Medizin

Neues zur „linksseitigen Appendizitis“

Erstmals Leitlinien zur Divertikelkrankheit

Von Christine Vetter | Die Divertikelkrankheit hat bislang eine Art Schattendasein in der Medizin gefristet. Es fehlt noch an Therapiestudien und damit an Evidenz bei der Behandlung. Und auch zur Pathogenese und somit zur Primär- und Sekundärprophylaxe sind noch viele Fragen offen. Erstmals aber gibt es nun zumindest eine S2k-Leitlinie zur Divertikelkrankheit/Divertikulitis mit klaren Empfehlungen für das Vorgehen in den verschiedenen Krankheitsstadien.

Schmerzen im linken Unterbauch sind das Leitsymptom der Divertikelkrankheit, die daher oft auch als „linksseitige Appendizitis“ bezeichnet wird. Die Schmerzen werden meist als schneidend, mitunter rezidivierend, gelegentlich anhaltend beschrieben und sind oft assoziiert mit Blutungen sowie mit Meteorismus und Änderungen des Stuhlverhaltens. Flatulenz und Stuhlentleerungen führen dabei häufig zu einer kurzfristigen Beschwerdebesserung. Werden solche Symptome beschrieben, so ist entsprechend der neuen Leitlinien differentialdiagnostisch bei Patienten aller Altersgruppen stets auch an das Vorliegen einer Divertikulitis zu denken.

Häufiger Zufallsbefund

Denn Divertikel, also Schleimhautausstülpungen in der Darmwand, sind ein weit verbreitetes Phänomen, dessen Prävalenz mit dem Lebensalter ansteigt: Rund 30 bis 45% der Menschen jenseits des 60. Lebensjahres weisen solche Veränderungen in ihrem Darm auf. Es handelt sich um Ausstülpungen der Mukosa und Submukosa durch muskelschwache Lücken der Kolonwand. Die Divertikel verursachen im Allgemeinen keine Symptome, sie werden meist zufällig im Rahmen einer Koloskopie entdeckt und haben in solchen Fällen keinen Krankheitswert. Anders sieht das aus, wenn es im Bereich der Divertikel zu Entzündungsprozessen kommt und wenn sich in deren Gefolge Komplikationen wie eine Ausbreitung der Inflammation auf weitere Gewebeschichten, Darmstenosen, eine Fistelbildung und möglicherweise eine gedeckte oder sogar offene Perforation entwickeln.

Steigende Inzidenz – auch in jungen Jahren

Wegen des Risikos solcher Komplikationen ist die Divertikelkrankheit unbedingt ernst zu nehmen, wie Prof. Dr. Wolfgang Kruis aus Köln als Leitlinienkoordinator darlegt. Dabei ist in den westlichen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten eine Zunahme der Hospitalisierungsrate aufgrund von Komplikationen der Divertikelkrankheit zu beobachten.

Zwar sind Inzidenz und Prävalenz vor allem im höheren Lebensalter hoch, zunehmend aber sind auch schon Menschen vor dem 40. Lebensjahr betroffen und müssen aufgrund der charakteristischen Beschwerden in die Klinik aufgenommen werden. Nach Registerstudien in den USA steigt die Inzidenz der Divertikelkrankheit stetig, während zugleich das Durchschnittsalter der Patienten, bei denen aufgrund von Divertikeln eine stationäre Aufnahme notwendig wird, kontinuierlich abnimmt.

Divertikulose und Divertikulitis

Bleiben die Divertikel klinisch stumm, liegt eine Divertikulose vor. Von einer Divertikelkrankheit ist laut Leitlinie erst auszugehen, wenn die Divertikulose Symptome und/oder Komplikationen verursacht. Beim Auftreten persistierender oder rezidivierender Symptome ohne apparente Divertikulitis besteht der aktuellen Klassifikation zufolge eine „symptomatische, unkomplizierte Divertikelkrankheit“. Zur „akuten Divertikulitis“ kommt es bei Entzündungsprozessen, die auch angrenzende Strukturen erfassen, und eine „akute komplizierte Divertikulitis“ besteht bei Perforation, Fistel oder Abszess.

Von einer „chronischen Divertikulitis“ ist hingegen bei rezidivierenden oder persistierenden Entzündungsschüben, die zu Komplikationen wie einer Stenose oder Fisteln führen können, auszugehen.

Risikofaktoren: Ballaststoffarme, fleischreiche Kost

Als Risikofaktor für das Auftreten von Divertikeln und einer Divertikelkrankheit gilt nach wie vor ein höheres Lebensalter und es gibt offenbar auch eine genetische Prädisposition. Bei den vermeidbaren Risikofaktoren steht eine zu geringe Aufnahme von Ballaststoffen an erster Stelle und es gibt Hinweise aus Studien, dass eine ballaststoffreiche Diät das Risiko für eine Divertikulitis mit und ohne Komplikationen mindern kann. Die Studiendaten sind jedoch zum Teil kontrovers und es ist, so heißt es in den Leitlinien, „von weiteren Einflussfaktoren neben den Ballaststoffen auszugehen“.

Passé ist den aktuellen Leitlinien zufolge die Empfehlung, auf Nüsse und Körnerprodukte weitgehend zu verzichten. Dies war den Betreffenden lange Zeit geraten worden in der Vorstellung, dass unverdaute Rückstände solcher Nahrungsmittel sich in den Divertikeln festsetzen und Komplikationen triggern können. Neuere Studien zeigen jedoch, dass der Verzehr von Nüssen und Körnerprodukten das Risiko für eine Divertikulitis offenbar nicht erhöht, sondern sogar mindert.

Widersprüchliche Daten gibt es außerdem zum Verzehr von rotem Fleisch. So wiesen frühere Studien dem häufigen Fleischkonsum die Rolle eines Risikofaktors zu, was in einer aktuellen Koloskopie-gestützten Querschnittsstudie jedoch nicht bestätigt werden konnte. Insgesamt scheint, so die aktuellen Erkenntnisse, die Kombination aus einer niedrigen Ballaststoffzufuhr und dem Verzehr von viel rotem Fleisch (> 116,6 g/Tag) das Risiko für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit auf mehr als das dreifache gegenüber einer hohen Ballaststoffzufuhr (mindestens 29 g/Tag) und einer geringen Zufuhr an rotem Fleisch zu steigern.

Widersprüchliche Daten zu Übergewicht und Bewegungsmangel

Unklar ist die Rolle weiterer potenzieller Risikofaktoren. So wird die Bedeutung des Rauchens nach wie vor kontrovers diskutiert und zur Assoziation von Alkohol und einer Divertikelkrankheit fehlen konkrete Daten.

Auch in puncto Übergewicht sowie Bewegungsmangel, lange als zentrale Risikofaktoren der Divertikelkrankheit angesehen, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: So gibt es Studien, die ein 1,4-fach erhöhtes Risiko bei einem Body-Mass-Index über 30 ermittelten, während eine Querschnittstudie und auch eine prospektive Kohortenstudie keinen Zusammenhang zwischen dem BMI und der asymptomatischen Divertikulose finden konnte. Kleinere Studien zeigen jedoch eine Assoziation für das Auftreten von Komplikationen bei bestehender Divertikulitis und Übergewicht.

Ähnlich ist die Situation hinsichtlich eines Bewegungsmangels. So fand eine kürzlich publizierte Querschnittsstudie bei mehr als 2000 Probanden keinen Zusammenhang zwischen Divertikulose und körperlicher Aktivität. Andererseits konnte bei Männern, die mindestens 52 Stunden/Woche einer sitzenden Tätigkeit nachgehen, ein 30% höheres Risiko für eine Divertikulose ermittelt werden gegenüber Männern, die weniger als 16 Stunden/Woche sitzen. Mehrere große prospektive Kohortenstudien zeigen außerdem eine Risikoreduktion für die komplizierte Divertikelkrankheit inklusive der Divertikelblutung durch körperliche Aktivität, wobei dieser Effekt allerdings nur für ein hohes Aktivitätslevel, nicht jedoch für leichte Belastung wie zum Beispiel Gehen dokumentiert wurde.

Als weiterer Risikofaktor wird in der Leitlinie eine Komorbidität aufgeführt, wobei Zusammenhänge insbesondere bei einer Hypothyreose, einem Diabetes mellitus, einer arteriellen Hypertonie und einer polyzystischen Nierenerkrankung gesehen werden. Es gibt ferner Daten, die auf einen schwereren Verlauf der Divertikelkrankheit bei einer Immunsuppression hinweisen. Außerdem scheinen bestimmte Medikamente wie die nicht steroidalen Antirheumatika sowie Corticosteroide das Risiko für das Auftreten von Komplikationen bei einer Divertikelkrankheit zu steigern.

Diagnostik der Divertikelkrankheit

Neben der Palpation, Perkussion und Auskultation des Abdomens gehört zur Diagnostik laut der aktuellen Leitlinie eine rektale Untersuchung, die Temperaturmessung, die Bestimmung der Leukozyten sowie des C-reaktiven Proteins (CRP) und eine Urinanalyse. Die Verdachtsdiagnose ist zu stellen bei akut einsetzenden, lokalisierten, zunehmenden Schmerzen im linken Unterbauch in Verbindung mit pathologischen Entzündungsparametern (Temperaturerhöhung > 37,6 bis 38°C, CRP > 5 mg/100 ml, Leukozytose > 10 bis 12.000/μl). Diese entwickeln sich in aller Regel allerdings erst im Verlauf von ein bis zwei Tagen.

Zur Diagnosesicherung wird eine abdominelle Sonografie empfohlen, gegebenenfalls kann ergänzend eine Computertomografie notwendig sein. Da bei einer Koloskopie von einem etwas erhöhten Perforationsrisiko auszugehen ist, gehört dieses Verfahren nicht zur Routinediagnostik.

Therapie der Divertikelkrankheit

Die Behandlung der Divertikelkrankheit richtet sich nach dem Krankheitsstadium. Keine Therapieindikation besteht bei der Divertikulose. Anders als früher oft praktiziert, kann zudem entsprechend der aktuellen Empfehlungen auch bei akuter linkseitiger unkomplizierter Divertikulitis ohne Risikoindikatoren für einen komplizierten Verlauf auf eine Antibiotikagabe verzichtet werden. Wichtig ist jedoch eine engmaschige klinische Kontrolle des Patienten. Besteht ein erhöhtes Komplikationsrisiko wie etwa beim Vorliegen einer arteriellen Hypertonie, einer chronischen Nierenerkrankung, einer Immunsuppression und/oder einer allergischen Diathese, so ist eine Antibiotikagabe angezeigt.

Die symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit kann außerdem, so die Leitlinien, mit Mesalazin (oral) behandelt werden. Der Wirkstoff ist bislang in dieser Indikation in Deutschland nicht zugelassen, allerdings liegen Studien vor, die eine eindeutige Reduktion der Symptomatik belegen. Eine potenzielle Therapieoption stellt ferner das nicht resorbierbare Antibiotikum Rifaximin dar, für das ebenfalls günstige Therapieeffekte in Studien gezeigt wurden. Die Datenlage ist jedoch noch nicht einheitlich und es ist, so die Leitlinie, „unbedingt notwendig, gut geplante, prospektive placebokontrollierte Studien mit eindeutigen Endpunkten durchzuführen“.

Antibiotika sind auch indiziert bei der komplizierten Divertikulitis, die zudem einer stationären Behandlung bedarf. „Die Auswahl und der Administrationsmodus der Antibiotika bedürfen einer individuellen Entscheidung, die den Allgemeinzustand und das Risikoprofil des Patienten sowie die lokale Resistenzlage berücksichtigt“, heißt es in der Leitlinie. Als in der klinischen Routine verwendete Medikamente werden dort Cefuroxim oder Ciprofloxacin, jeweils mit Metronidazol, Ampicillin/Sulbaktam, Piperacillin/Tazobaktam sowie Moxifloxacin aufgeführt.

Bei unzureichender oraler Trinkmenge ist eine parenterale Flüssigkeitssubstitution notwendig. Nicht zwingend erforderlich aber ist eine orale Nahrungskarenz, in Abhängigkeit von der klinischen Situation kann entgegen dem früher üblichen Prozedere durchaus eine orale Nahrungszufuhr erfolgen.

Spricht der Patient auf die konservative Therapie nicht adäquat an, so ist eine chirurgische Intervention indiziert. Empfohlen wird, wann immer möglich, eine Operation im entzündungsfreien Intervall im Sinne einer elektiven Sigmaresektion, obwohl entsprechend der Leitlinien auch dieses Vorgehen bislang nur unzureichend durch prospektive Studiendaten belegt ist. 

Quelle

S2k Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis, Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), www.awmf.org

Autorin

Christine Vetter hat Biologie und Chemie studiert und arbeitet seit 1982 als Medizinjournalistin.

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