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Arzneimittel und Therapie
Bremsspuren
Stuhlinkontinenz – Diagnostik und Therapie einer tabuisierten Erkrankung
Stuhlinkontinenz ist definiert als ein über mindestens vier Wochen bestehendes Unvermögen, den Darm ort- und zeitgerecht zu entleeren. Dieses kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein, weshalb eine Einteilung in verschiedene Grade vorgenommen wird (I: Inkontinenz für Winde, II: für flüssigen, III: für festen Stuhl). Außerdem gibt es klinische Scores zur detaillierten Beurteilung (z.B. Kontinenzscore nach Jorge/Wexner/Vaizey; CCFIS, Cleveland clinic Florida faecal incontinence score).
Aus anatomischen Gründen und gegebenenfalls infolge Traumata während Schwangerschaft und Entbindung sind Frauen im Verhältnis von 4 bis 5:1 deutlich häufiger betroffen als Männer. Stuhlinkontinenz ist auch eine häufige Erkrankung im höheren Lebensalter, da Beckenboden und Schließmuskel durch die allgemeine Abnahme von Muskelkraft und Gewebeelastizität geschwächt werden können. Zudem fördert Übergewicht die Entwicklung einer Stuhlinkontinenz.
Vielfältige Ursachen, anspruchsvolle Diagnostik
Sehr häufig tritt Stuhlinkontinenz als Folge oder in Zusammenhang mit einer anderen Erkrankung auf. Diese kann entweder im Bereich des Darms bzw. Unterleibs angesiedelt sein (z.B. Hämorrhoiden, chronisch entzündliche Darmerkrankung, Beckenbodeninsuffizienz‚ Analkarzinom, Reizdarmsyndrom, Rektumprolaps, Neuropathien infolge Bestrahlung oder Diabetes) oder in einer ganz anderen Körperregion bestehen (z.B. Demenz, Schlaganfall, Hirntumor, multiple Sklerose, Bandscheibenvorfall, Querschnittslähmung). Auch eine vorübergehende (z.B. durch Darminfektion mit Diarrhö) oder chronische (z.B. durch Laxanzienabusus) Änderung der Stuhlbeschaffenheit kann die Kontinenz beeinträchtigen. Oft sind es auch mehrere Ursachen, die zwar nicht jede für sich, aber in einer unglücklichen Kombination zur Darmschwäche führen. Welche Gründe auch immer vorliegen – in den meisten Fällen ist bei der Stuhlinkontinenz das feine Zusammenspiel aus Muskeln und Nerven, die eigentlich den kontrollierten Stuhlabgang ermöglichen sollen, gestört.
Eine wichtige Rolle bei der Diagnose der Stuhlinkontinenz spielt die Anamnese; denn anhand der Erfassung zurückliegender oder bestehender Krankheiten lässt sich die Ursache häufig bereits identifizieren. Ergänzt wird diese durch eine digital-rektale Untersuchung, bei der beispielsweise der Sphinkterdruck beurteilt oder ein Analprolaps erkannt werden kann. Zu den apparativen Methoden, die bei Bedarf zur weiteren Abklärung eingesetzt werden können, gehören die Spiegelung des Enddarms (Rektoskopie, gegebenenfalls mit Gewebeentnahme), die Endosonografie, die Magnetresonanztomografie und die Manometrie (zur Messung der Druckverhältnisse im Enddarm).
Therapie der Stuhlinkontinenz
Zunächst ist die Behandlung der Grundkrankheit, soweit möglich, angezeigt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Optionen – mit unterschiedlichen Erfolgsquoten.
Chirurgische Verfahren
Sind beispielsweise angeborene Fehlbildungen, Fisteln, Hämorrhoiden oder ein Rektumprolaps (Vorfall des Mastdarms aus dem After) die Ursache der Stuhlinkontinenz, kommen operative Maßnahmen zum Einsatz, deren Spektrum von Resektionsverfahren bis hin zum künstlichen Schließmuskel reicht.
Gracilisplastik: Ist der Schließmuskel irreparabel zerstört (z.B. durch einen Dammriss bei der Entbindung) wird ein Muskel (M. gracilis) von der Innenseite eines Oberschenkels entnommen, um den Analkanal gelegt und mithilfe eines Schrittmachers stimuliert.
Beim künstlichen Schließmuskel wird dem Patienten ein System in den Unterleib gepflanzt, das aus einer mit Flüssigkeit gefüllten Manschette und einer Pumpe besteht und mit der Hand gesteuert wird.
Liegt kein Muskelschaden, sondern eine neurogene Störung vor, kann die sakrale Nervenstimulation eingesetzt werden. Dabei legt der Arzt Elektroden an den Pudendusnerv, der zum Schließmuskel führt. Durch einen Schrittmacher kann dieser stimuliert werden und kontrahiert sich dauerhaft. Zur Stuhlentleerung schaltet der Patient den Schrittmacher ab.
Konservative Therapie
Sie besteht aus supportiven, physiotherapeutischen und medikamentösen Maßnahmen und hat die größte Bedeutung.
Bei der Supportivtherapie geht es darum, die Stuhlkonsistenz und -frequenz sowie gegebenenfalls abträgliche Stuhlgangs-Gewohnheiten zu optimieren.
Ersteres gelingt meist durch Veränderungen in der Ernährung. Verzichtet werden sollte auf blähende und stark gewürzte Speisen, kohlensäurehaltige Getränke, Alkohol und Kaffee (erhöht die Darmmotilität). Die Flüssigkeitsmenge, die der Darm für eine gute Funktion benötigt, beträgt 2 bis 2,5 Liter pro Tag. Auch eine ausgewogene Ballaststoff-Zufuhr ist wichtig. Der Stuhl bekommt dadurch eine voluminösere Konsistenz, sein Abgang kann besser kontrolliert werden. Daher können im Rahmen der Selbstmedikation beispielsweise Präparate mit Indischen Flohsamenschalen (Plantago ovata) empfohlen werden (z.B. Flosine® Balance). Bei unerklärlichem flüssigem Stuhl sollte auch an eine Lactoseintoleranz gedacht werden.
Ein Toilettentraining kann hilfreich sein, wenn Patienten beim Stuhlgang zu stark pressen, die „Sitzungen“ sehr lang sind und/oder eine inkomplette Darmentleerung stattfindet. Für letztgenanntes Problem können rasch wirksame Zubereitungen (z.B. Klysmen, Lecicarbon®-Zäpfchen) zum Einsatz kommen. Auch Irrigationen werden empfohlen, weil sie nicht nur den Darm entleeren und reinigen, sondern auch aktivierend auf die Darmwand wirken sollen. Damit können auch gestörte Stuhlentleerungs-Muster geschult werden. Sinnvoll ist auch die Empfehlung, einen regelmäßigen Rhythmus des Toilettengangs (möglichst immer zur gleichen Tageszeit) anzustreben.
Zu den physiotherapeutischen Maßnahmen zählen Muskeltraining, Elektrostimulation und Biofeedback-Methoden. Insbesondere ein regelmäßiges Training des Beckenbodens verstärkt dessen Haltekraft und wirkt einer Erschlaffung der Schließmuskeln entgegen.
Zu den Arzneimitteln, die ärztlicherseits bei der Therapie der Stuhlinkontinenz eingesetzt werden, gehört Loperamid (drei- bis viermal 2 bis 4 mg/Tag). Ziel der Anwendung ist es, die Darmpassage zu verlangsamen, die Flüssigkeitsresorption zu erhöhen und den Stuhldrang zu verringern. Des Weiteren kann der antisekretorisch wirkende Enkephalinase-Hemmer Racecadotril angewendet werden. In klinischen Studien wird derzeit die Effektivität des 5-HT3-Antagonisten Alosetron zur Inkontinenzbehandlung untersucht. In einer klinischen Studie führte Amitriptylin nach vierwöchiger Behandlung zu einer signifikanten Verbesserung des Krankheits-Scores bei idiopathischer Stuhlinkontinenz.
Vergleich der Therapieoptionen
In einer aktuellen Übersichtsarbeit ging man der Frage nach, welche der klassischen und neueren Behandlungsverfahren bei der Stuhlinkontinenz am effektivsten sind. Dazu wurde in der Datenbank MEDLINE nach zwischen 1990 und 2013 erschienenen Artikeln gesucht, die die Ätiologie, Prävalenz, Diagnostik und Behandlung dieser Inkontinenzform zum Inhalt hatten. Darüber hinaus nutzten die Autoren weitere Quellen und bezogen auch unveröffentlichte Artikel ein.
Nach Auswertung der Ergebnisse zeigte sich, dass Lifestyle-Modifikationen und Antidiarrhoika bei weniger als 25% der Patienten sinnvoll waren. Biofeedback in Kombination mit Beckenbodentraining brachte bei ca. 75% der Patienten eine kurzzeitige Symptomlinderung. Die Elektrostimulation erwies sich in einer randomisierten klinischen Studie als nicht effektiv. Zur Effektivität der Gracilisplastik und künstlichen Schließmuskeln fehlen randomisierte Studien. In den zugänglichen Untersuchungen haben sich inkonsistente Ergebnisse und hohe Explantationsraten (Gegenteil von Implantation) gezeigt.
Eine Alternative für Patienten, bei denen konservative Optionen versagen, könnte die submuköse Injektion von stabilisierter Hyaluronsäure mit Dextranomer (NASHA Dx) sein. In einer randomisierten Studie zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Kontinenzraten sowie nur milde Nebenwirkungen.
Das Fazit der Autoren: Für die Behandlung der Stuhlinkontinenz sind konservative Maßnahmen und Biofeedback-Therapie mäßig effektiv. Versagen diese, können invasive Eingriffe wie die sacrale Nervenstimulation in Betracht gezogen werden, wenn auch randomisierte kontrollierte Studien dazu fehlen und mit Komplikationen gerechnet werden muss. Quellmittel-Injektionen in den Sphinkter können bei Versagen konservativer Optionen ebenfalls als Alternative in Betracht gezogen werden, bevor stärker invasive Optionen zum Einsatz kommen.
Wäscheschutz, Reinigung und Pflege
Bei mobilen Patienten mit Harninkontinenz bieten Vorlagen einen diskreten Schutz vor Feuchtigkeit und unangenehmen Gerüchen. Stuhlinkontinente Patienten können Anal-Tampons verwenden, die für bis zu zwölf Stunden Schutz bieten.
Bei Stuhlinkontinenz besteht ein hohes Risiko für perianale Hautschäden. Besonders hoch ist dies bei bettlägerigen und pflegebedürftigen Patienten. Die sorgfältige Hygiene und Pflege spielt daher eine wichtige Rolle und kann mit folgenden Maßnahmen gewährleistet werden:
- regelmäßiger Wäsche- und Vorlagenwechsel,
- Reinigung möglichst rasch nach dem Stuhlverlust, um die Mazeration der Haut zu vermeiden,
- für unterwegs oder zwischendurch: Pflegetücher (z.B. Seni Care® Pflegetücher),
- bei hartnäckigen Stuhlkrusten, die mit den üblichen Mitteln nicht entfernt werden können: Reinigungsschäume (z.B. Tena® Wash mousse Pflegeschaum, Menalind® professional Reinigungsschaum),
- spezielle Reinigung bei geschädigter oder infizierter Haut: nur klares Wasser oder antiseptische Reinigungsprodukte (z.B. Octenisan® zur antiseptischen Ganzkörperwaschung) und Einmalwaschlappen/-handschuhe verwenden; Haut vorsichtig trockentupfen,
- Barriere-Cremes oder -Salben mit Zusätzen von Silikonölen, Zinkoxid (z.B. Desoderm® Barriere Creme, Tena® Barrier Cream) schützen die Haut vor Ausscheidungen,
- wichtig: Pflege mit Wasser-in-Öl-Emulsionen und speziellen Pflegeölen (z.B. Senso San® Hautpflegeöl, Menalind®Öl-Hautschutzspray).
Quellen
Satish RSC: Current and emerging treatment options for fecal incontinence. J Clin Gastroenterol 2014;48:752-764
Graf W et al. Efficacy of dextranomer in sta bilised hyaluronic acid for treatment of faecal incontinence: a randomised, sham-controlled trial. Lancet 2011;377:997-1003
Probst M et al. Stuhlinkontinenz. Dtsch Aerztebl Int 2010;107:596-601, DOI: 10.3238/arztebl.2010.0596
Website der Deutschen Kontinenz Gesellschaft e. V., Frankfurt/Main: www.kontinenz-gesellschaft.de, letzter Abruf am 20. November 2014
Bruhn C. Mehr als Waschen. Spezielle Hautpflege bei Inkontinenz, DAZ 2013;26:44-46
Autorin
Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin. Sie schreibt seit 2001 regelmäßig Beiträge für die DAZ.
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