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Altersvorsorge
Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
Aktuelle Rechtsprechung
1. Befreiungsvoraussetzungen
Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rentenversicherung sind die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer und die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung [3]. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Person abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Die Mitgliedschaft ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen [4]. Dies ermöglicht eine Auslegungsprärogative durch die berufsständischen Kammern, welche über die Pflichtmitgliedschaft entscheiden [5]. Kammermitglieder sind grundsätzlich alle Apothekerinnen und Apotheker, die bestellt oder approbiert sind oder eine Erlaubnis zur Ausübung des Apothekerberufs besitzen und im Land ihren Beruf ausüben [6].
Bei der Berufsausübung muss es sich um eine „berufsspezifische“ [7] bzw. „berufsgruppenspezifische“ [8] Beschäftigung als Apotheker handeln. Dabei kommt es nicht auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Beschäftigten bzw. des Selbstständigen an, sondern auf die konkret ausgeübte Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt wird [9]. Die Berufsbezeichnung als Apotheker oder seine Eigenschaft als solcher ist dafür also nicht entscheidend [10]. Bei der ärztlichen Berufsausübung muss die Anwendung oder Mitverwendung von ärztlichem Wissen der Tätigkeit ihr „Gepräge“ geben [11].
Apotheker in der pharmazeutischen Industrie müssen insoweit nicht befürchten, aufgrund einer bloßen Berufsbezeichnung oder einer Tätigkeit, die auch ein Nichtapotheker ausüben kann, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung bezahlen zu müssen [12]. Eine dahingehende Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg hob das Bundessozialgericht (BSG) auf und verwies es zur Neuverhandlung zurück [13].
2. Rechtsprechung zur Befreiungswirkung
a. Bundessozialgericht
Die Befreiung ist nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI auf die „jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit“ beschränkt, selbst wenn ursprüngliche und nachfolgende Erwerbstätigkeiten ähnlich sein mögen [14]. In § 231 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, der die fortlaufende Befreiung von Personen regelt, die am 31. Dezember 1991 von der Versicherungspflicht befreit waren, ist von „derselben“ Beschäftigung die Rede. Es muss also eine „Identität“ zwischen der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit, die während der ursprünglichen Befreiung von der Versicherungspflicht verrichtet wurde, und der aktuellen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorliegen [15]. Das ist z.B. der Fall, wenn der Betroffene zu einem anderen Arbeitgeber wechselt [16] und ein anderes Arbeitsverhältnis, eine andere Beschäftigung im Raum steht [17], oder, wenn die Zulassung aufgegeben wurde [18].
Die Aufgabe der Tätigkeit als (zugelassener) Steuerberater stufte das BSG als „wesentliche“ Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein [19]. Dadurch war eine Voraussetzung für die Befreiung von der Rentenversicherung weggefallen, und die Befreiung entfiel [20]. Die Aufhebung des ursprünglichen Verwaltungsakts, der die Befreiung regelte, hielt das Gericht für rechtmäßig, weil in den Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorlagen, eine wesentliche Änderung eingetreten sei [21]. Der nachträgliche Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen führt regelmäßig zur Aufhebung des ursprünglichen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft [22]. Im Falle des Wechsels des Arbeitgebers entfällt damit die Befreiung ab dem Zeitpunkt der neuen Beschäftigung [23]. In diesem Fall lehnte das BSG sogar Vertrauensschutz ab [24].
Die Fortwirkung einer Befreiung von der Versicherungspflicht definiert sich im Übrigen nicht über die konkreten inhaltlichen (materiellen) Merkmale der ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit – etwa Berufsbezeichnung, berufliche Qualifikation oder beruflicher Status [25]. „Beschäftigung“ ist die „nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des (konkreten) Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Die Befreiung erstreckt sich nur dann auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet (§ 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI). Eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit führt damit nicht unbedingt zum Wechsel des Alterssicherungssystems [26].
b. Sozialgericht Mainz
Das Sozialgericht Mainz folgert aus dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung, die Befreiung müsse für jede neue Tätigkeit, und sei sie der bisherigen auch noch so ähnlich, neu beantragt werden [27]. Wie sich aus § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI ergäbe, gelte eine Befreiung nur für eine konkrete Tätigkeit [28]. „Wechselt diese – auch nur geringfügig –, so ist eine neue Befreiung zu beantragen“ [29].
In diesem Punkt weicht das Sozialgericht Mainz von den Auffassungen der DRV, der Bayerischen Versorgungskammer, der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und der des Verfassers ab, die einen neuen Antrag nur bei einer wesentlichen Änderung der Tätigkeit für erforderlich halten [30]. Die DRV meint in ihrer aktuellen Veröffentlichung vom 10.01.2014 [31], für jede nach dem 31.10.2012 – dem Datum der maßgeblichen Entscheidungen des BSG [32] – neu aufgenommene versicherungspflichtige Beschäftigung oder versicherungspflichtige selbstständige Tätigkeit sei ein eigenständiges Befreiungsverfahren durchzuführen. Als neu aufgenommen in diesem Sinne sei sowohl jede wesentliche Änderung im Tätigkeitsfeld bei dem bisherigen Arbeitgeber, die z.B. durch eine Änderung des Arbeitsvertrages zum Ausdruck gebracht wird, als auch jeder Arbeitgeberwechsel zu verstehen. Ein Betriebsübergang, der das bisherige Aufgabengebiet und die arbeitsrechtliche Stellung zum Arbeitgeber nicht berührt, sei keine neu aufgenommene Beschäftigung. Ebenso stelle z. B. bei einem Arzt im Krankenhaus der Wechsel von einer Station auf die andere oder vom Stationsarzt zum Oberarzt keine wesentliche Änderung des Tätigkeitsfeldes dar.
Das SG Mainz verkennt insoweit die höchstrichterliche Rechtsprechung. Das BSG hält einen neuen Befreiungsantrag für erforderlich, wenn sich die Identität der Beschäftigung ändert [33]. Eine Aufhebung des ursprünglichen Befreiungsbescheids kommt jedoch nur in Betracht, wenn gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eintritt [34]. Damit kann der ursprüngliche Befreiungsbescheid bei nur unwesentlichen Änderungen nicht aufgehoben werden, und somit bleibt die Identität der Beschäftigung erhalten. Diese Auslegung entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem alten römisch-rechtlichen Grundsatz: »minima non curat praetor« („sehr kleine Angelegenheiten besorgt der Gerichtsmagistrat nicht“ [35]).
Wie geht man vor?
- Die Befreiung kann bereits vor dem Arbeitsplatzwechsel beantragt werden.
- Die Befreiung muss beim zuständigen berufsständischen Versorgungswerk beantragt werden. Entsprechende Anträge gibt es dort auf Anfrage.
- Dem Antrag muss eine Bestätigung über die Kammermitgliedschaft beigelegt werden.
- Außerdem muss sowohl die Tätigkeit genau bezeichnet als auch der Arbeitgeber konkret benannt werden. Als Beleg für die Angaben sollten dem Antrag zumindest Auszüge aus dem Arbeitsvertrag beigefügt werden.
Mehr Informationen zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung unter www.deutsche-rentenversicherung.de → Services → Fachinfos → Aktuelles aus der Rechtsprechung → Bundessozialgericht → Änderungen im Befreiungsrecht der Rentenversicherung
3. Verwaltungspraxis der DRV
a. Vertrauensschutz für klassische berufsspezifische Beschäftigung
Die DRV differenziert zwischen der Beschäftigungsaufnahme vor dem 31.10.2012 und der Ausübung einer klassischen berufsspezifischen Beschäftigung [36]. Für berufsständisch Versorgte, die in der Vergangenheit für die Ausübung einer klassischen berufsspezifischen Tätigkeit befreit worden waren und nach einem Arbeitsplatzwechsel vor dem 31.10.2012 eine derartige Tätigkeit weiterhin ausüben, soll für die Dauer dieser aktuellen Beschäftigung Vertrauensschutz gelten. Bei dieser Berufsgruppe ging die DRV in der Vergangenheit „zur Verwaltungsvereinfachung“ generell davon aus, dass einmal erteilte Befreiungen bei einem Arbeitgeberwechsel ihre Gültigkeit behalten, solange auch der neue Arbeitgeber bestimmte Kriterien erfüllte und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt wird. Dies vermittelte die DRV auch entsprechend nach außen. Nach ihrer Verwaltungspraxis mussten bislang beispielsweise Krankenhausärzte, Apotheker in Apotheken oder Rechtsanwälte bei anwaltlichen Arbeitgebern nicht bei jedem Arbeitgeberwechsel einen neuen Befreiungsantrag stellen. In diesen Fällen blieb es in der aktuellen Beschäftigung bei der bisherigen Praxis. Befreiungsanträge mussten zwingend erst bei einem weiteren Wechsel der Beschäftigung – nach dem 31.10.2012 – gestellt werden. Auf Wunsch war zur Klarstellung auch eine Antragstellung für die aktuell ausgeübte Beschäftigung möglich. Für bereits beendete Beschäftigungen will die DRV nachträglich keine Befreiungsbescheide erteilen.
b. sonstige berufsständisch Versorgte
Anders zu beurteilen sind nach der angekündigten Verwaltungspraxis der DRV berufsständisch Versorgte, die in der Vergangenheit für die Ausübung einer berufsspezifischen Beschäftigung oder Tätigkeit befreit worden waren, sich aber durch einen Arbeitsplatzwechsel vor dem 31.10.2012 von dieser Beschäftigung oder Tätigkeit gelöst haben. In diesen Fällen war die Befreiung für die neue Tätigkeit in den vergangenen Jahren regelmäßig von einer konkreten Arbeitsplatzbeschreibung abhängig, da nur berufsspezifische Tätigkeiten nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreiungsfähig sind. Deshalb hatten z.B. Syndikusanwälte, Syndikussteuerberater oder Industrieapotheker bei jedem Arbeitgeberwechsel oder bei jedem wesentlichen Wechsel des Tätigkeitsfeldes eine neue Befreiung zu beantragen. Diesen Personen räumt die DRV die Möglichkeit ein, für ihre eventuell bereits seit längerem ausgeübte Tätigkeit die Antragstellung nachzuholen, um die Beschäftigung beurteilen zu lassen.
c. Kritik an der angekündigten Verwaltungspraxis
Die DRV will ihre Verwaltungspraxis der Rechtsprechung anpassen [37]. Allerdings wird diese Verwaltungspraxis von den genannten Urteilen nicht gestützt. Das BSG hat, wie die DRV selbst bemerkt, streng am Wortlaut des Gesetzestextes orientiert klargestellt, dass ausnahmslos jede Entscheidung über die Befreiung eines Pflichtmitgliedes eines Versorgungswerkes von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nur für eine ganz konkrete Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber oder für eine tatsächlich ausgeübte selbstständige Tätigkeit gilt [38]. Wird diese Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit aufgegeben, endet die Wirkung der Befreiung.
Warum diese – ausnahmslose – Rechtsauffassung für Ärzte, die eine ärztliche Tätigkeit in Krankenhäusern oder in Arztpraxen ausüben, Apotheker in Apotheken oder Rechtsanwälte bei anwaltlichen Arbeitgebern, die ihre derzeitige Beschäftigung vor dem 31.10.2012 aufgenommen haben, nicht gelten soll, lässt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen. In einem vom BSG entschiedenen Fall [39] trat die wesentliche Änderung der Beschäftigung bereits mit Ablauf des 31.03.2006 ein (nämlich durch die vorübergehende Niederlegung der Zulassung als Steuerberater). Das BSG lehnte eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht in diesem Fall ab (in der Konsequenz bestanden Beitragspflichten zur Rentenversicherung). Nach der angekündigten Verwaltungspraxis der DRV wäre indes die Befreiung zu erteilen gewesen, wenn der Betroffene vor dem 31.10.2012 wieder einer klassischen berufsspezifischen Beschäftigung nachginge. Diese Verwaltungspraxis kam dem Steuerberater nicht zugute. Die Begründung der beabsichtigten Verwaltungsvereinfachung [40] kaschiert ein willkürliches Vorgehen der DRV.
Deshalb ist Apothekern in Apotheken, Ärzten in Krankenhäusern und Rechtsanwälten bei anwaltlichen Arbeitgebern nicht anzuraten, auf die Verwaltungspraxis der DRV zu vertrauen. Vertrauensschutz genießen sie bei der Rechtsprechung nicht. Änderte die DRV die Verwaltungspraxis, käme es zu Beanstandungen bei einer Betriebsprüfung, oder machten die Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (gem. § 28 h Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind dies die Krankenkassen, nicht die DRV) Rentenversicherungsbeiträge geltend, können sich die Betroffenen nicht unbedingt auf eine Verwaltungspraxis der DRV stützen. Denn: Sie müssten zunächst überhaupt Kenntnis von ihr haben und müssten diese außerdem auch beweisen können. Darum ist ihnen anzuraten, den Befreiungsantrag in jedem Fall zu stellen, wenn sich die aktuelle Beschäftigung (seit der letzten Befreiung) wesentlich geändert hat.
Die DRV hebt hervor, auf Wunsch auch Anträge zur Klarstellung zu bearbeiten. Sollte die DRV die Antragsteller gemäß ihrer Verwaltungspraxis bescheiden, wären die Betroffenen abgesichert. Auf Grund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches [41] könnte ihnen aus einem fehlerhaften Bescheid des Trägers der Rentenversicherung kein Nachteil erwachsen. Dadurch lässt sich eine Fristversäumnis bei der Verletzung behördlicher Beratungs- und Betreuungspflichten (die nach §§ 14, 15 SGB I bestehen) „überwinden“, mit der Folge, dass ein verspäteter Antrag als rechtzeitig gestellt anzusehen ist.
Ergebnisse
- Nach der Rechtsprechung des BSG sind Befreiungsanträge von der gesetzlichen Rentenversicherung ausnahmslos in allen Fällen zu stellen, in denen keine Identität zwischen der konkreten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit, die während der ursprünglichen Befreiung von der Versicherungspflicht verrichtet wurde, und der aktuellen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit besteht. Das gilt nach dem Sozialgericht Mainz für jede neue Tätigkeit, sei sie der bisherigen auch noch so ähnlich, auch bei nur geringfügigen Änderungen.
- Nach dem Gesetz entfällt die Befreiungswirkung jedoch erst dann, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben (gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das ist z.B. der Fall, wenn der Betroffene zu einem anderen Arbeitgeber wechselt, sich die Tätigkeit beim bisherigen Arbeitgeber wesentlich ändert oder die Zulassung aufgegeben wurde.
- Die DRV kündigte eine Verwaltungspraxis an, wonach Befreiungsanträge nicht zu stellen sind, wenn die derzeit ausgeübte klassische berufsspezifische Beschäftigung vor dem 31.10.2012 begonnen wurde. Eine solche klassische berufsspezifische Beschäftigung sieht die DRV z.B. bei Krankenhausärzten, Apothekern in Apotheken oder Rechtsanwälten bei anwaltlichen Arbeitgebern. Sie müssen nach dieser Verwaltungspraxis neue Befreiungsanträge nur dann stellen, wenn Änderungen seit dem 31.10.2012 eingetreten sind, wenn etwa der Arbeitgeber gewechselt wurde oder sich die Beschäftigung wesentlich änderte oder sogar aufgegeben wurde. Klarstellend ist in jedem Fall eine Antragstellung für die aktuelle ausgeübte Beschäftigung möglich.
- Berufsständisch Versorgte, die nicht eine klassische berufsspezifische Beschäftigung ausüben, z.B. Syndikusanwälte, Syndikussteuerberater oder Industrieapotheker, kommt diese Verwaltungspraxis der DRV nicht zugute. Sie müssen ausnahmslos bei jedem Wechsel des Arbeitgebers, gleich, ob dieser vor dem 31.10.2012 eingetreten ist oder danach, und bei jedem wesentlichen Wechsel des Tätigkeitsfeldes einen neuen Befreiungsantrag stellen.
- Die Befreiungsanträge will die DRV im Rahmen der Betriebsprüfungen kontrollieren. Kann dabei für einen betroffenen Arbeitnehmer kein aktueller, sondern lediglich ein alter Befreiungsbescheid vorgelegt werden, soll der Arbeitgeber einen Hinweis erhalten, dass die Antragstellung nachgeholt werden kann. Bei der nächsten Betriebsprüfung will die DRV ggf. nachträgliche Beitragspflichten feststellen, ab dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber durch den Hinweis Kenntnis von dem Erfordernis eines neuen Befreiungsantrages erhielt. Kann bei einer Betriebsprüfung weder ein alter noch ein aktueller Befreiungsbescheid vorgelegt werden, will die DRV Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Vergangenheit unmittelbar nacherheben.
- Allen berufsständisch Versorgten ist jedoch – trotz der von der DRV angekündigten Verwaltungspraxis – anzuraten, schnellstens vorsorglich einen neuen Befreiungsantrag zu stellen, wenn nach den Kriterien der Rechtsprechung die konkrete Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit derjenigen, für welche die Befreiung erteilt wurde, nicht mehr entspricht (siehe oben erster Spiegelstrich). Vorsorglich ist ein Befreiungsantrag sogar bei nur geringfügigen Änderungen der Tätigkeit zu stellen. Anderenfalls besteht die Möglichkeit der Nacherhebung von Rentenversicherungsbeiträgen. Zusätzlich müssten die Beiträge an die berufsständischen Versorgungswerke bis zur Klärung der Rechtslage weiter bezahlt werden. Auf Vertrauensschutz können die berufsständisch Versorgten nach der Rechtsprechung nicht bauen. Vertrauensschutz entsteht aber, wenn die DRV einen Befreiungsantrag beschieden hat, auch wenn ihre Verwaltungspraxis von der Rechtsprechung abweicht. Dieser gilt selbst dann, wenn die DRV bescheidet, die Antragstellung sei nicht erforderlich.
d. Rechtsfolgen einer Betriebsprüfung
Die Prüfdienste der DRV wollen sich den aktuellen Befreiungsbescheid im Rahmen einer Betriebsprüfung zusammen mit dem ursprünglichen Befreiungsbescheid vorlegen lassen [42]. Kann dabei für einen betroffenen Arbeitnehmer kein aktueller, sondern lediglich ein alter Befreiungsbescheid vorgelegt werden, erhält der Arbeitgeber den Hinweis, dass die Antragstellung nachgeholt werden kann und der Sachverhalt bei der nächsten Betriebsprüfung erneut aufgegriffen wird. Im Übrigen wird die Betriebsprüfung abgeschlossen. Der Arbeitgeber hat zu dokumentieren, dass er den Arbeitnehmer zur Antragstellung aufgefordert hat.
Wird die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen des Antragsverfahrens oder bei der nächsten Betriebsprüfung nachträglich festgestellt, gelten zur Bestimmung des Nachzahlungszeitraumes und für die Zahlung eventueller Säumniszuschläge die allgemeinen Regelungen. Durch den ausdrücklichen Hinweis bei der Betriebsprüfung haben die Arbeitgeber Kenntnis im Sinne der §§ 24 Abs. 2, 25 Abs. 1 SGB IV im Hinblick auf eine mögliche Zahlungspflicht. Unabhängig davon hat der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer unverzüglich zur gesetzlichen Rentenversicherung anzumelden, wenn zwischen den beiden Betriebsprüfungen die Befreiung abgelehnt wird. Kann bei einer Betriebsprüfung weder ein alter noch ein aktueller Befreiungsbescheid vorgelegt werden, werden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Vergangenheit unmittelbar nacherhoben.
Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrages an (§ 6 Abs. 4 SGB VI). Bei einem Stellenwechsel muss der Antrag darum innerhalb dieser Frist gestellt werden. Andernfalls wirkt die Befreiung erst nach Eingang des Antrages. Dadurch können bei einer späteren Antragstellung ungewollt Beitragspflichten – auch für die Vergangenheit (Nacherhebungen) – entstehen. Werden die Anträge indes nicht gestellt, steht besonders für die Arbeitgeber der betroffenen Beschäftigten zu befürchten, den gesamten Rentenversicherungsbeitrag (inklusive des Arbeitnehmeranteils) überwiegend allein nachbezahlen zu müssen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV i.V.m. § 28g Satz 3 SGB IV). Dieses Risiko sollte kein Arbeitgeber eingehen.
Literatur:
[1] BSG, Urteile vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, B 12 R 5/10 R und B 12 R 8/10 R.
[2] SG Mainz, Urteil vom 20.12.2013 - S 10 R 369/11.
[3] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 34; BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 8/10 R Rn. 25.
[4] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 34.
[5] So auch das BVerwG im Urteil von 30.01.1996, NJW 1997, 814 [815].
[6] Vgl. beispielsweise § 3 Abs. 1 der Hauptsatzung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.
[7] SG Gießen, Urteil vom 16.10.2012 - S 19 R 435/10; BSG, Urteil vom 22.10.1998 - B 5/4 RA 80/97 R.
[8] Hessisches LSG vom 17.11.2011 - L 8 KR 77/11 B ER, Rn. 34, und vom 29.10.2009 – L 8 KR 189/08; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.03.2011 – L 11 R 4872/09, Rn. 74 und 76.
[9] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.10.1998 – B 5/4 RA 80/97 R; Hessisches LSG, Beschluss v. 17.11.2011 – L 8 KR 77/11 ER, Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.10.2010 – L 4 KR 5196/08, Rn. 24; SG Gießen, Urteil vom 16.10.2012 - S 19 R 435/10.
[10] BSG, a. a. O.
[11] SG Mainz, Urteil vom 20.12.2013 - S 10 R 369/11, S. 15 Abs. 1 m. V. a. BSG, Urteil vom 10.03.2011 – B 3 KS 2/10 R, Rn. 16, m.V.a. VG Karlsruhe Urteil vom 28.02.2008 – 9 K 79/07, Tz. 22, m.V.a. BVerwG, Urteil vom 30.01.1996, NJW 1997, 814 [816]; LSG Hamburg, Urteil vom 25.02.2010 - L 1 KR 42/08 sub Ziff. 2, vorl. Abs.; VG München, Urteil vom 03.06.2008 – M 16 K 07.876 – und vom 24.08.2005 – M 16 K 05.1193; SG Mannheim – S 8 R 2469/04.
[12] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 18; SG Mainz, Urteil vom 20.12.2013 - S 10 R 369/11 – S. 12 letzter Abs.; Wesch, DAZ 2013, 3456, „Rentenversicherung“; ders. „Gesetzliche Ren-tenversicherungspflicht für Apotheker in der pharmazeutischen Industrie?“ Pharm. Ind. 2012, S. 1271.
[13] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R – Revision gegen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.03.2011 – L 11 R 4872/09.
[14] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 17 m. w. N.
[15] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 5/10 R, Rn. 20 ff.
[16] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 5/10 R, Rn. 23 und 37.
[17] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 19 a. E.
[18] BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 8/10 R, Rn. 19 und 20.
[19] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 8/10 R, Rn. 16 und 20.
[20] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 8/10 R, Rn. 20.
[21] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 8/10 R, Rn. 16.
[22] BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 8/10 R, Rn. 19 m.w.N.
[23] BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 8/10 R, Rn. 6.
[24] BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 8/10 R, Rn. 17 und 33.
[25] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 18; BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 5/10 R, Rn. 22.
[26] BSG, Urteil vom 22.10.1998 – BSGE 83, 74; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.10.2010 – L 4 KR 5196/08, Rn. 24.
[27] SG Mainz, Urteil vom 20.12.2013 - S 10 R 369/11, S. 10 Abs. 2.
[28] SG Mainz, Urteil vom 20.12.2013 - S 10 R 369/11, S. 10 Abs. 2.
[29] SG Mainz a.a.O.
[30] Nachweise bei Wesch, DAZ 2013, 3456 [3459 Fn. 27].
[31] www.deutsche-rentenversiche-rung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/05_fachinformationen/01_aktuelles_aus_der_rechtsprechung/bsg_aenderungen_im_befreiungsrecht_der_rv.html, letzter Zugriff: 23.01.2014.
[32] Siehe oben Fn. 1.
[33] Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 5/10 R, Rn. 20 ff.
[34] BSG, Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 8/10 R, Rn. 16 und 20.
[35] Nachweise in Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 270.
[36] Hier und im Folgenden: www.deutsche-rentenversiche-rung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/05_fachinformationen/01_aktuelles_aus_der_rechtsprechung/bsg_aenderungen_im_befreiungsrecht_der_rv.html, letzter Zugriff: 23.01.2014.
[37] Sie nimmt in der sogen. »Ergänzenden Information« vom 10.01.2014 ausdrücklich Bezug auf die Urteile des BSG vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R, B 12 R 5/10 R und B 12 R 8/10 R, www.deutsche-rentenversiche-rung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/05_fachinformationen/01_aktuelles_aus_der_rechtsprechung/bsg_aenderungen_im_befreiungsrecht_der_rv.html
[38] Hier und im Folgenden: www.deutsche-rentenversiche-rung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/05_fachinformationen/01_aktuelles_aus_der_rechtsprechung/bsg_aenderungen_im_befreiungsrecht_der_rv.html, letzter Zugriff: 23.01.2014.
[38] BSG vom 31.10.2012 – B 21 R 8/10 R.
[39] Siehe oben Ziff. 3 lit. a).
Autor
Dr. Martin Wesch, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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