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Von der Abmahn-Welle zum Rinnsal?
Dubioses Apotheker-Anwalt-Duo – Chronologie einer schamlosen Massenabmahnung
Über ein „Rundfax“ vom 6. Dezember erklärte der Anwalt, alle von ihm gesetzten Fristen seien „ausgesetzt“. Angeblich sollten diese Woche „zentrale Vergleichsverhandlungen mit den Apothekerverbänden und anderen großen Beteiligten stattfinden“. Eine Information der Medien und eine Einladung erfolge durch die Apothekerverbände, so Becker. Bis DAZ-Redaktionsschluss lag jedoch weder eine Medieninformation noch eine Einladung durch die Verbände vor. Zudem: Für solche „Verhandlungen“ sehen die von betroffenen Apothekern betrauten Anwälte und das von der Abmahnwelle besonders in Mitleidenschaft genommene Gesundheitsportal apotheken.de keinerlei Anlass. „Es gibt keinen wettbewerbsrechtlichen Anspruch, der vorliegend geltend gemacht und über den verhandelt werden könnte“, sagt Rechtsanwalt Dr. Valentin Saalfrank (Kanzlei Dr. Saalfrank, Köln), der neben Dr. Timo Kieser (Rechtsanwälte Oppenländer Stuttgart) für betroffene apotheken.de-Kunden die außergerichtliche Korrespondenz übernommen hat. „Es kann höchstens darum gehen, dass Herr Becker Wege aufzeigt, wie er den eingetretenen Schaden wiedergutmacht.“
Zweifelhafte Vorwürfe
Von der Abmahnwelle betroffen sind Apotheken mit Internetauftritt – seien es eigene Webseiten, Facebook-Seiten, Mitgliedseiten von apotheken.de oder Seiten anderer Anbieter, wie Wort&Bild. Allein 2500 apotheken.de-Mitglieder sind, so Becker selbst, von ihm und seinem Apotheken-Spezi bisher abgemahnt worden. Gerügt werden in den Abmahnungen angebliche Inkorrektheiten in den Impressen der Apotheken-Homepages. So hält Becker es – auf der Grundlage eines exorbitanten Gegenstandswerts – für abmahnfähig, wenn die Firmierung (z.B. e.K. oder OHG) im Impressum nicht korrekt eingetragen ist, oder der Verweis auf die Berufsordnung bzw. die Berufshaftpflichtversicherung fehlt. apotheken.de-Mitgliedsapotheken wird vorgeworfen, einen unzulässigen Versandhandel mit nicht-versandfähigen Arzneimitteln zu betreiben. Dabei wird übersehen (oder bewusst verschwiegen?), dass es sich bei apotheken.de um ein Gesundheitsportal handelt, in dem Arzneimittel lediglich vorbestellt werden können. Ein Kaufvertrag kommt erst in der Apotheke zustande und dort erfolgt auch die Abgabe des Arzneimittels (falls erforderlich nach Vorlage des Rezepts). Ein Versand findet bei apotheken.de überhaupt nicht statt. Kurios: Die Wagnersche Brücken-Apotheke besitzt ihrerseits nicht einmal eine Versandhandelserlaubnis, so dass es bei ihr bereits an einem Wettbewerbsverhältnis zu den abgemahnten Apotheken fehlt. Deshalb dürften selbst Abmahnungen, in denen tatsächlich bestehende Inkorrektheiten moniert werden (z.B. Verstöße gegen Kennzeichnungsvorschriften bei Nahrungsergänzungsmitteln oder unzulässige Preisvergleiche) im Ergebnis ohne Erfolg bleiben.
Unverfrorenes Vergleichsangebot
Unverfrorenheit ohne Grenzen: Gegen Zahlung von 1,5 Millionen Euro konnten sich Rechtsanwalt Christoph Becker und sein Mandant Helmut Wagner, Brücken-Apotheke, Schwäbisch-Hall, vorstellen, die 2500 Abmahnungen gegen apotheken.de-Mitgliedsapotheken auf sich beruhen zu lassen.
Die Rechnung, die Becker nach Rücksprache mit seinem Mandanten Anfang Dezember gegenüber dem Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags und des Betreibers von apotheken.de, Dr. Christian Rotta, dabei aufmachte: Die Abmahnkosten, die sie gegenüber den 2500 Mitgliedsapotheken in Rechnung stellen könnten, beliefen sich auf ca. 5 Millionen Euro – und bei einem Vergleich treffe man sich in der Regel ja in der Mitte, also bei 2,5 Millionen Euro. Und dann, so Becker, gebe man noch eine Million Euro Rabatt! Also: 1,5 Millionen Euro – und die Abmahnungen für apotheken.de-Mitgliedsapotheken „seien vom Tisch“.
Für Rechtsanwalt Dr. Timo Kieser, der für apotheken.de und andere Betroffene auch Strafanzeige gegen Wagner und Becker gestellt hat, ist dies ein weiteres klares Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnungen, denen sachfremde Motive zugrunde liegen. Oder weniger zurückhaltend formuliert: Der alleinige Sinn der Aktion war und ist der (untaugliche) Versuch, auf die Schnelle in Millionenhöhe abzukassieren.
Kurze Fristen und Drohungen
Verbunden wurden die Vorwürfe mit kurzen Fristsetzungen und der Drohung, dass Wagner die gerügten „Verstöße“ der Aufsichtsbehörde und der Apothekerkammer anzeigen wird, wenn die Abgemahnten die Fristen ungenutzt verstreichen lassen. „Berufs- und standesrechtliche Konsequenzen sowie ein Verlust Ihrer Zulassung sind dadurch nicht auszuschließen“, heißt es fettgedruckt in den Abmahnbriefen.
Rechtsmissbrauch
Die eingeschalteten Rechtsanwälte und auch die Apothekerverbände, die ihre Mitglieder mit Infoschreiben versorgten, sind überzeugt, dass die Abmahnungen schon deshalb nicht gerechtfertigt sind, weil Becker und Wagner rechtsmissbräuchlich vorgehen. Wer mit einem behaupteten Anspruch überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt, kann einen Unterlassungsanspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) nicht geltend machen. Angesichts der Vielzahl der Abmahnungen und der zum Teil abwegigen Begründung spricht alles dafür, dass es Apotheker Wagner und Anwalt Becker nur darum ging, das schnelle Geld zu machen.
Einhelliger Rat: Nicht unterschreiben, nicht zahlen
Die einhellige Empfehlung der Anwälte und Verbände lautet daher: Die eingeforderte Unterlassungserklärung sollte nicht unterschrieben werden – und natürlich sollte an Wagner/Becker auch nichts gezahlt werden. Damit sind auch die von Rechtsanwalt Becker gesetzten Abmahnfristen obsolet. Dass Becker im Namen seines Mandanten tausendfach Klagen erhebt, ist nahezu ausgeschlossen. Bereits die von ihm zu verauslagenden Gerichtsgebühren würden in die Hundertausende Euro gehen – und dies bei Verfahren, die für Wagner/Becker weitestgehend aussichtslos sind. Wagner selbst scheint die Angelegenheit, wie er gegenüber DAZ.online äußerte, inzwischen schnell beenden zu wollen. Zu der Frage, warum er die ganze Welle angestoßen hat, wollte er sich allerdings nicht äußern. Ihm scheint die Angelegenheit über den Kopf zu wachsen. Für die lokale und überregionale Presse ist er im Übrigen nicht zu sprechen. Einem Redakteur des Haller Tagblatts verweigerte Wagner jede Auskunft und verwies ihn seiner Apotheke.
Wie es weitergeht
Für das aktuelle Vorgehen ändert sich laut Dr. Timo Kieser, ebenfalls mit Hunderten von Fällen betraut, durch die Aussetzung der Frist nichts. Die Abmahnungen gegen apotheken.de-Mitglieder hat er inzwischen allesamt zurückgewiesen. Für apotheken.de-Mitgliedsapotheken entstehen dabei im außergerichtlichen Verfahren keine Kosten. Diese übernehmen apotheken.de und der Deutsche Apotheker Verlag. Außerdem hat Kieser für apotheken.de und andere Betroffene bei der Staatsanwaltschaft Leipzig Strafanzeige gegen Becker und Wagner eingereicht. Für Kieser stehen Becker und Wagner im Verdacht, die Straftatbestände des (versuchten) gewerbsmäßigen Betrugs und der (versuchten) Nötigung verwirklicht zu haben. Becker wird in der Strafanzeige zudem (versuchte) Gebührenüberhebung vorgeworfen. Überdies hat apotheken.de Wagner und Becker inzwischen zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Damit soll ihnen untersagt werden, Mitgliedsapotheken von apotheken.de weiterhin abzumahnen.
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