Praxis

Pilze sicher genießen

Die gefährlichsten Arten erkennen und das Risiko einer Pilzvergiftung reduzieren

Von Ulrike Lindequist | „Nahrung von vier Beinen ist nicht so gut wie die von zwei Beinen, Nahrung von zwei Beinen ist nicht so gut wie die von einem Bein“ (frei übersetzt nach einem Statement von Prof. Li, einem international anerkannten Pilzexperten. Damit wird kurz und prägnant der ernährungsphysiologische Wert von Speisepilzen (mit einem Bein = Stiel), der höher ist als der von Geflügel (zwei Beine) und erst recht als der von Schweinen (vier Beine) beschrieben. Diese Tatsache gemeinsam mit den angenehmen Geschmackseigenschaften vieler Pilze, dem Erholungswert eines Waldspaziergangs und der Freude am Entdecken veranlasst jeden Herbst viele Leute, auf Pilzsuche zu gehen. Doch viele Pilzarten sind nicht genießbar, einige wirklich giftig.

Voraussetzung für eine bekömmliche Mahlzeit ist die Beschränkung auf das Sammeln (nicht nur einmal) essbarer Pilze, die noch dazu in einem frischen Zustand sein müssen. Trotz dieser Selbstverständlichkeit gibt es in jedem Jahr erneut Fälle von akzidentellen Pilzvergiftungen, die auf Verwechslung von essbaren Pilzen mit ähnlich aussehenden giftigen Pilzen zurückzuführen sind. Die im September dieses Jahres in der Tagespresse zu lesenden Berichte über einen dramatischen Anstieg von Pilzvergiftungen dürften trotzdem übertrieben sein. Selbstverständlich geht mit reichlichem Pilzwachstum, wie es in den letzten Wochen in einigen Regionen Deutschlands, z.B. Bayern und Baden-Württemberg, zu verzeichnen war, ein erhöhtes Risiko für Vergiftungen einher. In Mecklenburg-Vorpommern, wo das Pilzwachstum in diesem Jahr noch zu wünschen übrig lässt, wurden dagegen bis jetzt keine Vergiftungen offiziell gemeldet.

Der Grüne Knollenblätterpilz, Amanita phalloides, ist noch immer Ursache für tödlich verlaufende Verwechslungen. Fotos: Teuscher E, Lindequist U. Biogene Gifte. Wissenschaftliche Verlagsgeselleschaft Stuttgart, 3. Auflage 2010.

Immer wieder gefährlich: der Grüne Knollenblätterpilz

Am gefährlichsten und potenziell tödlich sind Verwechslungen mit Amanitin-haltigen Pilzen, insbesondere dem Grünen Knollenblätterpilz, Amanita phalloides. Amanitine sind bizyklische Octapeptide, die die RNS-Polymerase II und somit die Proteinbiosynthese hemmen. Sie sind in erster Linie starke Lebergifte. Die Latenzzeit bis zum Auftreten der ersten gastrointestinalen Symptome beträgt zwischen vier bis 24 Stunden. Nach einer vorübergehenden scheinbaren Besserung folgt die Phase mit den typischen Symptomen einer starken Leberschädigung wie Ikterus, Gerinnungsstörungen und im schlimmsten Fall Coma hepaticum. Die Knollenblätterpilze können z.B. mit Champignons verwechselt werden. Leicht erkennbare Unterscheidungsmerkmale sind die nur bei den Knollenblätterpilzen vorhandene Knolle und die weiße Lamellenfarbe dieser Pilze. Bei den Champignons nehmen die Lamellen mit zunehmendem Alter eine dunkle Färbung an. Die Hutfarbe ist kein Unterscheidungsmerkmal! Sie kann auch bei den Grünen Knollenblätterpilzen weiß sein. Ein anderer Amanitin-haltiger Pilz ist der Gifthäubling, Galerina marginata. Hier besteht Verwechslungsgefahr mit dem Stockschwämmchen, Kuehneromyces mutabilis (syn. Pholiota mutabilis). Die Arten können zusammen am selben Standort vorkommen. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal sind die beim Gifthäubling fehlenden, beim Stockschwämmchen vorhandenen Schüppchen am Hutrand, Stiel und der Hutunterseite. Mitte November 2013 kam es in Mecklenburg-Vorpommern zudem zu einer glücklicherweise glimpflich ausgehenden Verwechslung mit dem Samtfußrübling, Flammulina velutipes, der vorwiegend in der kalten Jahreszeit erscheint.

Der Giftchampignon, Agaricus xanthodermus, ist ein giftiger Vertreter der Champignons.

Innerhalb der Champignons gibt es ebenfalls einen giftigen Vertreter, Agaricus xanthodermus, den Giftchampignon oder Karbol-Egerling. Die in ihm enthaltenen Hydrazinderivate sind zwar nicht tödlich giftig, führen aber zu unangenehmen gastrointestinalen Symptomen. Die auch in Gärten und Parkanlagen sehr häufig vorkommenden Pilze sind leicht erkennbar durch die gelbe Färbung, die sich aufgrund von Umwandlungen der Inhaltsstoffe an der Schnitt- oder Bruchstelle entwickelt und durch den typischen Geruch nach Karbol.

Die europäischen Risspilze gelten alle als giftig oder giftverdächtig. Viele Vergiftungen gehen auf das Konto des Ziegelroten Risspilzes, Inocybe patoullardii.
Auch in der sehr artenreichen Gattung der Trichterlinge (Clitocybe spec.) finden sich Vertreter, die zu Übelkeit, Bauchkrämpfen, Erbrechen und Speichelfluss führen. Für die Giftigkeit beider Gattungen ist Muscarin verantwortlich.

Viele Arten von Risspilzen, Inocybe, und Trichterlingen, Clitocybe, sind aufgrund ihres Gehalts an Muscarin giftig. Sie verursachen die typischen cholinergen Symptome wie Schweißausbruch, Speichel- und Tränenfluss, Miosis und Bauchkoliken. Die Symptome setzen nach kurzer Latenzzeit ein und lassen sich durch Atropin schnell aufheben. Die Mehrzahl der Vergiftungen geht auf das Konto des Ziegelroten Risspilzes, Inocybe erubescens (syn. I. patoullardii), der schon im Mai erscheint und mit dem Mairitterling, Calocybe gambosa, verwechselt werden kann. Der Mairitterling zeigt im Unterschied zum Risspilz keine rötlichen Verfärbungen und hat einen ausgeprägten Mehlgeruch und -geschmack. Die giftigen Trichterlinge sind z.B. mit dem Mehlräsling, Clitopilus prunulus, verwechselbar und sollten am besten ganz vermieden werden.

Der Fliegenpilz, Amanita muscaria, ist fast zu bekannt für Vergiftungen.
Schwerer zu erkennen ist der Pantherpilz, Amanita pantherina. Beide Vertreter der Wulstlinge enthalten Ibotensäure und das Decarboxylierungsprodukt Muscimol.

Der Fliegenpilz, Amanita muscaria, dürfte aufgrund seiner Bekanntheit und leichten Erkennbarkeit keine akzidentellen Vergiftungen hervorrufen. Die für die Toxizität verantwortlichen Verbindungen Ibotensäure und Muscimol sind jedoch auch im schwerer identifizierbaren Pantherpilz, Amanita pantherina, zu finden. Verwechslungen des Pantherpilzes sind beispielsweise mit dem Perlpilz, Amanita rubescens, oder Grauen Wulstlingen, Amanita excelsa, aufgetreten. Der Pantherpilz ist durch einen weißen Stiel, den meist ungerieften Ring und den meist deutlich gerieften Hutrand gekennzeichnet. Der Graue Wulstling hat dagegen einen eher grauen Stiel, einen deutlich gerieften Ring und einen ungerieften Hutrand. Er ist wenig schmackhaft. Merkmale des Perlpilzes sind sein rötlich gefärbtes Fleisch und der wie beim Wulstling geriefte Ring. Auf den Missbrauch von Fliegenpilzen zur Erzeugung angeblicher psychoaktiver Wirkungen sei hingewiesen.

Der Graue Tintling, Coprinopsis atramentaria, ist erst in Kombination mit Alkohol giftig. Wegen der langsamen Elimination des Coprins sind Vergiftungen noch möglich, wenn erst am dritten Tag nach der Pilzmahlzeit Alkohol getrunken wird.

Einige Pilze, z.B. der Graue Tintling (Falten-Tintling), Coprinopsis atramentaria (syn. Coprinus atramentarius), sind in Kombination mit Alkohol giftig. Sie enthalten die ungewöhnliche Aminosäure Coprin. Die Verbindung hemmt die Acetaldehyddehydrogenase, stoppt den Ethanolabbau auf der Stufe des Acetaldehyds und führt somit zu einer Acetaldehydvergiftung, die sich in Gesichtsrötung, Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, Hitzegefühl äußern kann. Um dieses zu vermeiden, sollte der zeitliche Abstand zwischen Pilz- und Alkoholgenuss etwa drei Tage betragen. Der auf Wiesen häufig zu findende und in jungem Zustand schmackhafte Schopftintling (Spargelpilz), Coprinus comatus, ist frei von Coprin.

Der Orangefuchsige Raukopf (Cortinarius orellanus) ist ein toxischer Haarschleierling, bei dem Vergiftungserscheinungen erst nach einer extrem langen Latenzzeit auftreten können.

Die Toxizität einiger Pilzarten ist erst seit jüngerer Zeit bekannt. Bekanntes Beispiel ist der Grünling, Tricholoma equestre, der nach dem Auftreten ernsthafter Vergiftungen in den 1990er und 2000er Jahren von der Liste der Marktpilze gestrichen wurde. Die für die Vergiftung mit dem Hauptsymptom Rhabdomyolyse verantwortlichen Verbindungen sind ungeklärt. Das Orellanus-Syndrom, hervorgerufen durch Cortinarius orellanus, den Orangefuchsigen Raukopf und einige andere Cortinarius-Arten, wurde in den 1950er Jahren nach einer Massenvergiftung in Polen bekannt. Es ist durch eine nach einer extrem langen Latenzzeit (zwei bis 17 Tage) eintretende Nierenschädigung gekennzeichnet und wird durch Alkaloide und vermutlich auch Peptide verursacht. Andere Pilze, z.B. der Kahle Krempling, Paxillus involutus, oder die Frühjahrslorchel, Gyromitra esculenta, werden in einigen Ländern, offenbar nach spezieller Zubereitung, noch immer gegessen, gelten bei uns jedoch berechtigterweise als Giftpilze. Die Frühjahrs- oder Giftlorchel enthält giftige Hydrazinderivate und kann leicht mit essbaren Morcheln verwechselt werden. Der Spruch „Die Morchel mit dem M wie Magen kann ein jeder gut vertragen, die Lorchel mit dem L wie Luder ist dagegen ein ganz gift’ger Bruder“ sollte beherzigt werden!

„Unechte Pilzvergiftungen“

Häufiger als Vergiftungen durch Giftpilze sind Unverträglichkeiten durch zu alte, falsch zubereitete oder zu reichlich genossene Pilze. Um diese „unechten Pilzvergiftungen“ zu vermeiden, müssen Pilze in einem luftigen Gefäß, am besten einem Korb, gesammelt und möglichst schnell zubereitet und verzehrt werden. Alte, madige, und zu kleine Pilze sollten stehengelassen werden. Reste einer Pilzmahlzeit sollten bis zum baldigen Verzehr kühl aufbewahrt werden. Rohe oder ungenügend gedünstete Pilze werden häufig nicht vertragen. Der hohe Gehalt an Ballaststoffen oder reichliche Fett- und Zwiebelanteile im Pilzgericht können empfindlichen Personen ebenfalls Unannehmlichkeiten bereiten.

Auch individuelle Unverträglichkeiten sind möglich. Ein Beispiel dafür ist die Shiitake-Dermatitis, die bei empfindlichen Personen nach Verzehr von Lentinula edodes, dem sehr wohlschmeckenden und auch gesundheitlich wertvollen Shiitakepilz, auftreten kann. Diese Pilze sind nur aus Kultur erhältlich.

Technische Hilfsmittel ersetzen nicht den Pilzberater

Smartphone-Apps, die auch während des Waldspaziergangs die Identifizierung von Pilzen gestatten sollen, liefern keinesfalls ausreichend sichere Informationen und sind als Entscheidungshilfe abzulehnen. Es gibt Hinweise darauf, dass die unkritische Anwendung solcher Apps die Häufigkeit von Pilzvergiftungen sogar erhöht haben soll. Auch ein Pilzbestimmungsbuch dürfte für den Laien nicht genügen. Am sichersten sind die Inanspruchnahme von sachkundigen Pilzberatern und die Beschränkung auf die gut bekannten Röhrenpilze, die zum allergrößten Teil essbar sind. Der ungenießbare Gallenröhrling lässt sich vom ähnlichen Steinpilz durch eine kleine organoleptische Prüfung und durch die ausgeprägte Netzzeichnung auf dem Stiel leicht unterscheiden. Giftige Röhrenpilze, z.B. der Satanspilz, sind selten. Die ähnlich aussehenden und häufiger vorkommenden Hexenröhrlinge (Netzstieliger Hexenröhrling: Boletus luridus und Flockenstieliger Hexenröhrling: Boletus erythropus) werden hinsichtlich ihres Speisewertes und ihrer Verträglichkeit unterschiedlich beurteilt.

Wenn nach einer Pilzmahlzeit Übelkeit, Durchfall oder Erbrechen auftreten, sollte von allen Teilnehmern der Mahlzeit schnell ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Das ist umso wichtiger, je mehr Zeit zwischen Verzehr und Auftreten der Symptome vergangen ist (lange Latenzzeit bei Vergiftungen durch Amanitine!). Reste des Sammelguts, des Putzens oder der Mahlzeit und eventuell Erbrochenes müssen zur Identifizierung der Vergiftungsursache, z.B. durch Pilzsachverständige, aufbewahrt werden. Wichtige Anlaufstellen sind die Giftinformationszentralen, die aufgrund der Beschreibung der Symptome die Vergiftungsursache einengen sowie Verhaltenstipps und Behandlungsratschläge geben können. Bei leichten und schnell einsetzenden Symptomen können sie auch von Laien noch vor der Arztkonsultation in Anspruch genommen werden. Die Kontaktdaten der Giftinformationszentren sind auch in jeder Apotheke verfügbar und beispielsweise in der Roten Liste aufgeführt. Die Giftinformationszentralen in Erfurt (Tel. 0361 730 730), Berlin (030 19240), München (089 19240), Freiburg (0761 19240), Göttingen (0551 19240), Bonn (0228 19240), Mainz (06131 19240), Homburg (06841 19240) und Nürnberg (0911 3983 451) sind jeden Tag 24 Stunden erreichbar. Bei ihnen sind auch die Kontaktdaten der jeweiligen Pilzberater erhältlich. Dringend abzuraten ist von sogenannten Hausmitteln. Das Trinken von Milch ist immer falsch. Das Trinken von Salzwasser zur Förderung von Erbrechen oder die Einnahme von Kohletabletten können die Prognose verschlechtern. 

Quelle

Literatur bei der Verfasserin.

Autorin

Prof. Dr. Ulrike Lindequist ist approbierte Apothekerin und seit 1992 Professorin für Phramazeutische Biologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Ihre wesentlichen Lehrgebiete sind Pharmazeutische Biologie und Marine Biotechnologie. Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit sind biologisch aktive Naturstoffe aus Pilzen, marinen Organismen und Pflanzen der Ethnomedizin, Plasmamedizin sowie die Analytik von Phytopharmaka. Professor Lindequist ist Autorin mehrerer Lehrbücher und Monografien zu den Themen Biogene Gifte, Biogene Arzneimittel und Marine Biotechnologie.

lindequi@uni-greifswald.de

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