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Arzneistoffporträt
Gegen Krämpfe
Neue Daten zu dem rezeptfrei erhältlichen Spasmolytikum Butylscopolamin
Spasmolyse statt Analgesie
Viszerale Schmerzen sind häufig krampfartig und werden durch Kontraktionen der glatten Muskulatur der Bauchorgane verursacht [3]. Diese Verkrampfungen erregen enterische Nerven, die auf mechanische Reize Schmerzsignale übermitteln. Bei der Schmerzentstehung spielt auch die Darmdehnung, z.B. durch vermehrte Flüssigkeitsansammlung oder Hypersekretion vor Engstellungen durch Muskelkrämpfe, eine besondere Bedeutung. Aus diesen Gründen bietet sich zur Therapie viszeraler Schmerzen eine Verminderung des Muskeltonus durch Spasmolyse an. Dies hat den Vorteil, dass auch die Ursache der Schmerzentstehung behandelt wird und nicht nur die Weiterleitung von Schmerzsignalen zum Gehirn, wie das bei Analgetika der Fall ist. Dieses Therapieprinzip hat sich insbesondere bei akuten Erkrankungen, die mit einer Verengung glattmuskulärer Hohlorgane einhergehen, sowie bei chronischen funktionellen Erkrankungen im Verdauungstrakt bewährt [4].
Funktionelle Erkrankungen
Funktionelle Erkrankungen sind organische Krankheitsbilder mit erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen, bei denen jedoch kein körperlicher Befund zu erheben ist. Ein prominentes Beispiel dafür ist das Reizdarmsyndrom. Charakteristisch für das Reizdarmsyndrom sind wiederkehrende Bauchschmerzen und Krämpfe.
Wirksamkeit von Spasmolytika generell …
Spasmolytika mit antagonistischer Wirkung gegenüber Acetylcholinrezeptoren sind Atropin (R/S-Hyoscyamin), Dicycloverin (Dicyclomin, Diethylaminocarbethoxybicyclohexyl-hydrochlorid), Butylscopolamin (Hyoscin-butylbromid, HBB), Propanthelin bzw. Pharmaka mit direkter Muskelwirkung wie Alverin, Mebeverin und Pfefferminzöl. In einer Metaanalyse von 22 randomisierten kontrollierten Studien (RCT) mit insgesamt 1778 Patienten, in denen diese Spasmolytika im Vergleich zu Placebo getestet wurden, waren die Spasmolytika insgesamt für die Behandlung anhaltender gastrointestinaler Beschwerden (inkl. Bauchschmerzen) gegenüber Placebo überlegen [5].
In der aktuellen S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) werden Spasmolytika zur Schmerztherapie des Reizdarmsyndroms im Gegensatz zu peripheren Analgetika, Opioiden bzw. Opioidagonisten empfohlen [6]. Auch der britische Vorreiter auf dem Gebiet der evidenzbasierten Bewertung von Arzneimitteln, das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE), empfiehlt den Einsatz von Spasmolytika bei Patienten mit Reizdarmsyndrom, wobei die Spasmolytika in Verbindung mit Empfehlungen zur Ernährung und allgemeinen Lebensführung so häufig wie erforderlich eingenommen werden sollten [5].
… und von Butylscopolamin im Besonderen
Butylscopolamin (in Buscopan®, Spasman® u.a.) ist ein seit über 60 Jahren bewährter Wirkstoff, der als orales Medikament (hier nur als Buscopan®) schon immer in der Selbstmedikation angesiedelt ist. Butylscopolamin zeichnet sich durch seine vorwiegende lokale Wirkung im Gastrointestinaltrakt aus; wegen seiner geringen Bioverfügbarkeit treten praktisch kaum systemische Nebenwirkungen auf, und es gilt als eines der sichersten Medikamente. Butylscopolamin Dragées sind zur Behandlung von leichten bis mäßig starken Spasmen des Magen-Darm-Traktes sowie zur Behandlung spastischer Abdominalbeschwerden beim Reizdarmsyndrom zugelassen und sind außer in Deutschland in vielen Ländern erhältlich [7].
Im Klinikalltag wird Butylscopolamin vor allem als Zäpfchen bzw. intravenös verabreicht, für die Selbstmedikation steht es als Dragées oder Zäpfchen zur Verfügung. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) weist darauf hin, dass Butylscopolamin als einziges in Deutschland vertriebenes Spasmolytikum die Beschwerden des Reizdarmsyndroms bei 10 bis 20% mehr Patienten lindern kann als ein Placebo [8].
Wirkungsmechanismen
Präklinische Untersuchungen an Tiermodellen und in Zellkulturen legen den Schluss nahe, dass die Wirkung von Butylscopolamin vor allem durch die kompetitive Blockierung der Muscarinrezeptoren (muscarinerge Acetylcholinrezeptoren, M-Rezeptoren) an der glatten Muskulatur [7] und nach neueren In-vitro-Studien [9] auch über eine nicht-kompetitive Hemmung von nicotinergen Acetylcholinrezeptoren an autonomen Neuronen vermittelt wird, sodass die lokale Magen- und Dünndarmmotilität gehemmt wird. Diese Daten wurden aber noch nicht an humanem Gewebe erhoben, sodass die Pharmakologie der therapeutischen Effekte noch nicht in Gänze verstanden ist. Vor allem wurde bisher die Wirkung von Butylscopolamin auf das enterische Nervensystem und die epitheliale Sekretion nicht untersucht.
In einer kürzlich publizierten Untersuchung konnte zum ersten Mal die Wirkung von Butylscopolamin an Nerven, Muskulatur und Epithel des menschlichen Dickdarms nachgewiesen werden [10]. Hierbei blockierte Butylscopolamin
- M‑Rezeptor-induzierte Aktivierungen (Agonist: Bethanechol) von Aktionspotenzialen in enterischen Nerven,
- Muskelkontraktionen bzw. die intramuskuläre Calcium-Freisetzung und auch
- die epitheliale Sekretion.
In höheren Konzentrationen hatte Butylscopolamin zusätzlich einen antinicotinergen Effekt, der aber eher als eine modulierende Wirkung interpretiert werden muss (im Vergleich zur potenten antimuscarinergen Hemmung).
Die Arbeitsgruppe konnte außerdem erstmals nachweisen, dass die beobachteten Wirkungen von Butylscopolamin über eine Hemmung von M2- und M3-Rezeptoren vermittelt wird. Diese Rezeptoren sind im menschlichen Magen-Darm-Trakt auf Epithelzellen, Muskelzellen und enterischen Nervenzellen lokalisiert und werden durch die Ausschüttung von Acetylcholin aus enterischen Motoneuronen, Sekretomotoneuronen bzw. Interneuronen aktiviert. Butylscopolamin weist eine hohe Affinität zu diesen Rezeptoren auf; es hemmt die Muskelaktivität und Nervenaktivität über M2- und M3-Rezeptoren, die epitheliale Sekretion hingegen nur über M3-Rezeptoren (IC50 = 224–429 nM).
Nicotinerge Acetylcholinrezeptoren, die eine bedeutende Rolle innerhalb enterischer Nervenschaltkreise des Bauchhirns spielen, werden selbst durch das aus Interneuronen freigesetzte Acetylcholin stimuliert. Die erhobenen Daten deuten darauf hin, dass die spasmolytische und sekretionshemmende Wirkung von Butylscopolamin über die zusätzliche antinicotinerge Wirkung des Arzneistoffs moduliert werden kann. Eine potenzielle periphere (außerhalb des Magen-Darm-Trakts) antinicotinerge Wirkung von Butylscopolamin auf die Ganglien im autonomen Nervensystem ist wahrscheinlich ohne negative klinische Relevanz. Die über diesen Mechanismus vermittelten Nebenwirkungen (z.B. orthostatische Hypotension) wurden bei der Therapie nicht beobachtet.
Fazit
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass unser Wissen über die Wirkmechanismen von Butylscopolamin als etabliertes Spasmolytikum durch neuere Untersuchungen entscheidend erweitert wurde. Es konnte nachgewiesen werden, dass Butylscopolamin die Nerven- und Muskelaktivität über muscarinerge M2- und M3-Rezeptoren hemmt und die epitheliale Sekretion über M3-Rezeptoren blockiert. Der muskelrelaxierende Effekt und die hierdurch veränderte Muskelcompliance erklären die spasmolytische und schmerzlindernde Wirkung von Butylscopolamin. Der neu nachgewiesene antisekretorische Effekt dürfte zu der guten klinischen Wirkung von Butylscopolamin beitragen. Weitere klinische Studien sind notwendig, um eine Wirksamkeit bei Erkrankungen zu untersuchen, die mit einer erhöhten epithelialen Sekretion in das Darmlumen einhergehen.
Literatur
[1] Perry AN, et al. Burden of Gastrointestinal Disease in the United States: 2012 Update. Gastroenterology 2012; 143: 1179–1187.
[2] GFK Marktforschung Nürnberg. Die 100 wichtigsten Krankheiten. Woran die Deutschen nach Selbsteinschätzung leiden. Apotheken Umschau 1/2006.
[3] Frieling T. Viszeraler Schmerz. In: Die Schmerztherapie. H-C Diener, C Maier (Hrsg). 3. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München 2011, 219–228.
[4] Frieling T. Medikamentöse Therapie funktioneller Darmbeschwerden. Arzneimitteltherapie 2008; 26: 204–210.
[5] www.nice.org.uk/guidance/CG122.
[6] Layer P, et al. Irritable bowel syndrome: German consensus guidelines on definition, pathophysiology and management. Z Gastroenterol 2011; 49: 237–293.
[7] Tytgat GN. Clinical practice guideline Irritable bowel syndrome in adults: diagnosis and management of irritable bowel syndrome in primary care. www.nice.org.uk/guidance. Hyoscine butylbromide. Drugs 2007; 67: 1343–1357.
[8] www.gesundheitsinformation.de/reizdarmsyndrom-was-kann-helfen-und-was-nicht.195.de.html.
[9] Weiser T, Just J. Hyoscine butylbromide potentially blocks human nicotinic acetylcholine receptors in SH-SY5Y cells. Neuroscience Letters 2009; 450: 258–261.
[10] Krueger D, et al. Effect of hyoscine butylbromide (Buscopan) on cholinergic pathways in the human intestine. Neurogastroenterol Motil 2013; 25(8): e530–e539.
Interessenkonflikt
Dieser Beitrag wurde mit Zustimmung von Boehringer-Ingelheim erstellt. Der Autor hat Vorträge für die Firmen Shire, Almirall, Falk Foundation, Boehringer-Ingelheim gehalten und ist in Advisory Boards der Firmen Almirall, Shire und Steigerwald tätig.
Autor
Prof. Dr. med. Thomas Frieling habilitierte sich 1993 an der Universität Düsseldorf für das Fach Innere Medizin und hat dort seit 1998 eine Professur für dieses Fach mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie inne. Seit 2000 ist er zugleich Direktor der Medizinischen Klinik II, Innere Medizin mit Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, Neurogastroenterologie, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am HELIOS Klinikum Krefeld. Er ist Gründer und Vorsitzender der Stiftung für Neurogastroenterologie (www.stiftung-neurogastroenterologie.de) und hat diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dieser Stiftung und mit der Gastro-Liga (www.gastro-liga.de) geschrieben.
Prof. Dr. med. Thomas Frieling
HELIOS Klinikum, Lutherplatz 40, 47805 Krefeld
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