Arzneimittel und Therapie

Antikörper gegen HIV wirkt

Ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem Impfstoff

Wenn es schon nicht mit der Entwicklung eines geeigneten Impf-­Antigens für eine aktive Immunisierung gegen HIV klappt, könnte ja einstweilen eine passive Immunisierung helfen. Und tatsächlich haben jetzt Wissenschaftler die Ergebnisse einer ersten Phase-I-Studie veröffentlicht, in der sie nach Verabreichung eines neutralisierenden Antikörpers eine bemerkenswerte Verringerung der Viruslast beobachten konnten. Könnte das eine neue Therapie­option sein?

Wieder einmal HIV

Schon mehrfach wurde mit Erstaunen festgestellt, dass einige HIV-Positive in der Lage sind, mit ihrem eigenen Immunsystem die Viren in Schach zu halten. Diese sogenannten „Controller“ entwickeln etliche Jahre, nachdem sie sich infiziert haben, neutralisierende Antikörper gegen das Virus – hochinteressante Moleküle für die Forscher! Einerseits wäre es interessant zu wissen, wie man derartige Antikörper auch in anderen Patienten induzieren kann, andererseits sind diese Moleküle hervorragend geeignete Kandidaten für eine passive Immunisierung infizierter Patienten. Mittlerweile sind etliche dieser neutralisierenden Antikörper aus Patienten isoliert, kloniert und in Tiermodellen positiv getestet worden. Einer dieser Antikörper mit dem Kürzel 3BNC117 wurde nun in Menschen getestet. 3BNC117 heftet sich an die Bereiche der viralen Oberfläche, an die normalerweise das CD4-Molekül der T-Zellen bindet, und verhindert so die Infektion von Wirtszellen. Bei immerhin 195 von 237 getesteten HIV-1-Stämmen aus sechs verschiedenen Virus-Gruppen zeigte dieser Antikörper in vitro eine neutralisierende Aktivität. Für die jetzt veröffentlichte Phase-I-Studie erhielten insgesamt zwölf nicht-infizierte und 17 HIV-1-positive Probanden eine intravenöse Dosis von 1, 3, 10 oder 30 mg/kg des Antikörpers.

Die guten und die schlechten Nachrichten

Alle Probanden vertrugen die Antikörper-Gabe sehr gut, und es kam zu keinerlei allergischen Reaktionen. Bei denjenigen HIV-Positiven, die 10 oder 30 mg/kg Antikörper-Protein erhielten, konnte die Viruslast signifikant (um bis zu 2,5 log10-Stufen) gesenkt werden, wobei die niedrigsten Werte nach 14 bis 21 Tagen erreicht waren. Allerdings stieg anschließend die Anzahl der Viren wieder an, blieb jedoch bei den Probanden, die die höchste Antikörper-Dosis erhalten hatten, unterhalb des Ausgangswerts. Gerade bei infizierten Patienten wurde der Antikörper relativ schnell aus dem Körper eliminiert – vermutlich, weil der Antigen-Antikörper-Komplex von Makrophagen erkannt wird: Bei HIV-Positiven lag die Halbwertszeit bei ca. neun Tagen gegenüber 17 Tagen bei den nicht-infizierten Probanden. Während man mit diesem Umstand rechnen konnte, erwies sich eine andere Beobachtung zumindest vom Ausmaß her als Überraschung. Wie bei der normalen antiretroviralen Therapie scheint die Mutationsfreudigkeit von HI-Viren auch bei einer Antikörper-Therapie Probleme zu bereiten. Denn bereits nach einer einzigen Verabreichung des neutralisierenden Antikörpers 3BNC117 wurden in 13 der 17 HIV-­positiven Probanden Virus-Varianten gefunden, die deutlich schlechter vom Antikörper gebunden wurden. Offensichtlich kann ein solcher neutralisierender Antikörper einen erheblichen Selektionsdruck auf die Viren ausüben. Als Folge davon wird der Antikörper sicher nicht als eine alleinige Therapieoption funktionieren, sondern muss zusammen mit anderen Antikörpern oder aber mit antiretroviralen Medikamenten verabreicht werden.

Es bleiben einige Fragen offen

Die Ergebnisse dieser ersten, kleinen Phase-I-Studie werden in den Nachrichten insgesamt sehr positiv aufgenommen. Allerdings bleibt noch einiges zu klären:

1. Wie häufig und wie lange muss der Antikörper verabreicht werden?

Nach den Verlaufskurven der Viruslast bei den Studienteilnehmern zu urteilen, muss der Antikörper wahrscheinlich zumindest zu Therapiebeginn im Abstand von zwei bis vier Wochen verabreicht werden. Ob anschließend bei einer Erhaltungsphase längere Abstände möglich sind, müssen die nötigen weiteren Studien zeigen. Da das HIV-Genom in das Genom der befallenen Zelle integriert wird und auch mit dem Antikörper keine Eradikation der befallenen Zellen möglich ist, muss die Therapie vermutlich ähnlich wie die antiretrovirale Therapie ein Leben lang erfolgen.

2. In welcher Konzentration muss der Antikörper verabreicht werden?

Die besten Ergebnisse für eine nachhaltige Senkung der Viruslast bei bereits HIV-Positiven mit bis zu 53.000 Kopien/ml HIV-1-RNA wurden in der Studie mit einer Dosis von 30 mg/kg erzielt – zehnmal mehr als beispielsweise Infliximab in der Rheumatherapie und doppelt so viel wie Palivizumab, der einzige, derzeit verfügbare monoklonale Antikörper für die passive Immunisierung! Die Besonderheit der passiven Immunisierung liegt darin, dass stöchiometrische Mengen des Antikörpers verwendet werden müssen, um die Viruslast zu reduzieren.

3. Wie reagiert der Körper auf eine langfristige Gabe des Antikörpers?

Ein Problem bei der Therapie mit rekombinanten Arzneistoffen ist die Bildung neutralisierender Antikörper. In dieser Phase-I-Studie wurde nicht überprüft, inwieweit die Probanden bereits Antikörper gegen den Antikörper bilden, wodurch die Wirksamkeit wiederum verringert werden würde.

4. Wie hoch sind die Therapie­kosten?

Eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern ist teuer, und selbst Biosimilar-Antikörper werden nicht zu Dumping-Preisen angeboten. Insofern wird eine passive Immunisierung mit einem derartigen ­Antikörper wahrscheinlich keine realistische Option für eine Dauertherapie werden. Und selbst ein langfristiger Einsatz als Teil einer Kombinationstherapie mit anderen antiretroviralen Wirkstoffen scheint derzeit nicht sehr wahrscheinlich.

Fazit

3BNC117 ist sicherlich ein sehr interessantes Molekül, dessen weitere Erforschung mit hoher Priorität vorangetrieben werden sollte. Besonders für eine Postexpositionsprophylaxe scheint der Antikörper eine interessante Alternative zu den antiretroviralen Medikamenten zu sein, die – mit Ausnahme der Fusions- und Integrationsinhibitoren – zwar die weitere Vermehrung der Viren verhindern, nicht aber deren Eindringen in die Zellen bzw. in das Genom der infizierten Zellen. Somit wird der Antikörper für bereits Infizierte wohl eher eine Außenseiterrolle bei den vielfältigen und teils sehr effektiven Interventionsoptionen spielen und nur in besonderen Fällen zur Absenkung der Viruslast genutzt werden.

Man darf aber mit Spannung die weitere Entwicklung dieses und ähnlicher Antikörper erwarten. Vielleicht erweisen sie sich doch auch als Wegbereiter einer aktiven Immunisierungsstrategie, die so dringend benötigt wird und an der man so oft schon gescheitert ist. |

Quelle

Caskey M, Klein F et al. Viraemia suppressed in HIV-1-infected humans by broadly neutralizing antibody 3BNC117 Nature, online first released 8. April 2015, DOI: 10.1038/nature14411

Dr. Ilse Zündorf und Senior-Professor Dr. Theo Dingermann Institut für Pharmazeutische Biologie Biozentrum Max-von-Laue-Straße 9 60438 Frankfurt/Main

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