Leitbilddiskussion

„Näher ran an pharmazeutische Inhalte!“

Für den DPhG-Präsidenten bietet die jetzige Approbationsordnung alle Möglichkeiten

Die ABDA diskutiert ein neues Leitbild für den Apothekerberuf, die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft arbeitet an einem Konzept „Pharmazie 2020“. Beide Diskussionen suchen letztlich nach möglichen Veränderungen der apothekerlichen Ausbildung und der Fortentwicklung des Apothekerberufs. Wir sprachen hierüber mit dem Präsidenten der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG), dem pharmazeutischen Chemiker Professor Dr. Dieter Steinhilber. Die Fragen stellten Dr. Doris Uhl und Peter Ditzel.

DAZ: Herr Professor Steinhilber, was muss ein junger Pharmazeut Ihrer Meinung nach können, wenn er am Ende seiner universitären Ausbildung steht und später einmal in die Offizin will?

Prof. Dr. Dieter Steinhilber, Frankfurt, Präsident der DPhG, sieht in der Umsetzung des universitären Wissens in die Praxis das größte Defizit. Hier sind für ihn die Kammern gefragt.Foto: privat

Steinhilber: Ziel der universitären Ausbildung ist, die Grundlagen zu schaffen für die verschiedenen Tätigkeitsfelder in Offizin, Krankenhaus, Industrie oder Behörden. Der Wissenszuwachs in der Pharmazie ist sehr groß. Gerade im Arzneimittelsektor ist viel Bewegung drin. Daher muss die Ausbildung teilweise modernisiert werden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Agenda 2020 der DPhG entstanden, um eine Diskussionsplattform zu schaffen darüber, welche Ausbildungsinhalte zeitgemäß und welche nicht mehr relevant sind. Ein Beispiel: Die Polarografie ist heute verzichtbar, dagegen sollte ein Pharmaziestudierender beispielsweise über Gendiagnostik und stratifizierte Pharmakotherapie oder moderne analytische Verfahren Bescheid wissen. Wir müssen auch im Bereich der Klinischen Pharmazie die Grundlagen für ein Medikationsmanagement legen. Aber es gilt nach wie vor: Die Universität ist dafür zuständig, die Studierenden berufsfähig zu machen. Die Berufsfertigkeit ist danach zu erwerben, beispielsweise im praktischen Jahr.

DAZ: Wo sehen Sie derzeit die größten Lücken bei der universitären Ausbildung?

Steinhilber: Lücken sehe ich weniger, dafür aber Diskussionsbedarf und den vor allem im Fach Pharmazeutische Biologie. Hier läuft die Diskussion zwischen konventioneller pharmazeutischer Biologie und der Pharmakognosie auf der einen Seite und der Gentechnologie bzw. Biotechnologie auf der anderen Seite. Viele Arzneimittel werden heute schon mit diesen Verfahren hergestellt. Hier muss im Studium Platz für diese modernen Inhalte ebenso wie für Molekularbiologie und Gendiagnostik geschaffen werden.

DAZ: Zu den Grundlagen des Pharmaziestudiums: Sind sie noch zeitgemäß?

Steinhilber: Zum Grundlagenbereich habe ich die Vorstellung, dass er schon früher Inhalte vermitteln sollte, die einen pharmazeutischen Bezug haben. Beispiel: Wenn man sich mit Ionen beschäftigt, dann sollte man sich auch deren Toxizität und die pharmazeutische Wirkung ansehen. Dennoch meine ich – und das ist die Stärke unseres Studiums –, dass wir eine grundlagenorientierte naturwissenschaftliche Ausbildung haben und sie auch brauchen. Die Industrie beispielsweise schätzt an den Pharmazeuten, dass sie eine sehr gute analytische Ausbildung haben.


DAZ: Das mag so sein, aber wie viele Pharmazeuten gehen denn in die Industrie?

Steinhilber: Hier gibt es natürlich unterschiedliche Zahlen, aber ich habe den Eindruck, dass der Anteil derjenigen, die nicht in die Offizin gehen, deutlich zunimmt. Von unseren Auswahlgesprächen her wissen wir, Studienanfänger schätzen es durchaus, dass ihnen nach dem Studium sehr viele Berufsfelder offen stehen. Unsere Aufgabe ist es nicht, die theoretischen Grundlagen nur für die Offizinpharmazie zu vermitteln.

DAZ: Mal davon losgelöst, ist es nicht so, dass im Zusammenhang mit der Diskussion um ein neues Berufsbild des Apothekers der Wunsch nach einer stärkeren Patientenorientierung immer lauter wird?

Steinhilber: Nach der neuen Approbationsordnung ist die Klinische Pharmazie Teil der Ausbildung. In diesem Fach geht es u.a. darum, die Grundlagen zur Anwendung des Arzneimittels am Patienten zu vermitteln und die Arzneimitteltherapie zu optimieren. Eine Ausbildung in diesem Bereich ist also durchaus gewährleistet, auch wenn es noch nicht an allen Universitäten einen eigenen Lehrstuhl dafür gibt. Wenn eine Universität dafür einen eigenen Lehrstuhl einrichten wollte, was durchaus sinnvoll wäre, müssten die Länder die Gelder bereitstellen. Aber das ist, wie Sie wissen, nicht der Fall. Deshalb müssen wir andere Wege finden, die dafür erforderlichen finanziellen Mittel aufzutreiben.

DAZ: Sie sehen hier also durchaus noch Nachholbedarf? Und welche anderen Wege könnten Sie sich vorstellen?

Steinhilber: Ja, Nachholbedarf gibt es durchaus. Wenn bundesweit der Ruf nach mehr Klinischer Pharmazie laut wird, sind nach meiner Auffassung beispielsweise auch die Kammern oder Investoren gefragt, eine eigene Professur für Klinische Pharmazie oder eine Stiftungsprofessur zur Patientenversorgung zu finanzieren.

DAZ: Die Diskussion über ein neues Leitbild für den Offizinapotheker ist in vollem Gange. Das Medikationsmanagement durch den Apotheker soll verstärkt werden und damit die Patientenorientierung der Pharmazie. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg: näher ran an den Patienten?

Steinhilber: Ich würde es eher so formulieren: Näher ran an die pharmazeutischen Inhalte ist der richtige Weg. Den Begriff der Patientenorientierung finde ich hier nicht so angebracht. Denn jede Applikation eines Arzneimittels findet doch per se am Patienten statt. Wenn ich mit Arzneimitteln versorge, habe ich doch immer mit Patienten zu tun.

DAZ: Der Begriff ist wohl eher zur Abgrenzung gedacht: weg von der Fokussierung des Apothekers aufs Arzneimittel und seinen Wirkungsmechanismus und hin zur Wirkung des Arzneimittels beim Patienten.

Steinhilber: Mir kommt es da eher auf die Inhalte an. Wir müssen hin zu einer Optimierung der Arzneimitteltherapie gehen – ich denke, das ist letztlich damit gemeint. Dies hat meine volle Unterstützung. Wir müssen die universitären Inhalte so anlegen, dass wir dafür die optimale Ausbildung haben. Und das ist mit der jetzigen Approbationsordung uneingeschränkt möglich, da sie in ihren Vorgaben hinsichtlich der Lehrinhalte relativ flexibel ist – und diese Flexibilität muss eben genutzt werden. Meiner Ansicht nach ist die breite naturwissenschaftliche Ausbildung ein großes Plus, welches wir nicht aufs Spiel setzen dürfen.

DAZ: Die Ausbildungsinhalte sind das eine. Aber gibt es nicht auch in der praktischen Umsetzung einen Nachholbedarf?

Steinhilber: Hier liegt nach meiner Auffassung das größere Defizit: in der Umsetzung der gelernten Grundlagen in die Praxis. Hier sind die Kammern gefragt. Sie sind für den Dritten Ausbildungsabschnitt zuständig, in dem vermittelt werden soll: Wie setze ich meine Grundlagen des Studiums so ein, um sie an den Patienten zu bringen? Aber wie sieht das praktische Jahr aus! Der größte Teil dieser Zeit ist unstrukturiert und stark abhängig von der Ausbildungsapotheke. Hier wird noch viel Potenzial verschenkt. Wir haben mittlerweile zusammen mit der ABDA eine Arbeitsgruppe auf die Beine gestellt zur Strukturierung des Dritten Ausbildungsabschnitts. Die erste Sitzung dazu wird im März stattfinden.

Der weitere Aspekt betrifft die Kolleginnen und Kollegen, die ihr Studium bereits vor einiger Zeit absolviert haben und die neuen Inhalte nicht gelernt haben. Hier sind diejenigen gefragt, die in der Fort- und Weiterbildung tätig sind, um Apothekerinnen und Apotheker in der Praxis für diesen Bereich fit zu machen.

DAZ: Medikationsmanagement erfordert eine engere Zusammenarbeit mit dem Arzt. Sehen Sie eine Möglichkeit, bereits die Ausbildung von Medizinern und Pharmazeuten in bestimmten Teilbereichen enger zusammenzuführen? Eine Idealvorstellung wäre, dass z.B. in beiden Studienrichtungen bestimmte Grundvorlesungen gemeinsam angeboten werden.

Steinhilber: Prinzipiell wäre das von Vorteil. Aber die praktische Umsetzung ist schwierig. Es hängt oft von der lokalen Situation wie der Lage der Institute ab genauso wie von Personen oder von den Stundenplänen. Aber grundsätzlich besteht die Bereitschaft dazu.

DAZ: Schauen wir auf den Apotheker im Jahr 2020. Welchen Platz sollte er in der Gesellschaft einnehmen? Heute ist er doch mehr oder weniger der Logistiker. Wie sollte er Ihrer Meinung nach in Zukunft aufgestellt sein?

Steinhilber: Ganz klar, wir müssen unser Fachwissen in Zukunft viel stärker ins Medikationsmanagement einbringen. Es sind die Apotheker, die sich im Arzneimittelbereich auskennen, die abschätzen können, ob ein bestimmtes Medikament für einen Patienten das Richtige ist. Außerdem, eine große Chance für den Apotheker sehe ich in der personalisierten Arzneimitteltherapie – das ist nach meiner Auffassung noch nicht richtig erkannt. Die Apotheker könnten sich hier ein wichtiges Standbein erarbeiten. Und es wäre ein Weg hin zu einer bezahlten Beratungs- und Dienstleistung.

DAZ: Konkret zum DPhG-Konzept „Pharmazie 2020“, in dem Sie eine Aktualisierung der Lehrinhalte erarbeiten und eine bessere Strukturierung und Qualitätssicherung des 3. Ausbildungsabschnitts fordern: Wann wird das Konzept stehen?

Steinhilber: Ich gehe davon aus, dass dies in diesem Jahr der Fall sein wird. Es ist durchaus vorstellbar, dass der eine oder andere Gedanke aus der Leitbilddebatte mit einfließt. Ich bin da optimistisch, die Zukunft der Pharmazie sehe ich auf alle Fälle positiv.

DAZ: Herr Professor Steinhilber, vielen Dank für das Gespräch. 

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