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Hilfsorganisation
Apothekerin – grenzenlos
Warum Apothekerin Christl Trischler bei „Apotheker ohne Grenzen“ mitmacht
Was ihre Kolleginnen und Kollegen auf die Beine stellten, die sich bei „Apotheker ohne Grenzen“ einbrachten, imponierte ihr. Eher zufällig hatte Apothekerin Trischler gegen Ende ihrer aktiven Zeit in der Apotheke von dieser Hilfsorganisation erfahren und war sofort eingetreten. Im Oktober 2005 hatte die in München gebürtige Apothekerin, die jetzt in Erzhausen, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Darmstadt, wohnt, ihren letzten Arbeitstag in der Apotheke – vor der Rente. Doch da erreichte sie der Anruf eines Mitarbeiters von „Apotheker ohne Grenzen“: Ob sie denn Zeit hätte für einen Einsatz im Katastrophengebiet von Pakistan, wo sich zwei Wochen zuvor ein schweres Erdbeben ereignet hatte.
Der erste Einsatz
„Am Mittwoch hat mich der Mitarbeiter angerufen, am Samstag war ich in Islamabad“, erinnert sich die Apothekerin. Zum Glück hatte sie aufgrund früherer Reisen die erforderlichen Impfungen. Und sie wusste, was von ihr als Apothekerin in Katastrophengebieten verlangt würde, da sie zuvor bereits mehrere Kurse absolviert hatte. Dennoch: „Es war eine absolut neue Erfahrung für mich“, berichtet Frau Trischler, „die Erde bebte noch, ich war mitten im Katastrophengebiet. Ich arbeitete in einer kleinen Ambulanz, einem alten, mit Tüchern abgeteilten Schulraum. Zwei zusammengeschobene Tische waren der OP-Tisch. Ein anderer Tisch war das Lager für unsere Medikamente. Ich wurde konfrontiert mit Operationen, Amputationen, Verbandwechsel – alles unter primitivsten Verhältnissen. In diesem Raum arbeiteten zwei Ärzte, zwei Krankenschwestern und ich als Apothekerin mit einem Helfer an der Seite. Zur Verständigung hatte ich einen Dolmetscher zur Verfügung.“
Was die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln erschwerte, waren die Religion und die Gläubigkeit der Patienten. Viele der Patienten, die aus einfachsten Verhältnissen stammten und streng gläubig waren, hielten sich genau an die Vorschriften des Ramadan, der zu dieser Zeit begangen wurde. Die Menschen glaubten, das Erdbeben sei eine Strafe Gottes gewesen. Trotz ihres schlechten körperlichen Zustands nahmen sie tagsüber keine Nahrung, kein Wasser und auch keine Arzneimittel zu sich, erinnert sich Frau Trischler.
Diese Erlebnisse bei ihrem ersten Einsatz in Pakistan waren für die Apothekerin so nachhaltig, dass sie beschloss, sich weiter bei der Hilfsorganisation zu engagieren. Wieder zurück in Deutschland absolvierte sie weitere Spezialkurse, die vor allem das System der humanitären Hilfe vermitteln: „Man kann nicht einfach in ein Krisengebiet fahren und sagen: hier bin ich und ich helfe. Man muss wissen, wie das System funktioniert.“
Schulungen und Improvisationstalent
„Für die Arbeit vor Ort ist es für uns Pharmazeuten wichtig, dass wir mit einer Liste von essenziellen Arzneimitteln arbeiten, die von der WHO festgelegt wurde. Für Notfälle hat die WHO gemeinsam mit erfahrenen Hilfsorganisatoren das Interagency Emergency Health Kit (IEHK) entwickelt, das eine standardisierte Zusammenstellung der allerwichtigsten Arzneimittel, Operations- und Verbandmaterialien sowie weiteres Zubehör enthält. Wenn man als Apothekerin oder Apotheker in Katastrophengebieten arbeitet, muss man wissen, was genau dieses Kit beinhaltet, womit man arbeiten kann. Aber auch, wie man diese Medikamente verabreicht und welche Einnahmehinweise man abgibt.“ Da ist auch Improvisationstalent gefragt. Allein schon die Einnahmevorschrift „3 × tgl. einen Teelöffel voll nehmen“ bereitet Probleme – „diese Menschen in den ärmeren Regionen haben keine Teelöffel“.
Besonders grausam ist es, wenn man in Erdbebengebiete kommt, weiß die Apothekerin zu berichten. Viele Helfer haben Probleme, mit diesen Erlebnissen und Erfahrungen fertig zu werden. Daher werden nach dem Einsatz in vielen Fällen Gesprächskreise angeboten, ein „Debriefing“, um das Erlebte mit anderen zu besprechen, zu verarbeiten. „Es ist schon schwer, mit dem Elend umzugehen“, so Trischler, „man muss in gewisser Weise auch cool bleiben können.“ Es gebe immer wieder Menschen, die sehr gerne helfen wollten. „Wenn aber diese Menschen dann nicht mehr helfen können, weil die Verletzungen der Opfer zu stark sind oder die Kräfte und Kapazitäten nicht ausreichen, fallen diese Helfer in eine regelrechte Depression.“
„Apotheker ohne Grenzen“ bietet für alle angehenden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer seit 2012 Schulungen und Einführungskurse an. An zwei verlängerten Wochenenden werden die Hilfswilligen darauf vorbereitet, wie das System der humanitären Hilfe funktioniert und was im Falle eines Einsatzes auf sie zukommen kann z.B. Kenntnisse über Tropenkrankheiten, Eigenschutz, Sicherheit, Politik, Verhalten in den jeweiligen Ländern und Umgang mit den anderen Kulturen. Frau Trischler machte es deutlich: Die Kurse finden nicht in der kuscheligen Atmosphäre eines Hotels statt, sondern auf einem Zeltplatz, mit einfachem Essen, unter kargen Bedingungen – „da kann es schon mal etwas kühler sein“, –, um auch so darauf vorzubereiten, dass man es nicht mit Urlaubseinsätzen zu tun hat. Da zeigen sich auch gruppendynamische Prozesse, z.B. wer Führungsqualitäten hat und wie die Teamfähigkeit ist.
Keine Arzneimittelspenden, bitte!
Das größte Problem ist es allerdings nicht, genügend Freiwillige zu finden, die sich bei AoG oder anderen Hilfsorganisationen engagieren wollen, Das Hauptproblem sind die fehlenden Spendengelder. „Wir könnten viel mehr machen, wenn wir mehr Geld zur Verfügung hätten.“ Der Appell der Apothekerin: „Bitte keine Arzneimittelspenden aus Apotheken oder gar von privat! Bitte nicht.“ Arzneimittel aller Art zu spenden, sei nicht zielführend. Hilfsorganisationen arbeiten mit den bereits oben erwähnten Interagency Emergency Health-Kits der WHO. Ein Kit ist für die Versorgung von 10.000 Menschen für einen Zeitraum von drei Monaten ausgelegt. Sollte ein Arzneimittel, das dringend benötigt wird, nicht enthalten sein, wird es vor Ort zugekauft.
Hygienische Bedingungen oft katastrophal
Mehrere Einsätze hat die Apothekerin schon hinter sich. Sie war zweimal in Pakistan nach einem Erdbeben und einer Überschwemmung, in Bangladesch nach dem Zyklon, der weite Teile verwüstete, und in Kenia. Außerdem ist sie engagiert bei einem Langzeitprojekt in Nepal.
Und wo ist sie bei den Einsätzen untergebracht? „Das ist vollkommen unterschiedlich“, so die Apothekerin. Bei ihrem ersten Einsatz in Pakistan waren die Helfer beispielsweise in einer leergeräumten Mädchenschule einquartiert. „Geschlafen haben wir auf einfachsten Bettgestellen, die wir in den Innenhof der Schule stellten, da die Erde noch nachbebte.“ Oder man wohnt in kleinen Hotels und Herbergen, in denen normalerweise die Einheimischen übernachten, wenn sie reisen. Man schläft auch schon mal auf dem Dachboden eines Bauernhauses, wie es z.B. in Nepal der Fall war. Die hygienischen Bedingungen sind zum Teil katastrophal. Spülklosetts gibt es nicht. Die Grube mit ein paar Brettern drüber ist dort üblich.
Hilfe für syrische Flüchtlinge
Im türkischen Grenzort Reyhanlı unmittelbar an der syrischen Grenze, keine 100 km westlich von Aleppo entfernt, baute der Arzt Dr. Najjar eine private Poliklinik auf. Er praktizierte viele Jahre in Deutschland und spricht daher exzellent deutsch. Er versucht, seinen syrischen Landsleuten zu helfen. Er stellte u.a. einen Kinderarzt, einen Internisten, eine Gynäkologin, einen Zahnarzt ein, dazu Pfleger und Übersetzer. Die Poliklinik kümmert sich um syrische Flüchtlinge, die in der Türkei gestrandet sind, die nicht genügend Geld haben, um sich in großen Städten wie Ankara oder Istanbul niederzulassen. „Apotheker ohne Grenzen“ entsandte Christl Trischler bereits im November und Dezember 2012 in die Poliklinik von Reyhanlı, um die Ärzte und Apotheker zu unterstützen, zum Beispiel bei der Beschaffung und Verwaltung von Arzneimitteln. AoG half mit, in dieser Poliklinik eine kleine Apotheke einzurichten. „Anfangs war der Raum voll mit gespendeten Arzneimitteln, da fanden sich auch Arzneimittel wie Aktivanad-Saft mit Alkohol darunter“, weiß die Apothekerin zu berichten, „Präparate, die diese Menschen in ihrer Notsituation sicher nicht benötigen. Außerdem dürfen sie keinen Alkohol trinken.“ So musste der syrische Apotheker zunächst das Lager entrümpeln. „Da war unendlich viel Unsinn dabei.“ Mittlerweile kristallisiert sich ein brauchbares Lager heraus. Trischler: „Und die Ärzte, die in Syrien im Griff der Pharmaindustrie waren, mussten lernen, dass es auch Generika gibt und dass man diese gerade in den Notsituationen verordnen kann. Das war ein Kampf, bis man dies den Ärzten vermitteln konnte, zumal die Ärzte einen hohen Status genießen und Apotheker dort nicht wagen, von der Verordnung abzuweichen, um aut idem zu geben. Dies hat sich zum Glück geändert. Und so nach und nach gewinnt der Apotheker mehr Ansehen bei den ärztlichen Kollegen.“
Apothekerin Trischler war 2013 ein weiteres Mal in der Apotheke von Reyhanlı, um das Lagermanagement und die Dokumentation zu verbessern. Trischler: „Wir konnten in diesem Gebiet mit AoG zur Verbesserung der Arzneiversorgung beitragen. Leider bekommt man für Syrien nur wenige Spenden – obwohl man bereits mit relativ wenig Geld viel erreichen kann.“
Spendenkonto
Wer die Hilfsorganisation „Apotheker ohne Grenzen“ unterstützen möchte, hier das Spendenkonto:
Deutsche Apotheker- und Ärztebank
IBAN DE88 3006 0601 0005 0775 91
BIC DAAEDEDD
Wenn man mitmachen möchte …
Wann sie ein weiteres Mal in die Poliklinik fährt, weiß sie nicht. „Auf jeden Fall werde ich die Klinik wieder besuchen“, erklärt die engagierte Apothekerin. Bei allen anderen kommenden Notfalleinsätzen sollten erst mal die Jüngeren ran. Sie sieht ihre Rolle bei „Apotheker ohne Grenzen“ in Zukunft eher in der Wissensvermittlung für den Nachwuchs.
Man muss wissen: Es ist körperlich anstrengend, man braucht eine gute physische und psychische Verfassung. Man muss bereit sein, Abstriche in den hygienischen Verhältnissen hinzunehmen, und auch beim Essen ist es notwendig, sich den Gepflogenheiten des Landes anzupassen.
Apothekerin Trischler: „Wer mitmachen will und auch vor Einsätzen nicht zurückscheut, sollte eine stabile Gesundheit mitbringen, die notwendigen Impfungen, die Bereitschaft, sich auf einfachste Lebensverhältnisse, andere Menschen, andere Mentalitäten und Kulturen einzustellen. Sprachkenntnisse, vor allem englisch, französisch oder spanisch sind von Vorteil, helfen aber auch nicht immer weiter. Meist müssen wir Dolmetscher, die die lokalen Dialekte sprechen, hinzuziehen.“
Und sie fügt hinzu: „Die Begeisterung, hier helfen zu wollen, ist sehr groß. Wir haben jedes Jahr 30 bis 40 Personen, die bei unseren Kursen mitmachen und bereit sind, bei einem Einsatz zu helfen. Die ehrenamtliche Mithilfe dieser Kolleginnen und Kollegen ist notwendig und extrem wichtig. Ohne diese engagierte Unterstützung könnten wir nicht arbeiten. Gleichzeitig sind wir aber auch auf Geldspenden angewiesen um den Menschen in Notlagen helfen zu können und möglichst viele Bedürftige zu erreichen. Wir sind für jede Unterstützung dankbar.“
Autor
Peter Ditzel ist Herausgeber der DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung
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