbreiteten Vorurteilen über „die Pharmaindustrie“, die ihren Profit über die Gesundheit der Menschen stellt, und einer generellen Skepsis gegenüber der modernen (Schul-)Medizin bestehen.

Nicht besser wird diese Situation dadurch, dass schon eine oberflächliche Internet-Suche nach dem Stichwort „Impfung“ zu obskuren Webseiten sogenannter „Impfskeptiker“ und „Impfkritiker“ führt, die teilweise längst widerlegte Horrormeldungen über Impfschäden verbreiten. Dazu kommt das immer weiter verbreitete allgemeine Misstrauen gegenüber jeglichen Fachleuten und Experten, denen unreflektiert wirtschaftliche Abhängigkeiten von Konzernen und fehlende Neutralität unterstellt ­werden.

Muss eine freiheitliche Gesellschaft also damit leben, dass ein (vielleicht auch zunehmender) Teil der Bevölkerung seine – und anderer Leute – Kinder bewusst in eine unnötige Gefahr bringt? Oder wiegen der Schutz von Kindern und allen Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, schwerer?

Eine Impfpflicht wäre unbestritten ein Eingriff in persönliche Rechte und Freiheiten all jener, die sich selbst oder ihre Kinder nicht impfen lassen wollen. Solche Eingriffe sind aber nichts, was unsere Gesellschaft nicht bereits kennen würde. Das Rauchverbot in Restaurants beispielsweise schränkt unzweifelhaft die persönliche Freiheit des Rauchers ein. Gerechtfertigt wird diese Einschränkung durch die Gesundheitsgefahren für andere – aber auch für den Raucher selbst. Dabei ist eine Gefährdung Dritter gar nicht notwendig, um eine Einschränkung oder einen Zwang zu begründen. Niemand stellt heute mehr ernsthaft die Gurtpflicht im Auto oder die Helmpflicht für Motorradfahrer infrage. Dabei bringen nicht angeschnallte Autofahrer oder helmlose Motorradfahrer nur sich selbst in Gefahr, andere gefährden sie nicht.

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