Thema Typ-1-Diabetes

Viel Technik in der Pipeline

Neuerungen bei Diabetes mellitus Typ 1

Von Verena Stahl | Es ist weniger die Entwicklung „konventioneller“ Medikamente, die einen in der Diabetes-Typ-1-Forschung aufhorchen lässt, sondern neue Technologien, alternative Applikationswege und Angriffspunkte im Immunsystem, die zurzeit in der Diskussion sind. Innovationen sind bitter nötig, denn trotz der vielen Fortschritte in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 1 erreichen viele Patienten keine optimale Einstellung des Blutglucosestoffwechsels. Die suboptimale Behandlung der Erkrankung zeigt sich unmittelbar in Hypoglykämien und langfristig in den bekannten diabetischen Folgeschäden.

Um die Stoffwechselkrankheit besser steuern zu können, muss es gelingen, die physiologischen Prozesse möglichst gut zu imitieren. Dies kann nicht über häufigere Blutzuckermessungen durch den Patienten und noch intensivere Therapieregime erfolgen, sondern muss durch Nutzung neuer Technologien und Automatisierung optimiert und zugleich vereinfacht werden. Viele Forschungsvorhaben beschäftigen sich zudem damit, die Ursachen für die Zerstörung der Insulin-produzierenden Zellen zu ergründen, um dadurch Angriffspunkte für eine Teilremission oder gar Heilung der schwerwiegenden Erkrankung zu finden.

Zerstörung aufhalten

Seit einigen Jahren wird daran geforscht, inwiefern die Zerstörung der Insulin-produzierenden Betazellen des Typ-1-Diabetikers infolge einer Immunreaktion verhindert oder aufgehalten werden kann. Hierzu muss möglichst im Frühstadium des Typ-1-Diabetes, wenn also die Zerstörung noch nicht weit fortgeschritten ist, angesetzt werden, um die verbleibende Insulinsekretionsleistung zu erhalten. Es ist jedoch schwierig, diesen Zeitpunkt zu treffen, da die Zerstörung der Betazellen symptomlos und vor dem Auftreten der ersten klinischen Krankheitszeichen vonstatten geht. Derzeit werden drei Ansatzpunkte diskutiert:

  • Wirkstoffe, die die Entzündungsreaktionen des Pankreas stoppen sollen (antientzündlicher Ansatz), da die Betazellzerstörung unter anderem aus entzündlichen Prozessen resultiert und pro-inflammatorische Zytokine wie TNF-α oder IL-1 zytotoxisch für Betazellen sind.

  • Der Einsatz von Wirkstoffen, welche die zerstörerischen Immunzellen angreifen (Immunzell-gerichteter Ansatz), da beispielsweise CD3-exprimierende T-Zellen und CD20-exprimierende B-Zellen eine Rolle in der Betazellzerstörung spielen. Erprobt wird und wurde der Einsatz von anti-CD3-Antikörpern und anti-CD20-Antikörpern.

  • Antigen-spezifische Immunmodulation (Impfung, antigenspezifischer Ansatz), mit dem Ziel, die Immuntoleranz gegenüber körpereigenen Antigenen wiederherzustellen, da eine Inselautoimmunität an der Zerstörung der Betazellen beteiligt ist.

Entwicklung gestoppt

Hoffnungsvollster Kandidat in der Impfstoffentwicklung gegen Diabetes mellitus Typ 1 war bis Anfang September das Peptid DiaPep277®. Das 24-Aminosäuren-große Peptid entstammt der Sequenz des humanen Hitzeschockproteins HSP-60, welches bei Typ-1-Diabetikern an der Immunreaktion gegen die insulinproduzierenden Betazellen beteiligt ist. Durch Immunisierung mit DiaPep277® gelang es in klinischen Studien der Phase III, die Zerstörung derart aufzuhalten, dass zwar nicht von einer Heilung, aber von einer Teilremission gesprochen werden konnte. Mit dem Impfstoff behandelte Studienteilnehmer konnten die körpereigene Insulinproduktion über zwei Jahre besser aufrechterhalten als unter Placebo, benötigten weniger Insulin, zeigten seltener Hypoglykämien und konnten öfter HbA1c-Werte von 7% und weniger erzielen. Die Nebenwirkungen bewegten sich auf Placeboniveau. Es hätte alles so schön sein können, wenn nicht bei der Übernahme der Herstellerfirma Ungereimtheiten bezüglich der Auswertung von Studiendaten ans Tageslicht gekommen wären. Der Käufer zog die Reißleine und stoppte das Entwicklungsprogramm von DiaPep277®. An dem Impfstoffprinzip wird jedoch weiter festgehalten und die Hoffnung, Diabetes mellitus Typ 1 auf diesem Wege kurativ zu behandeln, bleibt bestehen. Weitere Impfstoffe befinden sich derzeit in der Entwicklung.

Inhalationstherapie

Der Pharmakonzern Sanofi plant für das Jahr 2015 die Einführung eines neuen inhalierbaren Insulins unter dem Namen Afrezza®, ursprünglich entwickelt und zur Zulassung gebracht von der kalifornischen Firma MannKind. Das französische Unternehmen möchte nach eigenen Angaben Patienten ermöglichen, auf das Spritzen von Insulin durch die inhalative Insulingabe zu verzichten. Das Prinzip ist nicht neu: Pfizer startete 2006 mit Exubera® erstmalig den Versuch einer pulmonalen Insulinapplikation. Der kommerzielle Erfolg blieb damals aufgrund mangelnder Akzeptanz bei Ärzten und Patienten aus, zudem wurde über ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko berichtet, so dass das Präparat nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen wurde. Im Juni dieses Jahres erfolgte nun die Zulassung von Afrezza® bei der FDA [1], allerdings erst im dritten Anlauf. Das Inhalationsgerät ist relativ klein und ähnelt einer Schiedsrichterpfeife. Das Präparat ist als kurzwirksames Insulin für Typ-1- und -2-Diabetiker zum Einsatz zu den Mahlzeiten indiziert. Typ-1-Diabetiker müssen dann jedoch weiterhin ein langwirksames Basalinsulin über den herkömmlichen Applikationsweg spritzen und könnten nur auf die prandiale Spritzengabe verzichten. Da Sicherheitsbedenken bestehen, fordert die FDA für die Post-Marketing-Phase eine Langzeituntersuchung bezüglich der Lungenfunktion und eine Studie, die das Lungenkrebspotenzial und die kardiovaskuläre Sicherheit unter die Lupe nimmt.

Kein Blutzuckermessgerät mehr?

Es ist aber meist nicht der Vorgang des Spritzens als solcher, der insulinpflichtigen Diabetikern Probleme bereitet. Vielmehr wird der für die Blutzuckermessung erforderliche Stich in die Fingerkuppe als sehr unangenehm empfunden, meist unangenehmer als die Insulingabe selbst. Nicht selten wird die Blutzuckermessung aus diesem Grund gescheut und vernachlässigt, zulasten der Therapieführung. Die mehrmals täglich durchzuführende, störende Prozedur kann durch den Einsatz von Sensoren zum kontinuierlichen Glucosemonitoring (CGM, continuous glucose monitoring) abgelöst werden. Bereits jetzt sind Geräte auf dem Markt, die aber keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen sind [2]. Noch verstehen sich die Systeme als Ergänzung zur üblichen Messmethode und alle zwölf Stunden sind Kalibrierungsmessungen erforderlich, da der Sensor die Glucosekonzentration im Gewebe und nicht im Blut misst. Einmal auf dem Bauch appliziert, kann der Sensor mehrere Tage getragen werden, bevor er vom geschulten Anwender selbstständig gewechselt werden kann. Die Anzeige des Gewebeglucosewertes erfolgt auf einem separaten Monitor (z.B. für Patienten ohne Insulinpumpe) oder auf dem Display der Insulinpumpe. Eine Weiterentwicklung wird derzeit erprobt, dann befindet sich der Sensor zur Glucosemessung nicht in einem separaten Gerät, sondern im Katheter der Insulinpumpe selbst [3]. Man geht davon aus, dass die CGM-Technologie die Diabetestherapie optimieren wird, da praktisch jederzeit ein aktueller Gewebeglucosewert abgelesen werden kann und zum Beispiel Warnsignale rechtzeitig über das Unter- beziehungsweise Überschreiten von kritischen Grenzwerten informieren. Dies kann von großem Vorteil sein, da die vom Patienten gewählten Messzeitpunkte nur Momentaufnahmen sind und nicht alle Schwankungen im Blutzuckerprofil aufdecken (besonders nachts), weshalb hypo- und hyperglykämische Situationen teilweise unentdeckt bleiben (siehe Abbildung 1).Die Verfügbarkeit von Systemen zum kontinuierlichen Glucosemonitoring ist Voraussetzung für eine noch ausgefeiltere Technologie: die automatische, intelligente Steuerung einer Insulinpumpe unter Nutzung der kontinuierlich bereitgestellten Information über den Glucosewert.


Abb. 1:Profil eines kontinuierlichen Glucosemonitorings (CGM) mit Darstellung von Stoffwechselentgleisungen, die unter Umständen durch die vom Patienten gewählten Zeitpunkte zur Blutzuckermessung nicht detektiert werden. Quelle [2]: Medtronic.

Intelligente Insulinpumpen

Schon lange stellen Insulinpumpen für Diabetiker ein komfortables Instrument für die Verabreichung von Insulin dar und sind zur Routinetherapie für viele Betroffene geworden. Dass Insulinpumpen die Diabetestherapie in wenigen Jahren noch einmal revolutionieren können, ist dank intelligenter Mess- und Steuerungstechniken in greifbarer Nähe [4]. Bisherige Insulinpumpen verfügen über individuell programmierbare Basalratenprofile mit automatischer Insulinabgabe in kurzen Abständen und geben auf Knopfdruck schnellwirksames Insulin über einen Katheter in das Unterhautfettgewebe. Diese Vorgänge finden jedoch abgekoppelt vom aktuellen Blutzuckerwert des Patienten statt. Es liegt ausschließlich in den Händen des Patienten, mit Blutzuckermessungen und anschließenden Bolusgaben oder Reduktionen der Basalrate auf Abweichungen, z.B. durch Mahlzeiten oder sportliche Aktivität, zu reagieren. Eine Automatisierung dieses Prozesses, also eine der Bauchspeicheldrüsenfunktion nachempfundene Steuerung der Insulinfreigabe und anderer Hormone in Abhängigkeit vom Glucosespiegel wird in wenigen Jahren mit Systemen, die als „closed-loop-System“ (geschlossener Regelkreis) oder „künstliche Bauchspeicheldrüse“ bezeichnet werden, möglich sein. Hierdurch wird eine bessere Stoffwechselkontrolle als mit konventionellen Insulinpumpen erreicht werden. Hinter den closed-loop-Systemen steckt viel Technik und hoch entwickelte, komplexe Algorithmen, die aus den kontinuierlich gemessenen Glucosewerten Rückschlüsse über die Vorgänge im Körper ziehen und dementsprechend die Hormonsteuerung vornehmen.

Sechs Entwicklungsstufen

Die amerikanische Organisation JDRF (Juvenile Diabetes Research Foundation) unterscheidet sechs verschiedene Entwicklungsstufen auf dem Weg zum optimalen closed-loop-System [5]. Ein Stufe-1-System wurde im letzten Jahr von der FDA zugelassen. Es handelt sich um eine sensorunterstützte Pumpentherapie (SuP), bei der ein CGM-Sensor kontinuierlich den aktuellen Glucosewert misst. Zur Vermeidung von Hypoglykämien wird bei Unterschreitung eines definierten Glucosewertes die Insulinzufuhr über die Pumpe gestoppt, wenn der Patient nicht auf entsprechende Warnsignale reagiert hat [2, 5]. Ein System der Stufe 2 („predictive low glucose suspend system“) würde nicht erst bei Unterschreitung eines kritischen Grenzwertes reagieren, sondern könnte die Insulinzufuhr bereits drosseln beziehungsweise einstellen, wenn eine Annäherung eines unteren Schwellenwertes prognostiziert werden würde. Die Zulassung eines solchen Systems wird von der Firma Medtronic in Europa angepeilt. Die möglichen Erfolge sind vielversprechend: In einer aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass nächtliche Hypoglykämien, die über zwei Stunden andauern, durch den Einsatz von Systemen der Stufe 2 um 74% reduziert werden konnten [6]. Ein Gerät der Stufe 3 wäre derart erweitert, dass auch zu hohe Blutglucosewerte verhindert werden könnten und wird als „hypoglycemia/hyperglycemia minimizer“ bezeichnet. Bis zu dieser Entwicklungsstufe müssten die Basalraten und Bolusgaben nach wie vor durch den Patienten gesteuert werden. Die vierte Entwicklungsstufe sorgt nicht nur dafür, dass untere und obere Grenzwerte eingehalten werden können, sondern auch, dass ein konkreter Blutglucosewert anvisiert werden kann anstatt eines Bereiches, jedoch wären Bolusgaben zu den Mahlzeiten weiterhin erforderlich. Im fünften Entwicklungsschritt wären die Geräte zudem in der Lage, die manuelle Steuerung der Insulingabe vor den Mahlzeiten zu eliminieren. Für diese Entwicklungsstufe werden allerdings hohe Voraussetzungen an die Sensortechnologie und die im Hintergrund befindlichen Algorithmen gestellt. Ein am höchsten entwickeltes Gerät der Stufe 6 könnte weitere Hormongaben steuern und würde dadurch der natürlichen Pankreasfunktion am nächsten kommen („Fully automated multi-hormone closed-loop“). So könnte beispielsweise automatisch das Hormon Glucagon als Gegenspieler von Insulin eingesetzt werden, um zu niedrigen Blutglucosewerten entgegenzuwirken. Hierdurch würde eine Kohlenhydratzufuhr in Form von Essen oder Trinken durch den Patienten als Reaktion auf zu niedrige Blutzuckerwerte entfallen.

Nicht ohne Risiken

Risiken einer Insulinpumpe vom Typ künstliche Bauchspeicheldrüse liegen auf der Hand: Sollte es zu Fehlern in der Mess- oder Steuerungseinheit kommen, können die Auswirkungen fatal sein, besonders da es sich bei Insulin um einen hochpotenten Wirkstoff handelt. Zudem kann patientenseitig die Angst vor technischen Systemen oder mangelndes Vertrauen in Technik hinderlich für die Akzeptanz sein. Nur bei zuverlässig und sicher funktionierenden Systemen werden Patienten bereit sein, die Steuerung ihrer Insulinpumpe aus der Hand zu geben. Erste vielversprechende Resultate lassen jedoch hoffen, dass closed-loop-Systeme die Insulintherapie revolutionieren werden. 

Literatur

[1] FDA News Release. FDA approves Afrezza to treat diabetes. www.fda.gov/newsevents/newsroom/pressannouncements/ucm403122.htm (letzter Zugriff am 23.09.2014)

[2] Medtronic GmbH. Kontinuierliches Glucosemonitoring. www.medtronic-diabetes.de/produktinformation/index/cgm.html (letzter Zugriff am 23.09.2014)

[3] Nacht, B. et al. Integrated catheter system for continuous glucose measurement and simultaneous insulin infusion. Biosens Bioelectron. Published online before print 15. August 2014;64C:102-110. doi: 10.1016/j.bios.2014.08.012

[4] Hampton, T. Fully Automated Artificial Pancreas Finally Within Reach. JAMA 2014;311(22):2260-61

[5] Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF). Artificial Pancreas Project Plan. http://jdrf.org/research/treat/artificial-pancreas-project/ (letzter Zugriff am 23.09.2014)

[6] Maahs, D.M. et al. A Randomized Trial of a Home System to Reduce Nocturnal Hypoglycemia in Type 1 Diabetes. Diabetes Care. Published online before print 07. Mai 2014; doi: 10.2337/dc13-2159

 

Autorin

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

Medizinische Redaktion, RpDoc Solutions GmbH, Heinrich-Barth-Straße 1–1 a, 66115 Saarbrücken

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